Fehlgebrauch des Ermessens
Begriffserklärung
Der Fehlgebrauch des Ermessens ist ein zentraler Begriff des Verwaltungsrechts und beschreibt eine gesetzlich nicht gedeckte oder sachlich unangemessene Ausübung der behördlichen Entscheidungsfreiheit, dem sogenannten Ermessen. Der Begriff ist eng verknüpft mit der Rechtskontrolle behördlichen Handelns und bildet einen wichtigen Anknüpfungspunkt für die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsakten.
Rechtsgrundlagen
Gesetzliche Grundlagen
Das Recht der Ermessensausübung und der Kontrolle des Ermessensfehlgebrauchs ist in Deutschland insbesondere im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) normiert. Die §§ 40, 114 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung) regeln den Umfang und die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle des Ermessens von Behörden.
Funktion des Ermessens
Durch die Eröffnung des Ermessens erhält eine Verwaltungsbehörde eine Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Rechtsfolgen. Fehlt das Ermessen oder wird es fehlerhaft ausgeübt, spricht man von einem Ermessensfehler. Der Fehlgebrauch des Ermessens ist dabei eine von mehreren Spielarten des Ermessensfehlers.
Systematik der Ermessensfehler
Die Verwaltung darf das ihr eingeräumte Ermessen nicht beliebig ausüben. Die Ermessensausübung unterliegt bestimmten rechtlichen Schranken, deren Verletzung verschiedene Formen des Ermessensfehlers auslöst.
Arten des Ermessensfehlers
Es werden grundsätzlich folgende Ermessensfehler unterschieden:
- Ermessensnichtgebrauch (auch: Ermessensunterschreitung): Die Behörde hält sich irrtümlich für gebunden und nutzt ihr Ermessen gar nicht.
- Ermessensüberschreitung: Die Behörde überschreitet den durch Gesetz gesteckten Rahmen des Ermessens.
- Fehlgebrauch des Ermessens: Das Ermessen wird auf einer sachwidrigen Grundlage, etwa aufgrund sachfremder Erwägungen, ausgeübt.
Der Fehlgebrauch des Ermessens stellt innerhalb dieser Systematik denjenigen Fall dar, bei dem die Behörde ihr Ermessen zwar gebraucht, dies aber auf rechtswidrige, insbesondere sachwidrige oder willkürliche Weise geschieht.
Merkmale des Fehlgebrauchs des Ermessens
Sachwidrige Erwägungen
Ein Fehlgebrauch liegt insbesondere vor, wenn Entscheidungen auf sachfremden, willkürlichen oder unvertretbaren Motiven basieren. Dazu zählen etwa:
- Persönliche Interessen von Entscheidungsträgern,
- Berücksichtigung unzulässiger politischer Einflussnahmen,
- Diskriminierende Motive oder
- Ignorieren einschlägiger und gewichtiger Aspekte des Einzelfalls („Abwägungsdefizit”).
Nichtbeachtung gesetzlicher Zweckbindung
Ein Fehlgebrauch liegt auch vor, wenn die Ermessensentscheidung nicht dem Zweck entspricht, zu dem das Ermessen eingeräumt wurde (sog. Zweckverfehlung). Maßgeblich ist, ob die Entscheidung dem von der gesetzlichen Regelung intendierten Ziel dient.
Missverhältnis der Mittel
Die Anwendung eines ungeeigneten, nicht erforderlichen oder unverhältnismäßigen Mittels zur Erreichung eines legitimen Zwecks kann ebenfalls den Fehlgebrauch begründen.
Außenkontrolle und gerichtliche Überprüfbarkeit
Die Verwaltungsgerichte überprüfen Ermessensentscheidungen ausschließlich darauf, ob Ermessensfehler vorliegen, insbesondere ob ein Fehlgebrauch vorliegt. Laut § 114 Satz 1 VwGO kann ein Verwaltungsakt aufgehoben werden, wenn und soweit die Verwaltung ihr Ermessen überhaupt nicht oder fehlerhaft, insbesondere in Form eines Fehlgebrauchs ausgeübt hat.
Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich dabei auf die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen. Die Ausübung des Ermessens selbst wird nicht daraufhin geprüft, ob das Gericht eine andere Entscheidung für richtiger gehalten hätte, sondern nur, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten (Ermessensüberschreitung), ihr Ermessen nicht ausgeübt (Ermessensnichtgebrauch) oder beim Gebrauch sachwidrige Kriterien verwendet hat (Fehlgebrauch).
Bedeutung in der Verwaltungspraxis
Folgen eines Fehlgebrauchs
Wird durch gerichtliche Kontrolle ein Fehlgebrauch festgestellt, ist der entsprechende Verwaltungsakt rechtswidrig und wird aufgehoben. Die Behörde hat dann nach erfolgtem Gerichtsverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden; das Gericht ersetzt aber in der Regel nicht die behördliche Ermessensausübung durch eigene Ermessensentscheidungen.
Streitfälle und Beispiele
Praktische Beispiele für Fehlgebrauch des Ermessens finden sich etwa
- bei der Auswahl zwischen mehreren Bewerbern bei der Gewährung staatlicher Leistungen,
- beim Entzug von Genehmigungen auf Grundlage politischer Motive oder
- bei der Vergabe öffentlicher Aufträge unter Missachtung von Eignungs- und Gleichbehandlungskriterien.
Zusammenfassung
Der Fehlgebrauch des Ermessens bildet einen wesentlichen Kontrollmaßstab für die Überprüfung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen. Er schützt Bürger und Unternehmen vor willkürlichen oder unsachlichen Eingriffen und gewährleistet die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze im Verwaltungshandeln. Die genaue Bestimmung und Abgrenzung des Fehlgebrauchs ist für die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten von grundlegender Bedeutung und wird durch eine umfangreiche, vor allem gerichtliche Praxis ausgestaltet.
Weiterführende Literatur
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Kopp/Schenke: Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar
- Sachs/Birkenfeld: Öffentliches Recht
Dieser Beitrag bietet eine umfassende Darstellung des Begriffs Fehlgebrauch des Ermessens unter rechtlichen Gesichtspunkten und dient als Nachschlagewerk für alle Fragen rund um Ermessensausübung in der Verwaltung.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechtsfolgen hat ein Fehlgebrauch des Ermessens durch eine Behörde?
Ein Fehlgebrauch des Ermessens, auch als Ermessensfehler bezeichnet, kann erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Im deutschen Verwaltungsrecht führt ein Fehlgebrauch des Ermessens, etwa indem die Behörde sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt oder das vorgegebene Ermessen nicht richtig nachvollziehbar ausübt, regelmäßig zur Rechtswidrigkeit des betreffenden Verwaltungsaktes. Ein Betroffener kann hiergegen mit Rechtsbehelfen wie Widerspruch oder Anfechtungsklage vorgehen. Das Verwaltungsgericht prüft dann, ob tatsächlich ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt. Wird ein solcher gerichtlich festgestellt, hebt das Gericht den angefochtenen Akt entweder auf oder verpflichtet die Behörde zur erneuten Entscheidung unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben. In bestimmten Fällen, etwa bei gebundenen Entscheidungen, kommt darüber hinaus eine Verpflichtung der Behörde zur Vornahme eines bestimmten Verwaltungsakts (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) in Betracht.
Wie unterscheidet sich der Fehlgebrauch des Ermessens von anderen Ermessensfehlern?
Der Fehlgebrauch des Ermessens ist eine von mehreren Formen des Ermessensfehlers, die im Verwaltungsrecht unterschieden werden. Neben dem Fehlgebrauch des Ermessens gibt es insbesondere das Ermessensnichtgebrauch, also das Unterlassen jeglicher Ermessensausübung trotz bestehender Ermessensermächtigung, sowie die Ermessensüberschreitung, bei welcher die Behörde die gesetzlichen Grenzen des ihr eingeräumten Ermessens überschreitet. Fehlgebrauch des Ermessens bedeutet, dass zwar grundsätzlich Ermessen ausgeübt wird, jedoch die Entscheidungsfindung auf unsachlichen, nicht dem Gesetz entsprechenden oder unangemessenen Überlegungen fußt. Ermessensnichtgebrauch hingegen liegt vor, wenn die Behörde irrtümlich davon ausgeht, sie sei zur Vornahme einer bestimmten Maßnahme ohne Wertung verpflichtet, oder wenn sie das Bestehen von Ermessen vollkommen verkennt. Eine genaue Abgrenzung ist notwendig, da die gerichtliche Kontrolle von Ermessensfehlern jeweils unterschiedliche Anforderungen stellt.
Nach welchen Maßstäben prüft ein Verwaltungsgericht einen behaupteten Fehlgebrauch des Ermessens?
Ein Verwaltungsgericht unterliegt bei der Kontrolle des Verwaltungsermessens dem sogenannten eingeschränkten Prüfungsmaßstab. Die richterliche Prüfung beschränkt sich dabei darauf, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 114 Satz 1 VwGO). Ein Fehlgebrauch des Ermessens wird insbesondere dann bejaht, wenn die Behörde ihre Ermessensentscheidung auf sachfremde Erwägungen oder willkürliche Aspekte gestützt hat, relevante Umstände nicht berücksichtigt hat, oder die Entscheidung nicht nachvollziehbar begründet wurde. Es findet keine Ersetzung des Verwaltungsermessens durch ein Ermessen des Gerichts statt, sondern nur eine Überprüfung auf Rechtsfehler. Liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, verweist das Gericht die Sache in der Regel an die Behörde zurück.
Welche Rolle spielen sachliche und sachfremde Erwägungen beim Fehlgebrauch des Ermessens?
Sachliche Erwägungen sind für die Ermessensausübung zwingend erforderlich und ergeben sich meist aus dem Gesetzeszweck, der systematischen Stellung der Norm und den offenkundigen Interessen der Beteiligten. Ein Fehlgebrauch des Ermessens liegt insbesondere dann vor, wenn die Entscheidungen der Behörde auf sachfremde Beweggründe, also Überlegungen außerhalb der normativen Zielsetzung, gestützt werden. Solche Erwägungen können zum Beispiel politische Präferenzen, persönliche Abneigungen gegenüber Betroffenen oder Vorteile für unbeteiligte Dritte sein. Im Ergebnis muss nachvollziehbar und transparent bleiben, dass die Behörde ausschließlich von Erwägungen ausgegangen ist, die das Gesetz für einschlägig erklärt oder implizit zulässt. Eine Entscheidung gestützt auf sachfremde Erwägungen ist stets rechtswidrig.
Ist ein behördlicher Ermessensfehlgebrauch heilbar oder führt er zwingend zur Aufhebung des Verwaltungsakts?
Ein festgestellter Fehlgebrauch des Ermessens führt grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, jedoch nicht zwingend zu dessen Aufhebung. Im Widerspruchsverfahren kann die Behörde ihren Fehler selbst korrigieren und den Verwaltungsakt durch eine fehlerfreie Entscheidung ersetzen (§ 45 VwVfG). Auch im gerichtlichen Verfahren kann die Behörde während des Laufs des Prozesses ihre Ermessenserwägungen ergänzen oder berichtigen, solange dadurch die Rechtsschutzinteressen des Betroffenen nicht unzumutbar beeinträchtigt werden. Voraussetzung ist jedoch stets, dass keine neuen, bisher nicht geprüften Tatsachen eingeführt werden, sondern dass lediglich die rechtliche Würdigung und die Begründung des Verwaltungshandelns verdeutlicht und konkretisiert werden. Eine Heilung ist also möglich, es sei denn, der Ermessensfehler ist von solcher Schwere, dass das gesamte weitere Verfahren auf einer fehlerhaften Ausgangslage basiert.
Wie kann die betroffene Person einen Ermessensfehlgebrauch substantiiert darlegen und beweisen?
Die Darlegungslast für einen Ermessensfehlgebrauch liegt grundsätzlich beim Betroffenen, der geltend machen will, dass die Behörde ihr Ermessen rechtswidrig ausgeübt hat. Hierzu muss er konkrete Anhaltspunkte vortragen, etwa indem er ausführt, dass die Behörde wesentliche Tatsachen nicht oder nur unzureichend in ihre Entscheidung aufgenommen hat, dass die Begründung unlogisch oder widersprüchlich ist, oder dass einschlägige Gesichtspunkte nicht gewürdigt wurden. Die Beweisführung erfolgt oftmals über die behördliche Akte sowie etwaige Anhörungen oder schriftliche Stellungnahmen der Behörde. Da Ermessensentscheidungen typischerweise Begründungspflichten nach § 39 VwVfG unterliegen, kann regelmäßig ein Verstoß gegen diese Pflicht als Indiz für einen Ermessensfehlgebrauch gewertet werden. Das Gericht prüft dann, ob der vom Antragsteller behauptete Fehler tatsächlich vorliegt und ob dieser für die Entscheidung kausal war.
Welche Beispiele aus der Rechtsprechung illustrieren den Fehlgebrauch des Ermessens besonders anschaulich?
Die einschlägige Rechtsprechung liefert zahlreiche Beispiele für einen Fehlgebrauch des Ermessens. Häufige Fälle sind Entscheidungen, in denen Behörden bei der Vergabe von Genehmigungen Kriterien heranziehen, die gesetzlich nicht vorgesehen sind, wie etwa persönliche Beziehungen oder politische Erwägungen. Auch das Übersehen von gravierenden Interessen der Betroffenen, etwa bei der Versagung eines Gaststättenerlaubnisses ohne Berücksichtigung der existentiellen wirtschaftlichen Belange, wird von Gerichten regelmäßig als Fehlgebrauch des Ermessens gerügt (z. B. BVerwG, Urteil vom 9. Juli 1987 – 3 C 1.85). Ebenso haben die Gerichte klargestellt, dass eine pauschale oder „schematische” Ermessensausübung, also ohne die Berücksichtigung des Einzelfalls, einen Ermessensfehlgebrauch darstellt (vgl. auch OVG Münster, Urteil vom 20. Januar 2010 – 6 A 1128/08). Solche Entscheidungen werden in der Regel aufgehoben und die Behörden zur erneuten sachgerechten Ermessensausübung verpflichtet.