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Europäische Genossenschaft


Europäische Genossenschaft – Definition, Rechtsgrundlagen und Struktur

Die Europäische Genossenschaft (offiziell: Societas Cooperativa Europaea, kurz SCE) ist eine supranationale Rechtsform zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Genossenschaften innerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Die SCE ermöglicht die Bildung und Tätigkeit von Genossenschaften auf europäischer Ebene, regelt deren Errichtung, Organisation, Umwandlung und Auflösung sowie die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder und Organe.


Entstehung und Rechtsquellen

Richtlinie und Verordnung

Die rechtliche Grundlage für die SCE bildet die Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates vom 22. Juli 2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE). Diese wird ergänzt durch die Richtlinie 2003/72/EG vom 22. Juli 2003 zur Ergänzung des Statuts hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer. In Deutschland und anderen Mitgliedstaaten wurden diese Vorgaben darüber hinaus durch nationale Ausführungsgesetze umgesetzt, beispielsweise durch das SCE-Ausführungsgesetz (SCEAG) in Deutschland.

Zielsetzung der SCE

Die Hauptziele der SCE sind die Förderung des Genossenschaftswesens über Grenzen hinweg, die Schaffung eines einheitlichen Rahmens für grenzüberschreitende Genossenschaften innerhalb des europäischen Binnenmarktes sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich gemeinschaftlicher Unternehmen.


Gründung einer Europäischen Genossenschaft

Voraussetzungen und Gründungsformen

Die Gründung einer SCE setzt folgende Voraussetzungen voraus:

  • Mindestens fünf natürliche Personen mit Wohnsitz in mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedstaaten,
  • Mindestens zwei juristische Personen, die dem Recht von mindestens zwei Mitgliedstaaten unterliegen,
  • Gründung durch Umwandlung einer bestehenden nationalen Genossenschaft (mit Tochtergesellschaft) mit Sitz in einem Mitgliedstaat und mindestens einer Tochtergesellschaft oder Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat,
  • Gründung durch Verschmelzung mehrerer Genossenschaften mit Sitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten.

Die Beurkundung der Gründung erfolgt durch notarielle Beurkundung in dem Mitgliedstaat, in welchem die SCE ihren Sitz nehmen wird. Die SCE erhält mit der Eintragung ins Register nach dem Recht des Sitzstaates ihre eigene Rechtspersönlichkeit.

Firma und Sitz

Die SCE muss die Bezeichnung „Societas Cooperativa Europaea“ oder die Abkürzung „SCE“ im Namen führen. Der Sitz einer SCE muss innerhalb der EU liegen und mit ihrer Hauptverwaltung identisch sein. Ein Wechsel des Sitzes ist zulässig, darf jedoch nicht zu einer Verlegung in ein Drittland führen.


Organe und Verwaltung der SCE

Leitungsorganisationsmodelle

Die SCE kann nach dem dualistischen oder monistischen System organisiert werden:

  • Dualistisches Modell: Trennung von Leitungsorgan (Vorstand) und Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat).
  • Monistisches Modell: Verwaltung durch ein einziges Verwaltungsorgan (Board of Directors).

Die Wahl des Modells ist in der Satzung der SCE zu regeln.

Rechte und Pflichten der Mitglieder

Die Mitglieder der SCE bestehen aus natürlichen oder juristischen Personen, welche die wirtschaftlichen Interessen gemeinschaftlich fördern. Die Rechte der Mitglieder sind insbesondere:

  • Teilnahme an der Generalversammlung
  • Stimmrecht (nach Genossenschaftsgrundsatz „ein Mitglied, eine Stimme“ oder den in der Satzung festgelegten Modalitäten)
  • Anspruch auf Auskunft, Gewinnbeteiligung und Rückgabe des Geschäftsanteils bei Beendigung der Mitgliedschaft

Pflichten umfassen insbesondere die Einzahlung der Geschäftsanteile und die Mitwirkung an der Zielverfolgung der Genossenschaft.

Mitbestimmung der Arbeitnehmer

Nach der Richtlinie 2003/72/EG und dem jeweiligen nationalen Umsetzungsrecht ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer verbindlich zu regeln. Bei der Gründung der SCE muss ein Verfahren zur Beteiligung der Arbeitnehmer durchgeführt werden, welches deren Informations-, Anhörungs- und ggf. Mitbestimmungsrechte sichert.


Eintragung, Veröffentlichung und Bekanntmachung

Die Gründung sowie sämtliche wesentlichen Änderungen, wie Satzungsänderungen, Wechsel des Sitzes, und Auflösung, müssen im Handelsregister des Sitzstaates und im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Hierzu zählen auch die Angaben über die Mitglieder der Leitungs- und Verwaltungsorgane.


Kapital und Haftung

Mindesteinlage

Das Mindestkapital der SCE beträgt 30.000 Euro. Es ist in Geschäftsanteile zerlegt, wobei die Höhe und Zahl der Anteile in der Satzung definiert sind. Die Einzahlung des Kapitals muss mindestens zu 25 % bei der Zeichnung und der Rest innerhalb von fünf Jahren erfolgen.

Haftung

Die SCE haftet für ihre Verbindlichkeiten mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Die persönliche Haftung der Mitglieder ist in der Regel ausgeschlossen, es sei denn, dies wurde satzungsmäßig anders geregelt.


Umwandlung, Fusion und Sitzverlegung

Die SCE bietet besondere Möglichkeiten zur grenzüberschreitenden Umstrukturierung:

  • Umwandlung nationaler Genossenschaften in eine SCE unter Wahrung der Kontinuität der Rechtspersönlichkeit
  • Verschmelzung (Fusion) mehrerer bestehender Genossenschaften zu einer gemeinsamen SCE
  • Sitzverlegung innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums ohne Auflösung und Neugründung (Kontinuitätsprinzip)

Diese Umstrukturierungen setzen komplexe formalisierte Verfahren voraus, einschließlich Mitgliederbeschlüssen, Gläubigerschutzmaßnahmen, und gegebenenfalls Zustimmung der Arbeitnehmervertretung.


Auflösung, Liquidation und Insolvenz

Die Auflösung der SCE erfolgt nach dem Recht des Sitzstaates und kann durch Gesellschafterbeschluss, Ablauf der Satzungsfrist, gerichtliche Entscheidung oder Insolvenz eintreten. Für das Liquidationsverfahren gelten – vorbehaltlich der SCE-Verordnung – die jeweiligen nationalen Vorschriften.


Steuerliche Behandlung

Die steuerliche Behandlung der SCE erfolgt grundsätzlich nach dem nationalen Steuerrecht des Sitzstaats. Die SCE stellt kein eigenes steuerliches Subjekt auf europäischer Ebene dar, sondern wird wie eine nationale Genossenschaft behandelt und unterliegt insbesondere den Regeln der Körperschaft- und Umsatzsteuer im jeweiligen Mitgliedstaat. Doppelbesteuerungsabkommen finden entsprechende Anwendung.


Bedeutung und praktische Anwendung

Die SCE wurde geschaffen, um die europäische Integration auch im Bereich des Genossenschaftswesens voranzutreiben und die rechtlichen Hürden für grenzüberschreitendes genossenschaftliches Wirtschaften abzubauen. In der Praxis wird diese Rechtsform insbesondere von größeren genossenschaftlichen Zusammenschlüssen genutzt, deren Geschäftsmodelle einen europaweiten Schwerpunkt besitzen.


Literaturhinweise

  • Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 über das Statut der Europäischen Genossenschaft (SCE)
  • Richtlinie 2003/72/EG über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SCE
  • SCE-Ausführungsgesetz (Deutschland)
  • Amtsblatt der Europäischen Union
  • Kommentar zur Europäischen Genossenschaft (SCE), Beck Verlag

Zusammenfassung

Die Europäische Genossenschaft (SCE) ist eine eigenständige Rechtsform des europäischen Rechts, welche grenzüberschreitendes genossenschaftliches Wirtschaften erleichtert und einheitliche Rahmenbedingungen für Genossenschaften im Binnenmarkt schafft. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind umfassend europarechtlich geregelt und national ausgestaltet, wobei die SCE wesentliche Grundprinzipien des Genossenschaftswesens wahrt und den Zugang zu europaweiten Märkten fördert.

Häufig gestellte Fragen

Welche Organe sind für eine Europäische Genossenschaft (SCE) gesetzlich vorgeschrieben?

Im rechtlichen Rahmen der Europäischen Genossenschaft (Societas Cooperativa Europaea, kurz: SCE) sind die Organe durch die Verordnung (EG) Nr. 1435/2003 des Rates über das Statut der Europäischen Genossenschaft verbindlich vorgegeben. Hauptorgane sind das Leitungsorgan (Vorstand oder geschäftsleitender Direktor) und das Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat), wobei sich die Verordnung an den bekannten dualistischen (Vorstand und Aufsichtsrat) oder monistischen (Verwaltungsrat) Strukturen der Kapitalgesellschaften orientiert. Daneben ist die Generalversammlung als oberstes Entscheidungsorgan zwingend vorgesehen. Die konkrete Ausgestaltung, zum Beispiel die Größe der Organe oder die genaue Wahl der Mitglieder, unterliegt nationalen Umsetzungsvorschriften, sofern die Verordnung darüber keine abschließenden Regelungen enthält. Somit müssen bei der Gründung einer SCE stets die gesetzlichen Mindestanforderungen aller Organe sowohl auf EU- als auch auf nationaler Ebene beachtet werden.

Wie erfolgt die Eintragung einer Europäischen Genossenschaft ins Register?

Die Eintragung einer SCE in das jeweilige nationale Register – beispielsweise das Handelsregister in Deutschland – ist zwingende Voraussetzung für ihre Rechtsfähigkeit. Die Anmeldung erfolgt grundsätzlich am Sitz der SCE und wird nach Maßgabe der nationalen Registervorschriften durchgeführt. Die Anmeldung muss Angaben zu Firma, Sitz, Gegenstand, Vertretungsregelungen und den Mitgliedern der Organe enthalten sowie die Satzung und eine Erklärung der Gründer, dass die Mindestkapitalanforderung von 30.000 EUR erreicht ist. Erst mit der tatsächlichen Registereintragung erlangt die SCE ihre eigene Rechtspersönlichkeit und kann als juristische Person am Rechtsverkehr teilnehmen. Darüber hinaus ist die Mitteilung der Gründung an das Amtsblatt der Europäischen Union vorgeschrieben, wodurch die Gründung europäischen Rechtswirksamkeit erlangt.

Welche Publizitätsvorschriften gelten für eine Europäische Genossenschaft?

Die SCE unterliegt sowohl den Publizitätsregeln der europäischen SCE-Verordnung als auch denjenigen des Sitzstaates. Zu den zwingenden europäischen Vorgaben gehört die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union betreffend Gründung, Sitzverlegung und Auflösung. Gemäß den nationalen Vorschriften sind insbesondere die Eintragung ins Handelsregister sowie Publikationen über wesentliche Veränderungen, wie etwa Satzungsänderungen oder Änderungen der Organe, vorgeschrieben. Ergänzend gelten für die Offenlegung von Jahresabschlüssen, Lageberichten und weiteren Finanzdaten die Regelungen, die auch für nationale Genossenschaften oder bestimmte Gesellschaftstypen im jeweiligen Sitzstaat Anwendung finden – in Deutschland beispielsweise nach §§ 325 ff. HGB für große Genossenschaften. Die Nichteinhaltung der Publizitätspflichten kann zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen, bis hin zur Nichtigkeit von Rechtsgeschäften und zur Haftung von Organmitgliedern.

Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Sitzverlegung einer SCE innerhalb der EU?

Die Sitzverlegung einer SCE innerhalb der Europäischen Union ist nach der SCE-Verordnung ausdrücklich zulässig, was sie von nationalen Gesellschaftsformen unterscheidet. Voraussetzung ist die Ausarbeitung eines Sitzverlegungsplans, der von den zuständigen Organen der SCE beschlossen werden muss. Dieser Sitzverlegungsplan muss zudem eine ausführliche Begründung und einen Zeitplan enthalten und wird den Mitgliedern in der Generalversammlung vorgelegt und von diesen gebilligt. Weiterhin sind die Gläubiger der SCE gemäß den nationalen gesetzlichen Bestimmungen zu schützen, indem sie beispielsweise Sicherheiten für ihre Forderungen verlangen können. Die neue Eintragung am künftigen Sitz ist erst möglich, wenn bescheinigt ist, dass alle bisherigen Rechtsträger oder Behörden keine Einwände gegen die Verlegung erhoben haben. Die Sitzverlegung hat keine Auswirkungen auf die Rechtspersönlichkeit der SCE.

Wie erfolgt die rechtliche Kontrolle und Prüfung der SCE?

Die SCE unterliegt – neben ihrer eigenen Satzung und der europäischen SCE-Verordnung – den Vorschriften des Niederlassungsstaates in Bezug auf Kontrolle und Prüfung. In Deutschland etwa ist eine Pflichtprüfung durch genossenschaftliche Prüfungsverbände gesetzlich verankert (§ 53 GenG), die sich auch auf die SCE erstreckt. Die Prüfung umfasst grundsätzlich den Jahresabschluss, die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung und die Einhaltung der gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorschriften. Zusätzlich ist der Abschlussprüfer (gegebenenfalls ein Wirtschaftsprüfer) für die Prüfung des Jahresabschlusses und Lageberichts zu bestellen. In anderen EU-Mitgliedsstaaten können vergleichbare oder spezifische Prüfungssysteme gelten. Die Ergebnisse dieser Prüfungen müssen den zuständigen Kontrollorganen, wie etwa dem Aufsichtsrat, mitgeteilt werden und können, je nach nationalem Recht, auch den Mitgliedern offengelegt werden.

Gibt es besondere Vorschriften zum Mitgliederstatus und zur Übertragung von Geschäftsanteilen?

Das europäische SCE-Recht räumt der Satzung einer SCE einen weiten Gestaltungsspielraum im Hinblick auf den Erwerb, den Verlust und die Übertragung der Mitgliedschaft und der damit verbundenen Geschäftsanteile ein. Dennoch sind einige zwingende Regelungen zu beachten: Das Mindestkapital der SCE muss stets gewährleistet sein und darf durch Mitgliederwechsel nicht unterschritten werden. Die Satzung kann bestimmte Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Mitglieder oder die Übertragbarkeit von Geschäftsanteilen vorsehen; nationalen Genossenschaftsvorschriften ist dabei Vorrang einzuräumen, falls die SCE-Verordnung keine abschließende Regelung enthält. In der Regel besteht keine absolute Freiheit bei der Übertragung von Genossenschaftsanteilen, sondern häufig ein Zustimmungserfordernis seitens der Organe oder sogar ein legitimes Ablehnungsrecht, um die genossenschaftliche Struktur und den Mitgliederbezug zu wahren.

Welche besonderen Haftungsvorschriften gelten für die Organe einer SCE?

Die Organmitglieder einer SCE haften grundsätzlich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, wie sie auch im nationalen Recht der jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten vorgesehen sind. In Deutschland sind beispielsweise §§ 34, 35 GenG sowie die entsprechende Anwendung von aktienrechtlichen Vorschriften maßgeblich, wonach Organmitglieder für Schäden verantwortlich sind, die sie durch pflichtwidriges Verhalten verursachen. Dies betrifft sowohl Innenverhältnisse (gegenüber der Genossenschaft) als auch Außenverhältnisse (gegenüber Dritten). Für besonders gravierende Pflichtverletzungen können auch strafrechtliche Konsequenzen hinzukommen. Die SCE-Verordnung ermöglicht zudem die nationale Ausgestaltung des Haftungsrahmens, sofern das Gemeinschaftsrecht keine abschließenden Vorgaben enthält. Besondere Bedeutung erlangt die Haftung bei Verstößen gegen Publizitäts- und Kapitalerhaltungsvorschriften sowie bei Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Organtätigkeit.