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Fortgesetzte Handlung


Begriff und Bedeutung der Fortgesetzten Handlung

Die Fortgesetzte Handlung ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht und beschreibt eine besondere Erscheinungsform der Tatmehrheit. Sie bezeichnet eine Reihe von tatbestandlich gleichartigen, auf einem einheitlichen Entschluss beruhenden, tatsächlich getrennten Handlungen, die zu einer einheitlichen rechtlichen Bewertung zusammengefasst werden. Die rechtliche Einordnung der fortgesetzten Handlung hat maßgeblichen Einfluss auf die Strafzumessung und den Umfang der Strafverfolgung.

Historische Entwicklung

Die Fortgesetzte Handlung wurde ursprünglich von der Rechtsprechung als dogmatisch notwendiges Korrektiv eingeführt, um unangemessen hohe Strafrahmen bei zahlreichen, gleichartigen Taten zu vermeiden. Insbesondere bei Dauerdelikten oder sich wiederholenden Rechtsverletzungen, wie sie etwa beim Diebstahl oder Betrug vorkommen, sollte eine Kumulation von Einzelstrafen verhindert werden.

Mit dem „Fortsetzungszusammenhang“ wurde die gesetzliche Regelung des § 74 StGB a.F. (StGB 1871) weiterentwickelt und Jahrzehnte lang von Rechtsprechung und Literatur angepasst. Spätestens seit der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 1994 ist die Geltung des Instituts in seiner ursprünglichen Form jedoch weitgehend eingeschränkt worden.

Tatbestandsvoraussetzungen

Gleichartige Verstöße

Eine fortgesetzte Handlung kann nur bei mehreren, materiell gleichartigen Gesetzesverletzungen vorliegen. Die Einzelakte müssen gegen dasselbe Tatbestandsmerkmal des Strafgesetzbuchs verstoßen, also etwa mehrere Diebstähle, jedoch nicht Diebstahl und Betrug gemeinsam.

Einheitlicher Willensentschluss

Voraussetzung ist das Handeln aufgrund eines einheitlichen, im Voraus gefassten Gesamtvorsatzes. Dieser Vorsatz muss alle späteren Einzeltaten umfassen oder sich mindestens auf eine bestimmte Deliktsreihe erstrecken. Nachträgliche Erweiterungen des Tatentschlusses führen grundsätzlich zum Wegfall des Fortsetzungszusammenhangs.

Zeitliche und sachliche Nähe

Die Handlungen müssen innerhalb eines zeitlich und sachlich nahe beieinanderliegenden Rahmens erfolgen. Ein längerer Zeitraum, in dem die einzelnen Delikte begangen werden, spricht gegen eine einheitliche Fortsetzungsabsicht. Die jeweiligen Taten sollten zudem nicht durch längere Unterbrechungen oder gravierende Änderungen im situativen Ablauf geprägt sein.

Rechtsfolgen

Strafzumessung

Wird eine Tatserie als fortgesetzte Handlung angesehen, wird die Strafe nach dem Gesamtunrecht berechnet, wobei in der Regel nur eine Sanktion für die Gesamtheit der Einzeltaten verhängt wird. Dies führt zu einer maßvollen Begrenzung des Strafmaßes und verhindert eine Kumulierung mehrerer Strafen.

Strafklageverbrauch und Verfahrensrecht

Mit der Aburteilung einer fortgesetzten Handlung erfasst das Urteil sämtliche Einzelakte. Ein Strafklageverbrauch tritt für alle Teilhandlungen ein. Nachträgliche Strafverfolgung einzelner Akte ist mit dem Grundsatz „ne bis in idem“ (Verbot der Doppelbestrafung) nicht vereinbar.

Verjährung

Die Verjährungsfrist beginnt bei fortgesetzten Handlungen grundsätzlich erst mit Abschluss der letzten Einzeltat. Dies wirkt sich auf die praktische Durchsetzbarkeit von Ansprüchen sowie den Zeitpunkt der Strafverfolgung aus.

Einschränkung durch den Bundesgerichtshof

Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 21. Februar 1994 (GSSt 2/93) die eigenständige Figur der fortgesetzten Handlung weitgehend aufgegeben. Begründet wurde dies mit dem Fehlen einer gesetzlichen Grundlage und systematischen Unstimmigkeiten. Seither sind Delikte nach der Grundregel der Tatmehrheit gemäß § 53 StGB zu behandeln, es sei denn, das Gesetz weist ausdrücklich auf andere Bewertungseinheiten wie beispielsweise das Gesamtstrafenrecht hin.

Gesetzliche Einzelregelungen

Einzelne Ausnahmen finden sich in Spezialgesetzen wie dem Urheberrecht (§ 97 UrhG) oder dem Markenrecht (§ 143 MarkenG), in denen die fortgesetzte Tatbegehung ausdrücklich mit eigenen Straftatbeständen verknüpft ist. Ansonsten ist der Rückgriff auf die Figur der fortgesetzten Handlung restriktiv zu handhaben.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Tatmehrheit (§ 53 StGB)

Die Tatmehrheit meint die bloße Sammlung von Taten, die nebeneinander stehen. Anders als bei der fortgesetzten Handlung werden die einzelnen Rechtsverstöße nicht zu einer Bewertungseinheit zusammengefasst, sondern jeweils einzeln geahndet.

Tateinheit (§ 52 StGB) und natürliche Handlungseinheit

Bei der Tateinheit werden mehrere strafbare Handlungen durch eine Handlung begangen oder gesetzlich zu einer zusammengefasst. Die natürliche Handlungseinheit ist ein Unterfall, bei dem mehrere Tatbestandsmerkmale in einer natürlichen Handlungseinheit verwirklicht werden, ohne dass bestimmte rechtliche Verbindungsvoraussetzungen erfüllt sein müssen.

Dauerdelikt

Bei Dauerdelikten erstreckt sich die strafbare Handlung über einen längeren Zeitraum (z. B. Freiheitsberaubung). Fortgesetzte Handlungen unterscheiden sich hiervon durch das Vorliegen mehrerer, jeweils abgeschlossener einzelner Delikte unter Einbeziehung eines gemeinsamen Gesamtvorsatzes.

Bedeutung in der Praxis

Trotz der abnehmenden Bedeutung der fortgesetzten Handlung im modernen Strafrecht bleibt sie insbesondere in Altfällen und bestimmten Spezialmaterien von Relevanz. Für die rechtspraktische Bewertung von Serienstraftaten und das Verständnis historischer Urteile ist die Kenntnis der Grundzüge und der Entwicklung der fortgesetzten Handlung weiterhin erforderlich.

Zusammenfassung

Die fortgesetzte Handlung stellte einen bedeutenden Grundsatz zur Begrenzung der Strafzumessung bei gleichartigen, auf einem einheitlichen Vorsatz beruhenden Wiederholungstaten dar. Nach heutiger Rechtsprechung wird sie zugunsten der Tatmehrheit zurückgedrängt, behält jedoch in Ausnahmen und bei besonderen Sachverhalten praktische Relevanz. Eine klare Unterscheidung insbesondere zur Tateinheit und zur natürlichen Handlungseinheit bleibt für die Anwendung des Strafrechts von entscheidender Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Wann wird im Strafrecht von einer fortgesetzten Handlung ausgegangen?

Eine fortgesetzte Handlung im strafrechtlichen Kontext liegt vor, wenn mehrere rechtlich selbstständige, aber gleichartige und gegen dieselbe Person gerichtete Einzelakte durch einen einheitlichen Willensentschluss verbunden sind. Die einzelnen Tathandlungen müssen dabei nicht nur objektiv gleichartig sein, sondern auch durch einen sogenannten Gesamtvorsatz getragen werden, der sich auf die Realisierung eines übergeordneten Gesamtplans durch mehrere Einzelakte bezieht. Maßgeblich ist, dass sämtliche Einzelakte im Hinblick auf Ort, Zeit, Tatausführung und Opfer einen inneren Zusammenhang aufweisen und sich durch das subjektive Band des Gesamtvorsatzes zu einer Bewertungseinheit verbinden lassen. Eine fortgesetzte Handlung wird insbesondere dann angenommen, wenn ein Täter mit derselben Motivation und Zielsetzung über einen längeren Zeitraum hinweg wiederholt entsprechende Straftaten begeht; dies ist häufig bei Vermögensdelikten wie Diebstahl oder Betrug relevant. Die juristische Anerkennung der fortgesetzten Handlung wirkt sich insbesondere auf die Strafzumessung und die rechtliche Behandlung der Tat im Rahmen der Strafverfolgung aus.

Welche Bedeutung hat die Annahme einer fortgesetzten Handlung für die Strafzumessung?

Die Einordnung mehrerer Einzelakte als fortgesetzte Handlung kann erhebliche Auswirkungen auf die Strafzumessung haben. Werden mehrere Taten als fortgesetzte Handlung erfasst, werden sie zu einer Tat im prozessualen Sinne zusammengefasst und als solche geahndet. Dadurch wird regelmäßig nur eine Strafe verhängt, die sich an der schwersten Einzeltat orientiert (§ 54 StGB), dabei jedoch regelmäßig milder ausfällt als bei gesonderter Aburteilung einzelner Taten im Wege der Gesamtstrafenbildung nach §§ 53, 54 StGB. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass der Täter mit einer einheitlichen Willensrichtung und innerhalb eines fortlaufenden Tatplans gehandelt hat. Gleichzeitig sind im Rahmen der Strafzumessung ausgleichend die Anzahl und das Gewicht der Einzeltaten zu berücksichtigen, was sowohl strafmildernd als auch strafschärfend ins Gewicht fallen kann.

Wie wird die fortgesetzte Handlung von der natürlichen Handlungseinheit und der Tatmehrheit abgegrenzt?

Die Abgrenzung zwischen der fortgesetzten Handlung, der natürlichen Handlungseinheit sowie der Tatmehrheit ist von großer Bedeutung für die rechtliche Beurteilung. Die natürliche Handlungseinheit umfasst mehrere Handlungen, die aufgrund ihres engen räumlichen, zeitlichen und situativen Zusammenhangs als einheitliches Geschehen erscheinen, etwa ein mehrmaliges Zuschlagen in einem Handgemenge. Demgegenüber setzt die fortgesetzte Handlung einen weiteren, insbesondere einen zeitlich und örtlich größeren Rahmen voraus, wobei die Verbindung durch einen übergreifenden Gesamtvorsatz und ein gleichgerichtetes Tatinteresse erfolgt. Die Tatmehrheit liegt hingegen vor, wenn mehrere rechtlich selbstständige Handlungen begangen wurden, die weder eine natürliche Handlungseinheit noch eine fortgesetzte Handlung bilden; in diesem Fall werden die einzelnen Taten gesondert bestraft und im Rahmen der Gesamtstrafe zusammengefasst.

Gibt es Beschränkungen bei der Annahme einer fortgesetzten Handlung?

Die Rechtsprechung hat die Annahme der fortgesetzten Handlung seit dem BGH-Urteil vom 12. Januar 1995 (BGHSt 40, 138) ganz erheblich eingeschränkt. Sie wird nur noch in Ausnahmefällen für bestimmte Sachverhalte anerkannt, zum Beispiel bei fortlaufendem sexuellen Missbrauch oder bei Serienbetrug gegenüber demselben Geschädigten. Eine Anwendung auf allgemeine Deliktskonstellationen ist nicht mehr zulässig. Die Begründung für diese Einschränkung liegt in dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und klarer strafrechtlicher Zurechnung. Außerdem bestehen weitere Beschränkungen: Eine fortgesetzte Handlung wird grundsätzlich ausgeschlossen, wenn verschiedene Opfer betroffen sind oder wenn die Einzeltaten unterschiedliche Tatbestände erfüllen bzw. verschiedene Rechtsgüter betroffen sind.

Wie wirkt sich eine fortgesetzte Handlung auf die Verjährung aus?

Im Kontext der Verjährung gilt die Besonderheit, dass die Verjährungsfrist erst mit dem letzten Tatakt der fortgesetzten Handlung zu laufen beginnt. Dies beruht darauf, dass die fortgesetzte Handlung als einheitliche prozessuale Tat behandelt wird und somit das gesamte strafbare Verhalten erst mit dem letzten Einzelakt als abgeschlossen gilt. Dies kann insbesondere bei lang andauernden Serienstraftaten eine erhebliche Verlängerung der strafrechtlichen Verfolgungsmöglichkeit nach sich ziehen. Allerdings ist bei den engen Voraussetzungen der Annahme einer fortgesetzten Handlung stets genau zu prüfen, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorliegen und ob damit die Verjährung tatsächlich hinausgeschoben wird.

Welche prozessualen Folgen hat die Annahme einer fortgesetzten Handlung?

Aus prozessualer Sicht erstreckt sich die Wirkung der fortgesetzten Handlung darauf, dass sämtliche Einzelakte als Teil „einer Tat“ im Sinne von § 264 StPO gelten. Das bedeutet, dass Anklage, Eröffnungsbeschluss und Urteil sämtliche Einzelakte als Teil derselben prozessualen Tat erfassen können, auch wenn im Verlauf des Strafverfahrens weitere Einzelakte der bereits angeklagten fortgesetzten Handlung bekannt werden. Somit ist eine Nachtragsanklage entbehrlich, sofern der Tatplan und die Gesamtvorsatzbindung auch auf die neuen Tathandlungen zutreffen. Dies erhöht die Flexibilität des Gerichts, stellt aber zugleich hohe Anforderungen an die genaue Nachweisführung und Darlegung der inneren Tatverbindung.