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Erklärungswille


Erklärungswille

Der Begriff Erklärungswille ist ein zentrales Element im deutschen Zivilrecht und bezeichnet das innere Wollen, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben. Der Erklärungswille gilt insbesondere im Rahmen der sogenannten Willenserklärung als Bestandteil des subjektiven Tatbestandes und spielt eine bedeutende Rolle bei der Beurteilung von Rechtsgeschäften, insbesondere bei der Entstehung von Verträgen. Der Erklärungswille grenzt sich von den übrigen Komponenten einer Willenserklärung, wie dem Handlungswille und dem Geschäftswille, ab.


Rechtliche Einordnung und Definition

Der Erklärungswille ist das Bewusstsein einer handelnden Person, dass ihr Verhalten als rechtsgeschäftliche Erklärung aufgefasst wird. Er muss von dem Sender einer Erklärung zwar nicht ausdrücklich, wohl aber zumindest in Form eines „Erklärungsbewusstseins“ vorhanden sein. Im Gegensatz zum Geschäftswille, der auf einen bestimmten rechtlichen Erfolg gerichtet ist, genügt beim Erklärungswille bereits das Wissen und Wollen, überhaupt eine rechtliche Erklärung abzugeben, unabhängig von ihrem konkreten Inhalt.


Die Elemente der Willenserklärung

Handlungswille

Der Handlungswille stellt das Bewusstsein dar, überhaupt eine Handlung vorzunehmen, z.B. das Unterzeichnen eines Schriftstücks oder das Aussprechen eines Wortes.

Erklärungswille (Erklärungsbewusstsein)

Der Erklärungswille oder auch das Erklärungsbewusstsein ist das Bewusstsein, mit der Handlung eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben. Die handelnde Person muss erkennen, dass ihre Handlung von anderen als rechtserhebliche Willenserklärung verstanden werden kann.

Geschäftswille

Der Geschäftswille ist auf den Eintritt eines bestimmten rechtlichen Erfolges gerichtet, z.B. den Abschluss eines Kaufvertrages zu einem bestimmten Preis.


Bedeutung im Zivilrecht

Der Erklärungswille ist insbesondere für die Wirksamkeit von Willenserklärungen relevant. Im deutschen Rechtssystem ist eine Erklärung im Regelfall nur dann wirksam, wenn sie einen Erklärungswillen enthält. Fehlt dieser, liegt im Regelfall keine Willenserklärung und damit kein Rechtsgeschäft vor (§§ 104 ff., 116 ff. BGB).


Abgrenzung zur Willenserklärung ohne Erklärungswille

Fehlt das Bewusstsein, eine rechtsgeschäftliche Erklärung abzugeben, so spricht man von einer Scheinerklärung, auch bekannt als Bewusstlosigkeit. Hier stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Erklärende trotzdem gebunden ist. Die überwiegende Auffassung folgt der sogenannten Theorie des potentiellen Erklärungsbewusstseins: Hat der Handelnde bei Unterstellung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass sein Verhalten als Willenserklärung gedeutet werden könnte, so wird eine Willenserklärung fingiert, sofern der Empfänger darauf vertrauen durfte (Vertrauensschutz).


Irrtümer und Anfechtung

Ein fehlender oder mangelnder Erklärungswille kann dazu führen, dass eine Willenserklärung gemäß § 119 BGB anfechtbar ist. Der Irrtum über das Vorliegen eines Erklärungswillens kann vorliegen, wenn etwa eine Unterschrift in der Annahme geleistet wird, sie habe keine rechtlichen Folgen, obwohl sie tatsächlich eine Willenserklärung darstellt.


Beispiele aus der Praxis

Fallbeispiel: Die versehentliche Unterschrift

Eine Person unterschreibt in einem Kaufhaus ein Dokument, das sie irrtümlich für eine Teilnahme am Gewinnspiel hält, in Wirklichkeit aber einen Kaufvertrag über ein Küchenmöbelstück darstellt. Hier fehlt der Geschäftswille zum Vertragsschluss, aber unter Umständen ist ein Erklärungswille gegeben, was zur Annahme einer Willenserklärung führen kann.

Fallbeispiel: Das Bieten bei einer Auktion

Das Heben der Hand bei einer Auktion wird normalerweise als Willenserklärung zum Kauf des versteigerten Gegenstandes verstanden. Fehlt das Bewusstsein, eine bindende Erklärung abzugeben (z. B. versehentlich), ist der Erklärungswille strittig, es besteht jedoch die Möglichkeit einer wirksamen Willenserklärung bei potentiellem Erklärungsbewusstsein.


Rechtsfolgen bei fehlendem Erklärungswille

Fehlt der Erklärungswille vollständig, etwa bei reflexartigen oder automatischen Handlungen, liegt keine Willenserklärung und damit kein Vertrag oder Rechtsgeschäft vor. Anders liegt der Fall, wenn der Handelnde ein sogenanntes „potentielles Erklärungsbewusstsein“ hatte und dem Geschäftsgegner ein Vertrauensschutz zusteht. In diesem Fall kann nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine wirksame Willenserklärung fingiert werden.


Bedeutung im Schuld- und Sachenrecht

Der Erklärungswille ist im gesamten Zivilrecht von Bedeutung, etwa bei Vertragsschlüssen, bei einseitigen Rechtsgeschäften wie Kündigungen oder Anfechtungen sowie im Sachenrecht bei Eintragungen ins Grundbuch. Ohne Erklärungswille ist die jeweilige Erklärung im Regelfall unwirksam.


Besonderheiten im elektronischen Rechtsverkehr

Auch im Rahmen digitaler Kommunikation ist der Erklärungswille von Relevanz. Die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel wie beispielsweise das Absenden einer E-Mail oder das Ausfüllen eines Online-Formulars setzt voraus, dass dem Erklärenden bewusst ist, eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben.


Literaturhinweise

  • Brox/Walker: Allgemeiner Teil des BGB
  • Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch – Kommentar, vor §§ 104 ff. BGB
  • Medicus: Bürgerliches Recht – Allgemeiner Teil

Fazit

Der Erklärungswille stellt ein wesentliches Kriterium für die Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher Erklärungen im deutschen Zivilrecht dar. Sein Fehlen führt im Regelfall zur Unwirksamkeit einer Willenserklärung, kann jedoch im Ausnahmefall durch den Vertrauensschutz des Gegenübers ersetzt werden. Die genaue Abgrenzung und Beurteilung des Erklärungswillens ist für die Praxis entscheidend, um die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften beurteilen zu können.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist der Erklärungswille im rechtlichen Sinne relevant?

Der Erklärungswille ist insbesondere im Zusammenhang mit der Abgabe rechtsgeschäftlicher Willenserklärungen von Bedeutung. Er spielt eine zentrale Rolle bei der Beurteilung, ob jemand tatsächlich eine rechtsverbindliche Erklärung abgeben wollte oder nur versehentlich eine Äußerung getätigt hat, die wie eine Willenserklärung aussieht. Relevant wird dies vor allem in Fällen, in denen objektiv der äußere Tatbestand einer Willenserklärung gegeben ist, jedoch Zweifel darüber bestehen, ob der Handelnde sich der rechtlichen Bedeutung seines Tuns bewusst war oder überhaupt eine Erklärung abgeben wollte. Insbesondere im Zivilrecht, zum Beispiel bei Vertragsabschlüssen und empfangsbedürftigen Willenserklärungen, entscheidet der Erklärungswille darüber, ob eine rechtsgeschäftliche Bindung zustande kommt.

Welche rechtlichen Folgen hat das Fehlen des Erklärungswillens?

Fehlt der Erklärungswille bei einer Handlung, die objektiv als Willenserklärung verstanden werden könnte, besteht Unsicherheit darüber, ob eine rechtsgeschäftliche Bindung entstanden ist. Nach der sogenannten „Willenstheorie“ würde eine Willenserklärung ohne Erklärungswille nicht wirksam. In der Praxis folgt die Rechtswissenschaft jedoch überwiegend der „Erklärungstheorie“. Demnach ist es für die Wirksamkeit einer Willenserklärung grundsätzlich ausreichend, dass der Erklärungsempfänger nach dem objektiven Empfängerhorizont davon ausgehen durfte, dass eine Willenserklärung vorliegt, selbst wenn subjektiv kein Erklärungswille vorhanden war. Allerdings kann in Ausnahmefällen, vor allem bei fehlendem Erklärungsbewusstsein und bei fehlender Fahrlässigkeit, ein Anfechtungsrecht oder sogar eine Unwirksamkeit nach § 118 BGB gegeben sein.

Wie wird das Vorliegen oder Fehlen des Erklärungswillens festgestellt?

Die Ermittlung des Erklärungswillens erfolgt im Regelfall durch Auslegung nach §§ 133, 157 BGB, das heißt, durch Interpretation der äußerlich erkennbaren Handlungen und Äußerungen des Erklärenden. Maßgeblich ist dabei, wie ein verständiger Dritter in der Lage des Empfängers die Erklärung verstehen durfte („objektiver Empfängerhorizont“). Kommt der Empfänger nach redlichem Ermessen zu dem Ergebnis, dass eine rechtsgeschäftliche Erklärung gewollt war, wird ein Erklärungswille regelmäßig angenommen. Das tatsächliche Nichtvorliegen eines Erklärungswillens kann vom Erklärenden notfalls durch Beweise wie Zeugenaussagen, Umstände des Einzelfalls oder eigene Erklärung glaubhaft gemacht werden.

Welche Bedeutung hat der Erklärungswille bei empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen?

Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie etwa dem Angebot oder der Annahme eines Vertragsabschlusses, ist der Erklärungswille deshalb besonders wichtig, weil hier die Erklärung dem Adressaten zugehen und gegebenenfalls für diesen rechtliche Wirkungen entfalten soll. Der objektive Empfängerhorizont steht dabei im Vordergrund. Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie dem Testament, ist hauptsächlich auf die innere Willensrichtung (subjektiver Wille) des Erklärenden abzustellen. Dennoch ist im Ergebnis auch hier zu prüfen, ob der Testierende im Bewusstsein gehandelt hat, eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben.

Welche Rolle spielt Fahrlässigkeit beim Fehlen des Erklärungswillens?

Handelt jemand fahrlässig und gibt – ohne Erklärungsbewusstsein – eine objektiv wie eine Willenserklärung erscheinende Äußerung ab, so wird ihm nach der sogenannten „Rechtsscheinhaftung“ sein äußeres Verhalten zugerechnet. Der Erklärende kann sich dann nicht darauf berufen, dass ihm das Erklärungsbewusstsein gefehlt hat, wenn ihm dieser Mangel an Bewusstsein bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte auffallen müssen (§ 119 I BGB analog). Im Gegensatz dazu kann bei fehlender Fahrlässigkeit – also wenn der Erklärende nicht erkennen konnte, dass sein Verhalten als rechtserheblich aufgefasst wird – der Wille zur Erklärung in Frage stehen und im Einzelfall zur Unwirksamkeit führen.

Gibt es einen Unterschied zwischen Erklärungswille und Erklärungsbewusstsein?

Ja, im juristischen Sprachgebrauch wird streng zwischen Erklärungswille und Erklärungsbewusstsein unterschieden. Während der Erklärungswille das generelle Bewusstsein umfasst, überhaupt eine rechtserhebliche Erklärung abgeben zu wollen, bezeichnet das Erklärungsbewusstsein die konkrete Vorstellung des Erklärenden, etwas rechtlich Maßgebliches zu erklären. Der Erklärungswille ist sozusagen das Grundverständnis vom rechtsgeschäftlichen Handeln, während das Erklärungsbewusstsein eine spezifische Ausprägung im Einzelfall darstellt. In der rechtlichen Beurteilung ist insbesondere das Fehlen des Erklärungsbewusstseins in Grenzfällen entscheidend für das Zustandekommen von Willenserklärungen und deren Wirksamkeit.

In welchen typischen Fallkonstellationen ist der Erklärungswille zweifelhaft?

Der Erklärungswille kann insbesondere in Alltagssituationen zweifelhaft sein, beispielsweise wenn ein Auktionshammer während einer Versteigerung versehentlich gehoben wird, jemand unbedacht bei einer Versammlung die Hand hebt oder versehentlich eine Schiefertafel als Gebot hochhält. Auch bei automatisierten Vorgängen, etwa versehentlichen Klicks im Online-Handel oder fehlerhaften Eingaben beim Vertragsabschluss, stellt sich die Frage, ob ein Erklärungswille vorgelegen hat. In allen diesen Fällen wird von der Rechtsprechung geprüft, ob trotz fehlender subjektiver Absicht im Außenverhältnis eine Willenserklärung angenommen werden kann. Der Schutz des Vertrauens der Erklärungsempfänger steht dabei regelmäßig im Vordergrund, sofern der Handelnde fahrlässig gehandelt hat.