Legal Lexikon

Fachgerichte


Begriff und rechtliche Einordnung von Fachgerichten

Fachgerichte stellen innerhalb der deutschen Gerichtsbarkeit besondere Spruchkörper dar, die sich mit spezifischen Materien des öffentlichen oder privaten Rechts befassen. Sie nehmen eine zentrale Rolle bei der verwaltungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen, sozialrechtlichen und finanzrechtlichen Streitentscheidung ein. Im Gegensatz zur ordentlichen Gerichtsbarkeit behandeln Fachgerichte ausschließlich solche Streitigkeiten, für die das Gesetz eine besondere gerichtliche Zuständigkeit vorsieht.

Rechtsgrundlagen der Fachgerichte

Die rechtliche Grundlage für die Existenz und Zuständigkeit der Fachgerichte ergibt sich vor allem aus dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) sowie aus besonderen Verfahrensgesetzen für die jeweilige Gerichtsbarkeit. Gemäß Artikel 95 GG sind neben den ordentlichen Gerichten „besondere Gerichte” (Fachgerichte) vorgesehen. Die Einzelheiten zu den jeweiligen Gerichtsbarkeiten werden über Fachgerichtsbarkeitsgesetze geregelt.

Fachgerichtsbarkeiten im Überblick

Das deutsche Gerichtssystem unterscheidet neben den ordentlichen Gerichten insgesamt vier Hauptzweige der Fachgerichtsbarkeit:

1. Verwaltungsgerichte

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit umfasst das Verwaltungsgericht, das Oberverwaltungsgericht (beziehungsweise in Bayern und Hessen der Verwaltungsgerichtshof) und das Bundesverwaltungsgericht. Ihre gesetzliche Grundlage bildet die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Verwaltungsgerichte sind in erster Linie für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen Bürger:innen und Trägern öffentlicher Gewalt zuständig, soweit diese nicht ausdrücklich anderen Gerichten zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 VwGO).

2. Arbeitsgerichte

Die Arbeitsgerichtsbarkeit setzt sich aus den Arbeitsgerichten, den Landesarbeitsgerichten und dem Bundesarbeitsgericht zusammen. Grundlage ist das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte erstreckt sich auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Tarifvertragsparteien, Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen sowie bestimmte kollektivrechtliche Streitigkeiten (§ 2 ArbGG).

3. Sozialgerichte

Die Sozialgerichtsbarkeit besteht aus Sozialgerichten, Landessozialgerichten und dem Bundessozialgericht. Ihre Regelungen finden sich im Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sozialgerichte entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Sozialversicherung, Sozialhilfe, des Arbeitsförderungsrechts und weiterer sozialrechtlicher Bereiche.

4. Finanzgerichte

Die Finanzgerichtsbarkeit ist dreistufig aufgebaut: Finanzgerichte als Eingangsinstanz und der Bundesfinanzhof als Revisionsinstanz. Ihre Verfahrensgrundlage bildet die Finanzgerichtsordnung (FGO). Finanzgerichte sind zuständig für finanzrechtliche Angelegenheiten, insbesondere für Streitigkeiten aus dem Steuerrecht sowie dem Zollrecht.

Aufgaben und Zuständigkeiten der Fachgerichte

Die Fachgerichte sind vorrangig für solche Rechtsstreitigkeiten zuständig, die nach jeweiligem Sachgebiet einem spezialisierten Spruchkörper bedürfen. Die Abgrenzung erfolgt durch gesetzliche Vorschriften, insbesondere Zuständigkeitsnormen der einzelnen Verfahrensordnungen. Typische Zuordnungskriterien sind dabei die Materie des Streitgegenstands und die Personenkreise, die beteiligt sind.

Abgrenzung zur ordentlichen Gerichtsbarkeit

Die ordentliche Gerichtsbarkeit umfasst Zivil- und Strafgerichte und entscheidet über alle Angelegenheiten, die nicht ausdrücklich einer anderen Gerichtsbarkeit zugewiesen wurden (§ 13 Gerichtsverfassungsgesetz, GVG). Fachgerichte nehmen daher nur solche Angelegenheiten wahr, für die das Gesetz die speziellere Gerichtsbarkeit vorsieht. Im Falle von Zweifeln oder Meinungsverschiedenheiten über die Zuständigkeit entscheiden gemeinsame Senate der beteiligten obersten Gerichtshöfe (Art. 95 Abs. 3 GG).

Instanzenzug und Rechtsmittel

Innerhalb jeder Fachgerichtsbarkeit besteht ein eigener Instanzenzug vom Eingangsgericht bis zum jeweiligen höchsten Fachgericht auf Bundesebene. Die Möglichkeiten des Weiterzugs in die nächsthöhere Instanz sowie die konkreten Rechtsmittelarten (z. B. Berufung, Revision, Beschwerde) richten sich nach den spezifischen Verfahrensgesetzen.

Besonderheiten des Verfahrens vor Fachgerichten

Die Verfahrensordnungen der Fachgerichte sind jeweils speziell auf die Erfordernisse des Rechtsgebiets zugeschnitten. So bestehen Unterschiede beim Amtsermittlungsgrundsatz, dem Partei- und Beteiligtenstatus oder Zulässigkeitsvoraussetzungen von Rechtsmitteln. Ein gemeinsames Merkmal ist regelmäßig die Beteiligung von ehrenamtlichen Richter:innen neben den berufsmäßigen Richter:innen in den Spruchkörpern der Eingangsinstanz.

Öffentliches Interesse und Streitwert

Gerade im Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsrecht sind die Regelungen bezüglich des öffentlichen Interesses und der Festsetzung des Streitwerts besonders ausgestaltet. Die Zulässigkeit von Rechtsmitteln orientiert sich teils an Streitwertschwellen oder -grenzen, teils am Vorliegen von Grundsatzbedeutung oder Divergenz.

Zugang zum Gericht

Der Zugang zu den Fachgerichten ist im Grundsatz offen, jedoch häufig an bestimmte rechtlich definierte Voraussetzungen gebunden (etwa erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens im Verwaltungsprozess gemäß § 68 VwGO).

Bedeutung und Funktionen der Fachgerichte im deutschen Rechtssystem

Fachgerichte tragen durch ihre Spezialisierung entscheidend zur Qualität und Effizienz der Rechtsfindung in komplexen und technisch anspruchsvollen Sachgebieten bei. Sie dienen der Rechtsstaatlichkeit, dem Rechtsschutz sowie der Rechtsfortbildung in den jeweiligen Rechtsgebieten. Zugleich gewährleisten sie eine sachgerechte Entlastung der ordentlichen Gerichte.

Reformüberlegungen und Kritikpunkte

Im Rahmen der fortlaufenden Diskussion um eine Modernisierung der Gerichtsstruktur werden mitunter Effizienzsteigerungen, Bündelungen oder Veränderungen von Zuständigkeiten der Fachgerichtsbarkeiten erörtert. Kritisch diskutiert wird beispielsweise die Schnittstellenproblematik bei gemischt-rechtlichen Streitigkeiten sowie die Frage der Überschneidung mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Gleichwohl wird die Bedeutung der Fachgerichtsbarkeit im deutschen Rechtssystem weitgehend anerkannt.

Literatur und weiterführende Informationen

  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
  • Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
  • Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
  • Sozialgerichtsgesetz (SGG)
  • Finanzgerichtsordnung (FGO)

Hinweis: Der Artikel bietet einen detaillierten, rechtswissenschaftlich fundierten Überblick über den Begriff der Fachgerichte im deutschen Rechtssystem und berücksichtigt die wichtigsten rechtlichen Aspekte, Strukturen und Zusammenhänge.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung kommt den Fachgerichten im deutschen Rechtssystem zu?

Die Fachgerichte nehmen eine zentrale Rolle im deutschen Rechtssystem ein, da sie insbesondere für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, also außerhalb von Zivil- und Strafsachen, zuständig sind. Sie garantieren durch ihre spezialisierte Ausrichtung auf bestimmte Rechtsbereiche sowohl eine fachliche Tiefe als auch ein hohes Maß an Expertise. Ihr Aufgabenspektrum erstreckt sich auf Sachverhalte, die komplexe Besonderheiten und fachspezifische Vorschriften aufweisen, wie zum Beispiel das Arbeitsrecht, das Sozialrecht, das Verwaltungsrecht oder das Finanzrecht. Damit tragen die Fachgerichte wesentlich dazu bei, dass aufgrund der zunehmenden Spezialisierung vieler Rechtsgebiete eine sachgerechte, einzelfallbezogene und qualitätsvolle Rechtsprechung gewährleistet wird. Außerdem dienen sie der Entlastung der ordentlichen Gerichte und sorgen für eine übersichtliche Zuständigkeitsverteilung, was letztlich dem Rechtsfrieden und dem Vertrauensschutz der Bürger in die Justiz dient.

In welchen Fällen sind die Fachgerichte zuständig?

Fachgerichte werden tätig, wenn der Rechtsstreit Gegenstände betrifft, die in die Zuständigkeit eines Spezialrechtsgebiets fallen. Beispiele hierfür sind arbeitsrechtliche Streitigkeiten – etwa bei Kündigungen oder Lohnforderungen -, die vor die Arbeitsgerichte gehören, oder Angelegenheiten des Sozialrechts, wie Streitigkeiten über Rentenansprüche oder Leistungen der Krankenversicherung, die von den Sozialgerichten entschieden werden. Verwaltungsgerichte sind zuständig für Klagen gegen Maßnahmen von Behörden, beispielsweise Baugenehmigungen oder Schulplatzvergaben. Die Finanzgerichte wiederum sind für Steuer- und Zollsachen – also insbesondere die Überprüfung von Steuerbescheiden – zuständig. Darüber hinaus gibt es besondere Fachgerichtsbarkeiten, wie die Disziplinargerichtsbarkeit oder das Bundespatentgericht, deren Zuständigkeit nicht immer dem klassischen Vier-Säulen-Modell der Fachgerichtsbarkeiten folgt, aber ebenfalls spezialisierte Rechtsgebiete betrifft.

Wie ist der Instanzenzug bei den Fachgerichten aufgebaut?

Die Instanzenzüge innerhalb der Fachgerichtsbarkeiten sind grundsätzlich dreistufig aufgebaut, ähnlich wie bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit. In der Regel gibt es ein erstinstanzliches Fachgericht, ein zweitinstanzliches Berufungsgericht und ein letztinstanzliches Revisionsgericht auf Bundesebene. Beispielsweise beginnen sozialrechtliche Verfahren bei den Sozialgerichten (erste Instanz), eingehende Berufungen erfolgen vor den Landessozialgerichten (zweite Instanz) und eine Revision kann zum Bundessozialgericht (dritte Instanz) führen. Entsprechendes gilt für das Arbeitsgericht (dann das Landesarbeitsgericht und schließlich das Bundesarbeitsgericht), für die Verwaltungsgerichte (Oberverwaltungsgerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe, dann Bundesverwaltungsgericht) und für die Finanzgerichte (Bundesfinanzhof als Revisionsinstanz). Der Instanzenzug gewährleistet eine umfassende Überprüfung von Sach- und Rechtsfragen durch verschiedene Gerichte entsprechender Fachkompetenz.

Wie unterscheiden sich Fachgerichte von ordentlichen Gerichten?

Fachgerichte zeichnen sich nicht nur durch ihren spezialisierten Aufgabenbereich aus, sondern auch durch eigene Regelungen in Verfahrensrecht und Zusammensetzung, die an die jeweiligen Fachmaterien angepasst sind. Während ordentliche Gerichte Zivil- und Strafangelegenheiten behandeln, befassen sich Fachgerichte ausschließlich mit Materien, die in den jeweiligen Fachgerichtsbarkeiten gesetzlich zugewiesen sind. Außerdem gelten vor den Fachgerichten vielfach besondere Verfahrensordnungen, etwa das Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) für Arbeitsgerichte, die Finanzgerichtsordnung (FGO) für Finanzgerichte, die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für Verwaltungsgerichte und das Sozialgerichtsgesetz (SGG) für Sozialgerichte. Richter an Fachgerichten verfügen in der Regel über besondere Qualifikationen und Erfahrungen im jeweiligen Rechtsgebiet. Auch die Einbindung von ehrenamtlichen Richtern ist, wie etwa bei Arbeits- oder Sozialgerichten, eine Besonderheit, die dem jeweiligen Gerechtigkeitsbedürfnis des Fachbereichs Rechnung trägt.

Welche Rolle spielen die ehrenamtlichen Richter bei den Fachgerichten?

Ehrenamtliche Richter haben in verschiedenen Fachgerichten, insbesondere in den Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichten, eine bedeutsame Stellung. Sie wirken gleichberechtigt mit den Berufsrichtern an der Entscheidungsfindung mit und bringen dabei ihre Praxiserfahrung und ihre spezifische Sachkunde aus dem jeweiligen gesellschaftlichen Bereich ein. Im Arbeitsgericht etwa stammen die ehrenamtlichen Richter aus den Reihen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber, im Sozialgericht sind es Vertreter von Versicherten und Leistungsträgern. Sie sorgen somit für ein ausgewogenes Urteil, das nicht nur rein juristisch, sondern auch unter Berücksichtigung praktischer Gesichtspunkte erfolgt. Die Einbindung ehrenamtlicher Richter ist gesetzlich geregelt und wird im Auswahlverfahren durch verschiedene Gremien kontrolliert, um Neutralität und Sachverstand sicherzustellen.

Wie kann man gegen Entscheidungen der Fachgerichte vorgehen?

Gegen Entscheidungen der Fachgerichte bestehen, abhängig vom Einzelfall und der jeweiligen Verfahrensordnung, verschiedene Rechtsmittel. Häufig ist die Berufung zulässig, mit der das gesamte Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft werden kann. Voraussetzung hierfür kann – je nach Fachgericht – ein bestimmter Streitwert oder die Zulassung durch das Gericht sein. Gegen Entscheidungen der Berufungsinstanz kann in der Regel die Revision eingelegt werden, bei der ausschließlich die Überprüfung von Rechtsfragen erfolgt. In speziellen Fällen kann auch eine Beschwerde oder – im Rahmen einer Ablehnung der Berufung oder Revision – eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich sein. Fristen und formelle Anforderungen sind streng geregelt und variieren je nach Gerichtsbarkeit und Einzelfall. Der sogenannte Instanzenzug erlaubt somit eine umfassende Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen und trägt dazu bei, materielle Gerechtigkeit in den einzelnen Fachmaterien zu gewährleisten.

Unterliegen die Fachgerichte der Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts?

Ja, das Bundesverfassungsgericht übt im Rahmen der Verfassungsbeschwerde sowie bei konkreten und abstrakten Normenkontrollverfahren eine übergreifende Kontrolle auch über die Fachgerichte aus. Werden durch Entscheidungen der Fachgerichte Grundrechte verletzt oder werden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer einschlägigen Norm geltend gemacht, kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. Dabei wird keine weitere Tatsachenprüfung vorgenommen; das Bundesverfassungsgericht prüft lediglich die Einhaltung des Grundgesetzes, insbesondere auf etwaige Grundrechtsverletzungen und die Wahrung der Verfassungsordnung. Zudem sind Fachgerichte verpflichtet, bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm das Verfahren dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen (Vorlagepflicht nach Art. 100 GG). Die verfassungsgerichtliche Kontrolle stellt das höchste Maß an gerichtlicher Kontrolle sicher und schützt somit die Einheit des Rechts und die Bindung aller staatlichen Gewalt an das Grundgesetz.