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Europäische Menschenrechtskonvention


Geschichte und Entwicklung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), offiziell als „Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten” bezeichnet, ist ein internationales Abkommen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Europa. Sie wurde am 4. November 1950 vom Europarat verabschiedet und trat am 3. September 1953 in Kraft. Die EMRK bildet das zentrale Menschenrechtsschutzinstrument des Europarates und hat in seinen 46 Mitgliedstaaten (Stand 2024) als völkerrechtlicher Vertrag unmittelbare Bedeutung für den Schutz der Menschenrechte.

Die Entstehung der Konvention ist eng mit den Erfahrungen der beiden Weltkriege und dem Bekenntnis zum Schutz der Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit verknüpft. Ziel war es, einen internationalen Mindeststandard an Grund- und Menschenrechten zu etablieren und durchsetzbar zu machen.

Aufbau und Inhalte der Europäischen Menschenrechtskonvention

Die Europäische Menschenrechtskonvention besteht aus einer Präambel, dem Haupttext mit 59 Artikeln und mehreren Zusatzprotokollen. Die Konvention verbürgt wesentliche bürgerliche und politische Rechte.

Die wesentlichen Grundrechte im Überblick

Zu den zentralen Rechten gehören:

  • Recht auf Leben (Art. 2 EMRK)
  • Verbot der Folter (Art. 3 EMRK)
  • Verbot der Sklaverei und Zwangsarbeit (Art. 4 EMRK)
  • Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK)
  • Recht auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK)
  • Keine Strafe ohne Gesetz (Art. 7 EMRK)
  • Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 8 EMRK)
  • Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK)
  • Meinungsfreiheit (Art. 10 EMRK)
  • Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK)
  • Recht auf Eheschließung (Art. 12 EMRK)
  • Recht auf wirksame Beschwerde (Art. 13 EMRK)
  • Diskriminierungsverbot (Art. 14 EMRK)

Systematik der Rechte und Einschränkungen

Viele der durch die EMRK garantierten Rechte sind nicht absolut, sondern erlauben unter bestimmten Bedingungen Einschränkungen. Die Einschränkungsmöglichkeiten sind jedoch eng gefasst. Zum Beispiel kann die Meinungsfreiheit aus Gründen der nationalen Sicherheit, zur Verhinderung von Straftaten oder zum Schutz der Rechte anderer eingeschränkt werden (vgl. Art. 10 Abs. 2 EMRK). Dagegen gelten das Folterverbot und das Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Strafe als absolute Rechte, die keinerlei Einschränkung oder Abwägung unterliegen (Art. 3 EMRK).

Zusatzprotokolle zur EMRK

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde im Laufe der Zeit durch zahlreiche Zusatzprotokolle erweitert. Diese beinhalten sowohl materielle Erweiterungen des Grundrechtsschutzes als auch wichtige verfahrensrechtliche Änderungen.

Wesentliche materielle Zusatzprotokolle sind:

  • Erstes Zusatzprotokoll (1952): Eigentumsschutz, Recht auf Bildung, Recht auf freie Wahlen
  • Sechstes Zusatzprotokoll (1983): Abschaffung der Todesstrafe im Friedenszeiten
  • Dreizehntes Zusatzprotokoll (2002): Abschaffung der Todesstrafe schlechthin, auch in Kriegszeiten

Zu den verfahrensbezogenen Protokollen zählen insbesondere das Elfte und das Vierzehnte Zusatzprotokoll, die die Struktur und Zuständigkeiten der EMRK-Organe, insbesondere des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, grundlegend reformierten.

Durchsetzung der Rechte: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)

Aufbau und Struktur

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit Sitz in Straßburg ist das zentrale Organ zur Durchsetzung der Rechte aus der EMRK. Er überprüft, ob Vertragsstaaten gegen Konventionsrechte verstoßen haben.

Individual- und Staatenbeschwerdeverfahren

Einzelpersonen, Personengruppen oder Nichtregierungsorganisationen können direkt beim EGMR Beschwerde einlegen, wenn sie sich durch einen Vertragsstaat in ihren durch die EMRK garantierten Rechten verletzt sehen. Voraussetzung ist die Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtsweges. Neben Individualbeschwerden sind auch Staatenbeschwerden möglich.

Bedeutung und Wirkung der Urteile

Die Urteile des EGMR sind für die betroffenen Staaten rechtlich bindend und können zu Gesetzesänderungen oder individuellen Ausgleichsmaßnahmen führen. Die Überwachung der Umsetzung obliegt dem Ministerkomitee des Europarates. Die EMRK hat daher erhebliche Auswirkungen auf die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung der Mitgliedstaaten.

Geltung und Umsetzung der EMRK im innerstaatlichen Recht

Einfluss und Rang der EMRK

Die Konvention hat in den Vertragsstaaten unterschiedlich hohen Rang. In vielen Ländern ist sie, je nach nationalem Regelungsmodell, entweder unmittelbar anwendbar oder bedarf der Transformation in nationales Recht. In Deutschland beispielsweise ist die EMRK durch Einführungsgesetz (Gesetz zu der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl. 1952 II S. 685, 953) in nationales Recht überführt und steht im Rang eines Bundesgesetzes.

Wirkung auf das nationale Recht

Gerichte sind verpflichtet, das nationale Recht im Lichte der Konventionsrechte auszulegen („konventionskonforme Auslegung”). Die Entscheidungen des EGMR finden in der Rechtsprechung der nationalen Gerichte, insbesondere auch im Verfassungsrecht, Berücksichtigung.

Verhältnis zur Europäischen Union

Die Europäische Union selbst ist bislang (Stand 2024) noch nicht offiziell der EMRK beigetreten, muss jedoch aufgrund der Grundrechtecharta sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für die Einhaltung der konventionsrechtlichen Standards Sorge tragen.

Rezeption, Kritik und Weiterentwicklung

Positive Wirkung und Bedeutung

Die EMRK gilt als eines der wirksamsten internationalen Menschenrechtsschutzsysteme weltweit. Sie hat maßgeblich zur Entwicklung eines europaweiten Grundrechtsstandards beigetragen und nationale Gesetzgebungen sowie die Rechtsprechung geprägt.

Herausforderungen und Kritikpunkte

Dennoch gibt es regelmäßig Kritik an der Effizienz und Durchsetzbarkeit, insbesondere aufgrund langer Verfahrensdauern vor dem EGMR und Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Urteilen in einzelnen Staaten. Der politische Diskurs dreht sich zudem um die Reichweite der richterlichen Kontrolle (Stichwort: „margin of appreciation”) und die Rolle des Gerichtshofs als „überstaatlicher Gesetzgeber”.

Ausblick

Aktuelle Diskussionen um weitere Protokolle, Reformen im Beschwerdesystem und die Ausweitung des Geltungsbereichs zeigen, dass die EMRK weiterhin ein hochrelevantes und sich entwickelndes Menschenrechtsinstrument bleibt.

Literaturverzeichnis und weiterführende Quellen

  • Text der Konvention und Protokolle (Council of Europe): https://www.coe.int/de/web/conventions/full-list/-/conventions/treaty/005
  • Rechtsprechung des EGMR: https://hudoc.echr.coe.int/
  • Gesetz zu der Europäischen Menschenrechtskonvention (Deutschland): BGBl. 1952 II S. 685, 953
  • Jahresberichte des Europarats und des EGMR
  • Handbuch zur EMRK (Council of Europe Publishing)

Hinweis: Diese Übersicht legt den Fokus auf eine detaillierte rechtliche Darstellung der Europäischen Menschenrechtskonvention und ihrer Bedeutung im europäischen Menschenrechtsschutzsystem.

Häufig gestellte Fragen

Wie ist das Verhältnis der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zum nationalen Recht in Deutschland?

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) besitzt in Deutschland den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie wurde durch das Zustimmungsgesetz vom 7. August 1952 als innerstaatliches Recht angenommen (BGBl. II 1952, S. 685). Daraus folgt, dass die EMRK grundsätzlich dem einfachen Bundesrecht gleichsteht und Vorrang gegenüber Landesrecht genießt. Wird jedoch nach der sogenannten „konventionsfreundlichen Auslegung” durch das Bundesverfassungsgericht deutsches Recht ausgelegt, ist eine Interpretation im Licht und Geist der EMRK geboten, solange dies möglich ist. Eine unmittelbare Verfassungsrangigkeit besitzt die EMRK in Deutschland nicht, das heißt, sie steht unterhalb des Grundgesetzes (GG). Die Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts als auch der Fachgerichte ist daher verpflichtet, die EMRK und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) möglichst zu berücksichtigen, darf aber nicht gegen höherrangiges deutsches Verfassungsrecht verstoßen.

Welche Rolle spielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Kontext der EMRK?

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ist das zentrale Organ zur Durchsetzung und Überwachung der Rechte, die in der EMRK und ihren Zusatzprotokollen verankert sind. Einzelpersonen, Nichtregierungsorganisationen oder Personengruppen können den EGMR anrufen, wenn sie sich als Opfer einer Verletzung der Konvention durch einen Vertragsstaat ansehen, nachdem sie den innerstaatlichen Rechtsweg ausgeschöpft haben. Die Urteile des EGMR sind für die betroffenen Staaten völkerrechtlich verbindlich und verpflichten sie, das festgestellte Konventionsverletzende Verhalten abzustellen und das Urteil umzusetzen, etwa durch Gesetzesänderungen oder Schadenersatzzahlungen. Die Überwachung der Urteilsumsetzung obliegt dem Ministerkomitee des Europarats. Entscheidungen des EGMR haben auch prägende Bedeutung für die nationale Rechtsprechung, insbesondere bei wiederkehrenden Sachverhalten.

Wie können sich Einzelpersonen auf die EMRK vor nationalen Gerichten berufen?

In Deutschland ist die EMRK durch das Gesetz vom 7. August 1952 Bestandteil des Bundesrechts und damit grundsätzlich unmittelbar anwendbar. Einzelpersonen können sich in Gerichts- und Verwaltungsverfahren auf die Konventionsrechte berufen, vorausgesetzt die jeweiligen Vorschriften sind hinreichend bestimmt und selbstvollziehend („self-executing”). Die deutschen Gerichte sind dazu verpflichtet, die einschlägigen Konventionsrechte bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen. Allerdings besitzt die EMRK im Konfliktfall nicht den gleichen Vorrang wie das Grundgesetz, sodass bei Widerstreit das Grundgesetz vorrangig ist. Dennoch ist das deutsche Recht gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts konventionsfreundlich auszuglegen, solange keine Grundrechtsverletzung oder ein Verstoß gegen tragende Verfassungsgrundsätze vorliegt.

Welche Bedeutung haben die Zusatzprotokolle zur EMRK?

Die Zusatzprotokolle erweitern und konkretisieren die in der EMRK enthaltenen Rechte. Sie enthalten eigenständige Schutzgarantien (z. B. Eigentumsschutz, allgemeines Wahlrecht, Abschaffung der Todesstrafe) oder modifizieren Verfahrensvorschriften. Für Deutschland sind nicht alle Protokolle bindend, sondern nur diejenigen, denen es ausdrücklich beigetreten ist. Sobald ein Zusatzprotokoll ratifiziert wurde, ist es integraler Bestandteil der nationalen Rechtsordnung in gleicher Weise wie die EMRK selbst. Die Zusatzprotokolle sind damit bindende Mindeststandards, die von Staaten nicht unterschritten werden dürfen, sie können jedoch durch weitergehende nationale Grundrechte ergänzt werden.

Wie wird die Umsetzung der EMRK in Deutschland kontrolliert und gesichert?

Die Umsetzung der EMRK in Deutschland wird auf mehreren Ebenen überprüft. Einerseits sind nationale Gerichte und Behörden dazu verpflichtet, die Konventionsrechte unmittelbar anzuwenden oder zumindest bei der Auslegung von Rechtsnormen einzubeziehen. Andererseits überwacht der EGMR die Einhaltung der Konvention auf Beschwerden von Einzelpersonen oder Staaten hin. Stellt der EGMR einen Verstoß fest, ist Deutschland verpflichtet, das Urteil umzusetzen, etwa durch Anpassung der Verwaltungspraxis, Änderung von Gesetzen oder Zahlung von Entschädigungen. Die Kontrolle über die vollständige und zeitgerechte Umsetzung der Urteile des EGMR obliegt wiederum dem Ministerkomitee des Europarats, das dem jeweiligen Staat detaillierte Maßgaben erteilen kann, bis das Urteil als vollstreckt gilt.

Welche Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung bietet die EMRK im Falle einer Konventionsverletzung?

Kommt es trotz vorhandenen Schutzes zu einer mutmaßlichen Verletzung der EMRK, können Betroffene nach Ausschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs eine Individualbeschwerde beim EGMR einlegen. Voraussetzung ist, dass die behauptete Verletzung einem Staatenvertreter zurechenbar ist und durch einen rechtlichen oder tatsächlichen Akt oder Unterlassen in den Anwendungsbereich der Konvention fällt. Zulässige Beschwerden werden vor dem EGMR geprüft, und bei stattgebender Entscheidung hat das Urteil völkerrechtliche Bindungswirkung für den betroffenen Staat. Neben Schadensersatz („gerechte Entschädigung”) kann das Urteil zu Gesetzesänderungen oder anderen Maßnahmen auf nationaler Ebene führen, um zukünftige Verletzungen zu verhindern. Daneben gibt es auch das Recht auf Staatenbeschwerde, welches den Staaten selbst vorbehalten ist, zur Durchsetzung von Konventionsrechten auf zwischenstaatlicher Ebene.

Welche Einschränkungen und Schranken bestehen für die in der EMRK garantierten Rechte?

Die in der EMRK garantierten Rechte sind nicht absolut, sondern vielfach mit Gesetzesvorbehalten, sogenannten Schranken, versehen. Insbesondere die Artikel 8 bis 11 der EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit) können durch gesetzlich vorgesehene Maßnahmen eingeschränkt werden, sofern dies im Interesse der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, des Schutzes fremder Rechte und Freiheiten oder anderer legitimer Zwecke erforderlich und verhältnismäßig ist. Der EGMR prüft die Rechtfertigung jeder Einschränkung anhand strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe. Absoluten Charakter besitzen hingegen etwa das Folterverbot (Art. 3 EMRK) sowie das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK) mit lediglich eng begrenzten Ausnahmen.

Können Länder spezifische Vorbehalte oder Ausnahmen zur EMRK erklären?

Ja, im Rahmen des Beitritts zur EMRK (oder später durch das Ablegen von Instrumenten) können Staaten Vorbehalte („reservations”) und Ausnahmen („derogations”) zu bestimmten Konventionsbestimmungen erklären. Vorbehalte müssen jedoch klar und bestimmt sein, dürfen nicht dem Ziel und Zweck der Konvention widersprechen und unterliegen der Kontrolle durch den EMRK-Verwahrungsstaat und die anderen Vertragsstaaten. In Ausnahmesituationen, beispielsweise bei einem Notstand, können Staaten gemäß Art. 15 EMRK vorübergehend von bestimmten Verpflichtungen abweichen, sofern dies zwingend notwendig ist und bestimmte Menschenrechte wie das Recht auf Leben und das Folterverbot unantastbar bleiben. Jeder Vorbehalt und jede Ausnahmeregelung ist auszulegen und zu prüfen im Lichte der Rechtsprechung des EGMR.