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EU-Patent

Begriff und Einordnung des EU-Patents (Einheitspatents)

Das umgangssprachlich als „EU-Patent“ bezeichnete Schutzrecht heißt rechtlich korrekt „Einheitspatent“. Es handelt sich nicht um ein von einer EU-Behörde erteiltes Patent, sondern um ein vom Europäischen Patentamt (EPA) erteiltes europäisches Patent, dem nach der Erteilung eine einheitliche Wirkung für die teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten verliehen wird. Diese einheitliche Wirkung führt dazu, dass das Patent in allen teilnehmenden Staaten wie ein einziger, unteilbarer Rechtstitel wirkt.

Abgrenzung zu nationalen und „klassischen“ europäischen Patenten

Das Einheitspatent steht neben zwei bekannten Wegen zum Patentschutz:

– Nationales Patent: Erteilung durch das jeweilige nationale Amt; Wirkung und Durchsetzung jeweils nur in dem Staat der Erteilung.

– Europäisches Patent (Bündelpatent): Erteilung zentral durch das EPA, danach „zerfällt“ der Schutz in nationale Teile; Validierungen, Übersetzungen und Jahresgebühren fallen in den einzelnen Staaten an.

Das Einheitspatent verbindet die zentrale Erteilung durch das EPA mit einer einheitlichen, grenzüberschreitenden Wirkung in den teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten, sodass Validierungen dort entfallen und Jahresgebühren zentral gezahlt werden.

Beteiligte Institutionen

– Europäisches Patentamt (EPA): Prüft und erteilt europäische Patente. Es entscheidet über Anträge auf Verleihung der einheitlichen Wirkung und verwaltet die Jahresgebühren des Einheitspatents.

– Einheitliches Patentgericht (EPG): Ein neues, international besetztes Gerichtssystem mit erstinstanzlichen Lokalkammern/Regionalkammern und einer Zentralkammer (mit Standorten u. a. in Paris, München und Mailand) sowie einem Berufungsgericht in Luxemburg. Es ist für Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren zum Einheitspatent zuständig.

Räumlicher und zeitlicher Schutz

Geltungsbereich und teilnehmende Staaten

Die einheitliche Wirkung erstreckt sich auf jene EU-Mitgliedstaaten, die am System teilnehmen und die dafür erforderlichen Schritte abgeschlossen haben. Der räumliche Schutzumfang ist zum Zeitpunkt der Eintragung der einheitlichen Wirkung festgelegt und bleibt für dieses Patent unverändert. Für nicht teilnehmende EU-Staaten sowie für Staaten außerhalb der EU (z. B. Schweiz, Norwegen, Türkei, Vereinigtes Königreich) entfaltet das Einheitspatent keine Wirkung; dort kommen weiterhin nationale Verfahren oder die klassischen europäischen Validierungen zum Tragen.

Laufzeit und Beginn des Schutzes

Die Schutzdauer entspricht der eines europäischen Patents und beträgt grundsätzlich 20 Jahre ab dem Anmeldetag. Die einheitliche Wirkung beginnt mit der Eintragung durch das EPA nach der Erteilung des europäischen Patents. Von da an wirkt der Titel einheitlich in den teilnehmenden Staaten. Unterlassene oder nicht fristgerecht entrichtete Jahresgebühren führen zum Erlöschen des Einheitspatents als Ganzes (kein teilweises Fortbestehen nur in einzelnen Staaten).

Erschöpfung und territoriale Einheitlichkeit

Wegen der einheitlichen Wirkung gilt der Schutz länderübergreifend im betroffenen Gebiet. Werden patentgeschützte Erzeugnisse rechtmäßig innerhalb dieses Binnenmarkts in Verkehr gebracht, greifen Erschöpfungsgrundsätze, die die weitere Vermarktung im Binnenmarkt betreffen. Die Einheitlichkeit bezieht sich auf den Bestand, die Durchsetzung und das Erlöschen des Schutzrechts im gesamten teilnehmenden Gebiet.

Entstehung und Verfahren

Antrag auf einheitliche Wirkung

Ausgangspunkt ist stets eine europäische Patentanmeldung beim EPA. Nach der Erteilung des europäischen Patents kann für die teilnehmenden Staaten innerhalb einer kurzen, festen Frist ein Antrag auf Verleihung der einheitlichen Wirkung beim EPA gestellt werden. Erfolgt der Antrag nicht fristgerecht, bleibt es beim klassischen Bündelpatent mit der Notwendigkeit nationaler Validierungen dort, wo Schutz gewünscht ist.

Fristen und formale Anforderungen

Der Antrag auf einheitliche Wirkung muss innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung des Erteilungsvermerks im Europäischen Patentblatt gestellt werden. Während einer befristeten Übergangszeit ist dem Antrag eine vollständige Übersetzung beizufügen; die Verfahrenssprache des EPA (Deutsch, Englisch oder Französisch) bleibt rechtsverbindlich, die Übersetzung dient Informationszwecken. Das EPA führt für Einheitspatente ein eigenes Register als Teil des Europäischen Patentregisters.

Amtssprache und Übersetzungsregelung

Verfahrenssprachen vor dem EPA sind Deutsch, Englisch oder Französisch. Für das Einheitspatent gilt ein vereinfachtes Sprachregime. Während einer Übergangsphase ist eine ergänzende Übersetzung erforderlich; nach deren Ablauf ist eine solche Übersetzung grundsätzlich nicht mehr nötig. Maßgeblich für den Schutzumfang bleibt die Sprache des EPA-Verfahrens.

Gebühren und Register

Jahresgebühren werden zentral an das EPA gezahlt und ersetzen die Mehrzahl nationaler Gebühren in den teilnehmenden Staaten. Das EPA führt das Register für den Rechtsbestand, Eintragungen zu Inhaberschaft, Lizenzen, Sicherheiten, Beschränkungen und Verzicht sowie Mitteilungen über anhängige Verfahren, soweit einschlägig.

Beziehung zu Nicht-EU/EPC-Staaten

Für Staaten außerhalb der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten kann das europäische Patent weiterhin national validiert werden. Dadurch ist ein „hybrider Schutz“ möglich: einheitliche Wirkung in den teilnehmenden Staaten und parallele nationale Wirkung in weiteren vom europäischen Patent erfassten Staaten.

Rechte, Grenzen und Übertragbarkeit

Schutzumfang und Verbietungsrechte

Das Einheitspatent verleiht ein ausschließliches Recht, die Benutzung der patentierten Erfindung im Schutzgebiet zu verbieten. Der Schutzumfang ergibt sich aus den Patentansprüchen; Beschreibung und Zeichnungen dienen zu deren Auslegung. Rechtsfolgen bei Verletzung umfassen insbesondere Unterlassungsansprüche, Auskunft, Schadensersatz sowie Beseitigungs- und Rückrufansprüche, jeweils für das gesamte teilnehmende Territorium.

Ausnahmen und erlaubte Handlungen

Die Ausschließlichkeitsrechte werden durch anerkannte Ausnahmen begrenzt. Hierzu gehören typischerweise Handlungen zu Versuchszwecken, bestimmte Handlungen im Rahmen der Vorbereitung auf die Zulassung von Arzneimitteln (Bolar-Ausnahme), private und nichtgewerbliche Handlungen sowie besondere Privilegien in der Landwirtschaft bei biologischem Material. Die genaue Ausgestaltung richtet sich nach den im System maßgeblichen einheitlichen und ergänzend anwendbaren nationalen Regelungen.

Übertragung, Lizenzierung, Sicherungsrechte

Das Einheitspatent ist als einheitlicher Titel übertragbar, jedoch nicht in Teilgebiete aufspaltbar. Territorial beschränkte Lizenzen sind zulässig; sie können sich auf das gesamte Schutzgebiet oder auf Teile des Gebiets beziehen. Dingliche Rechte (z. B. Pfandrechte) und Zwangsvollstreckungsfragen unterliegen dem Recht des Staates, der nach den Zuordnungsregeln maßgeblich ist. Maßgeblich sind insbesondere der Sitz oder Wohnsitz des (erstgenannten) Anmelders in einem teilnehmenden Staat; fehlt ein solcher Bezug, wird das Recht eines festgelegten Staates herangezogen. Eintragungen zu Übertragungen, Lizenzen und Sicherheiten erfolgen im Register.

Verzicht, Beschränkung und Erlöschen

Der Inhaber kann auf das Einheitspatent verzichten; der Verzicht wirkt einheitlich. Eine zentrale Beschränkung der Patentansprüche ist über ein besonderes Verfahren beim EPA möglich; sie wirkt einheitlich für das gesamte Schutzgebiet. Bei Nichtzahlung einer Jahresgebühr erlischt das Einheitspatent insgesamt.

Durchsetzung und Rechtsbeständigkeit

Einheitliches Patentgericht (EPG): Zuständigkeit und Aufbau

Das EPG ist für Streitigkeiten aus Einheitspatenten ausschließlich zuständig. Es verfügt über Lokalkammern, Regionalkammern und eine Zentralkammer für bestimmte technische Sachgebiete. Das Berufungsgericht hat seinen Sitz in Luxemburg. Entscheidungen des EPG wirken in allen teilnehmenden Staaten des Einheitspatents einheitlich.

Klagearten und Rechtsfolgen

Vor dem EPG sind insbesondere Klagen wegen Verletzung, Widerklagen auf Nichtigerklärung, Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung sowie Anträge auf einstweilige Maßnahmen, Beweis- und Sicherungsmaßnahmen möglich. Das Gericht kann einheitliche Unterlassungsverfügungen, Schadensersatz und weitere Abhilfen anordnen, die im gesamten Schutzgebiet gelten.

Nichtigkeitsangriffe und Einspruch

Die Rechtsbeständigkeit kann auf zwei Wegen angegriffen werden: durch Einspruch beim EPA innerhalb einer festen Frist nach Patenterteilung (mit Wirkung für alle vom europäischen Patent erfassten Staaten, einschließlich des Einheitspatents) und durch Nichtigkeitsklage vor dem EPG (mit einheitlicher Wirkung im Gebiet des Einheitspatents). Beide Wege bestehen nebeneinander; Entscheidungen wirken jeweils einheitlich für das betroffene Schutzgebiet.

Übergangszeit und Opt-out für klassische europäische Patente

Für klassische europäische Patente (ohne einheitliche Wirkung) gilt eine befristete Übergangszeit, in der diese grundsätzlich sowohl vor nationalen Gerichten als auch vor dem EPG angegriffen oder durchgesetzt werden können. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die Zuständigkeit des EPG für solche Titel ausgeschlossen werden (Opt-out). Das Einheitspatent selbst ist stets der Zuständigkeit des EPG unterstellt; ein Opt-out ist hierfür nicht vorgesehen.

Verhältnis zu ergänzenden Schutztiteln und weiteren Rechten

Für pharmazeutische Erzeugnisse und Pflanzenschutzmittel können ergänzende Schutzzertifikate bestehen, die die Schutzdauer unter bestimmten Voraussetzungen verlängern. SPCs werden derzeit grundsätzlich national erteilt und wirken national, auch wenn das zugrunde liegende Patent ein Einheitspatent ist. Entwicklungen hin zu stärker zentralisierten SPC-Verfahren befinden sich in Umsetzungsschritten; bis zu deren Wirksamwerden bleibt die nationale Ausgestaltung maßgeblich.

Eigentumszuordnung und Arbeitnehmererfindungen

Fragen der Zuordnung des Einheitspatents als Vermögensgegenstand richten sich nach dem Recht eines bestimmten teilnehmenden Staates, das anhand des Wohn- oder Geschäftssitzes des (erstgenannten) Anmelders bestimmt wird. Regelungen zu Arbeitnehmererfindungen bleiben national geprägt; sie betreffen die Vergütung und Inanspruchnahme von Erfindungen innerhalb von Arbeitsverhältnissen und wirken sich mittelbar auf die Inhaberschaft aus.

Chancen und Risiken im Überblick

Vorteile der Einheitlichkeit

Einheitliche Wirkung, einheitliche Durchsetzung und zentrale Verwaltung verringern parallele Verfahren in mehreren Staaten. Entscheidungen des EPG schaffen Rechtssicherheit für das gesamte Schutzgebiet. Zentrale Jahresgebühren und ein vereinfachtes Sprachregime tragen zur administrativen Bündelung bei.

Mögliche Nachteile

Die Einheitlichkeit birgt ein zentrales Risiko: Der Widerruf oder die Nichtigerklärung wirkt für das gesamte Schutzgebiet gleichzeitig. Ebenso führt die Nichtzahlung einer Jahresgebühr zum vollständigen Erlöschen. Strategische Feinabstimmungen nach Staaten sind für das Einheitspatent nur eingeschränkt möglich.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum EU-Patent

Ist das „EU-Patent“ dasselbe wie ein beim EUIPO eingetragenes Recht?

Nein. Das Einheitspatent wird auf Basis eines europäischen Patents durch das Europäische Patentamt verwaltet. Das EUIPO ist für Marken und Designs zuständig, nicht für Patente.

Kann die einheitliche Wirkung nachträglich auf weitere Staaten ausgedehnt werden?

Nein. Der räumliche Umfang eines Einheitspatents steht bei der Eintragung fest. Staaten, die später beitreten, werden von bereits eingetragenen Einheitspatenten nicht automatisch erfasst.

Welche Frist gilt für den Antrag auf einheitliche Wirkung?

Der Antrag muss innerhalb eines Monats nach der Bekanntmachung der Patenterteilung im Europäischen Patentblatt gestellt werden. Wird die Frist versäumt, kommt keine einheitliche Wirkung zustande.

Gibt es für das Einheitspatent weiterhin ein Einspruchsverfahren?

Ja. Gegen das zugrunde liegende europäische Patent kann innerhalb einer festen Frist nach der Erteilung beim EPA Einspruch eingelegt werden. Ein erfolgreicher Einspruch wirkt auch gegenüber dem Einheitspatent.

Kann das Einheitspatent teilweise übertragen werden, z. B. nur für einzelne Staaten?

Nein. Das Einheitspatent ist unteilbar und kann nur als Ganzes übertragen werden. Lizenzen können dagegen territorial beschränkt werden.

Wer ist für Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen zuständig?

Das Einheitliche Patentgericht ist ausschließlich zuständig. Seine Entscheidungen gelten einheitlich in allen vom jeweiligen Einheitspatent erfassten teilnehmenden Staaten.

Wie werden Jahresgebühren entrichtet?

Jahresgebühren werden zentral beim Europäischen Patentamt gezahlt. Eine Nichtzahlung führt zum einheitlichen Erlöschen des Patents im gesamten Schutzgebiet.