Begriffserklärung: Erbe
Der Begriff Erbe bezeichnet im deutschen Recht primär die Rechtsnachfolge in das Vermögen eines verstorbenen Menschen (Erblasser) durch eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen (Erben). Das Erbrecht ist im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelt, insbesondere in den §§ 1922 ff. BGB. Der Erbe tritt mit dem Tod des Erblassers unmittelbar in dessen Vermögenspositionen – sowohl Rechte als auch Pflichten – ein (Gesamtrechtsnachfolge).
Gesetzliche Grundlagen des Erbrechts
Grundprinzipien
Das deutsche Erbrecht ist im fünften Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in den §§ 1922 bis 2385 geregelt. Kernprinzipien des Erbrechts sind die Testierfreiheit (Freiheit zur Verfügung über das eigene Vermögen für den Todesfall), die gesetzliche Erbfolge und der Grundsatz der Gesamtrechtsnachfolge.
Die Gesamtrechtsnachfolge
Mit dem Tod einer Person geht deren gesamtes Vermögen, also Eigentum, Forderungen, Verbindlichkeiten sowie sonstige Rechtspositionen, unmittelbar auf die Erben über. Diese stehen fortan als Rechtsnachfolger anstelle des Erblassers in sämtlichen Rechtsverhältnissen.
Arten der Erbfolge
Gesetzliche Erbfolge
Die gesetzliche Erbfolge ist maßgeblich, wenn keine letztwillige Verfügung (Testament oder Erbvertrag) hinterlassen wurde. Die Erben werden nach Ordnungen eingeteilt:
- Erben erster Ordnung: Abkömmlinge des Erblassers (Kinder und deren Nachkommen)
- Erben zweiter Ordnung: Eltern des Erblassers und deren Nachkommen (z.B. Geschwister)
- Erben dritter Ordnung: Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen
- usw.
Der Ehegatte hat stets ein besonderes Erbrecht, das neben den Verwandtenerben steht (§§ 1931, 1371 BGB).
Gewillkürte Erbfolge
Die gewillkürte Erbfolge tritt ein, wenn der Erblasser durch ein Testament oder einen Erbvertrag über sein Vermögen für den Todesfall verfügt hat. Die darin bestimmten Personen sind die Erben im Rechtssinne und treten in die Rechtsstellung des Erblassers ein (§ 1937, § 1941 BGB).
Rechte und Pflichten des Erben
Aktiva und Passiva
Der Erbe übernimmt nicht nur die Vermögenswerte des Erblassers, sondern haftet grundsätzlich auch für dessen Schulden. Eine Ausnahme besteht bei der Annahme der Erbschaft unter der Beschränkung der Haftung (z.B. Erbschaftsausschlagung oder Nachlassinsolvenzverfahren).
Erbschaftsausschlagung
Jede Person, die durch Testament, Erbvertrag oder Gesetz als Erbe bestimmt ist, kann die Erbschaft ausschlagen (§§ 1942 ff. BGB). Nach der Ausschlagung gilt die betroffene Person als nicht berufen, wodurch die Erbfolge auf andere Personen übergeht.
Erbenmehrheit: Die Erbengemeinschaft
Sind mehrere Personen Erben, entstehen sogenannte Erbengemeinschaften (§ 2032 BGB). Bis zur endgültigen Aufteilung (Auseinandersetzung) des Nachlasses verwalten und nutzen die Miterben das Erbe gemeinschaftlich.
Besonderheiten und Sonderformen
Pflichtteil
Bestimmten nahen Verwandten (Abkömmlinge, Ehepartner, Eltern) steht aufgrund gesetzlicher Schutzbestimmungen auch gegen den Willen des Erblassers ein Pflichtteilsanspruch zu (§§ 2303 ff. BGB). Der Pflichtteilsberechtigte erhält einen Geldanspruch gegen den oder die Erben, nicht jedoch einen Anteil am Nachlass selbst.
Voraus und Vermächtnis
Neben dem Erbe gibt es besondere Zuwendungen wie den Voraus (besondere Gegenstände ausschließlich für den Ehegatten oder Lebenspartner, § 1932 BGB) sowie das Vermächtnis. Ein Vermächtnis berechtigt den Bedachten zu einer Leistung aus dem Nachlass, macht ihn aber nicht selbst zum Erben (§§ 2147 ff. BGB).
Anspruchsdurchsetzung und Nachweispflichten
Erbschein
Zum Nachweis der Erbenstellung dient der Erbschein (§§ 2353 ff. BGB), der von Nachlassgerichten ausgestellt wird. Er ist insbesondere bei Immobilien sowie Bankgeschäften regelmäßig erforderlich, um die Stellung als Erbe zu legitimieren.
Nachlassverzeichnis und Gläubigerschutz
Die Erben sind verpflichtet, auf Verlangen ein Nachlassverzeichnis zu erstellen (§§ 1993, 2005 BGB), insbesondere gegenüber Pflichtteilsberechtigten und Gläubigern. Zur Sicherung von Nachlassverbindlichkeiten kann das Nachlassgericht Maßnahmen wie die Einsetzung eines Nachlasspflegers oder die Anordnung einer Nachlassverwaltung treffen.
Steuerliche Aspekte des Erbes
Erbschaftsteuer
Erwerbe von Todes wegen unterliegen grundsätzlich der Erbschaftsteuer, wobei Freibeträge und Steuersätze nach dem Verwandtschaftsverhältnis differenzieren (§§ 1, 3, 14 ErbStG). Steuerlich relevant ist der Verkehrswert der übertragenen Vermögenswerte samt aller damit verbundenen Rechte und Pflichten.
Internationale Aspekte des Erbrechts
Durch grenzüberschreitende Erbfälle finden – je nach Staatsangehörigkeit und gewöhnlichem Aufenthalt des Erblassers – das deutsche oder ausländisches Erbrecht Anwendung. Die Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) regelt seit 2015 für viele EU-Länder, welches Erbrecht zur Anwendung gelangt und wie Nachlassverfahren EU-weit anzuerkennen sind.
Zusammenfassung
Der Erbe nimmt mit dem Tod des Erblassers dessen Vermögen (Rechte und Pflichten) in einer Gesamtrechtsnachfolge auf und ist in seiner Rechtsstellung umfassend durch das Erbrecht geregelt. Die konkrete Ausgestaltung richtet sich nach gesetzlicher oder gewillkürter Erbfolge, individuellen Nachlassverfügungen sowie dem Bestehen besonderer Rechte und Pflichten wie Pflichtteil, Vermächtnis oder Steuerpflichten. Zudem sind bei internationalen Sachverhalten Kollisionsregeln und grenzüberschreitende Vorschriften zu beachten.
Häufig gestellte Fragen
Wer haftet für die Schulden des Erblassers?
Erben übernehmen nicht nur die Vermögenswerte des Erblassers, sondern haften grundsätzlich auch für dessen Verbindlichkeiten. Die Haftung tritt automatisch mit dem Erbfall ein, es sei denn, die Erbschaft wird ausgeschlagen. Die Erben haften zunächst unbeschränkt, das bedeutet, ihr eigenes Vermögen kann zur Befriedigung von Nachlassgläubigern herangezogen werden. Um dieses Risiko zu minimieren, besteht die Möglichkeit, die Haftung auf den Nachlass zu beschränken, etwa durch die Beantragung der Nachlassverwaltung (§ 1975 BGB) oder die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens (§ 1980 BGB). Zudem sollten Erben die Fristen beachten – eine Ausschlagung ist nur binnen sechs Wochen ab Kenntnis des Erbfalls (bzw. sechs Monate bei Auslandsbezug) möglich (§ 1944 BGB). Wird nicht ausgeschlagen und auch keine Haftungsbeschränkung beantragt, bleiben Erben für alle bestehenden wie auch künftig bekannt werdenden Nachlassverbindlichkeiten haftbar.
Welche Möglichkeiten bestehen zur Ausschlagung einer Erbschaft?
Eine Erbschaft kann durch eine ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht ausgeschlagen werden (§§ 1942 ff. BGB). Dies ist insbesondere ratsam, wenn der Nachlass überschuldet ist. Die Erklärung ist innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Kenntnis vom Anfall der Erbschaft und dem Grund der Berufung (meist Kenntnis vom Tod des Erblassers) abzugeben; bei Aufenthalt im Ausland oder bei Wohnsitz des Erblassers im Ausland beträgt die Frist sechs Monate. Die Ausschlagung muss persönlich zu Protokoll des Nachlassgerichts oder in öffentlich beglaubigter Form (etwa über einen Notar) erfolgen. Verspätete Ausschlagungen sind unwirksam und gelten als Annahme der Erbschaft. Bereits angenommene oder ausgeschlagene Erbschaften können nur in Ausnahmefällen – etwa bei Irrtum über eine maßgebliche Eigenschaft – angefochten werden (§ 1954 BGB).
Wie erfolgt die gesetzliche Erbfolge, wenn kein Testament existiert?
Ist kein Testament oder Erbvertrag vorhanden, greift die gesetzliche Erbfolge nach den §§ 1924 ff. BGB. Die Erben werden nach Ordnungen eingeteilt: Zur ersten Ordnung gehören die Abkömmlinge des Erblassers (Kinder, Enkel usw.), zur zweiten seine Eltern und deren Abkömmlinge (also Geschwister, Nichten/Neffen), zur dritten die Großeltern und deren Abkömmlinge usw. Die Erben höherer Ordnungen schließen die nachrangigen Ordnungen aus. Ehegatten und eingetragene Lebenspartner erben neben den Verwandten, wobei ihre Erbquote vom Güterstand der Ehe und der Ordnung der mitberufenen Verwandten abhängt (§ 1931, § 1371 BGB). Gibt es keine gesetzlichen oder testamentarischen Erben, fällt der Nachlass an den Staat („Aneignung“, § 1936 BGB).
Was ist ein Pflichtteilsanspruch und wie wird er geltend gemacht?
Der Pflichtteilsanspruch schützt nahe Angehörige (Kinder, Ehegatten, Eltern) davor, durch Verfügung von Todes wegen vollständig enterbt zu werden (§ 2303 BGB). Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist ein reiner Geldanspruch gegen die Erben, kein Anspruch auf Herausgabe einzelner Nachlassgegenstände. Zur Geltendmachung muss der Berechtigte seinen Anspruch bei den Erben anmelden; bei Nichterfüllung ist eine Klage vor den ordentlichen Gerichten möglich. Der Anspruch verjährt nach drei Jahren, beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Berechtigte von der Enterbung Kenntnis erlangt hat (§ 2332 BGB). Zur Berechnung ist der Wert des gesamten Nachlasses maßgeblich, wobei auch Schenkungen des Erblassers innerhalb von zehn Jahren vor seinem Tod hinzugerechnet werden können (§ 2325 BGB).
Wie läuft das Nachlassverfahren beim Nachlassgericht ab?
Das Nachlassgericht verwaltet und betreut den Nachlass insbesondere während der Klärung der Erbberechtigung und der Erteilung von Erbscheinen. Nach dem Bekanntwerden eines Todesfalls wird der Nachlassmasse ein Aktenzeichen zugewiesen. Wichtige Aufgaben des Gerichts umfassen: Entgegennahme von Erklärungen zur Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft, Bestätigung oder Ablehnung von Testamentsvollstreckerzeugnissen und die Erteilung von Erbscheinen als Nachweis der Erbenstellung (§ 2353 BGB). Der Erbschein wird nur auf Antrag ausgestellt und beschreibt die Erbberechtigten und deren Quoten. Das Nachlassgericht prüft die eingereichten Unterlagen (Personenstandsurkunden, Testamente etc.) und führt bei Bedarf Nachlasssicherungsmaßnahmen durch, etwa Versiegelung von Wohnungen. Die Kosten für die Tätigkeit des Nachlassgerichts sind im Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) geregelt.
Was müssen Erben hinsichtlich der Erbschaftsteuer beachten?
Mit dem Erwerb des Nachlasses entsteht dem Erben gegenüber dem Finanzamt grundsätzlich eine Steuerpflicht gemäß dem Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG). Die Höhe der Steuer richtet sich nach dem Wert des erhaltenen Vermögens sowie dem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser (§§ 15, 16 ErbStG). Es bestehen Freibeträge, z.B. 500.000 € für Ehegatten, 400.000 € für Kinder (§ 16 ErbStG). Die Erben sind verpflichtet, innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis vom Erbfall den Erwerb dem Finanzamt anzuzeigen (§ 30 ErbStG). Die tatsächliche Steuerpflicht wird erst nach formeller Steuerfestsetzung durch das Finanzamt fällig. Zur korrekten Ermittlung des steuerpflichtigen Nachlasswerts sind alle Vermögenswerte, aber auch die Nachlassverbindlichkeiten, anzugeben; dies erfolgt in der Regel per Erbschaftsteuererklärung. Liegt der Wert unter dem jeweiligen Freibetrag, fällt keine Steuer an, die Meldepflicht bleibt jedoch bestehen.
Welche Rechte und Pflichten haben Miterben einer Erbengemeinschaft?
Sind mehrere Personen Erben geworden (Erbengemeinschaft, § 2032 BGB), steht ihnen der Nachlass gemeinschaftlich, als so genanntes Gesamthandsvermögen, zu. Die Verwaltung des Nachlasses erfolgt gemeinschaftlich, d.h. es sind regelmäßig alle Miterben an Entscheidungen zu beteiligen (§ 2038 BGB). Ausnahmen bestehen nur bei „notwendigen Maßnahmen“ zur Erhaltung des Nachlasses, die jeder Erbe einzeln treffen darf. Große Maßnahmen, etwa der Verkauf eines Grundstücks, bedürfen der Zustimmung aller Miterben. Jeder Miterbe hat das Recht, die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zu verlangen, also die Verteilung des Nachlasses auf die Miterben (§ 2042 BGB). Bis zur Teilung entstehen Pflichten zur ordnungsgemäßen Verwaltung (Erhaltung, Werterhalt etc.) sowie zur Mitwirkung gegenüber Banken, Versicherungen und Behörden. Bei Uneinigkeiten kann das Nachlassgericht auf Antrag vermitteln, rechtlich bindend sind dann meist nur gerichtliche Teilungsverfahren.