Begriff und Definition: Forum Shopping
Forum Shopping bezeichnet das gezielte Auswählen eines bestimmten Gerichtsstandes (Fora, Plural von Forum) durch eine Partei, um für das eigene Anliegen eine vorteilhafte gerichtliche Entscheidung zu erlangen. Der Begriff findet insbesondere im internationalen Privat- und Prozessrecht Anwendung und umfasst sämtliche Strategien, durch die Parteien nationale oder internationale Gerichte mit vergleichbarer Zuständigkeit anrufen, um Zugang zu günstigeren rechtlichen Rahmenbedingungen, Verfahrensregeln oder materiellen Rechtsnormen zu erhalten.
Historische Entwicklung und Bedeutungswandel
Forum Shopping ist ein Phänomen, das ursprünglich mit der zunehmenden Globalisierung, internationalen Handelsbeziehungen und der Ausdifferenzierung nationaler Rechtsordnungen an Bedeutung gewann. Die unterschiedlichen Zuständigkeits- und Kollisionsnormen verschiedener Staaten sowie wirtschaftliche Interessenlagen begünstigten die Entwicklung dieses taktischen Vorgehens. Mit der weiteren Integration der Europäischen Union und internationaler Abkommen wie der Brüssel Ia-Verordnung sowie der Rom I- und Rom II-Verordnung wurde Forum Shopping zu einer zentralen rechtlichen Fragestellung in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten.
Formen und Erscheinungsbilder des Forum Shopping
Nationales Forum Shopping
Innerhalb eines Staates kann Forum Shopping auftreten, wenn mehrere örtlich zuständige Gerichte gewählt werden können, etwa in Fällen von besonderen Gerichtsständen (zum Beispiel im deutschen Zivilprozessrecht durch Gerichtsstandsvereinbarung gemäß § 38 ZPO oder bei mehreren gesetzlichen Gerichtsständen gemäß § 32 ZPO).
Internationales Forum Shopping
Im internationalen Kontext können Parteien vor allem dann verschiedene Gerichtsstände wählen, wenn internationale Zuständigkeitsregeln einen Anknüpfungspunkt eröffnen, wie etwa Wohnsitz, gewöhnlicher Aufenthalt oder den Ort des Schadenseintritts. Eine prominente Rolle spielt dies im internationalen Zivilprozessrecht der Europäischen Union und den USA.
Forum Shopping in den USA
In den Vereinigten Staaten wird Forum Shopping durch erhebliche Unterschiede im materiellen Recht, den Prozessordnungen und dem Umfang von Geschworenenentscheidungen erheblich verstärkt. Hier nutzen Parteien häufig “favorable venues” (günstige Gerichtsorte), um beispielsweise “plaintiff-friendly courts” (klägerfreundliche Gerichte) zu wählen. Im Kontext von Sammelklagen (“class actions”) ist Forum Shopping ein besonders bedeutender Aspekt.
Forum Shopping in der Europäischen Union
Die EU bemüht sich durch Angleichung der Zuständigkeitsregeln und Kollisionsnormen, Forum Shopping einzudämmen. Dennoch ermöglichen es die Gesamtheit aus Brüssel Ia-, Rom I- und Rom II-Verordnung sowie nationalen Sonderregelungen weiterhin, Zuständigkeiten zu beeinflussen und damit den “justiziellen Heimvorteil” eines bestimmten Staates oder Gerichtsortes zu nutzen.
Rechtliche Grundlagen und Mechanismen
Zuständigkeitsvereinbarungen (Prorogation)
Parteien können durch ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarungen das zuständige Gericht selbst bestimmen. Die rechtlichen Anforderungen sind in internationalen Übereinkommen, etwa Art. 25 Brüssel Ia-VO, festgelegt. Dies eröffnet erhebliches Potenzial für Forum Shopping, da insbesondere wirtschaftsstarke Vertragsparteien die Wahl des für sie günstigsten Gerichtsstands forcieren können.
Kollisionsrechtliche Anknüpfung
Forum Shopping erfolgt auch durch die gezielte Gestaltung von Vertragsbeziehungen oder des Lebenssachverhalts, um eine bestimmte Rechtsordnung zur Anwendung zu bringen. Dies betrifft vor allem Fragen des anwendbaren Rechts (“choice of law”), geregelt in der Rom I- und Rom II-Verordnung auf europäischer Ebene.
Alternative Streitbeilegung und Schiedsgerichte
Eine besondere Ausprägung stellt die Vereinbarung von Schiedsgerichten dar. Hier lässt sich durch “Arbitration Clauses” ebenfalls durch die Wahl des Schiedsortes und der Verfahrenssprache ein vorteilhaftes Forum designieren.
Rechtspolitische und ethische Bewertung
Forum Shopping ist unter Jurisdiktionen und Rechtswissenschaft Gegenstand kontroverser Bewertung. Befürworter sehen darin das legitime Ausnutzen rechtlicher Spielräume als Ausdruck von Parteiautonomie und -gerechtigkeit. Kritiker betrachten Forum Shopping hingegen als eine Form der Umgehung nationaler Rechtsgrundsätze und Gleichbehandlung. Problematisch ist dies insbesondere, wenn wirtschaftlich stärkere Parteien ihre Position nutzen, um für sie günstige, jedoch für die Gegenseite nachteilige Gerichte festzulegen (“power imbalance”). In bestimmten Fällen kann dies den Zugang zu Gericht für schwächere Parteien erschweren oder unbeabsichtigte Zuständigkeitskonkurrenzen schaffen.
Mechanismen zur Eindämmung des Forum Shopping
Anknüpfungsbegrenzungen und ausschließliche Gerichtsstände
Die Normgeber in nationalen Gesetzen und auf Ebene der Europäischen Union beschränken die Parteienautonomie teilweise durch Vorschriften zu ausschließlichen Gerichtsständen, etwa beim Mietrecht, Arbeitsrecht oder Verbraucherschutz. Beispielhaft ist Art. 24 Brüssel Ia-VO, nach dem etwa für dingliche Rechte an Immobilien der Gerichtsstand am Belegenheitsort zwingend ist.
Klagemöglichkeiten und “Anti-Suit Injunctions”
In englischsprachigen Rechtsordnungen existieren mit “Anti-Suit Injunctions” gerichtliche Maßnahmen, die verhindern, dass Parteien durch parallele Prozesse in anderen Staaten einen prozessualen Vorteil erlangen. Auf europäischer Ebene ist diese Möglichkeit stark eingeschränkt, um die Einheitlichkeit des Rechtsraums zu sichern.
Rechtsprechung zu Missbrauch und Umgehung
Eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen beschäftigen sich mit dem Missbrauch von Forum Shopping. Die Gerichte prüfen dabei die Zulässigkeit gewählter Gerichtsstände und unterbinden prozessuale Gestaltungen, die als Rechtsmissbrauch (“abuse of law”) bewertet werden.
Bedeutung für Praxis und Rechtsentwicklung
Forum Shopping beeinflusst maßgeblich Vertragsgestaltung, Verfahrensstrategien und die Entwicklung des internationalen Zivil- und Prozessrechts. Für Unternehmen, Handel und Privatpersonen ist das Wissen um die Möglichkeiten und Grenzen des Forum Shopping vor allem bei grenzüberschreitenden Sachverhalten von erheblicher Bedeutung. In vielen Rechtsordnungen wird fortlaufend erörtert, wie eine Balance zwischen Parteiinteressen, Rechtssicherheit und dem Zugang zu neutralen Gerichten erreicht werden kann.
Literatur und weiterführende Hinweise
Zum Thema Forum Shopping existieren zahlreiche wissenschaftliche Abhandlungen und Kommentierungen zu den einschlägigen Rechtsquellen, insbesondere im Kontext der Europäischen Union, der USA und internationalen Abkommen. Von besonderer Relevanz sind hierbei die Entwicklungen im Rahmen der Harmonisierung des internationalen Zivilprozessrechts sowie die aktuelle Rechtsprechung der obersten Gerichte auf nationaler und supranationaler Ebene.
Hinweis: Dieser Artikel dient der umfassenden Information über den Begriff “Forum Shopping” mit besonderem Fokus auf rechtliche Aspekte und aktuelle Entwicklungen im internationalen Zivilprozessrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für Forum Shopping im internationalen Zivilprozessrecht erfüllt sein?
Forum Shopping ist im internationalen Zivilprozessrecht rechtlich nur möglich, wenn die jeweiligen nationalen oder supranationalen Gerichtsstandsregelungen die Anrufung der gewünschten Gerichte zulassen. Die zentrale Voraussetzung ist dabei die internationale Zuständigkeit des favorisierten Gerichts, die sich insbesondere in der Europäischen Union nach der Brüssel Ia-Verordnung (VO (EU) Nr. 1215/2012) richtet. Diese sieht grundsätzlich den Wohnsitz des Beklagten als primären Anknüpfungspunkt vor, erlaubt aber zahlreiche besondere und ausschließliche Gerichtsstände, etwa für Vertragssachen, Delikte oder bei dinglichen Rechten an Immobilien. Die Wahl des Gerichts kann auch auf einer Gerichtsstandvereinbarung beruhen, deren Wirksamkeit wiederum an bestimmte formale und materielle Voraussetzungen gebunden ist. Außerhalb der EU greifen häufig bilaterale oder multilaterale Abkommen sowie autonomes nationales Recht. Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist, dass das materielle Recht des Zielgerichts für das angestrebte Anliegen günstiger erscheint, was jedoch durch Kollisionsnormen oder zwingendes Recht wiederum beschränkt sein kann.
Welche Beschränkungen bestehen für Forum Shopping durch missbräuchliches oder rechtsmissbräuchliches Verhalten?
Das Forum Shopping unterliegt einer Vielzahl rechtlicher Beschränkungen, insbesondere wenn das gewählte Gerichtsverfahren als missbräuchlich eingestuft werden könnte. So kann ein Gericht die internationale Zuständigkeit ablehnen, wenn der Klageantrag nur zur Schaffung eines unzulässigen Gerichtsstands oder zur Umgehung gesetzlicher Bestimmungen erhoben wurde („forum non conveniens” in manchen Common Law-Rechtsordnungen). In Deutschland und in anderen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen greift das Grundsatzverbot des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB), das auch im prozessualen Kontext Anwendung finden kann. Auf europäischer Ebene ist nach der EuGH-Rechtsprechung ein offensichtlicher Missbrauch des Gerichtsstands, etwa durch Manipulation der Parteibezeichnung oder fiktive Verpflichtungen, unzulässig. Weiterhin bestehen Beschränkungen durch zwingende Gerichtsstände – etwa bei Verbraucherschutz-, Arbeits- oder Versicherungssachen – die das Forum Shopping ausschließen.
Wie unterscheiden sich die Regelungen zum Forum Shopping innerhalb und außerhalb der Europäischen Union?
Innerhalb der Europäischen Union ist das Forum Shopping weitgehend durch die Brüssel Ia-Verordnung harmonisiert. Die Transparenz und Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln sind hoch, Ausweichmöglichkeiten bestehen insbesondere über Gerichtsstandsvereinbarungen oder durch die Wahl eventueller besonderer Gerichtsstände. Außerhalb der EU variiert die Handhabbarkeit stark je nach Kollisionsrecht und nationalen Justizsystemen. In Common Law-Staaten existiert etwa das Institut des forum non conveniens, das Gerichte berechtigt, eine als unpassend empfundene Klage abzuweisen, wenn ein anderes Forum geeigneter erscheint. Darüber hinaus fehlt es häufig an zwingenden oder harmonisierten Regeln, was das Risiko opportunistischer Klagen erhöht. Bilaterale Abkommen können spezifische Gerichtsstandsregelungen vorsehen.
Welche rechtlichen Konsequenzen kann ein festgestelltes Forum Shopping für die Parteien haben?
Wird Forum Shopping als rechtsmissbräuchlich eingestuft, kann dies gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Das angerufene Gericht kann sich für unzuständig erklären oder die Klage abweisen. Bereits eingeleitete Verfahren können eingestellt oder Urteile nicht anerkannt werden. In Extremfällen kann eine Partei zum Ersatz der durch das missbräuchliche Verhalten entstandenen Kosten verpflichtet werden. Zudem kann ein Prozessgericht gegebenenfalls Sanktionen verhängen, und auf internationaler Ebene kann die Anerkennung und Vollstreckung eines auf diese Weise erlangten Urteils von anderen Staaten versagt werden (vgl. Art. 45 Brüssel Ia-VO).
Welche Rolle spielen Gerichtsstandvereinbarungen im Zusammenhang mit Forum Shopping?
Gerichtsstandvereinbarungen sind ein zentrales Werkzeug für gezieltes Forum Shopping und erlauben es, von dispositiven gesetzlichen Zuständigkeitsregeln abzuweichen. Sie sind vor allem im Wirtschaftsrecht weit verbreitet, unterliegen jedoch strikten formalen und materiellen Voraussetzungen, insbesondere nach Art. 25 Brüssel Ia-VO. Die Parteien müssen die Vereinbarung schriftlich oder in entsprechender Textform schließen. Ungültig sind Gerichtsstandvereinbarungen dann, wenn sie gegen zwingende Vorschriften, etwa zum Schutz von Verbrauchern, Arbeitnehmern oder Versicherungskunden, verstoßen. Zudem können nationale Gerichte trotz wirksamer Vereinbarung ihre Zuständigkeit ablehnen, wenn der gewählte Gerichtsstand rechts- oder sittenwidrig wirkt oder nur zum Zwecke prozessualer Schädigung gewählt wurde.
Wie kann die Einleitung paralleler Verfahren (lis pendens) das Forum Shopping beeinflussen?
Das Risiko paralleler Verfahren ist ein wesentliches Element im Kontext des Forum Shopping. Die Brüssel Ia-Verordnung regelt dies durch das Prioritätsprinzip (Art. 29 ff.). Danach muss das nachrangig angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Dies kann strategisch genutzt werden, etwa durch sog. „italian torpedo”-Taktiken, bei denen die Partei zuerst in einer für sie günstigen oder langsamen Jurisdiktion Klage erhebt, um Prozesse in anderen Mitgliedstaaten hinauszuzögern oder zu blockieren. Außerhalb der EU gibt es entsprechende doctrine of lis alibi pendens, die jedoch weniger einheitlich ausgestaltet sind und daher ein erhöhtes Risiko konkurrierender Entscheidungen und Rechtsunsicherheiten mit sich bringen.