Begriff und rechtliche Einordnung des Erbschaftsanspruchs
Der Erbschaftsanspruch bezeichnet im Erbrecht den Anspruch einer Person oder einer Gesamtheit von Personen, das Vermögen eines Verstorbenen (Erblasser) gemäß der gesetzlichen oder testamentarischen Erbfolge zu verlangen. Der Erbschaftsanspruch ist ein zentrales Institut im deutschen Erbrecht und basiert auf den Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), insbesondere in den §§ 1922 ff. BGB.
Erbschaftsanspruch als Gesamtrechtsnachfolge
Mit dem Tod des Erblassers tritt nach § 1922 BGB der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger automatisch in sämtliche Rechte und Pflichten des Verstorbenen ein. Dies wird als Universalsukzession bezeichnet. Der Erbschaftsanspruch umfasst daher einen Anspruch auf das gesamte Vermögen des Erblassers, die sogenannte Erbschaft oder den Nachlass.
Entstehung und Voraussetzungen des Erbschaftsanspruchs
Erbfall und Berufung zum Erben
Der Erbschaftsanspruch entsteht mit dem Erbfall, d. h. mit dem Tod des Erblassers. Voraussetzung ist die Berufung zum Erben, welche entweder durch Gesetz (gesetzliche Erbfolge) oder durch letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) erfolgt.
Annahme und Ausschlagung der Erbschaft
Der Erbschaftsanspruch steht nur demjenigen zu, der die Erbschaft angenommen hat. Eine Annahme erfolgt ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten, etwa durch Verwaltung des Nachlasses. Die Ausschlagung der Erbschaft führt dazu, dass kein Erbschaftsanspruch entsteht; in diesem Fall rückt der nächste Berufene nach.
Mehrere Erben: Erbengemeinschaft
Bei mehreren Erben entsteht eine Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Die Erbschaft wird gemeinschaftliches Vermögen, das von allen Miterben gemeinsam verwaltet und auseinandergesetzt werden muss. Der Erbschaftsanspruch bezieht sich hier auf einen ideellen Anteil am gesamten Nachlass.
Inhalt und Durchsetzung des Erbschaftsanspruchs
Herausgabeanspruch gegen Besitzende (§ 2018 BGB)
Der Erbschaftsanspruch konkretisiert sich insbesondere im Herausgabeanspruch nach § 2018 BGB. Erben können vomjenigen, der den Nachlass oder einen Teil davon unrechtmäßig besitzt, die Herausgabe verlangen. Der Anspruch erfasst alle Nachlassgegenstände sowie Früchte und Nutzungen daraus seit dem Erbfall.
Umfang des Herausgabeanspruchs
Der Herausgabeanspruch umfasst sämtliche Vermögenswerte des Nachlasses, darunter Immobilien, Geldforderungen, Sachwerte sowie Unternehmensanteile. Auch Surrogate, also Ersatzwerte für untergegangene Nachlassgegenstände, sind eingeschlossen.
Abgrenzung zu anderen Ansprüchen
Der Erbschaftsanspruch ist abzugrenzen von Pflichtteilsansprüchen (§§ 2303 ff. BGB), Vermächtnisansprüchen (§§ 2174 ff. BGB) und Ansprüchen aus dem Voraus (§ 1932 BGB). Während der Erbschaftsanspruch auf das gesamte Erbe (oder einen Anteil daran) gerichtet ist, beziehen sich Pflichtteil, Vermächtnis und Voraus ausschließlich auf bestimmte Teile oder Geldbeträge.
Einschränkungen und Einreden gegen den Erbschaftsanspruch
Recht zur Besitzenthaltung (§ 2019 BGB)
Der Inhaber des Nachlasses kann dem Herausgabeverlangen des Erben bestimmte Einreden entgegenhalten, etwa ein eigenes Erbrecht oder ein Recht zum Besitz nach § 2019 BGB.
Verjährung und Ausschluss
Der Erbschaftsanspruch unterliegt der regelmäßigen Verjährung von dreißig Jahren (§ 197 Abs. 1 Nr. 2 BGB), die mit dem Erbfall beginnt. In Ausnahmefällen kann der Anspruch auch früher verjähren, beispielsweise wenn ein Herausgabeanspruch aus einem bestimmten Grund ausgeschlossen ist.
Beweislage und Nachweis des Erbschaftsanspruchs
Nachweis durch Erbschein
Zur Durchsetzung des Erbschaftsanspruchs muss die erbberechtigte Person in der Regel ihre Stellung als Erbe nachweisen. Die zentrale Nachweisurkunde hierfür ist der Erbschein (§§ 2353 ff. BGB). Dieser dient als Legitimationspapier gegenüber Banken, Behörden und Dritten.
Auswirkungen eines gemeinschaftlichen Erbscheins bei Miterben
Bei einer Erbengemeinschaft ist unter Umständen die Ausstellung eines gemeinsamen Erbscheins erforderlich, wenn mehrere Miterben gemeinsam Ansprüche geltend machen möchten.
Rechtsfolgen und praktische Bedeutung des Erbschaftsanspruchs
Wirkung des Erbschaftsanspruchs
Der Erbschaftsanspruch verschafft dem Berechtigten die Möglichkeit, den Nachlass in Besitz zu nehmen und über ihn zu verfügen. Liegt ein Streit über die Erbfolge vor, ist die gerichtliche Durchsetzung des Anspruchs durch Klage auf Herausgabe des Nachlasses möglich.
Haftung für Nachlassverbindlichkeiten
Mit dem Erbschaftsanspruch übernimmt der Erbe neben den Aktiva auch die Verbindlichkeiten des Nachlasses, sofern keine Haftungsbeschränkung beantragt wird (z.B. Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz).
Internationale Aspekte des Erbschaftsanspruchs
Erbrechtliche Zuständigkeit und anwendbares Recht
Bei grenzüberschreitenden Nachlässen ist das Internationale Privatrecht zu beachten. Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) regelt die internationale Zuständigkeit und das anzuwendende Recht bei Erbfällen mit Auslandsbezug.
Zusammenfassung
Der Erbschaftsanspruch ist ein grundlegendes Recht im Bereich des Erbrechts, das die Übertragung des Vermögens des Verstorbenen auf die Erben sichert. Seine rechtliche Ausgestaltung umfasst die Voraussetzungen für das Entstehen des Anspruchs, die Art und Weise der Geltendmachung, Abwehrrechte des Nachlassbesitzers, Nachweisfragen sowie internationale Gesichtspunkte. Die genaue Kenntnis der gesetzlichen Regelungen ist für die erfolgreiche Durchsetzung oder Abwehr eines Erbschaftsanspruchs von großer Bedeutung.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist im deutschen Erbrecht grundsätzlich erbberechtigt?
Im deutschen Erbrecht richtet sich die Erbberechtigung nach gesetzlicher oder testamentarischer Regelung. Gesetzlich erbberechtigt sind in erster Linie die Verwandten des Erblassers sowie der Ehegatte beziehungsweise eingetragene Lebenspartner. Die Verwandten werden nach Ordnungen eingeteilt: Zur ersten Ordnung zählen Kinder und deren Abkömmlinge, zur zweiten Ordnung gehören Eltern und deren Abkömmlinge, und so weiter. Stirbt der Erblasser ohne Testament, bestimmt das Gesetz die Erben nach diesen Ordnungen. Erbt nach der gesetzlichen Erbfolge ein Angehöriger niedriger Ordnung, sind die Angehörigen der nachfolgenden Ordnungen ausgeschlossen. Daneben kann der Erblasser durch ein Testament oder einen Erbvertrag abweichende Regelungen treffen und andere Personen – auch Nichtverwandte – als Erben einsetzen. Allerdings sind Pflichtteilsrechte naher Angehöriger (zum Beispiel Kinder und Ehegatte) durch das Gesetz geschützt, sodass diese zumindest einen Mindestanteil am Nachlass einfordern können.
Können enterbte Familienmitglieder dennoch Anspruch auf einen Teil des Nachlasses erheben?
Ja, enterbte nahe Angehörige – insbesondere Abkömmlinge (Kinder, Enkel), der Ehegatte beziehungsweise eingetragene Lebenspartner sowie die Eltern (sofern keine Abkömmlinge vorhanden sind) – haben einen gesetzlichen Pflichtteilsanspruch (§§ 2303 ff. BGB). Dieser Anspruch entsteht, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen (z. B. ein Testament) von der Erbfolge ausgeschlossen wurden. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und wird als reiner Geldanspruch gegenüber den Erben geltend gemacht. Das bedeutet, dass enterbte Pflichtteilsberechtigte keinen Anspruch auf einen bestimmten Nachlassgegenstand, sondern einen Geldanspruch in Höhe ihres Pflichtteilswerts haben. Die Höhe dieses Werts richtet sich nach der gesetzlichen Erbquote und dem Nachlasswert zum Todeszeitpunkt.
Wie kann ein Anspruch auf ein Erbe geltend gemacht werden?
Die Geltendmachung eines Erbanspruchs erfolgt zunächst durch die Annahme der Erbschaft. Der Erbe muss diese nicht ausdrücklich erklären, kann die Erbschaft jedoch innerhalb der gesetzlichen Ausschlagungsfrist (sechs Wochen nach Kenntniserlangung beziehungsweise sechs Monate bei Auslandsaufenthalt) ablehnen. Ist der Erbe bereit, die Erbschaft anzunehmen, wird er mit dem Tod des Erblassers rechtlich Nachfolger, mit allen Rechten und Pflichten (§ 1922 BGB). Ein Nachweis der Erbenstellung erfolgt meist durch einen Erbschein, den das Nachlassgericht auf Antrag ausstellt. Soll ein Anspruch als Pflichtteilsbrechtigter geltend gemacht werden, ist eine außergerichtliche Aufforderung zur Zahlung an die Erben erforderlich. Kommt zu keiner Einigung, kann der Anspruch gerichtlich eingeklagt werden. Für die Durchsetzung sind oft umfangreiche Nachlassverzeichnisse und Nachweise notwendig.
Wann verjährt ein Erbschaftsanspruch?
Normale Erbansprüche, etwa der Anspruch auf Herausgabe des Nachlasses oder auf Erfüllung des Vermächtnisses, verjähren nach drei Jahren gemäß § 195 BGB. Die Frist beginnt mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 BGB). Für den Pflichtteilsanspruch gilt dieselbe Frist (drei Jahre nach Kenntniserlangung), für bestimmte Ansprüche kann auch eine Verjährung von 30 Jahren gelten (z. B. Herausgabeansprüche gegen unrechtmäßige Erben).
Was passiert, wenn mehrere Erben vorhanden sind?
Gibt es mehrere Erben, bilden diese eine sogenannte Erbengemeinschaft (§ 2032 BGB). Die Erbengemeinschaft ist Gesamthandsgemeinschaft; das bedeutet, dass der Nachlass gemeinsam verwaltet und auseinandergesetzt werden muss. Einzelne Miterben können nicht alleine über Nachlassgegenstände verfügen, sondern nur gemeinsam mit den anderen. Entscheidungen bedürfen meist der Zustimmung aller Miterben. Erst nach der sogenannten Erbauseinandersetzung – also der Teilung des Nachlasses unter den Erben – erhält jeder seinen konkreten Anteil. Bis dahin bestehen unter den Miterben vielfach gegenseitige Ausgleichs-, Steuer- und Verwaltungspflichten.
Können bestehende Erbansprüche durch Erbverzicht, Ausschlagung oder Vertrag ausgeschlossen werden?
Ja, mögliche Erbansprüche können durch einen notariell beurkundeten Erbverzicht (§ 2346 BGB) noch zu Lebzeiten des Erblassers ausgeschlossen werden. Der Verzichtende verliert damit auch den Pflichtteilsanspruch. Nach dem Tod kann die Erbschaft ausgeschlagen werden (§§ 1942 ff. BGB), meist wegen Überschuldung des Nachlasses. Die Ausschlagung muss innerhalb der sechswöchigen Frist gegenüber dem Nachlassgericht erklärt werden. Ein Verzicht auf den Pflichtteil (Pflichtteilsverzicht) ist ebenfalls zu Lebzeiten und notariell möglich. Durch Erbverträge können zudem Erbansprüche gegenseitig geregelt oder ausgeschlossen werden.
Welche Rolle spielt ein Testament oder Erbvertrag beim Erbschaftsanspruch?
Ein Testament oder Erbvertrag hat zentrale Bedeutung für Erbansprüche, da es gesetzliche Erbfolgeregelungen ganz oder teilweise abändern kann. Der Erblasser kann einzelne Personen als Erben bestimmen sowie bestimmte Nachlassgegenstände zuwenden (Vermächtnis), Miterben ein- oder ausschließen, Anordnungen zur Nachlassverwaltung treffen und Auflagen erteilen. Ein Testament ist einseitig und kann jederzeit widerrufen werden; der Erbvertrag ist grundsätzlich bindend. Dennoch bleiben Pflichtteilsrechte enger Verwandter bestehen, unabhängig davon, ob sie testamentarisch bedacht wurden oder nicht. Ein wirksames Testament oder Erbvertrag hat Vorrang vor der gesetzlichen Erbfolge, sofern es kein Pflichtteilsrecht verletzt und formgültig errichtet wurde.