Ersitzung: Begriff und rechtliche Grundlagen
Die Ersitzung ist ein Begriff des Sachenrechts und bezeichnet einen originären Eigentumserwerb an einer beweglichen oder unbeweglichen Sache durch den lang andauernden, offenen und ungestörten Besitz. Durch die Ersitzung kann insbesondere an Sachen, bei denen kein Eigentumsnachweis mehr möglich ist und eine Rückgabe unwahrscheinlich erscheint, eine rechtsklare Zuordnung des Eigentums gewährleistet werden. Die Ersitzung ist im Zivilrecht verankert und findet sich sowohl im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) als auch im österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch (ABGB) sowie in weiteren Rechtsordnungen.
Rechtliche Voraussetzungen und Bedeutung der Ersitzung
Allgemeinrechtliche Voraussetzungen
Für eine erfolgreiche Ersitzung müssen mehrere gesetzlich bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein:
Rechtmäßiger Eigenbesitz
Der Ersitzende muss unmittelbaren Besitz an der Sache haben und diesen für sich als Eigentum ausüben (Eigenbesitz). Der Besitz darf nicht bloß geliehen oder gemietet, sondern muss auf dem eigenen Willen zur Eigentumsbegründung beruhen.
Redlichkeit und Gutgläubigkeit
Der Besitz muss „redlich“ sein, das heißt, der Besitzer darf nicht wissen oder vermuten, dass ihm das Eigentum an der Sache nicht zusteht. Auch Unkenntnis der Nicht-Berechtigung ist erforderlich; bei Arglist oder grober Fahrlässigkeit ist die Ersitzung ausgeschlossen.
Bestimmte Ersitzungszeit
Das Gesetz sieht unterschiedlich lange Fristen für die Ersitzung vor. Bei beweglichen Sachen beträgt die Ersitzungszeit nach deutschem Recht gemäß § 937 BGB in der Regel zehn Jahre. Bei Grundstücken gelten abweichende Regelungen und längere Fristen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Eigenbesitz aufgenommen wurde.
Besitzkontinuität
Während der gesamten Ersitzungsfrist muss der Ersitzende ununterbrochen Eigenbesitz an der Sache ausüben. Eine Unterbrechung führt zum Neubeginn der Frist. Auch eine Verfolgung oder tatsächliche Besitzentziehung durch den Eigentümer beendet die Frist.
Arten der Ersitzung
Ordentliche Ersitzung
Die ordentliche Ersitzung setzt Besitz, Gutgläubigkeit und das Verstreichen der vorgeschriebenen Frist voraus.
Außerordentliche Ersitzung
In Ausnahmefällen kann auch eine außerordentliche Ersitzung eintreten, wenn beispielsweise der Besitz zwar rechtswidrig, aber über besondere lange Zeit ausgeübt wurde. Die Fristen sind hierbei deutlich länger, um einen nachlässigen Eigentümer zu schützen, sofern keine Besitzstörung vorliegt.
Ersitzung im deutschen Recht
Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB)
Bewegliche Sachen
Nach § 937 BGB erwirbt der redliche Eigenbesitzer einer beweglichen Sache das Eigentum daran nach Ablauf von zehn Jahren, sofern kein Verlust des Besitzes eintritt.
Grundstücke
Bei Grundstücken ist die Ersitzung nach § 900 ff. BGB (Ersitzung des Eigentums an Grundstücken) geregelt. Die Voraussetzungen sind strenger; eine Ersitzung ist hier nur unter sehr engen Voraussetzungen und in der Praxis selten möglich. Eigentum an Grundstücken kann durch den gutgläubigen Besitz über einen Zeitraum von 30 Jahren ersessen werden. Weitere Voraussetzungen sind die Eintragung im Grundbuch und der Anschein eines Nichtvorhandenseins eines wahren Eigentümers.
Rechtsfolgen der Ersitzung
Mit erfolgreichem Ablauf der Ersitzungsfrist und Vorliegen aller Voraussetzungen geht das Eigentum originär auf den Ersitzenden über. Die Ersitzung wirkt ex nunc (von nun an), eine Rückübertragung ist grundsätzlich ausgeschlossen.
Ersitzung im österreichischen Recht
Im österreichischen ABGB finden sich die entsprechenden Regelungen zur Ersitzung ab § 1451 ABGB.
Fristen und Voraussetzungen
Kurzfristige Ersitzung
Bei beweglichen Sachen beträgt die Frist drei Jahre, wenn die Sache nachweisbar und ohne Streit besessen wurde.
Langfristige Ersitzung
Längere Fristen von 30 Jahren gelten in Fällen, in denen der Besitz nicht auf einem Erwerbstitel beruht oder unter erschwerten Bedingungen erworben wurde.
Sonderformen der Ersitzung
Österreich kennt auch die „negative Ersitzung“ („Verjährung“), wobei sog. Servituten oder andere dingliche Rechte verloren gehen, wenn sie über eine gesetzliche Frist hinweg nicht ausgeübt wurden.
Ersitzung im internationalen Vergleich
Auch in anderen europäischen und außereuropäischen Rechtsordnungen ist die Ersitzung etabliert, wenngleich die Einzelfristen und Bedingungen teils deutlich voneinander abweichen. Ziel ist jedoch stets die Schaffung von Rechtssicherheit bezüglich der tatsächlichen Rechtsverhältnisse an einem Gegenstand.
Ausschluss und Besonderheiten der Ersitzung
Ausschlussgründe
Nicht alle Sachen sind der Ersitzung zugänglich. Ausgenommen sind beispielsweise gestohlene oder verlorene Sachen (so genanntes Abhandenkommen), die nicht durch Ersitzung erworben werden können, solange der wahre Eigentümer Ansprüche geltend machen kann (§ 935 BGB).
Unterbrechung und Hemmung der Ersitzung
Die Ersitzungsfrist kann unterbrochen oder gehemmt werden, etwa durch Rückforderung des Eigentümers, Rechtsstreitigkeiten oder Besitzverlust.
Bedeutung der Ersitzung in Rechtsprechung und Praxis
Die praktische Relevanz der Ersitzung manifestiert sich vorwiegend bei Fällen mit unklarer Eigentumslage, z.B. bei alten Grundstücken oder Kunstgegenständen mit unbekannter Herkunft. Sie dient der Befriedung von Eigentumsstreitigkeiten und der Schaffung klarer Verhältnisse im Sinne der Rechtssicherheit.
Zusammenfassung
Die Ersitzung ist ein zentrales Institut des Sachenrechts, das einen originären Eigentumserwerb nach Ablauf einer bestimmten Frist ermöglicht, sofern rechtmäßiger, ununterbrochener und gutgläubiger Eigenbesitz vorliegt. Sie vollzieht sich nach unterschiedlichen Regelungen in verschiedenen Rechtsordnungen und ist im Interesse der Rechtssicherheit insbesondere bei alten oder herrenlosen Sachen von großer praktischer Bedeutung. Die gesetzlichen Voraussetzungen, Fristen und Rechtsfolgen sind genau geregelt und dienen dem Ausgleich von Eigentumsinteressen sowie der Bereinigung unsicherer Rechtsverhältnisse.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rolle spielt der gute Glaube bei der Ersitzung?
Der gute Glaube spielt eine zentrale Rolle bei der Ersitzung, insbesondere im Hinblick auf den Erwerb des Eigentums an beweglichen Sachen und Grundstücken. Ersitzung setzt regelmäßig voraus, dass der Besitzer während der gesamten Ersitzungszeit gutgläubig ist, also daran glaubt, zum Eigentum berechtigt zu sein. Fehlt dieser gute Glaube, beispielsweise weil der Besitzer weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass ihm das Eigentum tatsächlich nicht zusteht, kann keine Ersitzung stattfinden. Dabei wird die Gutgläubigkeit nach objektiven Maßstäben beurteilt und insbesondere beim Erwerb von Immobilien ist der Eintrag im Grundbuch von wesentlicher Bedeutung. Die Prüfung des guten Glaubens muss stets für die gesamte Ersitzungsdauer erfolgen – geht der gute Glaube zum Beispiel währenddessen verloren, ist die Ersitzung insgesamt ausgeschlossen.
Wie lange dauert die Ersitzungsfrist im deutschen Recht?
Die Dauer der Ersitzungsfrist ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) unterschiedlich geregelt und hängt davon ab, ob es sich um bewegliche Sachen oder Grundstücke handelt. Bei beweglichen Sachen beträgt die Ersitzungsfrist in der Regel zehn Jahre gemäß § 937 BGB, sofern der Besitzer unverklagter Eigenbesitzer ist. Bei Grundstücken ist eine Ersitzung durch einen gutgläubigen Eigenbesitzer nach § 900 BGB erst nach einer 30-jährigen Frist möglich. In Sonderfällen – etwa bei der Ersitzung von Dienstbarkeiten – können abweichende Fristen gelten, die im jeweiligen Spezialgesetz geregelt sein können. Während der gesamten Ersitzungsdauer darf der Besitzer nicht durch eine Klage des Eigentümers herausgefordert werden, ansonsten wird die Frist unterbrochen.
Kann Ersitzung auch durch einen Rechtsnachfolger erfolgen?
Ja, die Ersitzung kann auch durch einen Rechtsnachfolger fortgesetzt werden. Dieser Grundsatz wird als Ersitzungsketten anerkannt (§ 943 BGB). Wenn ein Besitzer stirbt oder das Besitzrecht auf einen Dritten übertragen wird, kann der Rechtsnachfolger die bereits durch den Rechtsvorgänger verstrichene Ersitzungszeit anrechnen lassen, sofern er selbst ebenfalls die Voraussetzungen der Ersitzung, insbesondere den guten Glauben, erfüllt. Die Besitzkontinuität wird also durch Rechtsnachfolge nicht unterbrochen. Wichtig ist jedoch, dass keine Besitzunterbrechung eintritt und die einzelnen Besitzzeiten den Nachweis der erforderlichen Ersitzungsdauer ermöglichen.
Welche Rechte verbleiben dem ursprünglichen Eigentümer während der Ersitzungsfrist?
Während der laufenden Ersitzungsfrist bleibt der ursprüngliche Eigentümer weiterhin als Eigentümer im Grundbuch (bei Grundstücken) oder als rechtlicher Eigentümer (bei beweglichen Sachen) ausgewiesen. Er besitzt das Recht, die Sache vom Besitzer herauszuverlangen (Eigentumsklage, § 985 BGB), es sei denn, dieser kann die Ersitzung bereits erfolgreich geltend machen. Zudem kann der Eigentümer die Ersitzung verhindern, indem er während der Frist eine gerichtliche Klage auf Herausgabe erhebt. Diese Klage führt dazu, dass die Ersitzungsfrist entweder unterbrochen oder gehemmt wird, sodass der Besitzer das Eigentum nicht allein durch Zeitablauf erlangen kann. Erst mit Abschluss der vollen Ersitzungsfrist und Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen verliert der ursprüngliche Eigentümer sein Eigentum kraft Gesetzes an den Ersitzenden.
Welche Bedeutung hat die Ersitzung für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten?
Die Ersitzung ist eng verwandt, aber rechtlich klar zu unterscheiden vom gutgläubigen Erwerb nach §§ 932 ff. BGB oder §§ 892 ff. BGB (bei Grundstücken). Während der gutgläubige Erwerb einen unmittelbaren Eigentumsübergang – in der Regel mit Besitzübergabe und gutem Glauben – vorsieht, handelt es sich bei der Ersitzung um einen Eigentumserwerb durch langjährigen, gutgläubigen Besitz. Die Ersitzung greift insbesondere dann, wenn der gutgläubige Erwerb scheitert, der Besitzer aber trotzdem die Sache lange genug im Besitz hat. Im Gegensatz zum gutgläubigen Erwerb dauert die Ersitzung immer einen erheblichen Zeitraum und setzt fortwährenden unangefochtenen Besitz voraus.
Kann die Ersitzung durch Klage oder andere Handlungen unterbrochen werden?
Ja, die Ersitzung kann durch eine Klage des Eigentümers unterbrochen werden. Sobald der Eigentümer während der Ersitzungsfrist gerichtliche Schritte gegen den Besitzer einleitet, wird die Ersitzungsdauer unterbrochen oder gehemmt. Dies gilt insbesondere für Herausgabeklagen nach § 985 BGB. Darüber hinaus kann auch eine Besitzeinwirkung durch den Eigentümer, beispielsweise die Rücknahme der Sache, eine Unterbrechung der Ersitzung bewirken. Kommt es zu einer Unterbrechung, beginnt die Ersitzungsfrist grundsätzlich von Neuem zu laufen, sobald die Voraussetzungen erneut erfüllt sind.
Welche Sachen und Rechte sind überhaupt ersitzungsfähig?
Im deutschen Recht sind grundsätzlich nur Sachen ersitzungsfähig, wobei zwischen beweglichen Sachen und Grundstücken zu unterscheiden ist. Auch bestimmte dingliche Rechte – wie Dienstbarkeiten oder Grunddienstbarkeiten – können durch Ersitzung erworben werden (§ 900 Abs. 1 BGB). Nicht ersitzungsfähig sind demgegenüber Rechte, die ausschließlich aufgrund höchstpersönlicher Beziehungen bestehen (wie etwa Nießbrauch) oder Sachen, die außerhalb des Verkehrs stehen (res extra commercium), beispielsweise öffentliche Straßen. Die genaue Bestimmung, ob ein bestimmtes Recht oder eine Sache der Ersitzung unterliegt, richtet sich nach den Vorschriften des BGB sowie relevanter Sondergesetze.