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Föderalismusreform II


Begriffsbestimmung und Einordnung der Föderalismusreform II

Die Föderalismusreform II bezeichnet den zweiten umfassenden Reformprozess zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland, der insbesondere die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern betraf. In gesetzgeberischer Hinsicht wurde diese Reform durch das „Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104a, 104b, 104c, 104d, 104e, 104f, 110, 143c, 143d, 143e, 143f, 143g und 143h) vom 29. Juli 2009″ umgesetzt. Die Föderalismusreform II ist damit die Fortsetzung der ersten Reformstufe von 2006 und bildet einen zentralen Baustein zur Klärung der Finanz- und Aufgabenverteilung im deutschen Bundesstaat.

Historischer Hintergrund und Zielsetzung

Anlässe der Reform

Während die erste Föderalismusreform (2006) die Kompetenzen, Gesetzgebungsverfahren und die Zusammenarbeit von Bund und Ländern neu regelte, zielte die Föderalismusreform II auf eine grundlegende Neuordnung der staatlichen Finanzbeziehungen ab. Auslöser waren insbesondere:

  • Die komplexe Finanzverflechtung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden
  • Die wachsende Verschuldung vieler Länder und Kommunen
  • Die Unklarheiten und Ineffizienzen im bestehenden System des Finanz- und Lastenausgleichs

Ziele

Zentrale Zielsetzungen der Reform waren:

  • Stärkung der Eigenverantwortung der Länder für ihre Haushalte („Eigenverantwortungsprinzip“)
  • Begrenzung und Kontrolle der öffentlichen Verschuldung durch Einführung einer Schuldenbremse
  • Schärfere Regelungen für den Finanzausgleich und Sonderhilfen

Rechtliche Grundlagen und Inhalte der Föderalismusreform II

Verfassungsänderungen

Mit der Föderalismusreform II wurde eine Vielzahl von Artikeln des Grundgesetzes geändert. Zu den wichtigsten Modifikationen zählen:

Einführung der Schuldenbremse (Art. 109 und 115 GG)

  • Der Bund ist ab 2016 grundsätzlich verpflichtet, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt vorzulegen (§ 109 Abs. 3 Satz 1 GG i.V.m. § 115 GG).
  • Die Länder müssen ab 2020 grundsätzlich ohne strukturelles Haushaltsdefizit wirtschaften (§ 109 Abs. 3 Satz 2 GG).
  • Ausnahmetatbestände erlauben Verschuldung nur bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen.

Neuregelung finanzieller Hilfen (Art. 104a ff. GG)

  • Der Bund kann unter bestimmten Voraussetzungen, z.B. bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, den Ländern Finanzhilfen gewähren (Neufassung des Art. 104a GG).
  • Die Einführung eines „Stabilisierungsmechanismus“ mittels gesondert geregelter Hilfsinstrumente (u.a. Art. 143d GG für Altschuldenregelungen).

Änderung beim Finanzausgleich (Art. 107 GG)

  • Präzisierung und Anpassung des Länderfinanzausgleichs
  • Größere Transparenz und Verfahrenssicherheit bei der Verteilung von Steuermitteln

Kontrollmechanismen und Finanzplanung

  • Stärkere Einbindung der Haushaltsgesetzgebung des Bundes sowie der Länder in eine mittelfristige Finanzplanung (Art. 109a GG neu eingeführt).
  • Verpflichtung zur Veröffentlichung und Kontrolle der Haushaltsführung.

Implementierung und Übergangsregelungen

Übergangsfristen

Die neuen Regelungen der Schuldenbremse traten für den Bund im Jahr 2016 und für die Länder im Jahr 2020 in Kraft. Bis zu diesen Stichtagen galten umfangreiche Übergangsvorschriften:

  • Möglichkeit für Länder, bestehende Defizite schrittweise abzubauen (Art. 143d GG)
  • Der Sanierungspfad wurde im Grundgesetz festgelegt und durfte nur unter außergewöhnlichen Umständen verlassen werden.

Sanierungshilfen und Konsolidierungsfonds

Der Bund stellte besonders konsolidierungsbedürftigen Ländern zwischen 2011 und 2019 über einen Sonderfonds befristete Finanzhilfen zur strukturellen Haushaltskonsolidierung zur Verfügung. Diese waren an strenge Auflagen gebunden und dienten dazu, die Einhaltung der Schuldenbremse vorzubereiten.

Wirkungen und Beurteilung der Reform

Haushaltsautonomie und Kontrollmechanismen

Ein zentraler Effekt der Reform war die Stärkung der Finanzautonomie der Länder, wobei andererseits die Haushaltsdisziplin über überregionale Kontroll- und Sanktionsmechanismen verstärkt wurde. Insbesondere die Kontrollrechte des Stabilitätsrats wurden ausgebaut, welcher die Einhaltung der Vorgaben überwacht.

Kritik und Herausforderungen

Trotz der begrüßten Stärkung der Haushaltsdisziplin wurde die Föderalismusreform II im Nachgang auch kritisch gewürdigt, vorrangig in Bezug auf:

  • Die eingeschränkte Flexibilität bei der Gestaltung eigenständiger Haushaltspolitik der Länder
  • Fehlende nachhaltige Lösungen für strukturell finanzschwache Länder
  • Die rechtliche Komplexität und den hohen Abstimmungsbedarf zwischen Bund und Ländern

Nachfolgende Entwicklungen

Die Debatte über die Zukunft des föderalen Finanzausgleichs und die Angemessenheit der einzelnen Regelungen anhält, sodass Folgereformen diskutiert und umgesetzt wurden (z.B. Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020).

Zusammenfassung und Bedeutung für das Bundesstaatssystem

Die Föderalismusreform II stellt einen Meilenstein in der Entwicklung der föderalen Verfassung Deutschlands dar. Mit der grundlegenden Neuordnung der Finanzbeziehungen, der Einführung der Schuldenbremse und neuen Kontrollinstrumenten wurden die fiskalischen Handlungsmöglichkeiten von Bund und Ländern neu justiert. Rechtlich gesehen schuf die Reform einen verbindlichen Ordnungsrahmen für eine konsolidierte Haushaltsführung und eine stärkere Eigenverantwortung der Länder im finanzpolitischen Bereich.

Literatur und weiterführende Quellen

  • Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104a, 104b, 104c, 104d, 104e, 104f, 110, 143c, 143d, 143e, 143f, 143g und 143h) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2248)
  • Bundesministerium der Finanzen: Informationen zur Föderalismusreform II
  • Deutscher Bundestag: Dokumentation und Debatten zur Föderalismusreform II
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Dossier „Föderalismusreformen“

Letzte Aktualisierung: Juni 2024

Häufig gestellte Fragen

Welche wesentlichen rechtlichen Änderungen brachte die Föderalismusreform II hinsichtlich der Finanzverfassung des Grundgesetzes mit sich?

Die Föderalismusreform II, die am 1. September 2009 in Kraft trat, hatte maßgeblichen Einfluss auf die Finanzverfassung des Grundgesetzes. Sie zielte darauf ab, die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern zu reformieren und die Eigenverantwortung der Länder in Haushaltsfragen zu stärken. Die bedeutsamste Änderung war die Einführung der sogenannten Schuldenbremse in Artikel 109 GG und die detaillierte Regelung des strukturellen Verschuldungsverbots sowohl für den Bund als auch die Länder. Demnach ist der Bund ab 2016 und die Länder ab 2020 verpflichtet, grundsätzlich ohne neue Schulden auszukommen, wobei für außergewöhnliche Notsituationen Ausnahmeregelungen bestehen. Ferner wurden durch die Neuordnung von Artikel 104a ff. GG die Voraussetzungen und Verfahren für bestehende und neue Finanzhilfen des Bundes für Investitionen der Länder neu strukturiert. Es erfolgten eine reduzierte Mischfinanzierung und eine klarere Zuordnung finanzieller Verantwortlichkeiten. Des Weiteren brachte die Reform die institutionelle Stärkung des Stabilitätsrates (§ 109a GG), der als Kontrollgremium die Einhaltung der haushaltspolitischen Regeln durch Bund und Länder überwacht und Sanierungsprogramme empfiehlt. Insgesamt wurde die rechtliche Grundlage für eine nachhaltigere Haushaltsführung geschaffen, verbunden mit umfangreichen Kontrollmechanismen.

Wie wurden durch die Föderalismusreform II die Gesetzgebungskompetenzen in Haushaltsfragen zwischen Bund und Ländern neu geregelt?

Mit der Föderalismusreform II wurde vor allem die Verantwortung für die Einhaltung der Haushaltsdisziplin rechtlich präzisiert. Der Bund und die einzelnen Länder sind jeweils für den eigenen Haushalt verantwortlich (Art. 109 Abs. 1 GG). Es wurde ausdrücklich im Grundgesetz fixiert, dass der Bund und die Länder ihre Haushalte grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen haben (Schuldenbremse). Das Kooperationsverbot blieb im Bereich der Bildungsfinanzierung weiterhin bestehen, wurde jedoch leicht gelockert, um dem Bund in bestimmten Fällen, z.B. bei der Förderung von Bildungsinfrastruktur, eine begrenzte Mitfinanzierung zu erlauben. Die Rechtsprechungskompetenzen des Bundesverfassungsgerichts blieben unberührt, aber das sogenannte „Hochheitsprinzip“ der Länder wurde durch die klare finanzverfassungsrechtliche Trennung gestärkt. Außerdem wurde ein neues Streitbeilegungsverfahren eingeführt, um Konflikte über Haushaltsführung und Sanierungsprogramme auf verfassungsrechtlicher Ebene effizienter zu klären.

Welche Rolle spielt der Stabilitätsrat nach der Föderalismusreform II und wie ist seine rechtliche Ausgestaltung?

Der Stabilitätsrat ist durch die Föderalismusreform II als permanentes Gremium eingerichtet worden, das die Haushaltsführung von Bund und Ländern überwacht (§ 109a GG i.V.m. Stabilitätsratsgesetz). Seine Aufgaben umfassen insbesondere die Überwachung der Einhaltung der Haushaltsdisziplin, die frühzeitige Erkennung von Haushaltsnotlagen sowie die Beratung über Sanierungsprogramme. Rechtlich bindend ist hierbei das Verfahren zur Feststellung von Haushaltsnotlagen, das klare Fristen und Prüfmechanismen vorsieht. Der Stabilitätsrat setzt sich aus dem Bundesminister der Finanzen, den Landesfinanzministern sowie einem Vertreter des Bundeskanzleramts zusammen. Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Der rechtliche Rahmen des Stabilitätsrats ist im Bundesgesetz über den Stabilitätsrat und zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen (StabRatG) detailliert geregelt und unterliegt einer laufenden Evaluation.

Wie wurden die Regelungen zu den Finanzhilfen des Bundes für Investitionen der Länder durch die Föderalismusreform II konkretisiert?

Die Föderalismusreform II beschränkte die Möglichkeit des Bundes, Finanzhilfen für Länderinvestitionen zu gewähren, auf klar definierte Fälle, die im öffentlichen Interesse liegen und die Leistungsfähigkeit des Gesamtstaates betreffen (§ 104b GG). Die rechtlichen Voraussetzungen wurden verschärft, indem es jetzt einer qualifizierten Mehrheit im Bundestag zur Einführung neuer Finanzhilfen bedarf. Zudem müssen Umfang, Zweckbindung und Laufzeit dieser Hilfen gesetzlich bestimmt und begrenzt sein. Eine dauerhafte und strukturelle Finanzierung von Länderinvestitionen durch den Bund wurde ausgeschlossen. Durch regelmäßige Evaluierungen und Berichte an den Bundestag wird eine höhere Transparenz und Kontrolle gewährleistet.

Inwiefern wurden Kontroll- und Sanktionsmechanismen zur Einhaltung der neuen Haushaltsregeln geschaffen?

Die Föderalismusreform II führte mit der Einführung und Aufgabenübertragung an den Stabilitätsrat erstmals umfassende Kontroll- und Sanktionsmechanismen im deutschen Haushaltsrecht ein. Stellt der Stabilitätsrat fest, dass ein Land das strukturelle Verschuldungsverbot verletzt, wird ein Sanierungsprogramm verbindlich verlangt, dessen Einhaltung regelmäßig überprüft wird. Der Stabilitätsrat kann dabei Empfehlungen aussprechen und Anforderungen an Konsolidierungsmaßnahmen formulieren. Zwar bestehen formal keine unmittelbaren juristischen Sanktionen wie finanzielle Strafen, jedoch steht der politische Druck im Vordergrund, der sich aus der öffentlichen Berichterstattung und dem Mitbestimmungsrecht von Bund und Ländern ergibt. Im äußersten Fall können Verstöße gegen die Schuldenbremse eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nach sich ziehen.

Welche verfassungsrechtlichen Auswirkungen hatte die Föderalismusreform II auf das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern?

Das Kooperationsverbot, das durch die Föderalismusreform I eingeführt worden war, wurde in der zweiten Reform nur in Nuancen modifiziert. Die zentrale rechtliche Veränderung bestand darin, dass das grundsätzliche Verbot fortgeführt, jedoch punktuell für Bildungsinvestitionen aufgehoben wurde. Nach Art. 104b GG kann der Bund nun ausnahmsweise Finanzhilfen für bedeutsame Bildungsinvestitionen gewähren, sofern diese von besonderem Interesse für das Bundesgebiet sind und die Länder einem einheitlichen Förderkonzept zustimmen. Die generelle Eigenständigkeit der Länder bleibt jedoch gewahrt, da die Bundeszuständigkeit weiterhin eng begrenzt und einer Zustimmung der Länder bedarf. Dadurch wurde das Kooperationsverbot rechtlich zwar gelockert, aber nicht aufgehoben.

Wie wirkt sich die Föderalismusreform II rechtlich auf laufende und künftige Bund-Länder-Streitigkeiten aus?

Durch die stärkere Differenzierung der verfassungsrechtlichen Kompetenzen und die Einführung klarer Regeln zur Haushaltsführung sind künftige Streitfälle besser justiziabel geworden. Das Bundesverfassungsgericht kann nun auf der Basis präziser Verfassungsvorgaben über die Auslegung und Anwendung der neuen Haushaltsregeln entscheiden. Insbesondere sind im Rahmen des Bund-Länder-Streits nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 GG nunmehr auch Fragen der Einhaltung der Schuldenbremse und der Konsolidierungsmaßnahmen klagbar. Zudem wird die Überwachungsfunktion des Stabilitätsrates als Vorstufe zu verfassungsgerichtlichen Verfahren rechtlich anerkannt und genutzt. Damit wurde ein strukturierter, zweistufiger Mechanismus von Überwachung und gerichtlicher Klärung geschaffen, der laufende und zukünftige Bund-Länder-Streitigkeiten auf eine rechtlich solide Basis stellt.