Begriff und Stellung der EZB
Definition und Einordnung
Die Europäische Zentralbank (EZB) ist das zentrale geldpolitische Organ des Euro-Währungsgebiets. Sie bildet gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken der EU das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Innerhalb dieses Verbunds führt sie mit den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, das Eurosystem. Ihre Kernaufgabe ist die Sicherung der Preisstabilität im Euro-Währungsgebiet; daneben erfüllt sie weitere Aufgaben, die mit Geldpolitik, Bankenaufsicht und Finanzmarktinfrastruktur verbunden sind.
Rechtsnatur und Rechtsfähigkeit
Die EZB ist eine eigenständige Einrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie kann Rechte erwerben, Verpflichtungen eingehen, Verträge schließen, Eigentum halten und vor Gerichten auftreten. Ihre Rechtsgrundlagen beruhen auf dem Unionsrecht, einschließlich der Bestimmungen über das ESZB und der Satzung des ESZB und der EZB. Sie handelt in einem eigenen, unionsrechtlich geprägten Kompetenzrahmen, der inhaltlich und organisatorisch von nationalen Regelungen zu unterscheiden ist.
Institutioneller Rahmen
Verhältnis zum ESZB und Eurosystem
Das ESZB umfasst die EZB und alle nationalen Zentralbanken der EU. Das Eurosystem besteht aus der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten, die den Euro eingeführt haben. Für die operative Geldpolitik ist das Eurosystem maßgeblich. Mitgliedstaaten außerhalb des Euro-Währungsgebiets nehmen im ESZB Aufgaben mit beschränkter Reichweite wahr.
Unabhängigkeit und Bindungen
Die EZB ist unabhängig. Weder Organe der EU noch Regierungen der Mitgliedstaaten dürfen Einfluss auf Entscheidungen der EZB nehmen oder entsprechende Weisungen erteilen. Zugleich ist die EZB an das Unionsrecht gebunden, muss ihre Befugnisse zweckgerecht ausüben und die Grenzen ihres Mandats beachten. Ihre Unabhängigkeit erstreckt sich institutionell, funktionell, personell und finanziell.
Organe der EZB
Entscheidungsorgane sind der EZB-Rat, das Direktorium und der Erweiterte Rat. Der EZB-Rat legt die Geldpolitik fest und trifft wesentliche Beschlüsse; ihm gehören die Mitglieder des Direktoriums sowie die Präsidentinnen und Präsidenten der nationalen Zentralbanken des Euro-Währungsgebiets an. Das Direktorium führt die laufenden Geschäfte. Der Erweiterte Rat dient der Koordinierung zwischen Euro- und Nicht-Euro-Mitgliedstaaten im ESZB.
Aufgaben und Befugnisse
Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet
Die EZB definiert und implementiert die Geldpolitik des Euro-Währungsgebiets. Hierzu setzt sie Leitzinsen, steuert die Liquiditätsversorgung des Bankensystems und gestaltet die geldpolitischen Instrumente. Maßstab ist die Gewährleistung von Preisstabilität. Entscheidungen beruhen auf wirtschaftlichen Analysen und Datenerhebungen, die regelmäßig veröffentlicht und kommuniziert werden.
Finanzstabilität und operationelle Aufgaben
Die EZB trägt zur Stabilität des Finanzsystems bei. Sie überwacht den reibungslosen Ablauf von Zahlungssystemen, entwickelt und betreibt zentrale Marktinfrastrukturen und erhebt Statistikdaten, die für die Erfüllung ihres Mandats erforderlich sind. Im Bereich der Währungsreserven führt sie Transaktionen gemäß ihrem Aufgabenprofil durch.
Bankenaufsicht (Einheitlicher Aufsichtsmechanismus)
Im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) nimmt die EZB zentrale Aufgaben der Aufsicht über bedeutende Kreditinstitute im Euro-Währungsgebiet wahr und überwacht die Funktionsweise der nationalen Aufsichtsbehörden bei weniger bedeutenden Instituten. Sie führt Aufsichtsbeschlüsse, Prüfungen und Genehmigungsverfahren durch und kann gegenüber beaufsichtigten Instituten verbindliche Maßnahmen erlassen.
Regelsetzungsbefugnisse und Rechtsakte
Die EZB kann Rechtsakte erlassen, darunter Verordnungen, Beschlüsse, Leitlinien und Empfehlungen. Verordnungen und Beschlüsse sind bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen verbindlich; Leitlinien richten sich vor allem an nationale Zentralbanken und Behörden, Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. Die EZB erlässt darüber hinaus Verwaltungsakte im Aufsichtsbereich.
Instrumente und Maßnahmen
Standardinstrumente
Zu den Standardinstrumenten der EZB zählen Offenmarktgeschäfte, ständige Fazilitäten und Mindestreserveanforderungen. Über Offenmarktgeschäfte steuert sie die Liquidität im Bankensystem. Ständige Fazilitäten ermöglichen kurzfristige Liquiditätsbereitstellung oder -anlage der Kreditinstitute bei der EZB. Mindestreserven dienen der Stabilisierung von Geldmarktzinsen und der Liquiditätssteuerung.
Unkonventionelle Maßnahmen
Neben Standardinstrumenten kann die EZB befristete oder besondere Maßnahmen einsetzen, beispielsweise gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte oder Ankaufsprogramme für Vermögenswerte. Diese Maßnahmen sind an das Mandat gebunden und müssen verhältnismäßig sein. Sie werden regelmäßig überprüft und transparent kommuniziert.
Zahlungsverkehr und Infrastruktur
Die EZB entwickelt und betreibt gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken zentrale Zahlungsverkehrs- und Abwicklungsdienste (TARGET-Services). Sie setzt Standards, überwacht wesentliche Infrastrukturen und fördert die Sicherheit und Effizienz des Zahlungsverkehrs im Binnenmarkt.
Rechenschaft und Kontrolle
Transparenz und Kommunikation
Die EZB veröffentlicht Beschlüsse, Berichte, Statistiken und Erläuterungen zu geldpolitischen Entscheidungen. Pressekonferenzen, Berichte und Protokolle dienen der Nachvollziehbarkeit und öffentlichen Kontrolle ihrer Tätigkeit im Rahmen des Mandats.
Rechenschaft gegenüber EU-Organen
Obwohl unabhängig, unterliegt die EZB Rechenschaftspflichten gegenüber Organen der EU. Dazu zählen regelmäßige Anhörungen, Berichte und der Austausch mit dem Europäischen Parlament sowie strukturierte Zusammenarbeit mit dem Rat und der Europäischen Kommission.
Rechtsschutz und gerichtliche Kontrolle
Handlungen und Unterlassungen der EZB können der gerichtlichen Überprüfung durch Unionsgerichte unterliegen. Die Kontrolle erstreckt sich insbesondere auf Zuständigkeit, Begründung, Verfahrensanforderungen, Verhältnismäßigkeit und Beachtung der Grundrechte. Auch im Aufsichtsbereich können Betroffene gegen Aufsichtsentscheidungen Rechtsmittel einlegen.
Finanzierung, Kapital und Gewinnverwendung
Kapitalstruktur und Anteilseigner
Das gezeichnete Kapital der EZB wird von den nationalen Zentralbanken der EU gehalten. Der Kapitalschlüssel richtet sich nach wirtschaftlichen Indikatoren der Mitgliedstaaten. Nicht dem Euro beigetretene Mitgliedstaaten leisten in der Regel Teilbeträge und nehmen an Gewinnen und Verlusten insoweit nicht in gleicher Weise teil.
Bilanzielle Grundsätze und Rücklagen
Die EZB wendet eigene Rechnungslegungsgrundsätze an, die auf Vorsicht ausgerichtet sind und die Besonderheiten der Zentralbanktätigkeit berücksichtigen. Sie kann Rücklagen und Risikovorsorgen bilden, um Schwankungen und Risiken aus geldpolitischen und währungsbezogenen Geschäften zu begegnen.
Verteilung von Gewinnen und Verlusten
Gewinne können nach Maßgabe interner und unionsrechtlicher Regeln an die nationalen Zentralbanken ausgeschüttet werden oder verbleiben zur Stärkung der Rücklagen. Verluste können gegen Rücklagen verrechnet oder nach festgelegten Schlüsseln verteilt werden.
Beziehungen zu Mitgliedstaaten und internationalen Akteuren
Zusammenarbeit mit nationalen Zentralbanken
Die EZB setzt die Geldpolitik gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken des Eurosystems um. Diese führen operative Geschäfte dezentral durch, wirken an Analysen und Datenerhebungen mit und sind an bindende Vorgaben der EZB gebunden.
Rolle gegenüber EU-Institutionen
Die EZB wird zu Vorschlägen in ihrem Zuständigkeitsbereich angehört und kann Stellungnahmen abgeben. Sie kooperiert mit der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament, ohne deren Weisungen zu unterliegen.
Internationale Vertretung
Die EZB vertritt das Eurosystem in internationalen Foren zu geld- und finanzmarktbezogenen Fragen. In multilateralen Institutionen erfolgt die Vertretung abgestimmt mit EU-Organen und Mitgliedstaaten.
Sitz, Sprache und Veröffentlichungspflichten
Sitz und Sprachenregelung
Der Sitz der EZB befindet sich in Frankfurt am Main. Veröffentlichungen erfolgen in den Amtssprachen der EU, wobei für operative Zwecke festgelegte Arbeitssprachen verwendet werden können.
Veröffentlichung von Rechtsakten und Statistiken
Rechtsakte der EZB werden in geeigneter Form bekannt gemacht. Dies umfasst die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union oder auf den Internetseiten der EZB. Statistische Daten und Berichte werden regelmäßig bereitgestellt.
Haftung, Sanktionen und Befolgungspflichten
Haftung der EZB
Die EZB kann nach Maßgabe des Unionsrechts für Schäden haften, die durch ihr Handeln oder Unterlassen verursacht werden. Die Haftung setzt die Verletzung einer rechtlich geschützten Position und weitere Voraussetzungen voraus.
Sanktionsbefugnisse gegenüber beaufsichtigten Instituten
Im Aufsichtsbereich kann die EZB Maßnahmen und Sanktionen gegenüber beaufsichtigten Kreditinstituten und bestimmten Personen anordnen. Dazu gehören Anordnungen zur Beseitigung von Mängeln, Auflagen und Geldbußen innerhalb gesetzlich und aufsichtsrechtlich vorgegebener Grenzen.
Pflichten der Kreditinstitute und sonstiger Marktteilnehmer
Kreditinstitute unterliegen Mitwirkungs-, Melde- und Befolgungspflichten gegenüber der EZB, insbesondere im Rahmen der Aufsicht, Statistik und geldpolitischen Geschäfte. Die Nichteinhaltung kann Maßnahmen nach sich ziehen.
Abgrenzungen und Missverständnisse
EZB vs. Europäische Kommission, Parlament und Rat
Die EZB trifft keine Gesetzgebungsakte allgemeiner Natur im Sinne der politischen Gesetzgebung und führt keine Haushalts- oder Steuerpolitik. Diese Aufgaben obliegen anderen EU-Organen und den Mitgliedstaaten. Die EZB handelt innerhalb ihres spezifischen Mandats.
EZB vs. nationale Finanzministerien
Die EZB ist nicht Teil nationaler Regierungen und nimmt keine Aufgaben der staatlichen Finanzverwaltung wahr. Ihre Entscheidungen sind unabhängig von den Haushaltspolitiken der Mitgliedstaaten.
Währungs- vs. Wirtschaftspolitik
Die EZB ist für die Geldpolitik zuständig. Die allgemeine Wirtschaftspolitik obliegt den Mitgliedstaaten und der EU im Rahmen ihrer Zuständigkeiten. Eine enge Abstimmung ist vorgesehen, ohne dass die Unabhängigkeit der Geldpolitik beeinträchtigt wird.
Häufig gestellte Fragen
Was ist der rechtliche Status der EZB?
Die EZB ist eine eigenständige Einrichtung der Europäischen Union mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie kann Rechte und Pflichten begründen, vor Gerichten auftreten und verfügt über Organe mit eigenen Entscheidungsbefugnissen.
Wie wird die Unabhängigkeit der EZB rechtlich gesichert?
Die Unabhängigkeit ist institutionell, funktionell, personell und finanziell ausgestaltet. Weder EU-Organe noch Regierungen der Mitgliedstaaten dürfen Weisungen erteilen. Gleichwohl ist die EZB an das Unionsrecht gebunden und rechenschaftspflichtig.
Welche Rechtsakte kann die EZB erlassen und für wen gelten sie?
Die EZB kann Verordnungen, Beschlüsse, Leitlinien und Empfehlungen erlassen. Verordnungen und Beschlüsse sind bei Vorliegen der Voraussetzungen verbindlich und können sich an Institute, nationale Behörden oder Marktteilnehmer richten. Leitlinien binden vor allem nationale Zentralbanken, Empfehlungen sind unverbindlich.
In welchem Umfang unterliegt die EZB gerichtlicher Kontrolle?
Entscheidungen und Unterlassungen der EZB können vor Unionsgerichten überprüft werden. Geprüft werden insbesondere Zuständigkeit, Verfahrenseinhaltung, Begründung, Verhältnismäßigkeit und die Beachtung von Grundrechten. Auch Aufsichtsmaßnahmen sind rechtlich angreifbar.
Darf die EZB Staaten direkt finanzieren?
Der direkte Erwerb von Schuldtiteln öffentlicher Stellen bei ihrer Emission ist untersagt. Sekundärmarktkäufe können unter bestimmten Bedingungen zulässig sein, wenn sie dem Mandat entsprechen und verhältnismäßig sind.
Welche Verantwortung hat die EZB in der Bankenaufsicht?
Im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus überwacht die EZB bedeutende Institute unmittelbar und koordiniert die Aufsicht über weniger bedeutende Institute über die nationalen Behörden. Sie kann verbindliche Maßnahmen erlassen und Sanktionen verhängen.
Wer trägt Verluste der EZB?
Verluste werden nach festgelegten Regeln zunächst gegen Rücklagen verrechnet. Darüber hinaus können sie nach dem Kapitalschlüssel auf die nationalen Zentralbanken verteilt werden, soweit entsprechende Bestimmungen dies vorsehen.