Legal Lexikon

EuInsVO


Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO)

Die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) regelt die grenzüberschreitenden Insolvenzfälle innerhalb der Europäischen Union. Sie stellt ein zentrales Instrument zur Vereinheitlichung und Koordination von Insolvenzverfahren über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg dar. Ziel der EuInsVO ist es, konkurrierende Verfahren zu vermeiden, die Rechte verschiedener Gläubigergruppen zu sichern und eine effiziente Verfahrensabwicklung zu gewährleisten.


Historische Entwicklung der EuInsVO

Die ursprüngliche Insolvenzverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1346/2000) trat am 31. Mai 2002 in Kraft und markierte den Beginn eines gemeinsamen europäischen Insolvenzrechtsrahmens. Mit Wirkung zum 26. Juni 2017 wurde sie wesentlich überarbeitet und durch die Verordnung (EU) 2015/848 (EuInsVO n.F.) ersetzt. Grund dieser Reform war die Anpassung an veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie die Erweiterung des Anwendungsbereichs, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Sanierung schuldenbelasteter Unternehmen.


Anwendungsbereich der EuInsVO

Räumlicher Anwendungsbereich

Die EuInsVO gilt grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Ausnahme Dänemarks. Sie findet Anwendung, wenn das Hauptinsolvenzverfahren in einem Mitgliedstaat eröffnet und Vermögenswerte des Schuldners in anderen Mitgliedstaaten belegen sind.

Sachlicher Anwendungsbereich

Die Verordnung gilt für Verfahren, die die teilweise oder vollständige Liquidation des Vermögens eines Schuldners oder dessen Restrukturierung zum Gegenstand haben. Darunter fallen neben klassischer Unternehmensinsolvenz auch Verbraucherinsolvenzen, Eigenverwaltungsverfahren und Verfahren über Nachlässe, soweit diese nicht von anderen Europäischen Rechtsakten erfasst sind.

Persönlicher Anwendungsbereich

Die EuInsVO betrifft sowohl natürliche als auch juristische Personen – also Unternehmen, Freiberufler, Privatpersonen und Gesellschaften.


Grundprinzipien der EuInsVO

Universalitätsprinzip und Territorialitätsprinzip

Die EuInsVO kombiniert das Universalitätsprinzip (einheitliche Abwicklung) mit dem Territorialitätsprinzip (Möglichkeit zusätzlicher Verfahren in anderen Mitgliedstaaten). Das bedeutet: Grundsätzlich soll das Insolvenzverfahren am sogenannten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (Centre of Main Interests, COMI) eröffnet werden, in diesem Fall als Hauptinsolvenzverfahren. Zudem sind Sekundärinsolvenzverfahren an Vermögenswerten in anderen Mitgliedstaaten möglich.

Einmaligkeit des Hauptinsolvenzverfahrens

Das Hauptinsolvenzverfahren kann nur in einem Mitgliedstaat eröffnet werden. Dieses Verfahren entfaltet Wirkung gegenüber sämtlichen Vermögensgegenständen des Schuldners in allen Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der Bestimmungen der Verordnung.


Zuständigkeit und Definition des COMI

Bestimmung des Mittelpunktes der hauptsächlichen Interessen (COMI)

Der COMI bestimmt sich gemäß Art. 3 EuInsVO danach, wo der Schuldner gewöhnlich die Verwaltung seiner Interessen ausübt und er für Dritte erkennbar ist. Für Gesellschaften wird grundsätzlich der satzungsmäßige Sitz als Anknüpfungspunkt vermutet, es sei denn, der Ort der tatsächlichen Geschäftstätigkeit und Leitung befindet sich nachweislich an einem anderen Ort.

Internationale Zuständigkeit

Die internationale Zuständigkeit liegt bei den Gerichten jenes Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet sich der COMI des Schuldners befindet. Bei Zweigniederlassungen und anderen Betriebsstätten eröffnet die EuInsVO zudem die Möglichkeit von Sekundärverfahren am Ort der Betriebsstätte.


Wirkungen der Insolvenzeröffnung

Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens durch das zuständige Gericht gilt automatisch in allen übrigen Mitgliedstaaten (Art. 19 EuInsVO). Die Wirkungen der Eröffnung richten sich grundsätzlich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus). Dies gilt unter anderem für:

  • Rechtsstellung und Aufgaben des Verwalters
  • Verwaltung und Verwertung des Vermögens
  • Anfechtungstatbestände
  • Wirkungen auf laufende Verträge

Abweichungen

In bestimmten Bereichen – z.B. hinsichtlich dinglicher Sicherheiten, Arbeitsverhältnissen, Auswirkungen auf laufende Verfahren – sieht die EuInsVO Ausnahmen vor, bei denen das Recht eines anderen Mitgliedstaates maßgeblich sein kann.


Nebeninsolvenzverfahren und deren Koordination

Die EuInsVO erlaubt die Eröffnung sogenannter Sekundärinsolvenzverfahren in weiteren Mitgliedstaaten, in denen der Schuldner eine Niederlassung unterhält. Diese Verfahren sind jedoch in ihren Wirkungen begrenzt (auf das örtlich belegene Vermögen) und werden durch den Hauptinsolvenzverwalter koordiniert. Die Verordnung enthält detaillierte Bestimmungen zur Zusammenarbeit und Informationspflicht der jeweiligen Insolvenzverwalter.


Anerkennung und Vollstreckung

Eine der wichtigsten Regelungen der EuInsVO ist die automatische Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren und Entscheidungen in den Mitgliedstaaten. Sie bedarf keiner weiteren gerichtlichen Anerkennung. Dies umfasst unter anderem die Bestellung des Verwalters und gerichtliche Entscheidungen über die Eröffnung oder Ablehnung eines Verfahrens.


Gläubigerrechte und Forderungsanmeldung

Gläubiger aus allen Mitgliedstaaten sind zur Forderungsanmeldung berechtigt. Die EuInsVO verlangt eine mehrsprachige Veröffentlichung über das Europäische Justizportal und sorgt für eine unkomplizierte Anmeldung von Forderungen in der jeweiligen Amtssprache des Gläubigers. Besondere Schutzvorschriften gelten für Arbeitnehmerforderungen und Verbraucher.


Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren

Mit der Überarbeitung der EuInsVO wurde der Anwendungsbereich auf vorinsolvenzliche Restrukturierungsverfahren erweitert. Ziel ist es, frühzeitig Eingriffe in unrentable Unternehmensstrukturen zu ermöglichen und Unternehmenssanierungen vor Insolvenz zu erleichtern.


Verhältnis zu anderen europäischen Rechtsakten

Die EuInsVO hat gegenüber nationalen Regelungen Vorrang, soweit es um internationale Sachverhalte innerhalb ihres Anwendungsbereichs geht. Sie ist nicht anwendbar auf Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Investmentfonds und andere speziell regulierte Unternehmensformen, für die eigene EU-Richtlinien existieren.


Bedeutung in der Rechtspraxis

Die EuInsVO ist ein zentraler Bestandteil des europäischen Wirtschaftsrechts. Sie erleichtert das internationale Forderungsmanagement, bietet Rechtssicherheit für grenzüberschreitende Unternehmen und sorgt für Transparenz und Gleichbehandlung der Gläubiger auf gesamteuropäischer Ebene. Sie gilt als Vorzeigemodell der europäischen Integration im Bereich des internationalen Insolvenzrechts.


Literaturhinweise und weiterführende Quellen

  • Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (neufassung)
  • Gesetzestexte und Leitfäden auf dem europäischen Justizportal [https://e-justice.europa.eu]
  • Münchner Kommentar zur Insolvenzordnung, Band zur EuInsVO

Fazit

Die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) bildet das rechtsverbindliche Fundament für die Abwicklung und Koordination grenzüberschreitender Insolvenzfälle in der Europäischen Union. Mit ihren detaillierten Regelungen zur Zuständigkeit, Anerkennung, Verfahrenskoordination und Gläubigerschutz trägt sie maßgeblich zu einem funktionierenden Binnenmarkt und zur rechtssicheren Sanierung von Unternehmen und Privatpersonen in Europa bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt das COMI (Center of Main Interests) im Rahmen der EuInsVO?

Das COMI (Center of Main Interests) ist ein zentraler Begriff innerhalb der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) und bildet die maßgebliche Anknüpfungsstelle für die internationale Zuständigkeit in Insolvenzverfahren. Nach Artikel 3 Abs. 1 EuInsVO wird vermutet, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer Gesellschaft dort liegt, wo sich der satzungsmäßige Sitz befindet, sofern sich dieser nicht widerlegen lässt. Das bedeutet, dass das Insolvenzverfahren grundsätzlich in dem Mitgliedstaat eröffnet wird, in welchem das COMI liegt und folglich das Insolvenzgericht dieses Staates für das Hauptinsolvenzverfahren zuständig ist. Die praktische Relevanz dieser Regelung liegt vor allem darin, dass die Eröffnung deines Hauptinsolvenzverfahrens durch die Gerichte des COMI-Staates automatisch in allen Mitgliedstaaten Anerkennung findet (Art. 19 EuInsVO). Zudem wirkt sich das COMI signifikant auf die Anwendbarkeit des materiellen Insolvenzrechts und auf die mögliche Einleitung von Sekundärinsolvenzverfahren in anderen Staaten aus (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO). In der juristischen Praxis hat der Begriff in zahlreichen Grundsatzentscheidungen des EuGH eine präzise und eng zu verstehende Bedeutung erlangt-insbesondere zur Verhinderung von „forum shopping”. Daher ist bei jeder grenzüberschreitenden Insolvenz zu prüfen, wo das tatsächliche COMI liegt, was eine umfassende Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des Einzelfalles erfordert (einschließlich Ort der tatsächlichen Verwaltung, Lage der Hauptvermögenswerte und Beziehungen zu Gläubigern).

Wann ist die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO zulässig?

Ein Sekundärinsolvenzverfahren kann gemäß Artikel 3 Abs. 2 EuInsVO überall dort eröffnet werden, wo der Schuldner eine Niederlassung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates besitzt, als jenes, in dem das Hauptinsolvenzverfahren läuft. Voraussetzung für diese Eröffnung ist der Nachweis einer Niederlassung, die durch eine Geschäftstätigkeit mit einer dauerhaften Ausstattung geschaffen wird (vgl. Legaldefinition in Art. 2 Nr. 10 EuInsVO). Das Sekundärverfahren ist territorial beschränkt, d. h. es bezieht sich nur auf das in diesem Mitgliedstaat belegene Vermögen. Zweck dieser Regelung ist es, das lokale Gläubigerschutzinteresse zu berücksichtigen und den Zugriff auf Vermögenswerte im Eröffnungsstaat zu ermöglichen. Das Sekundärverfahren unterliegt dem Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates (lex fori concursus). Darüber hinaus kann das Sekundärinsolvenzverfahren sowohl auf Antrag eines berechtigten Gläubigers als auch des Insolvenzverwalters (des Hauptverfahrens) oder einer zuständigen Behörde eröffnet werden. Die EuInsVO fordert zudem eine enge Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen den Verfahrensorganen des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens (Art. 41 ff. EuInsVO), um eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten und widersprüchliche Zustände zu vermeiden.

In welchem Umfang werden in einem Mitgliedstaat eröffnete Insolvenzverfahren in anderen EU-Mitgliedstaaten anerkannt?

Insolvenzverfahren, die in einem EU-Mitgliedsstaat unter Geltung der EuInsVO (ausgenommen Dänemark) eröffnet werden, genießen nach Art. 19 EuInsVO automatische Anerkennung in allen übrigen Mitgliedstaaten. Das bedeutet, dass die Maßnahmen und Wirkungen, die mit der Verfahrenseröffnung verbunden sind – wie insbesondere die Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters und die Vollstreckungssperren – unmittelbar und ohne weiteres Anerkennungsverfahren Geltung entfalten. Diese Anerkennung ist grundsätzlich vorbehaltlos, es gibt jedoch – etwa in Art. 33 EuInsVO – Ausnahmen, wenn Anerkennungswirkungen der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Aufnahmestaates widersprechen. Die Wirkung erstreckt sich auch auf die Verwertung und Verwaltung des gesamten Schuldnervermögens, das innerhalb der EU belegen ist, und betrifft zudem die Rechte und Pflichten der Gläubiger. Darüber hinaus regelt die EuInsVO ausdrücklich, dass Titel aus dem Insolvenzverfahren grundsätzlich in allen Mitgliedstaaten vollstreckbar sind, ohne dass eine Nachprüfung in der Sache erfolgt. Gläubiger genießen also einen weitreichenden Schutz und Rechtsklarheit hinsichtlich der in einem Mitgliedstaat getroffenen Entscheidungen.

Welche Mitwirkungspflichten und Kooperationsanforderungen bestehen zwischen den Organen des Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahrens?

Die EuInsVO statuiert in den Artikeln 41 bis 44 ausdrücklich umfassende Kooperation- und Kommunikationspflichten für die Gerichte sowie für die Verwalter im Haupt- und etwaigen Sekundärinsolvenzverfahren. Insolvenzverwalter beider Verfahren sind verpflichtet, Informationen auszutauschen und ihre jeweilige Tätigkeit weitestmöglich abzustimmen, um eine effiziente und widerspruchsfreie Abwicklung der Insolvenz zu fördern und die Gläubigerinteressen zu wahren. Dies umfasst unter anderem die Information über alle wesentlichen Verfahrensschritte, die Zusammenarbeit bei der Verwertung grenzüberschreitender Vermögenswerte, eine abgestimmte Forderungsprüfung sowie die Koordinierung von Maßnahmen zur Unternehmenssanierung oder -liquidation. Die Pflicht kann durch gerichtliche Maßnahmen oder, bei fehlender Zusammenarbeit, durch Beschwerden der Beteiligten durchgesetzt werden. Ziel ist, ein möglichst einheitliches und gerechtes Insolvenzregime in allen von der Insolvenz betroffenen Mitgliedstaaten zu gewährleisten.

Inwieweit bestimmt die EuInsVO die lokale Anwendbarkeit von Sicherungsrechten und Aussonderungsrechten?

Die Frage der Anwendbarkeit von Sicherungsrechten und Aussonderungsrechten richtet sich nach dem in Art. 8 EuInsVO niedergelegten Prinzip der „lex rei sitae”, sprich: die Wirkungen der Insolvenz auf dingliche Rechte unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Gegenstand belegen ist. Das bedeutet, dass solche Rechte, die an unbeweglichen Sachen oder bestimmten beweglichen Gütern bestehen, nicht automatisch durch die Verfahrensvorschriften des Hauptinsolvenzstaates beeinträchtigt oder aufgehoben werden. Damit schützt die EuInsVO das Vertrauen von Gläubigern auf Bestand und Durchsetzbarkeit ihrer Rechte, selbst wenn das Hauptinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat geführt wird. Die ausdrückliche Ausnahme dieser Rechte vom Recht des Eröffnungsstaates verhindert die Umgehung nationaler Sicherungssysteme und vereinfacht zugleich die grenzüberschreitende Insolvenzverwaltung. Allerdings greift diese Sonderregel nicht für alle Rechte, sondern betrifft insbesondere Eigentumsvorbehalte, Hypotheken, Pfandrechte und dingliche Sicherheitsrechte.

Welche Vorschriften gelten für das Forderungsanmeldungsverfahren bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren?

Die Vorschriften zu grenzüberschreitenden Forderungsanmeldungen sind in den Artikeln 53 bis 60 EuInsVO geregelt und bezwecken, allen Gläubigern – unabhängig von ihrem Sitz innerhalb der EU – eine gleichberechtigte Beteiligung im Insolvenzverfahren zu ermöglichen. Dazu sieht die Verordnung vor, dass die Gerichte oder Insolvenzverwalter des Hauptinsolvenzverfahrens jeden bekannten Gläubiger in anderen EU-Staaten individuell zu unterrichten haben (Art. 54). Die Gläubiger können ihre Forderung sodann in der Amtssprache ihres Staates anmelden, sofern eine Übersetzung in eine Amtssprache des Insolvenzverfahrens beigefügt wird. Das Anmeldeverfahren folgt grundsätzlich den Fristen und Formerfordernissen des Eröffnungsstaates, aber es bestehen Schutzmechanismen, um z. B. Fristversäumnisse wegen sprachlicher oder organisatorischer Hürden zu vermeiden. Die Verordnung trifft auch Regelungen zu den notwendigen Angaben und Anlagen sowie zur Anerkennung von Titeln; Ziel ist ein faires, klares und grenzüberschreitend funktionierendes Anmeldeverfahren, das die Gläubigerrechte bestmöglich wahrt.