Legal Lexikon

Wiki»Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung

Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung


Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA)

Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA, European Insurance and Occupational Pensions Authority) ist eine unabhängige EU-Agentur mit dem Auftrag, ein wirksames und einheitliches Aufsichts- und Regulierungssystem für Versicherungsunternehmen und Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu gewährleisten. EIOPA ist Teil des Europäischen Finanzaufsichtssystems und trägt maßgeblich zur Sicherstellung des Verbraucherschutzes, zur Stabilität des Finanzsystems sowie zur Harmonisierung des europäischen Versicherungsmarktes bei.


Rechtsgrundlagen und Entstehung der EIOPA

Rechtsrahmen

Die institutionelle Grundlage der EIOPA bildet die Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010. Diese Verordnung regelt die Aufgaben, Zuständigkeiten und Befugnisse der EIOPA und ordnet sie als Nachfolgerin des „Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors“ (CEIOPS) in das Europäische System der Finanzaufsicht (ESFS) ein.

Europäisches System der Finanzaufsicht (ESFS)

Das ESFS setzt sich aus drei europäischen Aufsichtsbehörden – EIOPA, der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) – sowie dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) zusammen. Das Ziel besteht darin, die mikroprudenziellen und makroprudenziellen Aufsichtsstrukturen effizient miteinander zu verknüpfen.

Sitz und Aufbau

EIOPA hat ihren Sitz in Frankfurt am Main, Deutschland, und wird von einem aus einem Vorsitzenden und dem Board of Supervisors bestehenden Leitungsorgan geführt. Die Behörde ist selbstständig und unabhängig, unterliegt jedoch der Rechenschaftspflicht gegenüber dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission.


Aufgaben und Zuständigkeiten der EIOPA

Aufsicht und Regulierung

EIOPA entwickelt Leitlinien, technische Standards und Empfehlungen zur Sicherstellung einer kohärenten Anwendung des europäischen Versicherungsrechts, insbesondere der Solvabilität II-Richtlinie (Richtlinie 2009/138/EG) sowie der entsprechenden Rechtsakte für Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge (IORP-Richtlinie, Richtlinie (EU) 2016/2341).

Weiterhin unterstützt die Behörde die Europäischen Institutionen bei der Ausarbeitung und Aktualisierung von Rechtsvorschriften zum Versicherungswesen und zur betrieblichen Altersversorgung.

Koordinierungsfunktion

EIOPA übernimmt eine zentrale Rolle bei der Koordination und Harmonisierung der Aufsichtspraktiken der nationalen Aufsichtsbehörden (sog. „National Competent Authorities“, NCAs) in den Mitgliedstaaten. Dies umfasst die Durchführung von Peer Reviews, die Sammlung und Auswertung nationaler Aufsichtsdaten sowie die Förderung des Informationsaustauschs zwischen den Aufsichtsbehörden.

Krisenmanagement

Der Auftrag der EIOPA erstreckt sich auf das Krisenmanagement im Versicherungssektor. Die Behörde ist befugt, Krisenszenarien zu analysieren, Stresstests durchzuführen und im Krisenfall koordinierende Maßnahmen vorzuschlagen, um die Finanzmarktstabilität zu wahren.

Verbraucherschutz

Eine weitere bedeutende Zuständigkeit der EIOPA ist der Schutz der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer sowie Begünstigten betrieblicher Altersvorsorgesysteme. EIOPA gibt Leitlinien zu Transparenz- und Informationspflichten heraus und entwickelt Standards für Beschwerdeverfahren sowie Instrumente zur Identifikation und Bekämpfung von Marktrisiken.


Rechtliche Befugnisse und Handlungsinstrumente

Technische Regulierungs- und Durchführungsstandards

EIOPA ist befugt, technische Regulierungsstandards (RTS) und technische Durchführungsstandards (ITS) zu erarbeiten. Diese werden von der Europäischen Kommission in Kraft gesetzt und sind für alle Mitgliedstaaten und Marktteilnehmer verbindlich.

Leitlinien und Empfehlungen

Die Behörde gibt Leitlinien und Empfehlungen zum Europäischen Sekundärrecht heraus. Diese Instrumente sind zwar rechtlich nicht bindend, werden jedoch nach dem Prinzip „comply or explain“ überwacht: Nationale Behörden müssen Abweichungen von diesen Vorgaben begründen und öffentlich machen.

Einzelanweisungen und Vermittlungsverfahren

In bestimmten Fällen, insbesondere zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden, kann EIOPA Einzelentscheidungen erlassen sowie verbindliche Vermittlungsverfahren durchführen. Hierdurch werden einheitliche Aufsichtspraktiken und die Kohärenz des Binnenmarktes gestärkt.


Bedeutung der EIOPA im europäischen Versicherungssystem

Harmonisierung des Versicherungsaufsichtsrechts

Durch die Ausarbeitung und Koordination von Rechtsstandards trägt EIOPA maßgeblich zur Harmonisierung und Integration des europäischen Versicherungsmarktes bei. Dies fördert einen einheitlichen Standard für Risikomanagement, Eigenkapitalanforderungen und Transparenz in der Versicherungs- und Altersversorgung.

Förderung der Finanzmarktstabilität

Mit ihren Aktivitäten in den Bereichen Krisenmanagement, Stresstests und Risikofrüherkennung trägt EIOPA entscheidend zur Stabilisierung des europäischen Finanzsystems bei und wirkt systemischen Risiken im Versicherungssektor frühzeitig entgegen.

Verbraucherschutz und Marktintegrität

Die Stärkung des Verbraucherschutzes durch wirksame Informations- und Transparenzpflichten sowie die Förderung der Integrität und Effizienz der europäischen Versicherungsmärkte sind zentrale Pfeiler der Tätigkeit von EIOPA. Ziel ist es, das Vertrauen in die Altersvorsorge- und Versicherungsprodukte innerhalb der Europäischen Union nachhaltig zu festigen.


EIOPA im Zusammenspiel mit nationalen und europäischen Institutionen

Zusammenarbeit mit nationalen Aufsichtsbehörden

EIOPA agiert im ständigen Austausch mit den nationalen Aufsichtsbehörden, insbesondere im Rahmen der sogenannten Kollegien der Aufsichtsbehörden. Diese Zusammenarbeit stellt sicher, dass grenzüberschreitende Versicherungsunternehmen einheitlich überwacht werden.

Schnittstellen zu weiteren europäischen Aufsichtsbehörden

Als Mitglied der sogenannten „ESAs“ (European Supervisory Authorities) arbeitet EIOPA eng mit EBA und ESMA zusammen, zum Beispiel bei der Entwicklung gemeinsamer Standards zur Finanzmarktregulierung und zur Prävention von Geldwäsche.


Transparenz, Rechenschaftspflicht und Kontrolle

EIOPA berichtet regelmäßig an das Europäische Parlament, die Europäische Kommission und den Rat über ihre Tätigkeit, die Umsetzung der Leitlinien und die aktuellen Herausforderungen im europäischen Versicherungsmarkt. Dadurch wird ein hohes Maß an Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleistet.


Zusammenfassung

Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) ist eine zentrale Institution der europäischen Finanzaufsicht. Sie trägt durch die Entwicklung, Koordination und Durchsetzung von aufsichtsrechtlichen Standards entscheidend zur Stabilität, Integrität und Harmonisierung des Versicherungs- und Altersversorgungssystems im europäischen Binnenmarkt bei. Ihr umfassendes Mandat schließt sowohl den Schutz der Versicherten als auch die Stärkung der Finanzmarktstabilität und eine intensive Zusammenarbeit mit nationalen Aufsichtsbehörden ein. So setzt EIOPA grundlegende Impulse für ein sicheres, transparentes und integriertes Versicherungswesen in der Europäischen Union.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Zuständigkeit und Befugnisse der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung?

Die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) basiert als eigenständige Agentur der Europäischen Union auf der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010, welche die Einrichtung, Organisation und Aufgaben der Behörde im Detail regelt. Daneben ergeben sich weitere aufsichtsrechtliche Bestimmungen und Aufgaben aus dem Unionsrecht, insbesondere aus sektorspezifischen Richtlinien wie der Solvabilität-II-Richtlinie (2009/138/EG) sowie der Richtlinie über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (IORP II, Richtlinie (EU) 2016/2341). Diese Vorschriften bestimmen die rechtlichen Parameter für die Überwachung, Koordinierung und, soweit vorgesehen, auch das Eingreifen der EIOPA gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden. Die Verordnung über den europäischen Finanzaufsichtsrahmen und ergänzende Durchführungs- sowie delegierte Rechtsakte präzisieren ihre Befugnisse, insbesondere in den Bereichen Krisenmanagement, Vermittlung bei Streitfällen zwischen nationalen Aufsichtsbehörden und die Entwicklung technischer Regulierungs- und Durchführungsstandards.

Inwieweit besitzt EIOPA Durchgriffsrechte gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden?

Innerhalb des durch die europarechtlichen Bestimmungen vorgegebenen Rahmens ist EIOPA in besonderen Situationen berechtigt, unmittelbar gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden Maßnahmen anzuordnen. Dies gilt insbesondere bei Uneinigkeit zwischen nationalen Behörden, wenn es um die konsistente Anwendung des Unionsrechts geht, oder bei qualifizierten Notfallsituationen, in denen die Stabilität der Finanzmärkte der EU gefährdet erscheint. Gemäß Art. 17 der Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 kann EIOPA in Streitfällen verbindliche Entscheidungen treffen, die für die nationalen Behörden verpflichtend sind. In extremen Krisenfällen kann EIOPA sogar gegenüber Marktteilnehmern direkte Anordnungen erlassen, wenn dies zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit des Finanzsystems und zum Schutz der Versorgungsanwärter notwendig ist, dies allerdings stets im strikt vorgegebenen rechtlichen Rahmen und vorbehaltlich richterlicher Kontrolle.

Welche Rolle spielt EIOPA bei der Entwicklung von technischen Standards und Leitlinien im Versicherungsrecht?

EIOPA ist explizit durch das Unionsrecht ermächtigt, technische Regulierungs- und Durchführungsstandards (RTS und ITS) zu erarbeiten. Diese Standards konkretisieren europäische Richtlinien und Verordnungen und werden nach Verabschiedung durch die Europäische Kommission für alle Mitgliedstaaten unmittelbar verbindlich. Darüber hinaus erlässt EIOPA Leitlinien (Guidelines) und Empfehlungen, die, obwohl rechtlich nicht zwingend, aufgrund der sogenannten „comply or explain“-Regel einen erheblichen Einfluss auf die Auslegung und Anwendung der europäischen Vorschriften durch die nationalen Aufsichtsbehörden entfalten. Damit trägt EIOPA maßgeblich zur Rechtssicherheit, Harmonisierung und kohärenten Anwendung des Versicherungsaufsichtsrechts innerhalb des Binnenmarktes bei.

Gibt es Rechtsmittel gegen Entscheidungen oder Maßnahmen der EIOPA?

Gegen Entscheidungen und Maßnahmen der EIOPA steht den unmittelbar betroffenen nationalen Behörden oder Marktteilnehmern das Recht zu, beim Gericht der Europäischen Union (EuG) Klage zu erheben. Dies ergibt sich aus Art. 263 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) sowie speziell aus Art. 60 der EIOPA-Gründungsverordnung. Der Rechtsschutz umfasst sowohl die Überprüfung auf Ermessensüberschreitungen als auch die Kontrolle der Einhaltung von Verfahrensvorschriften. Wird die Entscheidung aufgehoben, ist EIOPA zur Rückabwicklung der Maßnahme bzw. zur Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands verpflichtet. Parallel unterliegt EIOPA als EU-Agentur zudem dem europäischen Ombudsmann und der Kontrolle durch den Rechnungshof bezüglich Haushaltsführung und Verwaltung.

Wie wird die Unabhängigkeit der EIOPA aus rechtlicher Sicht abgesichert?

Die Verordnung (EU) Nr. 1094/2010 normiert ausdrücklich die institutionelle, finanzielle und operative Unabhängigkeit der EIOPA. Finanziell wird die Behörde im Rahmen des Gesamtbudgets der EU aus Eigenmitteln alimentiert, was eine Einflussnahme der beaufsichtigten Unternehmen ausschließt. Institutionell garantiert ihre Satzung die Unabhängigkeit gegenüber den Organen und Mitgliedstaaten der EU, insbesondere über die Zusammensetzung und Mandatsausgestaltung des Management Boards, der Supervisory Boards sowie der Rechtsstellung ihres Vorsitzenden. Außerdem ist die Tätigkeit der Behörde – außer in klar geregelten Fällen der Weisungsbindung gegenüber der Europäischen Kommission – ausschließlich dem Recht der Union und dem öffentlichen Interesse verpflichtet. Jede externe Einflussnahme ist rechtlich untersagt und kann vor dem EuGH angefochten werden.

Auf welche Art und Weise kooperiert EIOPA rechtlich mit anderen europäischen und internationalen Aufsichtsbehörden?

Die rechtliche Grundlage für die Kooperation mit anderen europäischen Aufsichtsbehörden (wie etwa ESMA für Wertpapiere und EBA für Banken) bildet die sogenannte ESFS-Gründungsverordnung sowie verschiedene sektorale Kooperationsvereinbarungen und Memoranda of Understanding (MoUs). Diese Instrumente verpflichten EIOPA zur Zusammenarbeit, zum Informationsaustausch und zu abgestimmten Aufsichtspraktiken, um die integrative Finanzaufsicht auf europäischer Ebene sicherzustellen. International pflegt EIOPA rechtlich verankerte Beziehungen zum Beispiel zur International Association of Insurance Supervisors (IAIS) und arbeitet an globalen Standards mit. Darüber hinaus kann EIOPA eigenständig Abkommen und Netzwerkstrukturen begründen, sofern diese im Einklang mit den Zielen und Vorgaben des Unionsrechts stehen.

Welche rechtlich bindenden Verpflichtungen bestehen für Versicherungsunternehmen durch Maßnahmen der EIOPA?

Versicherungsunternehmen können in Einzelfällen unmittelbar von Maßnahmen der EIOPA betroffen sein, etwa bei Notfallsituationen oder qualifizierten Streitfällen zwischen Aufsichtsbehörden. Werden von EIOPA technische Standards veröffentlicht und von der Kommission übernommen, gelten diese unmittelbar in allen Mitgliedstaaten und sind für Unternehmen zwingendes Recht. Auch auf Basis nationaler Umsetzungspflichten aus Richtlinien sowie im Rahmen der Auslegung offener Sachverhalte durch EIOPA-Leitlinien entsteht ein faktischer Anpassungsdruck, da die nationalen Behörden regelmäßig auf die Einhaltung dieser Vorgaben achten und Verstöße zu Sanktionen führen können. Damit entfalten die Aktivitäten der EIOPA eine mittelbare und in bestimmten Konstellationen auch unmittelbare rechtliche Bindungswirkung für Marktteilnehmer im Europäischen Wirtschaftsraum.