Begriff und Grundbedeutungen des Erlasses
Der Begriff „Erlass“ hat im Recht mehrere Bedeutungen. Er bezeichnet zum einen eine verwaltungsinterne Anordnung (Verwaltungsvorschrift), die Behörden lenkt. Zum anderen steht er für den Verzicht auf eine Forderung, etwa als Schulderlass im Zivilrecht oder als Steuererlass aus Billigkeitsgründen. Darüber hinaus wird das Verb „erlassen“ im Gesetzgebungsverfahren für das Zustandekommen von Normen verwendet und im Straf- und Gnadenrecht für das Nachsehen von Strafen.
Mehrdeutigkeit im Überblick
– Verwaltung: „Erlass“ als interne Anordnung, häufig in Ministerien erstellt und an nachgeordnete Behörden gerichtet.
– Steuerrecht: „Erlass“ als ganz oder teilweise Befreiung von festgesetzten oder zu erhebenden Steuern aus Billigkeitsgründen.
– Zivilrecht: „Erlassvertrag“ (Schulderlass) als vertraglicher Verzicht des Gläubigers auf eine Forderung.
– Straf- und Gnadenrecht: Erlass von Strafen oder Strafresten im Rahmen eines Gnadenerweises; daneben allgemeine Amnestien.
– Gesetzgebungssprache: „Erlass eines Gesetzes“ als formeller Akt des Normsetzungsverfahrens.
Abgrenzung zu Gesetz, Verordnung, Richtlinie und Verwaltungsakt
Ein Gesetz wird vom Parlament beschlossen, eine Verordnung von der Exekutive aufgrund besonderer Ermächtigung erlassen, Richtlinien steuern Verwaltungspraxis oder Organisation, und ein Verwaltungsakt richtet sich unmittelbar an eine Person mit konkreter Regelung. Der verwaltungsinterne Erlass ist demgegenüber eine interne Anordnung ohne unmittelbare Außenwirkung; er darf höherrangigem Recht nicht widersprechen. Ein Steuererlass oder Schulderlass hingegen ist eine Einzelfallentscheidung bzw. ein Vertrag mit Außenwirkung, der unmittelbar Rechtspositionen verändert.
Der verwaltungsinterne Erlass (Verwaltungsvorschrift)
Funktion und Rechtsnatur
Verwaltungsinterne Erlasse sind Anordnungen über die Auslegung, Anwendung und Organisation der Verwaltungstätigkeit. Sie dienen der einheitlichen Rechtsanwendung, der Ermessenslenkung, der Qualitätssicherung und der Verfahrensvereinheitlichung. Als interne Regelungen binden sie die nachgeordneten Behörden, entfalten jedoch grundsätzlich keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern.
Arten des Erlasses
In der Praxis finden sich unterschiedliche Formen: Allgemeine Erlasse mit breit angelegtem Regelungsgehalt, Runderlasse mit Anweisungen an mehrere nachgeordnete Stellen, gemeinsame Erlasse mehrerer Ressorts sowie fachlich spezifische Weisungen. Die Gesamtheit der einschlägigen Verwaltungsvorschriften wird häufig als „Erlasslage“ bezeichnet.
Bindungswirkung und Außenwirkung
Die Bindung wirkt innerhalb der Verwaltung. Nach außen ergeben sich mittelbare Effekte: Verwaltungsvorschriften können die Ausübung von Ermessen steuern und tragen zum Gleichbehandlungsgrundsatz bei. Sie begründen jedoch grundsätzlich keine eigenständigen Ansprüche Dritter und können gesetzliche Vorgaben nicht abändern oder ersetzen.
Erstellung, Veröffentlichung, Geltungsdauer
Erlasse werden typischerweise von Ministerien oder obersten Behörden erarbeitet und an die nachgeordneten Behörden übermittelt. Häufig werden sie in amtlichen Mitteilungsblättern bekannt gemacht, ohne dadurch Rechtsnormqualität zu erlangen. Inhaltlich enthalten sie Anwendungsanweisungen, Zuständigkeitsbestimmungen, Fristen, Inkrafttreten und Regelungen zur Außerkraftsetzung. Sie können geändert, ergänzt oder aufgehoben werden, insbesondere wenn sich die Rechtslage ändert oder fachliche Aktualisierungen erforderlich sind.
Kontrolle und Überprüfbarkeit
Gerichte berücksichtigen verwaltungsinterne Erlasse im Rahmen der Kontrolle der Verwaltungspraxis (etwa als Maßstab für Ermessensausübung und Gleichbehandlung). Unvereinbare Erlasse mit höherrangigem Recht sind unbeachtlich. Ein direkter Anspruch auf Befolgung gegenüber der Verwaltung besteht grundsätzlich nicht; entscheidend bleibt die Gesetzesbindung der Verwaltung.
Der Erlass im Steuerrecht (Billigkeitserlass)
Zweck und Anwendungsfelder
Ein Steuererlass ist der vollständige oder teilweise Verzicht der Finanzverwaltung auf festgesetzte oder zu erhebende Steuern oder steuerliche Nebenleistungen. Er dient der Billigkeit, wenn die strikte Anwendung des Steuerrechts zu untragbaren Ergebnissen führen würde. Unterschieden wird häufig zwischen Festsetzungserlass (Betreffen der Steuerfestsetzung) und Erhebungserlass (Betreffen der Einziehung/Erhebung). Möglich ist auch der Erlass von Säumnis- oder Zinsbeträgen.
Voraussetzungen und Verfahren
Voraussetzungen sind regelmäßig sachliche oder persönliche Gründe der Unbilligkeit. Die Entscheidung erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen der Verwaltung. Die Begründung hat die besonderen Umstände und die Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen. Der Entscheidung kommt Außenwirkung zu; sie richtet sich an die betroffene Person.
Rechtsfolgen und Abgrenzungen
Der Steuererlass beseitigt die betroffene Steuerforderung ganz oder teilweise. Er ist abzugrenzen von der Stundung (zeitliche Hinausschiebung der Fälligkeit), der Niederschlagung (vorläufiger Verzicht auf Einziehung ohne Forderungswegfall) sowie von Verjährungstatbeständen. Ein Erlass kann an Auflagen oder Bedingungen anknüpfen und ist typischerweise in seiner Reichweite genau bestimmt.
Rechtsbehelf und Überprüfung
Als Entscheidung mit Außenwirkung kann ein Steuererlass oder dessen Ablehnung im Rahmen der vorgesehenen Rechtsbehelfswege überprüft werden. Maßgeblich ist insbesondere, ob die Verwaltung ihr Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt und Gleichbehandlung beachtet hat.
Der zivilrechtliche Erlassvertrag (Schulderlass)
Rechtsnatur und Zustandekommen
Der Schulderlass ist ein Vertrag zwischen Gläubiger und Schuldner, durch den eine Forderung ganz oder teilweise aufgehoben wird. Er setzt Einigung voraus und ist grundsätzlich formfrei, es sei denn, die betroffene Forderung unterliegt einer besonderen Form. Der Erlass kann ausdrücklich erklärt oder im Einzelfall konkludent aus dem Verhalten der Beteiligten geschlossen werden.
Wirkungen auf Nebenrechte und Sicherheiten
Mit dem Erlöschen der Hauptforderung entfallen in der Regel akzessorische Sicherheiten wie Bürgschaft oder Pfand, sofern nichts Abweichendes vereinbart ist. Bei selbständigen Sicherheiten hängt die Wirkung von der konkreten Ausgestaltung ab. Zinsen und Nebenforderungen werden durch den Erlass erfasst, wenn dies vereinbart oder nach Sinn und Zweck anzunehmen ist.
Besonderheiten bei mehreren Schuldnern
Bei Gesamtschuldverhältnissen kann der Erlass gegenüber einem Schuldner die Außenhaftung der übrigen nur mindern, wenn dies bestimmt ist; regelmäßig wirkt sich der Erlass jedenfalls auf die internen Ausgleichsansprüche aus. Die genaue Wirkung hängt von der vertraglichen Gestaltung (vollständige Freistellung, Teilverzicht, Anrechnung) ab.
Abgrenzungen
Der Schulderlass ist abzugrenzen von der Stundung (bloßes Hinausschieben der Fälligkeit), vom Vergleich (gegenseitiges Nachgeben zur Streitbeilegung), vom Klageverzicht (prozessuale Beschränkung ohne Forderungswegfall) und von der Aufrechnung (Erlöschen durch Gegenforderung).
Erlass im Straf- und Gnadenrecht
Erlass von Strafen
Im Rahmen des Gnadenrechts können Strafen oder Strafreste erlassen werden. Ein solcher Erlass ist eine einzelfallbezogene Entscheidung aus besonderen Gründen und unterliegt eigenständigen Zuständigkeiten und Verfahren. Er kann Auflagen oder Bedingungen enthalten und betrifft die Vollstreckung oder den Bestand der Strafe. Neben dem individuellen Gnadenerweis existieren allgemeine Maßnahmen wie Amnestien, die für bestimmte Personengruppen oder Taten gelten.
Abgrenzung
Der individuelle Straferlass (Gnade) ist von der gerichtlichen Strafzumessung und von vollstreckungsrechtlichen Entscheidungen abzugrenzen. Er ist eine außerordentliche Maßnahme und ändert nichts an der Geltung der materiellen Strafnormen.
Sprachgebrauch und internationale Bezüge
Synonyme und Übersetzungen
Für verwaltungsinterne Erlasse werden auch die Bezeichnungen Verwaltungsvorschrift, Rundschreiben oder Weisung verwendet. Im Englischen finden sich hierfür etwa administrative circular oder directive (im behördeninternen Sinn). Der Steuererlass entspricht remission oder waiver; der zivilrechtliche Schulderlass entspricht release oder waiver of debt. „Decree“ bezeichnet eher rechtsverbindliche staatliche Anordnungen mit Außenwirkung, nicht die verwaltungsinterne Vorschrift.
Unterschiede in deutschsprachigen Rechtsordnungen
In Deutschland, Österreich und der Schweiz existieren verwaltungsinterne Anweisungen mit ähnlicher Funktion, teils unter unterschiedlichen Bezeichnungen (z. B. Erlass, Rundschreiben, Kreisschreiben, Weisung). Steuererlass und Schulderlass sind in allen drei Rechtsordnungen bekannte Institute, deren Ausgestaltung und Verfahren sich im Detail unterscheiden können.
Systematische Einordnung und Rang
Verhältnis zur Normenhierarchie
Der verwaltungsinterne Erlass steht unter Gesetz und Verordnung. Er darf geltendes Recht nicht abändern und dient der Anwendung und Organisation. Für Einzelfallerlasse mit Außenwirkung (etwa Steuererlass) gilt der Vorrang des Gesetzes ebenso; sie müssen sich im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen halten.
Kollisionen und Vorrang
Bei Kollisionen geht höherrangiges Recht vor. Unvereinbare Erlasse sind unbeachtlich oder aufzuheben. Im Anwendungsfall werden Verwaltungsvorschriften zur Auslegung herangezogen, können aber keinen gesetzlichen Anspruch ersetzen. Der Begriff „Erlass eines Gesetzes“ beschreibt schließlich einen Verfahrensschritt bei der Normsetzung und betrifft nicht den verwaltungsinternen Erlass.
Häufig gestellte Fragen zum Erlass
Was ist ein Erlass im Verwaltungsrecht?
Ein verwaltungsrechtlicher Erlass ist eine interne Anweisung einer übergeordneten Behörde an nachgeordnete Stellen. Er dient der einheitlichen Rechtsanwendung und Organisation, entfaltet aber grundsätzlich keine unmittelbare Außenwirkung gegenüber einzelnen Personen.
Hat ein verwaltungsinterner Erlass Außenwirkung für Bürgerinnen und Bürger?
Unmittelbare Außenwirkung besteht in der Regel nicht. Mittelbar kann ein Erlass Bedeutung erlangen, indem er die Ermessensausübung lenkt und zur Gleichbehandlung beiträgt. Ansprüche ergeben sich daraus grundsätzlich nicht eigenständig.
Worin unterscheidet sich ein Erlass von einer Verordnung?
Eine Verordnung ist eine allgemeinverbindliche Rechtsnorm mit Außenwirkung. Ein verwaltungsinterner Erlass ist demgegenüber eine behördeninterne Anweisung ohne Normqualität. Beide dürfen dem Gesetz nicht widersprechen; die Verordnung kann jedoch Rechte und Pflichten für die Allgemeinheit regeln, der interne Erlass nicht.
Was bedeutet Steuererlass?
Der Steuererlass ist der ganz oder teilweise Verzicht der Finanzverwaltung auf eine Steuer oder steuerliche Nebenleistungen, wenn dies aus Billigkeitsgründen angezeigt ist. Er kann die Festsetzung oder die Erhebung betreffen und ist eine Entscheidung mit Außenwirkung.
Worin liegt der Unterschied zwischen Stundung und Erlass?
Die Stundung verschiebt die Fälligkeit einer Forderung, lässt sie aber bestehen. Der Erlass lässt die Forderung ganz oder teilweise entfallen. Dies gilt sowohl im Steuerrecht als auch im Zivilrecht.
Wie kommt ein Schulderlass zustande?
Der Schulderlass erfordert eine Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner, dass die Forderung ganz oder teilweise aufgehoben wird. Er ist grundsätzlich formfrei, sofern nicht für die betroffene Forderung eine besondere Form vorgeschrieben ist.
Kann ein Erlass rückwirkend gelten?
Ob ein Erlass rückwirkende Wirkung entfaltet, hängt von seiner Art und seinem Inhalt ab. Verwaltungsvorschriften regeln typischerweise künftige Verwaltungspraxis. Ein Steuererlass oder Schulderlass kann den bereits entstandenen Anspruch betreffen, soweit dies in der Entscheidung bzw. Vereinbarung vorgesehen ist.
Ist ein Erlass gerichtlich überprüfbar?
Verwaltungsinterne Erlasse sind als solche nicht Gegenstand einer unmittelbaren gerichtlichen Kontrolle, können aber im Rahmen der Kontrolle von Behördenentscheidungen berücksichtigt werden. Entscheidungen mit Außenwirkung, etwa ein Steuererlass oder dessen Ablehnung, unterliegen den vorgesehenen Rechtsbehelfen.