Legal Lexikon

Extremismus


Begriff und rechtliche Einordnung von Extremismus

Extremismus ist im rechtlichen Kontext ein zentraler Begriff im Bereich des Staats- und Strafrechts sowie der Sicherheitsrechtsprechung. Er beschreibt ideologische Einstellungen und Handlungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind oder diese ablehnen. In Deutschland wird der Begriff insbesondere im Verfassungsschutzgesetz und weiteren einschlägigen Gesetzestexten als maßgebliches Kriterium zur Bewertung staatsgefährdender Bestrebungen verwendet.


Definition und Abgrenzung

Im Gegensatz zu Radikalismus oder bloß radikalen Meinungen kennzeichnet Extremismus ein aktives Ablehnen oder Bekämpfen der wesentlichen Prinzipien der Verfassungsordnung. Die Rechtsprechung und die Literatur unterscheiden zwischen verschiedenen Erscheinungsformen, insbesondere dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Extremismus.

Verfassungsschutzrechtliche Definition

Laut § 4 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) sind extremistische Bestrebungen solche, die darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, zu beeinträchtigen oder zu gefährden. Unter die freiheitliche demokratische Grundordnung fallen dabei:

  • Das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe der Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung auszuüben;
  • die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung;
  • die Organe der Gewaltenteilung;
  • das Mehrparteienprinzip;
  • das Recht auf Opposition;
  • die Ablösbarkeit der Regierung durch eine Parlamentsmehrheit;
  • Unabhängigkeit der Gerichte;
  • die Garantie der Grundrechte.

Extremistische Betätigung richtet sich damit grundsätzlich gegen einen oder mehrere dieser Grundprinzipien.


Erscheinungsformen und Typen des Extremismus

Politischer Extremismus

Politischer Extremismus lässt sich in der Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich in zwei Richtungen gliedern: den Rechtsextremismus und den Linksextremismus.

  • Rechtsextremismus: Ziel ist die Abschaffung der demokratischen Ordnung zugunsten einer autoritären, oftmals ethnonational definierten Herrschaftsform. Wesentliche Merkmale sind Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Ablehnung von Gleichheit und Pluralität.
  • Linksextremismus: Hierunter fallen Bestrebungen, die mittels revolutionärer Ansätze bestehende Herrschafts- und Eigentumsverhältnisse grundlegend überwinden und die parlamentarische Demokratie durch sozialistische oder kommunistische Gesellschaftsentwürfe ersetzen wollen.

Religiös und ideologisch motivierter Extremismus

Extremismus kann sich zudem auf religiöser oder ideologischer Grundlage manifestieren, zum Beispiel in Form des islamistischen Extremismus oder anderer religiös begründeter, totalitärer Bewegungen. Auch diese richten sich regelmäßig gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.


Rechtliche Bewertung und Relevanz

Verfassungsrechtliche Dimension

Das Grundgesetz schützt die freiheitliche demokratische Grundordnung. Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. Damit erhält der Staat die Möglichkeit, extremistische Organisationen zu verbieten und ihre Aktivitäten strafrechtlich zu verfolgen.

Strafrechtliche Bewertung

Im Strafrecht ist Extremismus als solcher kein eigenständiger Straftatbestand. Vielmehr sind extremistisch motivierte Straftaten in zahlreichen Delikten abgebildet, darunter:

  • Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a, 129b StGB)
  • öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB)
  • Volksverhetzung (§ 130 StGB)
  • Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (§ 86a StGB)
  • Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat (§ 89a StGB)

Die Extremismusmotivation wirkt als strafschärfendes oder personales Wertungskriterium.

Maßregelungen nach dem Vereinsgesetz

Nach dem Vereinsgesetz kann das Bundesministerium des Innern nach §§ 3, 8 VereinsG Vereinigungen verbieten, deren Zweck oder Tätigkeit Strafgesetzen zuwiderläuft, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten oder den Gedanken der Völkerverständigung beschädigen. Damit sind auch Maßnahmen zur Beschlagnahme von Vermögen möglich.


Präventiver Staatsschutz und Eingriffsgrundlagen

Verfassungsschutz und polizeiliches Handeln

In Deutschland leisten Verfassungsschutzbehörden nach Maßgabe des Bundesverfassungsschutzgesetzes und der jeweiligen Landesgesetze mit geheimdienstlichen Mitteln Aufklärung über extremistische Bestrebungen. Die erhobenen Daten können Grundlage für weitere präventive oder repressive Maßnahmen bilden.

Polizeirechtlich sind Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren durch extremistische Betätigung auch präventiv möglich, etwa Platzverweise, Versammlungsverbote oder Gefahrenabwehrmaßnahmen im Bereich der sogenannten Gefährderansprache.

Maßnahmen der Gefahrenabwehr

Gefahren, die von extremistischen Bestrebungen ausgehen, können – gerade bei drohenden Gewalttaten – Maßnahmen wie Observierung, Meldeauflagen und Kommunikationsüberwachung nach sich ziehen. Die Grundrechte werden hierbei stets in einem Verhältnis zwischen Eingriff und dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgewogen.


Internationale Dimension

Europäischer und internationaler Rechtsschutz

Auch auf Ebene der Europäischen Union und des Europarats wird Extremismus bekämpft, insbesondere im Rahmen von Antiterrorgesetzen und Maßnahmen zur Verhinderung der Radikalisierung. Grundlage hierfür bieten unter anderem die Terrorismus-Richtlinie (EU) 2017/541 sowie die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), die demokratische Grundsätze in besonderer Weise schützen.

Gleichzeitig ist bei der Bekämpfung von Extremismus die Meinungsfreiheit nach Art. 10 EMRK sowie das Diskriminierungsverbot nach Art. 14 EMRK zu berücksichtigen.


Abgrenzung zu verfassungsfeindlicher Tätigkeit und zur Meinungsfreiheit

Nicht jede staats- oder gesellschaftskritische Meinung oder Handlung fällt unter den Begriff des Extremismus. Die Grenzen für legitime Meinungsäußerungen zieht das Grundgesetz durch die Schranken der allgemeinen Gesetze (Art. 5 GG) und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach nur das Leugnen oder Bekämpfen der Grundprinzipien der Verfassung den Bereich des Extremismus berührt.


Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtsalltag

Extremismus stellt einen bedeutsamen Begriff an der Schnittstelle von Meinungsfreiheit, staatlicher Prävention und Strafverfolgung dar. Seine umfassende rechtliche Bedeutung ergibt sich aus dem Schutzauftrag des Staates zugunsten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die rechtliche Behandlung umfasst Maßnahmen des Vereins-, Straf- und Verfassungsrechts sowie des präventiven Staatsschutzes auf nationaler und internationaler Ebene.


Literaturhinweise:

  • Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG)
  • Grundgesetz (insbesondere Art. 9, Art. 21)
  • StGB §§ 86, 86a, 111, 129, 129a, 129b
  • Vereinsgesetz (VereinsG)
  • Urteile des Bundesverfassungsgerichts zu Parteien- und Vereinsverboten

Dieser Lexikoneintrag bietet einen umfassenden, rechtlich fundierten Überblick zur Einordnung, Prävention und Verfolgung von Extremismus nach deutschem und europäischem Recht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Instrumente stehen dem Staat zur Bekämpfung von Extremismus zur Verfügung?

Der Staat verfügt über zahlreiche rechtliche Instrumente zur Bekämpfung von Extremismus. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen strafrechtliche Vorschriften gegen staatsgefährdende und extremistische Straftaten, beispielsweise nach den §§ 129 ff. StGB (Bildung krimineller und terroristischer Vereinigungen). Ferner bestehen Möglichkeiten der Überwachung und Gefahrenabwehr auf Grundlage der Polizeigesetze der Länder und des Bundes, des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) sowie des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Das Parteiengesetz (§ 2 PartG, Art. 21 GG) ermöglicht das Verbot von Parteien, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten. Versammlungs- und Vereinsverbote können nach dem Vereinsgesetz (§§ 3, 18 VereinsG) beziehungsweise dem Versammlungsgesetz ausgesprochen werden. Schließlich ist die Indizierung und Beschlagnahmung extremistischer Medien nach dem Strafgesetzbuch und dem Jugendschutzgesetz möglich.

Wie wird die Beobachtung von extremistischen Gruppen oder Einzelpersonen rechtlich geregelt?

Die Beobachtung und Überwachung von extremistischen Gruppen oder Einzelpersonen durch staatliche Stellen erfolgt primär auf Grundlage des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) sowie der Verfassungsschutzgesetze der Länder. Die Verfassungsschutzbehörden sind berechtigt, Informationen zu sammeln, auszuwerten und an andere Behörden weiterzugeben, sofern tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Für verdeckte Ermittlungen und den Einsatz technischer Mittel gelten enge verfassungsrechtliche Vorgaben, vor allem durch das Grundgesetz (Art. 10, Art. 13 GG) sowie durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Datenverarbeitung ist eingeschränkt und unterliegt dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei extremistischer Betätigung?

Wer sich extremistisch betätigt, muss mit unterschiedlichsten rechtlichen Konsequenzen rechnen. Bei strafrechtlich relevantem Verhalten – wie Gewaltaufrufen, Volksverhetzung (§ 130 StGB), öffentlichen Aufforderungen zu Straftaten (§ 111 StGB) oder der Beteiligung an terroristischen Vereinigungen (§ 129a StGB) – drohen Freiheits- und Geldstrafen, unter Umständen auch Haftstrafen von mehreren Jahren. Bereits das Werben für oder Unterstützen extremistischer Gruppierungen kann strafrechtlich verfolgt werden. Auch das Führen von Symbolen verfassungswidriger Organisationen ist gemäß § 86a StGB strafbar. Neben Strafen drohen weitere Folgen wie der Entzug von Grundrechten (Art. 18 GG) oder die Entfernung aus dem öffentlichen Dienst bei Beamten gemäß Beamtenstatusgesetz (BeamtStG).

Können extremistischer Parteien und Vereine in Deutschland verboten werden?

Ja, das Grundgesetz sieht in Art. 21 GG explizit vor, dass Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, verboten werden können. Die Entscheidung trifft das Bundesverfassungsgericht in einem aufwändigen Verfahren. Für Vereine gilt das Vereinsgesetz: Nach § 3 VereinsG können Vereinigungen verboten werden, wenn sie gegen Strafgesetze verstoßen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. Die Anordnung eines Vereinsverbots obliegt regelmäßig dem Bundesministerium des Innern oder den zuständigen Landesbehörden. Das Verbot hat weitreichende Folgen, wie die Beschlagnahme von Vereinsvermögen und das Verbot der Verwendung von Kennzeichen.

Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz beim Umgang mit Extremismus aus rechtlicher Sicht?

Der Verfassungsschutz ist das zentrale Instrument zur Beobachtung und Analyse extremistischer Bestrebungen. Seine Aufgaben sind im Bundesverfassungsschutzgesetz und in den entsprechenden Landesgesetzen geregelt. Die Verfassungsschutzbehörden dürfen zur Gefahrenabwehr und politischen Information Maßnahmen durchführen, die jedoch stets verhältnismäßig sein müssen und die Grundrechte beachten (insbesondere Datenschutz, Persönlichkeitsrechte, Fernmeldegeheimnis). Sie haben keine polizeilichen Befugnisse, sondern dürfen ihre Beobachtungen lediglich an Strafverfolgungsbehörden weitergeben, wenn Straftaten drohen oder erkannt werden. Der Verfassungsschutz erstellt zudem regelmäßig Berichte, die auch als Grundlage für die Bewertung von Parteien, Vereinen und Einzelpersonen in rechtlichen Verfahren dienen können.

Welche Möglichkeiten gibt es, gegen die Einstufung als extremistisch oder die Maßnahmen des Staates rechtlich vorzugehen?

Betroffene, die durch staatliche Maßnahmen – etwa durch Beobachtung, Verbotsverfügungen oder öffentliche Nennung im Verfassungsschutzbericht – in ihren Rechten beeinträchtigt werden, können den Rechtsweg beschreiten. Sie können gegen Entscheidungen des Staates – wie Vereins- oder Parteiverbote, strafrechtliche Maßnahmen oder Überwachungsanordnungen – bei den Verwaltungsgerichten, dem Bundesverfassungsgericht oder auch im Rahmen von Verfassungsbeschwerden klagen. Bei Maßnahmen des Verfassungsschutzes, die etwa auf Listen mit extremistischen Verdachtsfällen führen, besteht grundsätzlich Anspruch auf Auskunft nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) und ggf. auf Gegendarstellung. In allen Fällen wird im gerichtlichen Verfahren geprüft, ob die Maßnahme rechtmäßig und verhältnismäßig ist.

Wie ist die Zusammenarbeit von Sicherheitsbehörden gegen Extremismus rechtlich geregelt?

Die Zusammenarbeit von Polizei, Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaft und weiteren Sicherheitsbehörden erfolgt nach spezifischen gesetzlichen Grundlagen, etwa den Polizeigesetzen, dem Bundeskriminalamtgesetz (BKAG) und dem BVerfSchG. Ein enger Informationsaustausch ist dabei durch Datenschutzregelungen eingeschränkt und auf gesetzlich geregelte Fälle beschränkt. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurden Austausch und Zusammenarbeit ausgebaut (gemeinsame Dateien, Zentren wie das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum – GETZ) und klare rechtliche Maßgaben für den Umgang mit personenbezogenen Daten geschaffen. Die Zusammenarbeit unterliegt strenger Kontrolle und muss stets verhältnismäßig und mit Blick auf die Grundrechte erfolgen.