Begriff und rechtliche Grundlagen des EU-Patents
Das EU-Patent, häufig auch als Einheitspatent oder Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung bezeichnet, bezeichnet ein neuartiges Schutzrechtssystem im europäischen Patentrecht. Es handelt sich um ein supranationales Patent, das auf einer einheitlichen rechtlichen Grundlage beruht und eine patentrechtliche Wirkung in einer Vielzahl von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) entfaltet. Das Ziel ist die Schaffung eines gemeinschaftlichen Patentschutzes, der das System der nationalen und konventionellen europäischen Patenterteilungen ergänzt und vereinheitlicht.
Anders als einzelne nationale Patente oder das traditionelle europäische Patent nach dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) führt das EU-Patent nach erfolgreichem Erteilungsverfahren zu einem einheitlichen Patentschutz in fast allen teilnehmenden Mitgliedstaaten der EU.
Historische Entwicklung und rechtspolitischer Hintergrund
Bereits seit den 1970er Jahren existierten Bestrebungen, ein gemeinschaftliches Patentsystem innerhalb Europas zu etablieren. Während das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) 1973 mitten aus diesen Aktivitäten hervorging, gelang es zunächst nicht, auch das materielle Patentrecht oder die Durchsetzung zu vereinheitlichen. Erst durch die Einführung der „Verordnung (EU) Nr. 1257/2012″ über die Umsetzung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes und der „Verordnung (EU) Nr. 1260/2012″ über die Regelungen zur Übersetzungspraxis wurde die rechtliche Grundlage im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit geschaffen.
Nach der Ratifikation des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) im Jahr 2023 und dem Beitritt von bislang 17 EU-Mitgliedstaaten ist das System offiziell in Kraft getreten.
Rechtsquellen und normative Grundlagen
Das EU-Patent basiert auf einer Koordinierung von Unionsrecht, internationalen Verträgen und nationalen Vorschriften. Wesentliche Rechtsquellen sind:
- Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Umsetzung einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes
- Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 zum Übersetzungsregime
- Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)
- Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) – soweit anwendbar
- Nationale Gesetze der teilnehmenden Mitgliedstaaten – als ergänzende Vorschriften
Inhaltliche Merkmale des EU-Patents
Anmeldeverfahren und Erteilung
Das Anmeldeverfahren für das EU-Patent orientiert sich zunächst vollständig am bestehenden System des Europäischen Patentamts (EPA) gemäß dem EPÜ. Der Schutz kann sowohl für neue Erfindungen als auch für technische Verbesserungen bestehender Produkte oder Verfahren beantragt werden.
Ablauf im Einzelnen:
- Patentierung beim EPA: Antragsteller reichen eine europäische Patentanmeldung beim EPA ein. Das Verfahren umfasst Recherche, Sachprüfung und gegebenenfalls Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren.
- Antrag auf einheitliche Wirkung: Nach der Erteilung eines europäischen Patents kann innerhalb eines Monats beim EPA ein Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt werden. Der Antrag bewirkt, dass das Patent in allen teilnehmenden Staaten einheitlich wirkt.
- Übersetzungserfordernisse: Gemäß der Übersetzungsverordnung genügt in der Regel eine Übersetzung der Patentschrift in Englisch, daneben sind reduzierte Übersetzungserfordernisse vorgesehen.
Schutzbereich und rechtliche Wirkung
Das EU-Patent entfaltet einen einheitlichen Schutzbereich in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten. Es gewährt dem Inhaber das ausschließliche Recht, die geschützte Erfindung zu benutzen und Dritten die Benutzung zu verbieten.
- Der Schutzbereich ergibt sich aus den erteilten Patentansprüchen, wie beim nationalen bzw. Europäischen Patent nach EPÜ.
- Die Rechte und Pflichten des Patentinhabers sowie der Dritten werden durch das jeweilige nationale Recht geregelt, soweit diese nicht durch das EU-Patent und das EPGÜ harmonisiert sind.
- Das Patent kann nur – und zwar einheitlich – für alle teilnehmenden Staaten entweder aufrechterhalten oder widerrufen werden.
Einheitliches Patentgericht (EPG)
Mit dem Einheitspatent ist die Einrichtung eines eigenen internationalen Gerichts, des Einheitlichen Patentgerichts (EPG), verbunden. Das EPG ist für
- Verletzungsklagen,
- Nichtigkeitsklagen,
- Feststellungsklagen
- und andere Streitigkeiten
zuständig. Seine Urteile gelten einheitlich für alle Abdeckungsstaaten des EU-Patents.
Aufbau und Zuständigkeit des EPG
Das EPG besteht aus dem Hauptgericht erster Instanz (verschiedene Kammern in teilnehmenden Staaten), dem Berufungsgericht (in Luxemburg) und einem gemeinsamen Verwaltungsrat. Das EPG ist teils auch für klassische europäische Patente zuständig, sofern diese nicht im “opt-out”-Verfahren explizit ausgenommen wurden.
Verhältnis zu nationalen und konventionellen Europäischen Patenten
Das EU-Patent existiert parallel zu vorhandenen Schutzmöglichkeiten. Auch weiterhin können europäische Patente wie bisher nach dem EPÜ validiert werden – mit ihren jeweils nationalen Rechtswirkungen. Das EU-Patent ist kein Zwangsinstrument, sondern eine zusätzliche Wahlmöglichkeit für Anmelder.
Unterschied zum klassischen Europäischen Patent
- Das klassische Europäische Patent zersplittert sich nach Erteilung in nationale Patente („Bündelpatent”); das EU-Patent wirkt einheitlich.
- Rechtsstreitigkeiten sind beim klassischen Patent vor den jeweiligen nationalen Gerichten zu führen; beim EU-Patent zentral vor dem EPG.
Rechtswirkungen, Schutzdauer und Erlöschen
Rechtswirkungen
Das EU-Patent gewährt seinem Inhaber alle bekannten Rechte aus dem Patentschutz, insbesondere das Verbietungsrecht, Lizenzrechte sowie die Option auf Schadensersatz bei Verletzung des Patents.
Schutzdauer und Verfall
Die maximale Schutzdauer beträgt – wie bei nationalen und konventionellen europäischen Patenten – 20 Jahre ab Anmeldetag.
- Die Jahresgebühren für das EU-Patent sind zentral beim EPA zu entrichten und ersetzen die bisherigen an nationale Behörden zu zahlenden Gebühren (zumindest in den teilnehmenden Staaten).
Das Patent kann in Gänze durch Zeitablauf, Verzicht, Nichtigkeitserklärung oder Verfall (z. B. Nichtbezahlung der Jahresgebühren) außer Kraft gesetzt werden.
Geografische Reichweite und teilnehmende Staaten
Nicht alle EU-Mitgliedstaaten sind bislang dem Einheitspatent beigetreten; es besteht eine verstärkte Zusammenarbeit. Die geografische Reichweite des EU-Patents erstreckt sich daher nur auf teilnehmende und ratifizierende Staaten und kann mit dem EU-Mitgliedstaatenkreis auseinanderfallen.
Außerhalb der Einheitspatentregelung bleiben die sonstigen Schutzsysteme (nationale und EPÜ-Patente) erhalten.
Vorteile und Herausforderungen in der Praxis
Vorteile
- Kosteneffizienz: Einsparungen durch verminderten Übersetzungsaufwand und zentralisierte Verwaltung von Jahresgebühren.
- Hohe Rechtssicherheit: Einheitliche Geltung und Durchsetzung, zentrale Streitbeilegung.
- Verwaltungsvereinfachung: Entfall der nationalen Validierung und Reduzierung des Verwaltungsaufwands.
Herausforderungen
- Unterschiedliche nationale Umsetzung: Bis zur vollständigen Teilnahme aller EU-Staaten Deckungslücken möglich.
- Anpassungsbedarf: Unternehmensstrategien müssen auf geteilte Schutzsysteme abgestimmt werden.
- Sprachenregelungen: Übersetzungserfordernisse und Sprachregelungen sind nicht unerheblich, können jedoch durch automatisierte Übersetzungslösungen vermindert werden.
Zusammenfassung
Das EU-Patent repräsentiert einen bedeutenden Schritt zur Vereinheitlichung des Patentschutzes in Europa und stellt ein attraktives Schutzinstrument für Erfinder und Unternehmen dar, die Innovationen großflächig in der Europäischen Union schützen wollen. Mit der Einführung eines einheitlichen Schutzes, vereinfachter Verwaltung und zentralisierter Durchsetzung trägt das EU-Patent maßgeblich zur Stärkung des europäischen Binnenmarkts und zur Förderung technischer Innovationen bei.
Verwandte Begriffe: Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ), Einheitliches Patentgericht (EPG), Schutzrechtsverwaltung, Innovation, Erfindungsschutz, Gewerblicher Rechtsschutz
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für den Erhalt eines EU-Patents erfüllt sein?
Um ein europäisches Patent zu erhalten, müssen eine Reihe rechtlicher Voraussetzungen erfüllt werden. Zunächst muss die Erfindung neu sein, das heißt, sie darf nicht zum Stand der Technik gehören, der alle Informationen umfasst, die vor dem Anmeldetag in irgendeiner Form der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Weiterhin muss die Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen, also für einen Fachmann auf dem betreffenden Gebiet nicht naheliegend sein. Schließlich muss die Erfindung gewerblich anwendbar sein, also in irgendeinem Gewerbe einschließlich der Landwirtschaft hergestellt oder genutzt werden können. Das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ) schließt zudem bestimmte Gegenstände explizit von der Patentierbarkeit aus, beispielsweise Entdeckungen, wissenschaftliche Theorien, mathematische Methoden, ästhetische Formschöpfungen sowie Pläne, Regeln und Verfahren für gedankliche Tätigkeiten oder Geschäftsmethoden. Die Erfindung muss im Rahmen der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart werden, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Zudem ist im Rahmen der Antragstellung eine genaue Angabe der Vertragsstaaten erforderlich, für die der Patentschutz gelten soll.
Wie gestaltet sich das rechtliche Verfahren zur Anmeldung eines EU-Patents?
Die Anmeldung eines europäischen Patents erfolgt beim Europäischen Patentamt (EPA) nach den Vorgaben des EPÜ. Das Anmeldeverfahren besteht aus mehreren rechtlichen Schritten: Einreichung der Anmeldung und aller notwendigen Unterlagen (Beschreibung, Patentansprüche, Zeichnungen, Zusammenfassung), Entrichtung der Anmeldegebühr sowie der Recherchengebühr. Nach formeller Prüfung auf Zulässigkeit und Ordnungsmäßigkeit führt das EPA eine Recherche zum Stand der Technik durch und erstellt einen Recherchenbericht samt schriftlicher Stellungnahme. Auf Grundlage dieses Berichts kann der Anmelder gegebenenfalls Änderungen vornehmen. Nach Veröffentlichung der Anmeldung folgt das Prüfungsverfahren, falls dies innerhalb der vorgeschriebenen Frist beantragt und die entsprechende Gebühr entrichtet wurde. Entscheidet das EPA positiv, erteilt es das Patent. Anschließend müssen Übersetzungen der Patentansprüche in die Amtssprachen der benannten Vertragsstaaten eingereicht und nationale Gebühren entrichtet werden. Gegen die Erteilung kann innerhalb von neun Monaten Einspruch eingelegt werden.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Einsprüchen gegen ein erteiltes EU-Patent?
Nach der Erteilung eines europäischen Patents können Dritte innerhalb von neun Monaten nach Bekanntmachung des Hinweises auf die Patenterteilung im Europäischen Patentblatt Einspruch beim EPA einlegen. Der Einspruch muss schriftlich erfolgen und eine Begründung enthalten, die einen oder mehrere in Artikel 100 EPÜ genannte Einspruchsgründe umfasst: fehlende Patentierbarkeit (Neuheit, erfinderische Tätigkeit, gewerbliche Anwendbarkeit), unzulässige Erweiterung des Gegenstandes über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung oder mangelnde Offenbarung. Das Einspruchsverfahren ist ein kontradiktorisches Verfahren, an dessen Ende das Patent entweder widerrufen, beschränkt oder aufrechterhalten wird. Gegen die Einspruchsentscheidung kann innerhalb von zwei Monaten Beschwerde beim EPA eingelegt werden, das dann im Beschwerdeverfahren entscheidet.
Wie ist die Rechtslage hinsichtlich der Durchsetzung eines EU-Patents in den Mitgliedstaaten?
Die Durchsetzung eines europäischen Patents erfolgt nach nationalem Recht, da das erteilte Patent in den benannten Staaten jeweils die Wirkung und den Schutz eines nationalen Patents besitzt. Für Klagen wegen Patentverletzung oder Nichtigkeit sind daher grundsätzlich die nationalen Gerichte der jeweiligen Vertragsstaaten zuständig. Hierbei richtet sich sowohl der Unterlassungs- als auch der Schadensersatzanspruch nach den jeweiligen nationalen Verfahrens- und materiellen Bestimmungen. Mit Inkrafttreten des Einheitspatent und des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) besteht jedoch die Möglichkeit, ein einheitliches Patentgericht anzurufen, das für die meisten Vertragsstaaten zuständig ist und einheitliche Entscheidungen für alle beteiligten Staaten treffen kann. Dies soll Parallelverfahren in mehreren Ländern vermeiden und die Durchsetzung effizienter gestalten.
Welche rechtlichen Folgen hat das Erlöschen oder der Widerruf eines EU-Patents?
Das Erlöschen eines europäischen Patents in einem benannten Vertragsstaat hat zur Folge, dass die Rechte aus dem Patent in diesem Staat ab dem Zeitpunkt des Erlöschens nicht mehr geltend gemacht werden können. Dies kann durch Nichtzahlung der jährlichen Aufrechterhaltungsgebühr, durch Verzichtserklärung des Patentinhabers oder nach Ablauf der maximalen Schutzdauer (in der Regel 20 Jahre ab dem Anmeldetag) eintreten. Ein Widerruf durch das EPA im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren oder durch nationale Gerichte im Nichtigkeitsverfahren bewirkt, dass das Patent von Anfang an als nichtig gilt, d. h. so behandelt wird, als hätte es nie bestanden. Die Rechtsfolgen sind konsequent: Schadensersatzansprüche oder Unterlassungsanordnungen aufgrund eines zwischenzeitlich für nichtig erklärten Patents sind in der Regel hinfällig.
Wie ist das Verhältnis zwischen EU-Patent und nationalen Patenten aus rechtlicher Sicht geregelt?
Ein europäisches Patent steht rechtlich gleichwertig neben nationalen Patenten, sofern Letztere für denselben Erfindungsgegenstand in einem benannten Staat bestehen. Nach Artikel 139 EPÜ ist jedoch eine doppelte Rechtsverfolgung ausgeschlossen: Wer ein europäisches und ein nationales Patent mit identischem Anmelde- bzw. Prioritätsdatum für denselben Erfindungsgegenstand besitzt, kann aus beiden Rechten nicht nebeneinander Ansprüche gegen dieselbe Handlung erheben. Im Falle eines Konflikts kann das nationale Patent auf Antrag im jeweiligen Staat für wirkungslos erklärt werden, sofern das europäische Patent in Kraft bleibt. Bei Erlöschen oder Widerruf des EU-Patents lebt das nationale Patent nicht wieder auf, wenn es bereits wirkungslos gestellt wurde.
Welche rechtlichen Pflichten treffen den Inhaber eines EU-Patents nach der Erteilung?
Der Patentinhaber ist verpflichtet, die Jahresgebühren für jedes benannte Land zu entrichten, da das europäische Patent nach der Erteilung in ein Bündel nationaler Patente zerfällt. Er muss außerdem sicherstellen, dass die erforderlichen Übersetzungen eingereicht werden, sofern die jeweiligen Staaten dies verlangen. Werden diese Pflichten versäumt, kann das Patent in den betreffenden Ländern erlöschen. Ferner kann der Inhaber verpflichtet sein, die Erfindung im zumutbaren Umfang auszunutzen (Arbeitszwang), andernfalls droht unter Umständen die Erteilung von Zwangslizenzen nach nationalem Recht. Bei der Durchsetzung seiner Rechte muss der Inhaber geltende gerichtliche und außergerichtliche Verfahren einhalten. Auch die Offenlegung wesentlicher, die Erfindung betreffender Änderungen und Lizenzen kann gesetzlich vorgeschrieben sein, insbesondere im Hinblick auf kartellrechtliche Regelungen.