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Fortgesetzte Begehung


Begriff und Bedeutung der Fortgesetzten Begehung

Die fortgesetzte Begehung ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht, der eine bestimmte Form der Verknüpfung mehrerer Einzelstraftaten beschreibt. Er bezeichnet das wiederholte Begehen gleichartiger Straftaten, die aufgrund eines Gesamtvorsatzes aufeinander bezogen und in engem zeitlichen sowie sachlichen Zusammenhang stehen. Die fortgesetzte Begehung hebt sich von den Begriffen der Tatmehrheit (§ 53 StGB) sowie der natürlichen und rechtlichen Handlungseinheit ab und ist besonders bei Delikts-Serien von praktischer Bedeutung.

Rechtliche Einordnung und Abgrenzung

Systematik im Strafrecht

Ursprünglich wurde die fortgesetzte Begehung als besondere Form der Tateinheit oder Handlungseinheit vom Bundesgerichtshof entwickelt, um in Fällen gleichartiger Delikte mit Gesamtvorsatz eine umfassende Bewertung der Strafbarkeit zu ermöglichen. Dieser Ansatz beruhte auf richterlicher Rechtsfortbildung und wurde über Jahrzehnte insbesondere bei Vermögens- und Sexualdelikten angewandt.

Unterschied zu verwandten strafrechtlichen Begriffen

Tatmehrheit (§ 53 StGB)

Bei der Tatmehrheit handelt es sich um mehrere selbstständige Straftaten, die jeweils für sich strafrechtlich relevant sind. Hierbei werden die einzelnen Taten nebeneinander abgeurteilt, ohne sie zu einer (Gesamt-)Tat im Sinne der fortgesetzten Begehung zusammenzufassen.

Tatbestandseinheit und Handlungseinheit

Die Handlungseinheit (§ 52 StGB) liegt vor, wenn mehrere strafbare Handlungen durch ein und dieselbe Ausführungshandlung realisiert werden. Hier werden die einzelnen Tatbestände zu einer rechtlichen Handlung zusammengefasst. Die fortgesetzte Begehung weist im Gegensatz dazu mehrere eigenständige Ausführungshandlungen auf.

Unterschied zur fortgesetzten Handlung

Die Begriffe “fortgesetzte Begehung” und “fortgesetzte Handlung” wurden häufig synonym verwendet. Allerdings ist die “fortgesetzte Begehung” terminologisch die präzisere Bezeichnung in Bezug auf die Mehrzahl der Einzeltaten, die durch den Gesamtvorsatz verbunden sind.

Historische Entwicklung

Die rechtliche Figur der fortgesetzten Begehung entstand in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in den 1950er Jahren. Sie diente ursprünglich dazu, Serien gleichartiger Taten aus Gründen der Prozessökonomie und der Strafzumessung zusammenzufassen. Im Jahr 1994 hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs die Fortentwicklung der Konstruktion jedoch mit dem Argument verworfen, dass hierfür keine hinreichende gesetzliche Grundlage bestehe. Seitdem dominiert das Prinzip der Tatmehrheit, sodass die Bedeutung der fortgesetzten Begehung in der gegenwärtigen Strafanwendung stark zurückgetreten ist.

Voraussetzungen der fortgesetzten Begehung

Gesamtvorsatz

Wesentliche Voraussetzung für das Vorliegen einer fortgesetzten Begehung ist der spezifische Gesamtvorsatz. Dieser besteht darin, bereits zu Beginn ein gewisses Maß an Planung und Wille zur Begehung mehrerer Einzelstraftaten zu haben. Es genügt nicht, dass sich der Täter nach und nach zur Begehung weiterer Taten entschließt.

Homogenität der Einzeltaten

Die Einzeltaten müssen gleichartig sein, d.h. den gleichen Straftatbestand verwirklichen. Unterschiedliche Deliktsformen lassen eine fortgesetzte Begehung nicht zu.

Zeitlicher und sachlicher Zusammenhang

Es muss ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen den Taten bestehen. Die Einzelhandlungen dürfen nicht über längere Zeiträume verstreut oder durch wesentliche zwischenzeitliche Ereignisse unterbrochen sein.

Auswirkungen der fortgesetzten Begehung

Strafzumessung

Wurde eine Tatserie als fortgesetzte Begehung beurteilt, führte dies zu einer rechtlichen Bewertung als einheitliche Tat. Dies hatte insbesondere Auswirkungen auf die Strafzumessung, da die einzelnen Taten nicht kumulativ, sondern gemeinsam gewürdigt wurden, wodurch sich das Strafmaß häufig verminderte.

Verfahrensrechtliche Behandlung

Auch verfahrensrechtlich hatte die Annahme einer fortgesetzten Begehung Auswirkungen: Anklage, Urteil und Strafvollstreckung mussten sich auf die Gesamtheit der Einzeltaten erstrecken. In der Praxis war dies insbesondere bei umfangreichen Serientaten von Bedeutung.

Fortgesetzte Begehung im Lichte der aktuellen Rechtslage

Die Figur der fortgesetzten Begehung findet im geltenden Strafrecht keine gesetzliche Grundlage mehr. Mit der Aufgabe der richterrechtlichen Konstruktion durch den Großen Senat werden heute wieder die Grundsätze der Tatmehrheit und Tateinheit angewandt. Eine Ausnahme besteht lediglich bei einer expliziten gesetzlichen Regelung, z.B. im Zusammenhang mit bestimmten Verjährungsfragen (§ 78a StGB) oder bei der Unterbrechung der Verjährung.

Kritische Würdigung und aktuelle Bedeutung

Die Konstruktion der fortgesetzten Begehung war lange Zeit Gegenstand rechtswissenschaftlicher Debatten. Kritisch wurde insbesondere die fehlende gesetzliche Verankerung und die Gefahr von Wertungswidersprüchen gesehen. Die heutige strafrechtliche Praxis folgt deshalb den Vorgaben der gesetzlichen Regelungen zur Tatmehrheit und Tateinheit. Gleichwohl findet der Begriff der fortgesetzten Begehung vereinzelt noch in der Kommentarliteratur und der Praxis Anwendung, etwa zur Beschreibung tatsächlicher Sachverhaltsverbindungen oder in Fällen besonderer Gesetzeslagen.

Zusammenfassung

Die fortgesetzte Begehung ist ein Begriff mit erheblicher historischer Bedeutung im deutschen Strafrecht, der das wiederholte Begehen gleichartiger Straftaten unter einem Gesamtvorsatz beschreibt. Nach heutigem Recht ist die Figur durch die Verwerfung durch den Bundesgerichtshof weitgehend obsolet, wird aber in Ausnahmefällen und im Bereich spezieller Normen weiterhin diskutiert. Die aktuelle Rechtslage bevorzugt die Einordnung solcher Sachverhalte unter die Regelungen der Tatmehrheit und Tateinheit, womit der Begriff der fortgesetzten Begehung seine frühere praktische Relevanz weitgehend verloren hat.

Häufig gestellte Fragen

Wie lässt sich eine fortgesetzte Begehung im Ermittlungsverfahren nachweisen?

Im Ermittlungsverfahren stellt die Beweisführung zur fortgesetzten Begehung eine besondere Herausforderung dar, weil mehrere Einzelhandlungen zu einem einheitlichen kriminellen Verhalten zusammengefasst werden müssen. Die Ermittlungsbehörden sind verpflichtet, jeden Einzelfall anhand von objektiven Beweismitteln, wie Zeugenaussagen, Überwachungsprotokollen, Urkunden oder technischen Aufzeichnungen, zu dokumentieren. Darüber hinaus wird geprüft, ob zwischen den Einzeltaten ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht und ein Gesamtplan oder eine prägende Täterentscheidung vorliegt. Hierfür ist oftmals eine umfassende Auswertung der sichergestellten Beweismittel nötig, häufig auch in Zusammenarbeit mit spezialisierten Ermittlungsgruppen. Eine detaillierte Dokumentation aller Einzeltaten ist für die spätere Argumentation vor Gericht essentiell, um das Tatbild einer fortgesetzten Begehung im Sinne der ständigen Rechtsprechung klar abgrenzen und nachweisen zu können.

Welche Auswirkungen hat die Einordnung als fortgesetzte Begehung auf den Strafrahmen?

Die rechtliche Einordnung als fortgesetzte Begehung kann für den Strafrahmen erhebliche Konsequenzen entfalten. Unter einer fortgesetzten Begehung werden mehrere im Wesentlichen gleichartige strafbare Handlungen aus einem einheitlichen Entschluss heraus begangen. Bei einer solchen Zusammenfassung kann eine einheitliche Strafzumessung erfolgen, was dazu führt, dass der Strafrahmen für die schwerwiegendste Einzeltat maßgeblich ist, aber alle begangenen Einzeltaten strafschärfend berücksichtigt werden. Im Gegensatz zur rechtlichen Bewertung als serienmäßige Einzeltaten (Tatmehrheit) kann dies zu einer günstigeren Bewertung führen, da im Fall der fortgesetzten Begehung nicht jede Einzeltat isoliert, sondern das gesamte Verhalten als einheitliches Unrecht bewertet wird. Dies kann sich sowohl auf das Höchst- als auch das Mindestmaß der Strafe auswirken und ist im Einzelfall von hoher Bedeutung für Verteidigung und Anklage.

Wie grenzt sich die fortgesetzte Begehung von der Tatmehrheit ab?

Die Abgrenzung zwischen fortgesetzter Begehung und Tatmehrheit erfolgt anhand des sogenannten Gesamtplanes und des sachlich-zeitlichen Zusammenhangs der Einzeltaten. Bei der Tatmehrheit (§ 53 StGB) werden sämtliche strafbare Handlungen rechtlich selbstständig behandelt, was im Ergebnis eine Addition der Einzelstrafen nach sich ziehen kann. Liegt jedoch zwischen den wiederholten Tathandlungen ein übergreifender Plan, der die Einzelakte miteinander verbindet, spricht man von einer fortgesetzten Begehung. Eine weitere Voraussetzung ist, dass zwischen den einzelnen Handlungen ein hinreichend enger sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht. Die Rechtsprechung betont dabei, dass eine fortgesetzte Begehung typischerweise nur bei gleichartigen Verstößen gegen dasselbe Schutzgut angenommen werden kann. Fehlt es an einem solchen Zusammenhang oder sind die Handlungen zu weit auseinandergezogen, liegt regelmäßig Tatmehrheit vor.

Wie wirkt sich die fortgesetzte Begehung auf die Verjährung aus?

Die Annahme einer fortgesetzten Begehung hat direkten Einfluss auf die Berechnung der strafrechtlichen Verjährungsfrist. In diesen Fällen beginnt die Verjährung nicht bereits mit der ersten Einzeltat, sondern erst mit Begehung der letzten Einzelhandlung, die der fortgesetzten Tat zugerechnet wird. Das bedeutet konkret, dass frühere Einzeltaten, die isoliert betrachtet womöglich bereits verjährt wären, trotzdem noch strafrechtlich verfolgt werden können, sofern die letzte Tat innerhalb des maßgeblichen Verjährungszeitraums begangen wurde. Diese Regelung stellt sicher, dass erst mit vollständigem Abschluss des zusammenhängenden kriminellen Handelns die Verfolgungsverjährung zu laufen beginnt. Somit erhält insbesondere der Staat ein effektiveres Instrumentarium zur Sanktionierung wiederholter gleichartiger Straftaten.

Können auch gemeinschaftlich begangene Taten als fortgesetzte Begehung gewertet werden?

Grundsätzlich kann auch eine Mehrzahl von Personen eine fortgesetzte Begehung verwirklichen, sofern die einzelnen Mitglieder aus einem einheitlichen Plan heraus und mit gleichgerichtetem Willen wiederholt zusammenwirken. Entscheidend ist, dass bei allen Beteiligten ein Gesamtentschluss vorliegt und die jeweiligen Einzeltaten innerhalb eines gemeinsamen Konzepts stehen. Problematisch wird dies, wenn Mitglieder der Gruppe wechseln oder einzelne Akte ohne Mitwirkung bestimmter Personen erfolgen. Hier ist stets eine differenzierte Betrachtung erforderlich, inwieweit Einzelne tatsächlich über die gesamte Serie hinweg an den jeweiligen Delikten mitgewirkt haben. Es gilt das Tatprinzip, wonach jederjenige nur für die Taten zur Verantwortung gezogen werden kann, an denen er auch tatsächlich beteiligt war.

In welchen Deliktsgruppen findet die fortgesetzte Begehung typischerweise Anwendung?

Die fortgesetzte Begehung wird vor allem in den Bereichen der Vermögensdelikte (zum Beispiel Betrug, Untreue, Unterschlagung oder Diebstahl), bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie im Bereich der Sexualdelikte diskutiert und angewandt. Charakteristisch ist hierbei die Möglichkeit der tatbestandlichen Wiederholung gleichartiger Verhaltensweisen, die auf einem übergreifenden Willensentschluss beruhen. Aufgrund der hohen Anforderungen an die Annahme eines einheitlichen Gesamtplanes und eines engen Zusammenhangs ist die Anwendung dieses Instituts jedoch auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen tatsächlich eine „Serienkriminalität” mit systematischer Vorgehensweise belegbar ist. Die Rechtsprechung hat insbesondere bei Betäubungsmitteldelikten und Sexualstraftaten die Voraussetzungen für die Annahme einer fortgesetzten Begehung in den letzten Jahren weiter konkretisiert und eingeschränkt.