Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) ist ein finanzpolitisches Instrument der Europäischen Union, das im Jahr 2010 eingeführt wurde, um Mitgliedstaaten der Europäischen Union in schweren wirtschaftlichen Schwierigkeiten finanzielle Stabilitätshilfen gewähren zu können. Der Mechanismus steht innerhalb des Rahmens der EU-Verträge und ist eng mit der Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise verbunden. Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen, die Funktionsweise, die institutionelle Einbindung sowie die Weiterentwicklung und Kritik des EFSM umfassend dargestellt.
Rechtsgrundlagen und Entstehung
Vertragliche Verankerung
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus ist rechtlich im Artikel 122 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Dieser Artikel erlaubt es dem Rat, in Situationen schwerer wirtschaftlicher Störungen, die sich seiner Kontrolle entziehen, einem Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen finanzielle Unterstützung zu gewähren. Das rechtliche Instrument zur Umsetzung des Mechanismus ist die Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010. Diese Verordnung bildet die gesetzliche Grundlage, auf deren Basis die Europäische Kommission ermächtigt ist, Kredite im Namen der Europäischen Union am Kapitalmarkt aufzunehmen und diese an die betroffenen Mitgliedstaaten weiterzuleiten.
Hintergrund der Gründung
Der EFSM wurde im Zuge der Staatsschuldenkrise, insbesondere im Zusammenhang mit der akuten Finanzkrise in Griechenland und anschließender Bedrohung weiterer Mitgliedstaaten des Euroraums, eingeführt. Ziel der Maßnahme war es, das Vertrauen in die Stabilität der europäischen Finanzmärkte wiederherzustellen und systemische Risiken für die Währungsunion einzugrenzen.
Funktionsweise des EFSM
Finanzierungsmechanismus
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus stellt ein Instrument dar, bei dem die Europäische Kommission im Namen der Europäischen Union Anleihen am Kapitalmarkt ausgibt. Die aufgenommenen Mittel werden als Kredithilfen an in Not geratene Mitgliedstaaten weitergegeben. Das Rückzahlungsrisiko wird von allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anteilig getragen, da die haushaltsrechtliche Grundlage der EU (Eigenmittel der Union) als Sicherheit dient.
Entscheidungsverfahren
Ein Mitgliedstaat, der finanzielle Unterstützung benötigt, stellt einen Antrag bei der Europäischen Kommission. Die Kommission prüft gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und, soweit möglich, mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), im Rahmen eines sogenannten „Troika”-Verfahrens, die Notwendigkeit und Angemessenheit der Hilfe. Der Rat der Europäischen Union entscheidet nach Anhörung der Kommission mit qualifizierter Mehrheit über die Gewährung der Hilfen und setzt die Höhe und Bedingungen der Unterstützung fest. Die Auszahlung erfolgt in Tranchen und ist an die Einhaltung vereinbarter wirtschafts- und finanzpolitischer Auflagen geknüpft.
Haftungsobergrenze
Das maximale Volumen des EFSM ist durch die Verordnung auf 60 Milliarden Euro begrenzt. Diese Grenze stellt die Obergrenze für die Kredite dar, die gleichzeitig in Anspruch genommen werden können.
Institutionelle Einbindung und Zusammenarbeit
Rolle der Europäischen Kommission
Die Europäische Kommission ist für die Auflegung der Anleihen, die Weiterleitung der Gelder sowie für die Überwachung der Einhaltung der auferlegten Konditionen zuständig. Eine zentrale Rolle spielt die Kommission zudem bei der Erarbeitung und Kontrolle der wirtschaftspolitischen Anpassungsprogramme der begünstigten Staaten.
Zusammenarbeit mit weiteren Institutionen
Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ist integraler Bestandteil des EFSM. Die sogenannte “Troika” überwacht gemeinsam die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation und die Umsetzung der vereinbarten Reformanforderungen, wobei der IWF oftmals als Co-Finanzierungsquelle agiert oder beratende Funktion übernimmt.
Abgrenzung zu anderen Stabilisierungsmechanismen
EFSF und ESM
Der EFSM ist vom Europäischen Finanzstabilisierungsfonds (EFSF) sowie vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) abzugrenzen. Während der EFSF als intergouvernementales Sondervehikel von den Mitgliedstaaten des Euroraums geschaffen wurde, und der ESM als dauerhafte Einrichtung ab 2012 für den Euroraum gegründet wurde, ist der EFSM ein unionsrechtliches Instrument, das für alle Mitgliedstaaten der EU offen steht und sich direkt auf die Rechtsordnung der EU stützt.
Anwendungsbereich
Der EFSM ist grundsätzlich für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union gedacht, aber de facto kamen bisher nur Staaten des Euroraums (etwa Irland und Portugal) als Empfänger in Betracht. Für Staaten außerhalb des Euroraums stehen andere Hilfeinstrumente, wie die Zahlungsbilanzunterstützung, zur Verfügung.
Rechtliche Kontrolle und Aufsicht
Kontrollmechanismen
Die Mittelvergabe durch den EFSM ist an strenge haushaltsrechtliche und politische Auflagen gebunden. Die Europäische Kommission ist zur Kontrolle verpflichtet und berichtet regelmäßig sowohl an den Rat als auch an das Europäische Parlament. Darüber hinaus unterliegen die finanziellen Aktivitäten einer Prüfung durch den Europäischen Rechnungshof.
Kompatibilität mit dem EU-Recht
Die Legitimierung des EFSM über Artikel 122 Absatz 2 AEUV war Gegenstand intensiver rechtspolitischer Debatten, vor allem hinsichtlich der sogenannten No-Bail-Out-Klausel (Artikel 125 AEUV). Die Mitgliedstaaten argumentierten, dass die temporäre Krisensituation und das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände es rechtfertigten, Hilfen zu gewähren, ohne gegen die Haushaltsdisziplin der Union zu verstoßen.
Entwicklung und Ausblick
Bedeutungsverlust und Nachfolgeinstrumente
Mit der Einrichtung des ständigen Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Jahr 2012 verlor der EFSM an praktischer Bedeutung, bleibt aber als möglicher Rechtsrahmen erhalten. Der ESM übernimmt nunmehr die primäre Rolle bei der Finanzhilfe für Mitglieder des Euroraums.
Residuale Funktion
Der EFSM bleibt als rechtlicher Rahmen für Notfallsituationen bestehen, die außerhalb der Reichweite des ESM oder für alle EU-Mitgliedstaaten relevant werden könnten. Seine Mittel wurden seit 2014 faktisch nicht mehr eingesetzt, seine Fortgeltung ist gleichwohl bedeutsam im Kontext der europäischen Finanzarchitektur.
Bewertung und Kritik
Rechtliche Kontroversen
Die Einführung und Nutzung des EFSM wurde insbesondere mit Blick auf die Kompetenzordnung der EU und das Haushaltsrecht kontrovers bewertet. Kritisiert wurde, dass hiermit neue Finanzierungsinstrumente auf Grundlage einer weiten Auslegung des AEUV-Artikels 122 geschaffen wurden, was von einigen Stimmen als Umgehung der No-Bail-Out-Klausel gesehen wurde.
Auswirkungen auf die Haushaltsdisziplin
Es wurde befürchtet, dass die Möglichkeit finanzieller Hilfen Anreize für eine weniger stringente Haushaltspolitik in den Mitgliedstaaten setzen könnte. Andererseits betonen viele Analysen die systemerhaltende und stabilisierende Wirkung des Instruments während der Krisenjahre.
Literatur und weiterführende Regelungen
- Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates
- Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere Artikel 122 und 125
- Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Finanzstabilisierung
- Veröffentlichungen der Europäischen Kommission und des Europäischen Rechnungshofs
Fazit
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus ist ein unionsrechtlich verankertes Kriseninstrument, das im Rahmen der europäischen Antwort auf die Staatsschuldenkrise geschaffen wurde. Seine Existenz beruht auf den unionsrechtlichen Möglichkeiten zur Krisenintervention, unterliegt jedoch strengen rechtlichen Begrenzungen und Kontrolle. In der Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion stellt der EFSM einen bedeutenden Baustein der finanziellen Stabilisierung dar, auch wenn er zuletzt zugunsten permanent installierter Mechanismen an Bedeutung verloren hat.
Häufig gestellte Fragen
Unterliegt der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) einer speziellen rechtlichen Grundlage innerhalb der EU-Verträge?
Der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus basiert rechtlich auf Artikel 122 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Diese Bestimmung erlaubt die Gewährung von finanzieller Unterstützung an Mitgliedstaaten, die aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse, die sich ihrer Kontrolle entziehen, in Schwierigkeiten geraten sind. Die Maßnahme wurde 2010 als Reaktion auf die europäische Staatsschuldenkrise eingerichtet. Der Mechanismus ist somit in den Primärrechtsrahmen der Europäischen Union eingebettet und bedarf zusätzlich der Zustimmung des Rates der Europäischen Union, der darüber entscheidet, ob und unter welchen Bedingungen finanzielle Hilfen bereitgestellt werden. Artikel 122 AEUV dient somit als Rechtsgrundlage für das Handeln der Union im Rahmen des EFSM, was im Unterschied zu anderen Finanzhilfsinstrumenten wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der auf einem völkerrechtlichen Vertrag basiert, zu einer stärkeren Einbindung in das Unionsrecht führt.
Welche rechtlichen Anforderungen müssen erfüllt sein, damit der EFSM aktiviert werden kann?
Die Aktivierung des EFSM ist rechtlich nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Es muss ein „außergewöhnliches Ereignis” vorliegen, das sich der Kontrolle des betreffenden Mitgliedstaates entzieht. Zudem muss dieses Ereignis den Mitgliedstaat dazu zwingen, finanzielle Unterstützung zu beantragen, um ernste wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden. Die Entscheidung über die Aktivierung wird durch den Rat auf Vorschlag der Europäischen Kommission im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens getroffen. Dabei sind sowohl die konkreten Umstände als auch die beabsichtigten Maßnahmen zu begründen. Die geplante finanzielle Unterstützung wird zudem an strikte Auflagen gebunden, die in Absprache mit dem betroffenen Mitgliedstaat und unter Kontrolle der Kommission umgesetzt werden müssen. Die rechtlichen Kriterien zielen darauf ab, eine verantwortungsvolle Nutzung und Missbrauch des Mechanismus zu verhindern.
Wer kontrolliert die Rechtmäßigkeit und Umsetzung der EFSM-Hilfen?
Die Rechtmäßigkeit der Hilfen aus dem EFSM unterliegt einer mehrstufigen Kontrolle innerhalb der Strukturen der Europäischen Union. Zunächst prüft die Europäische Kommission die Einhaltung der rechtlichen Voraussetzungen und erarbeitet Vorschläge für konkrete Hilfeleistungen und die damit verbundenen wirtschaftspolitischen Auflagen. Die Überwachung der Umsetzung übernimmt ebenfalls die Kommission, meist gemeinsam mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und mitunter in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Darüber hinaus kann der Europäische Rechnungshof die Verwendung der Mittel überprüfen, insbesondere im Hinblick auf Wirksamkeit und Ordnungsmäßigkeit. Ferner steht der Europäische Gerichtshof (EuGH) als oberste rechtsprechende Instanz zur Verfügung, falls aus der Anwendung des Mechanismus rechtliche Streitfragen entstehen. Insbesondere klärt der EuGH die Vereinbarkeit der Maßnahmen mit dem EU-Vertragsrecht.
In welchem Verhältnis steht der EFSM zu anderen europäischen Rettungsmechanismen rechtlich gesehen?
Rechtlich unterscheidet sich der EFSM von anderen Instrumenten wie dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) oder der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) durch seine unmittelbare Grundlage im EU-Recht. Anders als der völkerrechtlich außerhalb des EU-Rechtsrahmens konzipierte ESM oder die private Zweckgesellschaft EFSF, ist der EFSM ein offizielles Rechtsinstrument der Europäischen Union. Dies führt zu Unterschieden bei der Haftung, der Ausgestaltung der Entscheidungsgremien und der gerichtlichen Kontrolle. Beispielsweise sind Entscheidungen im Rahmen des EFSM unionsrechtlich überprüfbar und fallen unter die Zuständigkeit des EuGH, während beim ESM völkerrechtliche Mechanismen greifen. Zudem haftet die Europäische Union im Rahmen des EFSM für die ausgegebenen Anleihen, wohingegen beim EFSF und ESM die Mitgliedstaaten haften.
Welche Rolle spielen Haushaltsrecht und Haushaltskontrolle der EU beim EFSM?
Der EFSM ist eng mit den haushaltsrechtlichen Vorgaben der Europäischen Union verbunden. Die von der EU aufgenommenen Mittel zur Finanzierung der Hilfen werden als Anleihen am Kapitalmarkt platziert und stellen somit EU-Schulden dar. Die Verwahrung, Verwaltung und Rückzahlung dieser Mittel unterliegen den Vorschriften der Haushaltsordnung der Europäischen Union sowie den Kontrollbefugnissen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rechnungshofs. Insbesondere ist im EU-Haushalt eine eigene Rubrik für diese finanziellen Transaktionen vorgesehen, und jegliche finanziellen Verpflichtungen müssen im Einklang mit dem Haushaltsrecht und den Eigenmitteln der Union stehen. Der Umgang mit Risiken und Rückzahlungen erfolgt in einem geregelten Verfahren, das Transparenz und Nachvollziehbarkeit auch gegenüber den Haushaltskontrollorganen sicherstellen soll.
Können Mitgliedstaaten gegen EFSM-Entscheidungen rechtlich vorgehen?
Mitgliedstaaten haben die Möglichkeit, Beschlüsse, die im Zuge des EFSM gefasst werden, vor dem Europäischen Gerichtshof anzufechten. Dabei können sie insbesondere die Vereinbarkeit des Vorgehens mit den EU-Verträgen, einschlägigen Verfahrensvorschriften und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüfen lassen. Der EuGH ist befugt, entsprechende Maßnahmen aufzuheben, falls sie gegen das Unionsrecht verstoßen. Diese Kontrollmöglichkeit gewährleistet eine effektive Rechtsaufsicht über den Mechanismus und trägt dazu bei, dass der EFSM auch künftig im Einklang mit den rechtlichen Vorgaben der Europäischen Union angewandt wird.
Gibt es Einschränkungen hinsichtlich der Haftung und Rückzahlung von Mitteln aus dem EFSM?
Ja, der Umfang der finanziellen Unterstützung, die die Europäische Kommission im Rahmen des EFSM bereitstellen kann, ist rechtsverbindlich limitiert. Die maximale Obergrenze liegt bei 60 Milliarden Euro, was sich unmittelbar aus den diesbezüglichen Ratsbeschlüssen und der Rechtsgrundlage ergibt. Die Rückzahlung der gewährten Hilfen erfolgt auf Basis der abgeschlossenen Kreditverträge zwischen der Europäischen Kommission (im Namen der EU) und dem Empfänger-Mitgliedstaat. Die Union haftet als juristische Person unmittelbar für diese Verpflichtungen, was wiederum bedeutet, dass die Rückzahlungsmodalitäten und eventuelle Zahlungsrisiken Teil der haushaltsrechtlichen Überwachung sind. Eine weitergehende Beteiligung einzelner Mitgliedstaaten an der Haftung erfolgt beim EFSM (anders als z. B. beim ESM) hingegen nicht.