Begriff und Überblick: Europäisches Währungssystem
Das Europäische Währungssystem (EWS) bezeichnet ein von den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1979 eingerichtetes kooperatives System zur Stabilisierung der Wechselkurse in Europa und zur Vorbereitung einer künftigen Wirtschafts- und Währungsunion. Das Ziel des Systems lag in der Vermeidung hoher Wechselkursfluktuationen und in der Förderung wirtschaftlicher Integration. Rechtlich stellte das EWS eine multilaterale, völkerrechtlich verankerte Vereinbarung innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums dar, die intensiv in das unionsrechtliche Gefüge eingebettet war.
Rechtliche Grundlagen des Europäischen Währungssystems
Völkerrechtliche und unionsrechtliche Rahmenbedingungen
Die Gründung des EWS basierte auf einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, die von den damaligen EWG-Mitgliedstaaten 1978 im Europäischen Rat von Brüssel beschlossen wurde. Die Implementierung erfolgte formal durch multilaterale Übereinkünfte, rechtlich gestützt auf den Pariser Vertrag von 1951 (EGKS-Vertrag) sowie den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft von 1957 (EWG-Vertrag), insbesondere auf Artikel 235 EWG-Vertrag (heute Artikel 352 AEUV).
Regulationen, Übereinkommen und Richtlinien
Zur Umsetzung des EWS diente insbesondere das „Gemeinsame Kommuniqué“ von Brüssel 1978, gefolgt von detaillierten Übereinkommen über Wechselkursbeziehungen und die Einrichtung des sogenannten Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (EWFZ). Die Regelungen basierten im Wesentlichen auf intergouvernementalen Beschlüssen, ergänzt durch nationale Rechtsakte und Koordinationsmechanismen auf europäischer Ebene.
Die Rolle des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (EWFZ)
Der EWFZ stellte eine zentrale Einrichtung dar, um Kreditmechanismen, Liquiditätshilfen und eine gegenseitige Überwachung der Währungspolitik zu gewährleisten. Rechtsgrundlage für den EWFZ bildeten die entsprechenden Satzungen, beschlossen durch die Mitgliedstaaten. Der Fonds fungierte als Instrument zur Bereitstellung kurzfristiger finanzieller Unterstützung bei Wechselkursturbulenzen.
Strukturelle Bestandteile des Europäischen Währungssystems
Wechselkursmechanismus (WKM)
Der Kern des EWS war der Wechselkursmechanismus (WKM), der an feste, aber anpassbare Leitkurse zwischen den nationalen Währungen anknüpfte. Diese Leitkurse wurden auf Basis des sogenannten ECU (European Currency Unit) festgelegt – einer Rechnungseinheit, deren Wert als gewichteter Durchschnitt der teilnehmenden Währungen bestimmt wurde. Teilnehmerstaaten waren rechtlich verpflichtet, eine bestimmte Bandbreite zulässiger Wechselkursabweichungen einzuhalten.
Rechtliche Verpflichtungen der teilnehmenden Staaten
Die Einhaltung der Bandbreiten stellte für die Mitgliedstaaten eine völkerrechtlich verbindliche Verpflichtung dar, deren Missachtung zu Vertragsverstößen und entsprechenden Konsultationsmechanismen führte. Im Falle erheblicher Kursabweichungen sahen die Abkommen Interventionspflichten der nationalen Zentralbanken vor, die durch Devisenkäufe und -verkäufe auf den Marktkurs einzuwirken hatten.
Leitwährung und Referenzwährung: Die Rolle des ECU
Der ECU fungierte nicht als Zahlungsmittel, sondern lediglich als Recheneinheit. Die rechtliche Ausgestaltung des ECU erfolgte durch multilaterale Vereinbarungen und wurde zur Grundlage für Kreditgeschäfte und Währungsreserven der Zentralbanken. Mit Einführung des EWS verpflichteten sich die Mitgliedstaaten, ihre Zahlungen an internationalen Organisationen – soweit möglich – auf Basis des ECU zu berechnen.
Rechtswirkungen und institutionelle Einbettung
Verhältnis zum nationalen Währungsrecht
Die Teilnahme am EWS erforderte eine Anpassung nationaler Rechtsnormen, insbesondere hinsichtlich der Geldordnung, Wechselkurspolitik und der Zuständigkeit der Zentralbanken. Nationale Zentralbanken traten als Ausführungsorgane des Wechselkursregimes auf und waren rechtlich an die multilateralen Vereinbarungen gebunden. Die jeweiligen nationalen Gesetzgeber waren gehalten, die Vorgaben des EWS in ihrer Gesetzgebung zu berücksichtigen und umzusetzen.
Aufsicht, Überwachung und Streitbeilegung
Die Überwachung des Systems erfolgte institutionell durch den „Ausschuss der Gouverneure der Zentralbanken“, der regelmäßig prüfte, ob die Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten eingehalten wurden. Bei Konflikten um Deviseninterventionen und Kursanpassungen sahen die Abkommen verbindliche Konsultations- und Vermittlungsverfahren vor. Streitigkeiten konnten gegebenenfalls dem Europäischen Rat zur Entscheidung vorgelegt werden.
Bedeutung des EWS im Kontext der Wirtschafts- und Währungsunion
Vorstufe zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU)
Das EWS war maßgeblich an der rechtlichen und wirtschaftlichen Integration Europas beteiligt. Es bildete die Grundlage für die spätere Entwicklung zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, wie sie mit dem Vertrag von Maastricht (1992) und der Einführung des Euro rechtlich verankert und umgesetzt wurde. Viele der im EWS etablierten Rechtsinstrumente und Kontrollmechanismen wurden modifiziert in die Strukturen der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) integriert.
Aufhebung und Nachfolge-Regime
Mit der Schaffung des Euro und der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung im Jahre 1999 wurde das EWS in seiner alten Form abgelöst. Das Nachfolgesystem, der Wechselkursmechanismus II (WKM II), wurde zur Steuerung der Wechselkurse von Nicht-Euro-Staaten gegenüber dem Euro eingerichtet und ist heute in den Artikeln 140 und 142 AEUV rechtlich geregelt.
Literaturhinweise und weiterführende rechtliche Grundlagen
- Vertrag über die Europäische Union (EUV), insbesondere Protokolle zum EWS.
- Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere Artikel 140-142 zu Wechselkursmechanismen.
- Dokumente und Kommuniqués des Europäischen Rates und der Europäischen Zentralbank.
- Vereinbarungen über die Gründung des EWFZ.
Das Europäische Währungssystem stellt einen historischen Meilenstein für die europäische Integration dar und verdeutlicht die enge Verbindung zwischen währungspolitischen Zielen und deren rechtlicher Ausgestaltung im Rahmen gemeinschaftlicher und internationaler Übereinkommen. Its Struktur, Mechanismen und rechtliche Einbettung bilden nach wie vor die Grundlage für das heutige europäische Währungsrecht.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rechtsquellen bilden die Grundlage des Europäischen Währungssystems?
Das Europäische Währungssystem (EWS) beruht auf einem Geflecht unterschiedlicher Rechtsquellen auf internationaler sowie europäischer Ebene. Zentrale rechtliche Grundlage war im Ursprung das Abkommen vom 13. März 1979 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Schaffung des EWS und des Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit (EFWZ). Ergänzende Regelungen fanden sich in diversen Rechtsakten, Beschlüssen und Vereinbarungen der zuständigen nationalen Regierungen und Zentralbanken. Mit dem Eintritt in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion ab 1999 gewannen die primärrechtlichen Bestimmungen des Vertrags über die Europäische Union (EUV) sowie des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere die Artikel 119 ff. über wirtschafts- und währungspolitische Kooperation, maßgebliche Bedeutung. Das Protokoll Nr. 13 über das Wechselkurssystem für den Euro, die Rechtsakte des Rates sowie die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ergänzen dieses Gefüge. Grundsätzlich zeichnet sich das System durch supranationales und intergouvernementales Recht sowie durch verbindliche und freiwillige Kooperationsmechanismen aus.
Welche rechtlichen Verpflichtungen bestehen für die Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Währungssystems?
Die rechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten des EWS betreffen insbesondere die Einhaltung der Wechselkursmechanismen, die Stabilisierung der Wechselkurse im Rahmen vorgegebener Bandbreiten sowie die Abstimmung der nationalen Währungspolitik mit den gemeinsamen Zielen des Systems. Rechtlich verpflichtend war die Anerkennung von Eingriffs- und Unterstützungsmechanismen bei Verletzung der vereinbarten Wechselkursspannen. Der Beitritt zum Wechselkursmechanismus erforderte zudem die formelle Ratifikation entsprechender Vereinbarungen durch die Mitgliedstaaten. Daneben bestanden Melde-, Konsultations- und Berichtspflichten, etwa in Hinblick auf außergewöhnliche wirtschaftliche Entwicklungen oder Notfallinterventionen. Die Verpflichtungen dehnen sich mit Einführung des Euro auf die Umsetzung des europäischen Sekundärrechts und die nationale Rechtsangleichung im Bereich Währungs- und Haushaltsrecht aus, insbesondere in Bezug auf die Unabhängigkeit der Zentralbanken und die Haushaltsdisziplin (Defizit- und Verschuldungsgrenzen gemäß Stabilitäts- und Wachstumspakt).
Welche rechtlichen Folgen ergeben sich bei Nichteinhaltung der Regeln des Europäischen Währungssystems?
Verletzungen der rechtlichen Verpflichtungen im Rahmen des EWS hatten ursprünglich vor allem in politisch-diplomatischer Hinsicht Bedeutung, da das System auf völkerrechtlichen Verträgen und Absprachen basierte, deren Durchsetzungsmöglichkeiten begrenzt waren. Dennoch konnten bei wiederholten oder gravierenden Verstößen, insbesondere gegen die Wechselkursbandbreiten, gemeinschaftliche Konsultationen oder – als äußerste Maßnahme – der temporäre oder dauerhafte Ausschluss aus dem Wechselkursmechanismus erfolgen. Mit der Integration in die Wirtschafts- und Währungsunion wurde die Einhaltung der haushalts- und währungspolitischen Regeln durch die Einführung von Sanktionsmechanismen, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumspakt (Art. 126 AEUV und zugehörige Sekundärrechtsakte) festgelegt sind, rechtlich abgesichert. Diese reichen von verwarnenden Empfehlungen bis hin zu finanzielle Sanktionen und intensivierter Überwachung. Im Bereich des Euro-Währungsgebiets kann die EZB durch Verweigerung von Unterstützungsmaßnahmen oder durch öffentliche Feststellungen reagieren.
Inwieweit sind die nationalen Zentralbanken in ihren Entscheidungen rechtlich zu europäischen Vorgaben verpflichtet?
Die nationalen Zentralbanken unterliegen im Rahmen des EWS und insbesondere seit dem Inkrafttreten der Wirtschafts- und Währungsunion detaillierten rechtlichen Vorgaben auf europäischer Ebene. Bereits im EWS bestand eine Pflicht zur engen Abstimmung und Kooperation im Rahmen der vereinbarten Wechselkursmechanismen und Interventionspflichten. Mit der Gründung des ESZB und der Übertragung zentralbankbezogener Kompetenzen an die EZB ist die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken in geldpolitischen Fragen stark normiert (Art. 130 AEUV). Sie sind verpflichtet, die Beschlüsse, Leitlinien und Anweisungen der EZB umzusetzen. Nationale Geldpolitik ist nur im Rahmen und zur Unterstützung der allgemein vom ESZB verfolgten Ziele zulässig (Art. 127 AEUV). Ferner besteht die Pflicht, jede Handlung zu unterlassen, die die Ziele der gemeinsamen Währungspolitik beeinträchtigen könnte. Das betrifft etwa die Emission von Banknoten, das Halten von Währungsreserven oder geldpolitische Eingriffe im Devisenmarkt.
Wie wird das Verhältnis zwischen supranationalem und nationalem Recht im Europäischen Währungssystem geregelt?
Das Verhältnis zwischen supranationalem und nationalem Recht im Kontext des EWS ist wesentlich durch das Prinzip des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts geprägt. Supranationale Rechtsakte, insbesondere Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse, die im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion erlassen werden, haben gemäß Art. 288 AEUV unmittelbare Geltung und Anwendung in den Mitgliedstaaten. Nationale Regelungen im Bereich Währungs- und Wechselkurspolitik sind insoweit nur zulässig, soweit sie europäischen Vorgaben nicht entgegenstehen. Im Falle von Kollisionen zwischen nationalem und supranationalem Recht sind nationale Gerichte verpflichtet, europäische Regelungen anzuwenden und nationales Recht unangewendet zu lassen. Das gilt auch für die Satzung des ESZB und die Statuten der EZB, die in allen Mitgliedstaaten verbindlich sind. Ausnahmen bilden in gewissen Bereichen weiterhin zwischenstaatliche Vereinbarungen, etwa im Rahmen von Übertrittsklauseln oder opt-out-Regelungen einzelner Staaten.
Welche Rolle spielt das Europäische Parlament bei der rechtlichen Ausgestaltung des Europäischen Währungssystems?
Das Europäische Parlament ist am Erlass und der Kontrolle wichtiger Rechtsakte zur Ausgestaltung und Weiterentwicklung des Europäischen Währungssystems durch das ordentliche Gesetzgebungsverfahren maßgeblich beteiligt. Es erteilt seine Zustimmung oder gibt Stellungnahmen zu Rechtsakten des Rates und der Kommission, insbesondere hinsichtlich der makroökonomischen Überwachung, der haushaltspolitischen Rahmensetzungen und der Reform des Stabilitätsmechanismus. Die parlamentarische Kontrolle erstreckt sich zudem auf Anhörungen und Berichte zur Tätigkeit der EZB (vgl. Art. 284 AEUV), sowie auf die Mitentscheidung bei Gesetzgebungsvorschlägen bezüglich der wirtschafts- und währungsrechtlichen Integrationsschritte. Ferner hat das Parlament Untersuchungsrechte bei Krisen und Fehlentwicklungen innerhalb des Systems und nimmt Einfluss über die Ernennung bestimmter Funktionsträger, insbesondere im Rahmen der EZB. Allerdings liegt die eigentliche operative und rechtliche Steuerung im Schwerpunkt bei Rat, Kommission und der EZB.
Welche rechtlichen Grundsätze sichern die Stabilität des Europäischen Währungssystems?
Die rechtlichen Grundsätze hinter dem EWS und der nachfolgenden Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion beziehen sich auf die Sicherstellung von Preisstabilität, finanzpolitischer Disziplin und die Unabhängigkeit der Zentralbanken. Diese Grundsätze sind in den primärrechtlichen Verträgen der EU (insbesondere Art. 119 ff., 123 ff., 127 ff. AEUV) sowie in spezifischen Sekundärrechtsakten verankert. Sie beinhalten u. a. das Verbot der monetären Staatsfinanzierung, die Einhaltung von Haushaltsgrenzen, die wechselseitige Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitik (z.B. durch den Europäischen Fiskalpakt) und die Verpflichtung zur regelmäßigen Berichtserstattung und Konsultation. Ergänzt werden diese durch Transparenz- und Publikationspflichten der EZB sowie durch Mechanismen zur Prävention und Sanktionierung von Fehlentwicklungen, wie etwa das Defizitverfahren. Ein weiteres rechtliches Leitprinzip ist das Prinzip der Irreversibilität und Unumkehrbarkeit des Euro für beigetretene Staaten, das die fragile Stabilität des Systems langfristig absichern soll.