Begriff und Zweck der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität
Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF, englisch European Financial Stability Facility) ist eine Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg, die im Jahr 2010 von den Mitgliedstaaten der Eurozone als Reaktion auf die europäische Staatsschuldenkrise gegründet wurde. Die EFSF dient dem Ziel, durch Bereitstellung finanzieller Hilfen die Stabilität des Euroraums zu sichern und Ansteckungseffekte innerhalb der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) zu vermeiden. Ihr rechtlicher Rahmen sowie ihre Funktionsweise sind zentrale Elemente der europäischen Finanzarchitektur.
Rechtliche Grundlagen und Gründung
Rechtlicher Status und Gesellschaftsform
Die EFSF wurde am 7. Juni 2010 als eine societas europaea (SE) nach luxemburgischem Recht gegründet. Sie verfügt über eigene Rechtspersönlichkeit und ist in der Lage, im eigenen Namen Verträge abzuschließen, Kredite aufzunehmen und Verbindlichkeiten einzugehen.
Grundlagen im europäischen Recht
Weder die Maastricht-Verträge noch der EU-Vertrag sahen ursprünglich die Errichtung eines Instrumentes zur finanziellen Stabilisierung einzelner Mitgliedstaaten vor. Die EFSF basiert daher auf einem multilateralen Vertragswerk zwischen den Staaten des Euroraums. Die rechtliche Selbstständigkeit und die Gestaltung als Zweckgesellschaft sollten gewährleisten, dass die Hilfsmaßnahmen mit dem sogenannten „No-Bailout“-Prinzip des Artikels 125 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vereinbar sind.
Aufbau und Struktur der EFSF
Anteilseigner der EFSF
Anteilseigner der EFSF sind ausschließlich die 19 Staaten der Eurozone (Stand: 2024). Die Stimmrechte sind proportional zu den Kapitalanteilen vergeben, die sich wiederum an den Beteiligungsquoten an der Europäischen Zentralbank (EZB) orientieren. Die EFSF besitzt damit keine eigenen Einnahmen oder Haushalt, sondern basiert vollständig auf Garantien der Anteilseigner.
Organe und Governance
Die EFSF besitzt folgende Organe:
- Der Vorstand: Setzt sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen und entscheidet über grundsätzliche Maßnahmen und Kreditvergaben.
- Der Geschäftsführende Direktor: Verantwortlich für die laufende Geschäftsführung.
- Revisionsorgan: Überwacht die Einhaltung der internen und externen Kontrollmechanismen.
Die Durchführung der Finanzhilfen bedarf jeweils gesonderter Beschlüsse der Anteilseigner.
Aufgaben und Funktionen
Aufgabenstellung
Die zentrale Aufgabe der EFSF ist die Vergabe von Finanzhilfen an Mitgliedstaaten der Eurozone, die sich in vorübergehenden Finanzierungsschwierigkeiten befinden. Daneben kann die EFSF Anleihen auf dem Primär- und Sekundärmarkt aufkaufen, Banken rekapitalisieren (über Staaten als Vermittler) sowie präventive Kreditlinien gewähren.
Mechanismus der Hilfenvergabe
Die Ausreichung finanzieller Unterstützungsmaßnahmen setzt voraus, dass der betroffene Staat ein entsprechendes Programm mit dem EFSF, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abschließt. Die Vergabe ist regelmäßig an strenge wirtschafts- und finanzpolitische Auflagen gebunden, die im sogenannten Memorandum of Understanding (MoU) verbindlich geregelt werden.
Rückzahlung und Risikoabsicherung
Um die Risiken der Anteilseigner zu minimieren, ist die EFSF durch umfangreiche Garantien der Mitgliedstaaten besichert. Die Ausschüttung von Finanzhilfen erfolgt auf Basis vorab geprüfter Anträge und gegen Dokumentation von Reformfortschritten.
Finanzierung und Mittelaufnahme
Emission von Anleihen
Die EFSF refinanziert sich durch Ausgabe von Anleihen und anderen Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt. Diese werden von den Anteilseignern bis zu einem garantierten Höchstbetrag von 780 Milliarden Euro abgesichert (Stand: Juni 2012).
Garantiestruktur
Die Staaten stellen für ihre jeweiligen Anteile Garantien bereit, mit denen Ausfälle einzelner Hilfskredite abgedeckt werden sollen. Das effektive Kreditvolumen belief sich, aufgrund des Sicherheitsmechanismus („Überbesicherung“), auf etwa 440 Milliarden Euro.
Rating und Marktzugang
Als Emittentin von Anleihen wurde der EFSF zu Beginn die höchste Bonität (AAA) bescheinigt. Das Rating orientierte sich an der durchschnittlichen Bonität der bürgenden Staaten. Herabstufungen nationaler Ratings konnten zu Erhöhungen des Risikopuffers oder Anstieg der Zinskosten führen.
Umfang und Ende der Tätigkeit der EFSF
Gewährte Hilfen
Zwischen 2010 und 2013 gewährte die EFSF Finanzhilfen an mehrere Mitgliedstaaten (unter anderem Irland, Portugal und Griechenland). Das maximale Kreditvolumen betrug etwa 192 Milliarden Euro, wobei Griechenland, zahlreiche Tranchen erhaltend, zum größten Empfänger zählte.
Übergang zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)
Mit Inkrafttreten des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) im Oktober 2012 wurde der EFSF für neue Programme geschlossen. Die EFSF ist jedoch weiterhin für die Verwaltung bereits ausgezahlter Kredittranchen, das Schuldmanagement und das Monitoring laufender Programme zuständig.
Rechtliche Bewertung und Kritikpunkte
Vereinbarkeit mit dem EU-Primärrecht
Die rechtliche Errichtung der EFSF wurde v. a. im Hinblick auf Artikel 125 AEUV intensiv diskutiert. Die Ausgestaltung als Zweckgesellschaft und die formale Bindung an strikte Auflagen sollten die Unabhängigkeit der Staaten wahren und eine direkte Haftung der Union vermeiden.
Kontrolle und Transparenz
Die EFSF unterliegt keiner parlamentarischen Kontrolle auf Ebene der Europäischen Union, stattdessen sichern die Mitgliedstaaten ihre eigene Mitbestimmung durch nationale Parlamente und Organe. Die Transparenz der Entscheidungsfindung und Bedingungen wurde von verschiedenen Seiten bemängelt.
Bedeutung der EFSF im europäischen Rechtsrahmen
Die EFSF bildete den ersten temporären intergouvernementalen Stabilisierungsmechanismus zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise im Euroraum. Ihr rechtlicher Aufbau und die gesammelten Erfahrungen prägten maßgeblich die dauerhafte Ausgestaltung des ESM sowie die Fortentwicklung des europäischen Krisenmanagements.
Siehe auch:
- Wirtschaftspolitik“>Europäische Wirtschaftspolitik
- Häufig gestellte Fragen
Wie ist die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) völkerrechtlich ausgestaltet?
Die EFSF wurde im Rahmen des privaten Gesellschaftsrechts des Großherzogtums Luxemburg als Zweckgesellschaft (Special Purpose Vehicle – SPV) in Form einer Aktiengesellschaft gegründet. Diese Konstruktion erfolgte auf vertraglicher Basis durch die am Euro teilnehmenden Mitgliedstaaten und nicht als Organ der Europäischen Union. Grundlage bildet das zwischenstaatliche EFSF-Rahmenübereinkommen, das die Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten sowie zentrale Aspekte wie den Garantie-Mechanismus, Entscheidungsfindung, Anleiheemissionen und Rückzahlungsmodalitäten rechtlich bindend regelt. Als internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit genießt die EFSF umfangreiche Privilegien und Immunitäten. Ihre Beziehungen zu beteiligten Staaten und Dritten unterliegen maßgeblich dem luxemburgischen Gesellschaftsrecht und den Prinzipien des internationalen öffentlichen Rechts, wobei sie als Völkerrechtssubjekt jedoch keine klassische supranationale Einrichtung der EU ist.
Welche Gesetzgebungsakte oder Rechtsgrundlagen regeln die Kontrolle der EFSF?
Die Kontrolle der EFSF stützt sich nicht auf EU-primärrechtliche oder sekundärrechtliche Rechtsakte, sondern ergibt sich direkt aus dem EFSF-Rahmenübereinkommen, dem Gesellschaftsvertrag sowie ergänzenden Garantie- und Kreditverträgen. Dabei bleibt das gewöhnliche Unionsrecht – wie beispielsweise der Europäische Gerichtshof – in aller Regel außen vor, da die EFSF rein zwischenstaatlich-organisiert ist. Nationale Parlamente der Teilnehmerländer behalten Kontroll- und Mitsprachemöglichkeiten bei der Zeichnung und Ausgestaltung von Garantien und bei Kreditentscheidungen. Die EFSF unterliegt zudem einer Kontrolle durch externe Prüfer und kann weitergehenden Prüfungen durch nationale Rechnungshöfe der Mitgliedstaaten unterworfen sein, jedoch nicht einer supranationalen europäischen Rechnungslegung oder Rechtsprechung im eigentlichen Sinne.
Welche Haftungsregelungen gelten für die Mitgliedstaaten im Rahmen der EFSF?
Die Haftung der Mitgliedstaaten ist im Rahmenübereinkommen der EFSF detailliert ausgeführt und basiert explizit auf dem Prinzip der anteiligen Haftungsübernahme entsprechend des Kapitalschlüssels bei der Europäischen Zentralbank. Jeder Mitgliedstaat garantiert für einen zuvor festgelegten Maximalbetrag („guarantee commitment“), wobei die Haftung eine sogenannte „several and not joint“- also proportionale und nicht gesamtschuldnerische – Haftung darstellt. Das bedeutet, ein Staat haftet nur im Umfang seines Anteils und nicht für die gesamten Verbindlichkeiten der Gemeinschaft. Ein Aufteilungsschlüssel und Klauseln zum Nachschuss bei Ausfall eines Mitgliedstaates finden sich ebenfalls, wobei generell keine Haftungsübertragung auf andere Staaten möglich ist. Streitigkeiten bezüglich Garantieleistungen unterliegen der luxemburgischen Gerichtsbarkeit.
Wie gestaltet sich die Rechtsbeziehung der EFSF zu den Organen der Europäischen Union?
Die EFSF agiert als rechtlich unabhängige Institution und steht formell außerhalb des institutionellen Rahmens der EU. Allerdings bestehen engmaschige Kooperations- und Abstimmungsmechanismen mit EU-Organen wie der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds („Troika“). Besonders bei der Auszahlungsüberwachung und der vertraglichen Verpflichtung von Reformmaßnahmen im Kreditverhältnis (‚Memorandum of Understanding‘) werden Entscheidungen auf Basis informeller Abstimmung und Verträgen getroffen, nicht durch direktes Unionsrecht oder Entscheidungen klassischer EU-Organe. Es existiert somit keine direkte hierarchische, sondern eine koordinierende Rechtsbeziehung.
Wie ist die vertragliche Ausgestaltung der Kreditvergabe im Rahmen der EFSF geregelt?
Die Kreditvergabe durch die EFSF basiert auf individuellen Kreditverträgen, die zwischen der EFSF und dem Empfängerland abgeschlossen werden. Diese Verträge enthalten detaillierte Bestimmungen zu Laufzeit, Zinssatz, Auszahlungsmodalitäten und insbesondere zu den an Reform- und Sparmaßnahmen geknüpften Bedingungen. Die Einhaltung dieser Auflagen (Konditionalität) ist rechtlich zwingend vorgeschrieben und wird durch vertragliche Kontroll- und Sanktionsmechanismen abgesichert. Im Streitfall gelten in der Regel das luxemburgische Recht und die Zuständigkeit luxemburgischer Gerichte, sofern nichts anderes vereinbart ist. Neben den Einzelkreditverträgen wird die EFSF von Treuhand- und Zahlungsabwicklungsvereinbarungen flankiert, die ergänzend rechtlich relevante Pflichten und Ablaufregelungen kodifizieren.
Wie verhält sich die EFSF im Kontext bestehender EU-Verträge, insbesondere angesichts des Verbots der Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV)?
Die EFSF wurde rechtlich so ausgestaltet, dass sie nicht als EU-Institution im Sinne der EU-Verträge erscheint und steht daher außerhalb der unmittelbaren Wirkung des Art. 123 AEUV (Verbot der direkten Staatsfinanzierung durch die EZB oder EU-Institutionen). Da die EFSF Anleihen am Kapitalmarkt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung begibt und die Mittel indirekt als Kredite ausreicht, wird eine direkte Umgehung der europäischen Haushaltsregeln vermieden. Der Europäische Gerichtshof hat im Rahmen seiner Rechtsprechung betont, dass diese Konstruktion mit der geltenden primärrechtlichen Grundlage vereinbar ist, sofern die Vorgaben zur Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten und die Unabhängigkeit der EZB gewahrt bleiben. Gleichwohl bleibt die juristische Bewertung im Spannungsfeld zwischen Krisenbewältigung und Haushaltsrecht fortlaufend Gegenstand wissenschaftlicher und politischer Debatte.