Grundlagen der Freien Wohlfahrtspflege
Die Freie Wohlfahrtspflege ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Sozialstaates. Sie umfasst sämtliche nicht-staatlichen Organisationen, die sich der Förderung des Gemeinwohls, insbesondere der Unterstützung bedürftiger Menschen, widmen. Im Gegensatz zur öffentlichen Wohlfahrtspflege (staatliche Träger) agieren Träger der Freien Wohlfahrtspflege eigenständig, sind jedoch in vielfältiger Weise gesetzlich verankert und in das staatliche System sozialer Dienstleistungen eingebunden.
Begriffliche und rechtliche Einordnung
Historische Entwicklung
Die Entstehung der Freien Wohlfahrtspflege reicht in das 19. Jahrhundert zurück und ist eng mit der Entwicklung bürgerschaftlicher und kirchlicher Initiativen verbunden. Rechtsgeschichtlich hat sich die Trennung zwischen öffentlicher und freier Wohlfahrtspflege mit dem Erstarken des Sozialstaates und der Gründung der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege – BAGFW) verstetigt.
Abgrenzung zur öffentlichen Wohlfahrtspflege
Die wesentliche Unterscheidung zwischen öffentlicher und Freier Wohlfahrtspflege liegt in der Trägerschaft: Während erstere durch staatliche und kommunale Stellen (z. B. Land, Städte, Gemeinden) repräsentiert wird, liegt die Freie Wohlfahrtspflege in den Händen von privatrechtlich organisierten Vereinen, Verbänden, Stiftungen oder religiösen Gemeinschaften.
Gesetzliche Grundlage
Die Freie Wohlfahrtspflege stützt sich rechtlich maßgeblich auf das Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere auf SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe), SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen) sowie SGB XI (Soziale Pflegeversicherung). Nach § 4 SGB IX und § 75 SGB XII (Sozialhilfe) werden anerkannte Wohlfahrtsverbände als „Träger der freien Wohlfahrtspflege” betrachtet. Sie nehmen laut Gesetz eine gleichwertige Stellung neben öffentlichen Trägern ein und stehen in einem partnerschaftlichen Verhältnis zu den staatlichen Stellen, dem sogenannten Subsidiaritätsprinzip.
Subsidiaritätsprinzip und seine rechtliche Bedeutung
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein zentrales ordnungspolitisches Leitbild der Freien Wohlfahrtspflege. Es besagt grundsätzlich, dass private oder freie Träger vorrangig vor staatlichen Akteuren zur Leistungserbringung herangezogen werden sollen (sog. Vorrang der freigemeinnützigen Träger, § 5 SGB VIII). Staatliche Stellen unterstützen und fördern die Verbände, kontrollieren deren Tätigkeit aber nicht inhaltlich, sondern lediglich hinsichtlich der jeweiligen Rechtsvorgaben und der ordnungsgemäßen Mittelverwendung.
Rechtliche Struktur der Träger der Freien Wohlfahrtspflege
Vereins- und Stiftungsrecht
Die überwiegende Zahl freier Träger ist als eingetragene Vereine (§§ 21 ff. BGB) oder Stiftungen (§§ 80 ff. BGB) organisiert. Sie müssen sich an die allgemeinen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches, an steuerrechtliche Vorgaben (§§ 51 ff. AO: Gemeinnützigkeit) und andere einschlägige Rechtsvorschriften halten.
Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege
In Deutschland sind sechs Spitzenverbände maßgeblich:
- Deutscher Caritasverband e. V. (DCV)
- Diakonie Deutschland – Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e. V.
- Deutsches Rotes Kreuz e. V. (DRK)
- Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e. V. (AWO)
- Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. (Der Paritätische)
- Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. (ZWST)
Diese Spitzenverbände koordinieren die Arbeit der angeschlossenen Organisationen, vertreten ihre Interessen gegenüber Politik und Verwaltung und wirken an der Ausgestaltung gesetzlicher Regelungen mit.
Staatliche Anerkennung und Gemeinnützigkeitsrecht
Anerkennung als freier Träger
Die Anerkennung als freier Träger ist gesetzlich geregelt, z. B. nach § 75 SGB XII für sozialhilferechtliche Aufgaben oder nach § 25 SGB III für Arbeitsförderung. Die Anerkennung setzt in der Regel Gemeinnützigkeit, eine dauerhafte und sachliche Eignung sowie die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben voraus. Die rechtliche Anerkennung führt zu Förderansprüchen und Vergünstigungen, wie etwa Zugang zu öffentlichen Fördermitteln, Steuerbegünstigungen und bevorzugter Zusammenarbeit mit öffentlichen Trägern.
Gemeinnützigkeitsrechtliche Anforderungen
Freie Träger müssen die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit im Sinne der §§ 51 ff. Abgabenordnung erfüllen. Dies betrifft sowohl steuerliche Begünstigungen als auch die Mittelverwendung, die ausschließlich für gemeinwohlorientierte Zwecke erfolgen muss. Die Nutzung von Fördermitteln unterliegt strengen Nachweispflichten und staatlicher Rechnungskontrolle.
Aufgabenbereiche und Rechtsrahmen der Freien Wohlfahrtspflege
Umfang der Leistungsbereiche
Träger der Freien Wohlfahrtspflege sind in nahezu allen Feldern sozialer Arbeit tätig, unter anderem in:
- Kinder- und Jugendhilfe
- Altenhilfe und Pflege
- Behindertenhilfe
- Migrations- und Integrationsarbeit
- Wohnungslosenhilfe und Armutsbekämpfung
- Gesundheitswesen
Ihre spezifischen Aufgaben und Befugnisse ergeben sich aus spezialgesetzlichen Regelungen (z. B. SGB VIII, SGB IX, SGB XI, SGB XII).
Zusammenarbeit mit öffentlichen Trägern
Die Kooperation zwischen öffentlichen und freien Trägern ist gesetzlich vorgesehen und erfolgt häufig in koordinierenden Gremien, wie Jugendhilfeausschüssen (§§ 70 ff. SGB VIII). Verträge über die Leistungserbringung bedürfen einer gesetzlichen Grundlage (z.B. §§ 75 ff. SGB XII: Vereinbarungen über Leistung, Qualität und Entgelt).
Finanzierung und Vergütung
Die Finanzierung der Freien Wohlfahrtspflege erfolgt über einen Mix aus öffentlichen Mitteln (Leistungsvergütungen, Zuschüsse, Fördermittel nach SGB VIII/XI/XII), Eigenmitteln, Spenden und Mitgliedsbeiträgen. Entgeltvereinbarungen regeln die Höhe und Bedingungen der Mittelvergabe, deren Einhaltung durch Prüfbehörden und Gerichte überwacht wird.
Rechtlicher Schutz und Kontrolle
Prüfungs- und Berichtspflichten
Träger sind zur ordnungsgemäßen Mittelverwendung, transparenten Haushaltsführung und regelmäßigen Berichterstattung gegenüber Zuwendungsgebern verpflichtet. Die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen wird von Aufsichtsbehörden geprüft; Verstöße können zum Entzug der Anerkennung oder zur Rückforderung von Zuwendungen führen.
Diskriminierungsverbot und Zugangsoffenheit
Freie Träger sind zur Einhaltung der allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsätze und des Diskriminierungsverbots verpflichtet. Das erfordert insbesondere den Zugang ihrer Angebote für alle Bedürftigen, soweit deren Satzung keinen besonderen begründeten Personenkreis vorsieht.
Bedeutung im sozialstaatlichen Gefüge
Die Freie Wohlfahrtspflege übernimmt wesentliches staatliches Handeln „in zivilgesellschaftlicher Hand”. Sie prägt die soziale Infrastruktur Deutschlands und trägt zur Innovationsfähigkeit und sozialen Integration bei. Die gesetzlichen Bindungen und partnerschaftlichen Kooperationen garantieren Effektivität, Vielgestaltigkeit und Bürgernähe.
Quellen:
- Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere SGB VIII, IX, XI, XII
- §§ 21 ff., §§ 80 ff. BGB
- §§ 51 ff. AO
- Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW)
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
Hinweis: Diese Darstellung bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Aspekte der Freien Wohlfahrtspflege und ihre Einbindung in das deutsche Sozialrechtssystem.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die Freie Wohlfahrtspflege in Deutschland?
Die rechtlichen Grundlagen der Freien Wohlfahrtspflege in Deutschland ergeben sich primär aus dem Sozialgesetzbuch (SGB), insbesondere aus dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe), SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen), SGB XI (Pflegeversicherung) sowie dem SGB XII (Sozialhilfe). Darüber hinaus spielt das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes und der Gemeinnützigkeit eine zentrale Rolle, da viele freie Träger gemeinnützige Organisationen sind. Die Freie Wohlfahrtspflege wird zudem durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) formal vertreten. Wesentliche rechtliche Rahmenbedingungen finden sich auch im Grundgesetz, beispielsweise in Art. 4 (Religionsfreiheit) und Art. 9 (Vereinigungsfreiheit), die die Tätigkeit konfessioneller und nicht-konfessioneller Träger absichern. Zudem ist die subsidiäre Rolle der Freien Wohlfahrtspflege gemäß § 5 SGB XII gesetzlich anerkannt, was bedeutet, dass öffentliche Träger vorrangig mit freien Trägern zusammenarbeiten sollen.
Welche Rolle spielt das Subsidiaritätsprinzip aus rechtlicher Sicht für die Freie Wohlfahrtspflege?
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein zentrales verfassungsrechtliches und sozialrechtliches Leitbild, das unter anderem im Art. 20 Abs. 1 GG und explizit im SGB XII verankert ist. Es besagt, dass Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge und Wohlfahrtspflege vorrangig von nicht-staatlichen Akteuren – also den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege – wahrgenommen werden sollen, bevor öffentliche Einrichtungen tätig werden. Gesetzlich ist dies unter anderem durch den Vorrang der freien Träger in der Bereitstellung sozialer Leistungen festgeschrieben (§ 4 SGB IX, § 75 SGB VIII, § 17 SGB IX). Erst wenn die freien Träger keine geeigneten Leistungen anbieten können, ist eine Übernahme durch staatliche Stellen zulässig. Auch in der Vergabe öffentlicher Fördermittel muss dieses Prinzip beachtet werden.
Welche Maßgaben bestehen für die Anerkennung als Träger der Freien Wohlfahrtspflege?
Die Anerkennung als Träger der Freien Wohlfahrtspflege ist rechtlich geregelt in verschiedenen Bestimmungen, etwa § 5 SGB IX, § 75 SGB VIII und § 17 SGB IX. Sie setzt voraus, dass die Organisation gemeinnützige Ziele im Sinne der §§ 51 ff. AO (Abgabenordnung) verfolgt, sozial ausgerichtet ist und eine entsprechend leistungsfähige Struktur etabliert hat. Neben den sogenannten „verbandsmäßigen Zusammenschlüssen” (wie Caritas, Diakonie, DRK, AWO, Paritätischer Wohlfahrtsverband, ZWST) können auch andere freie Träger anerkannt werden, wenn sie vergleichbare Voraussetzungen erfüllen. Die formale Anerkennung erfolgt durch die zuständige Landes- oder Kommunalbehörde, die insbesondere prüft, ob die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Fachlichkeit gegeben sind.
Welche rechtlichen Pflichten haben Träger der Freien Wohlfahrtspflege?
Träger der Freien Wohlfahrtspflege unterliegen einer Vielzahl rechtlicher Verpflichtungen. Dazu zählen insbesondere die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften (wie Tarifbindung, Arbeitszeitgesetz, Mitbestimmung), Datenschutzbestimmungen nach DSGVO und BDSG, das Antidiskriminierungsrecht nach dem AGG, sowie spezielle Vorgaben aus den jeweiligen Sozialgesetzbüchern, etwa zur Qualitätssicherung (§ 78a SGB VIII), Berichtspflicht (§ 74 SGB VIII) und Kooperation mit Behörden (§ 8a SGB VIII). Ferner müssen sie im Rahmen von Zuwendungen und öffentlichen Fördermitteln entsprechende Verwendungsnachweise führen und stehen unter der Pflicht zu transparenter Geschäftsführung und gegenüber Kontroll- und Aufsichtsgremien rechenschaftspflichtig. Zudem müssen sie bei der Leistungserbringung die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit wahren.
In welchem Umfang unterliegen Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege der staatlichen Aufsicht und Kontrolle?
Obwohl die Freie Wohlfahrtspflege ihrer Aufgabe grundsätzlich eigenverantwortlich nachgeht, stehen ihre Einrichtungen unter staatlicher Aufsicht. Die Kontrolle erfolgt auf Grundlage der rechtlichen Vorgaben der jeweiligen Sozialgesetzbücher und Aufsichtsgesetze der Länder. Die Aufsicht bezieht sich dabei auf Zweckmäßigkeit, Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Arbeit der Einrichtung. Besonders relevant sind diesbezüglich die Fachaufsicht (Überprüfung der inhaltlichen Arbeit, Qualitätsstandards, Kinderschutz etc.) und die Wirtschaftsaufsicht (Prüfung der Mittelverwendung, Rechnungslegung). Die konkrete Ausgestaltung variiert je nach Leistungsbereich (z.B. Kinder- und Jugendhilfe, Altenhilfe, Behindertenhilfe) und Trägerschaft. Gesetzliche Vorgaben, beispielsweise aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG, §§ 45 ff. SGB VIII) oder dem Heimgesetz, geben den Rahmen vor, in dem Inspektionen, Qualitätsprüfungen und andere Aufsichtsmaßnahmen erfolgen.
Wie gestaltet sich die Finanzierung freier Träger im Rahmen der Rechtsordnung?
Die Finanzierung erfolgt in der Regel durch öffentliche Mittel aus den Kommunen, Bundesländern oder dem Bund sowie durch Eigenmittel, Spenden und sonstige Zuwendungen. Die Vergabe öffentlicher Mittel ist rechtlich durch das Zuwendungsrecht und durch Leistungs-, Entgelt- oder Förderverträge geregelt (§§ 74-79a SGB VIII, §§ 75 ff. SGB XII). Dabei gelten die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Die Verwendungsnachweispflicht ist rechtlich fixiert und verlangt detaillierte Nachweise zur Mittelverwendung (§ 44 BHO, § 44 LHO). Zuwendungen dürfen nur zweckgebunden verwendet werden, und Rückforderungen bei zweckwidriger Verwendung sind möglich. Daneben sind freie Träger regelmäßig verpflichtet, Haushalts- und Geschäftsführungsvorschriften einzuhalten und bei der Inanspruchnahme von Fördermitteln die jeweiligen Bestimmungen der Fördergeber zu beachten.
Welche rechtlichen Grundlagen bestehen im Bereich des Datenschutzes und des Schutzes personenbezogener Daten?
Auch die Träger der Freien Wohlfahrtspflege unterliegen den umfassenden Regelungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG). Das bedeutet, dass sie personenbezogene Daten von Klientinnen und Klienten, Mitarbeitenden oder anderen Betroffenen nur unter Einhaltung der strengen Vorgaben zum Datenschutz verarbeiten dürfen. Der besondere Schutz gilt, da sie regelmäßig sensible Daten (wie Gesundheitsdaten, soziale Herkunft, Lebenssituation) verarbeiten. Es bestehen umfassende Informations-, Dokumentations- und Meldepflichten, etwa im Fall eines Datenschutzvorfalls. Ebenso müssen technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten nach dem Stand der Technik implementiert werden. Datenschutzbeauftragte sind in der Regel zu benennen, und regelmäßige Schulungen des Personals sind verpflichtend. Verstöße gegen Datenschutzvorgaben können empfindliche Bußgelder und aufsichtsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen.