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Entziehungsanstalt

Begriff und rechtliche Einordnung der Entziehungsanstalt

Eine Entziehungsanstalt ist eine staatlich anerkannte Einrichtung für den stationären Suchtentzug im Rahmen einer strafrechtlichen Maßnahme. Sie dient nicht der Bestrafung, sondern der Behandlung von Personen, deren Straftaten in engem Zusammenhang mit einer Abhängigkeit von Alkohol, Betäubungsmitteln oder anderen berauschenden Mitteln stehen. Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist eine Maßnahme der Besserung und Sicherung und kann neben einer Freiheitsstrafe angeordnet werden.

Rechtscharakter

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist keine Strafe, sondern eine präventiv-therapeutische Maßnahme. Sie kann zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe verhängt werden oder in Einzelfällen auch allein stehen, wenn dies zur Abwendung weiterer Straftaten aufgrund der Suchtproblematik erforderlich erscheint. Maßgeblich ist der Zweck, Rückfälle zu verhindern und die Behandlung zugänglich zu machen.

Zweck und Zielsetzung

Behandlung statt alleiniger Verwahrung

Zentrales Ziel ist die nachhaltige Behandlung einer Sucht, die zur Begehung von Straftaten beigetragen hat. Die Einrichtung bietet medizinische und psychotherapeutische Hilfen, um Entzug, Entwöhnung und Stabilisierung zu erreichen.

Schutz der Allgemeinheit

Durch die Therapie soll das Risiko weiterer suchtspezifischer Straftaten gesenkt werden. Der Schutz der Allgemeinheit und die Reintegration der betroffenen Person stehen gleichwertig im Vordergrund.

Voraussetzungen der Anordnung

Abhängigkeit oder Hang

Erforderlich ist eine gefestigte Sucht oder ein langandauernder Hang zum Konsum berauschender Mittel, der über bloße Gelegenheitsnutzung hinausgeht.

Zusammenhang zwischen Tat und Sucht

Zwischen dem Suchtverhalten und der abgeurteilten Straftat muss ein enger Zusammenhang bestehen, etwa wenn die Tat unter Rauscheinfluss begangen wurde oder der Konsum die Tatmotivation geprägt hat.

Erfolgsaussicht und Geeignetheit

Die Behandlung muss voraussichtlich Erfolg versprechen. Dazu wird regelmäßig geprüft, ob eine realistische Chance besteht, durch Therapie das Rückfallrisiko zu verringern. Die Bereitschaft zur Mitarbeit ist ein wichtiger, aber nicht allein entscheidender Faktor.

Verhältnismäßigkeit

Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Die erwarteten Vorteile der Behandlung müssen in einem angemessenen Verhältnis zu Eingriffen in die Freiheit der betroffenen Person stehen.

Verfahren der Anordnung

Zeitpunkt der Entscheidung

Über die Unterbringung wird im Strafverfahren entschieden. Die Anordnung erfolgt im Urteil und bestimmt zugleich, wie sich die Maßnahme zur verhängten Freiheitsstrafe verhält.

Begutachtung und Beweisgrundlage

Die Entscheidung stützt sich in der Regel auf ein unabhängiges Gutachten zur Suchtproblematik, zur Tatmotivation und zur Prognose. Hinzu kommen Informationen aus Vorstrafenregister, Behandlungsberichten und persönlichen Anhörungen.

Inhalt des Urteils

Das Urteil enthält die Anordnung der Unterbringung, die Begründung der Voraussetzungen sowie Hinweise zum Verhältnis zur Freiheitsstrafe. Zuständige Vollzugsbehörden leiten anschließend die Unterbringung ein.

Vollzug und Ablauf der Unterbringung

Einrichtung und Rahmenbedingungen

Entziehungsanstalten sind spezialisierte Kliniken des Maßregelvollzugs mit therapeutischem Schwerpunkt und erforderlichen Sicherungsmaßnahmen. Der Alltag ist strukturiert; externe Kontakte, Besuche und Mobilität werden geregelt und können stufenweise erweitert werden.

Therapeutische Inhalte

Typische Elemente sind Entzug und Entwöhnung, Einzel- und Gruppentherapien, Behandlung begleitender Störungen, Sozial- und Arbeitstherapie, Rückfallprävention sowie Vorbereitung auf die Zeit nach der Unterbringung.

Lockerungen und Kontrolle

Lockerungen (zum Beispiel Ausgänge) erfolgen risikogesteuert und abhängig vom Therapieverlauf. Rückfälle oder Verstöße gegen Auflagen können zu Einschränkungen oder zur Beendigung der Maßnahme führen.

Dauer, Überprüfung und Beendigung

Höchstdauer

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist zeitlich begrenzt. In der Praxis gilt eine feste Höchstdauer von zwei Jahren für die therapeutische Maßnahme.

Regelmäßige Überprüfung

Der Therapieverlauf und die Risikoprognose werden in regelmäßigen Abständen überprüft. Das zuständige Gericht kann Fortführung, Lockerungen, Aussetzung oder Beendigung der Unterbringung entscheiden.

Beendigung bei Erfolg oder Erfolglosigkeit

Ist das Behandlungsziel erreicht oder sind weitere Fortschritte nicht zu erwarten, kann die Unterbringung beendet werden. Bei nachhaltigen Verbesserungen kommen Entscheidungen zugunsten der betroffenen Person in Betracht; bei Erfolglosigkeit wird die Maßnahme beendet und die weitere Vollstreckung entsprechend fortgesetzt.

Verhältnis zur Freiheitsstrafe

Vollstreckungsreihenfolge

Wird neben der Unterbringung eine Freiheitsstrafe verhängt, wird regelmäßig zuerst die Maßnahme in der Entziehungsanstalt vollzogen. Ziel ist, die Suchtbehandlung frühzeitig zu beginnen.

Anrechnung und Bewährungsentscheidungen

Zeiten der Unterbringung werden auf eine verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Nach erfolgreicher Therapie kann die weitere Vollstreckung der Strafe unter Umständen zur Bewährung ausgesetzt werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen vorliegen und das Risiko weiterer Taten ausreichend reduziert ist.

Abgrenzung zu anderen Unterbringungsformen

Psychiatrisches Krankenhaus

Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dient der Behandlung schwerer seelischer Störungen, die unabhängig von einer Sucht vorliegen. Die Entziehungsanstalt ist demgegenüber speziell auf Suchterkrankungen ausgerichtet. Bei gleichzeitig bestehender schwerer psychischer Erkrankung kann die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus vorrangig sein.

Suchtbehandlung außerhalb des Maßregelvollzugs

Therapien können auch ambulant oder stationär außerhalb des Maßregelvollzugs stattfinden. Die Entziehungsanstalt ist jedoch eine gesondert geregelte Form der Behandlung im strafrechtlichen Kontext mit eigenen Vollzugs- und Kontrollmechanismen.

Rechte und Pflichten der untergebrachten Person

Zentrale Rechte

Gewährleistet sind eine Behandlung nach anerkannten fachlichen Standards, menschenwürdige Unterbringung, gesundheitliche Versorgung, rechtliches Gehör bei Entscheidungen und die Möglichkeit, Entscheidungen überprüfen zu lassen. Kontakte nach außen sind grundsätzlich möglich und werden im Rahmen der Sicherheits- und Therapieerfordernisse geregelt. Der Schutz sensibler Gesundheitsdaten ist zu beachten; Informationen werden nur im rechtlich zulässigen Umfang an Behörden und Gerichte übermittelt.

Zentrale Pflichten

Erwartet wird die Mitwirkung an der Therapie, die Einhaltung von Hausordnungen, Abstinenzgebote sowie die Befolgung therapeutischer und sicherheitsrelevanter Anweisungen. Verstöße können Auswirkungen auf Lockerungen und den Fortgang der Maßnahme haben.

Zuständigkeiten und Aufsicht

Für die Anordnung ist das erkennende Gericht zuständig. Während der Maßnahme überwacht das zuständige Gericht den Vollzug, trifft Entscheidungen über Fortdauer, Aussetzungen, Lockerungen und Beendigungen und stützt sich hierbei auf Berichte der Einrichtung und auf aktuelle Bewertungen zur Prognose.

Kosten und Finanzierung

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wird aus öffentlichen Mitteln finanziert. Die Einrichtungen unterliegen staatlicher Aufsicht und Qualitätsvorgaben, um einen wirksamen und rechtskonformen Vollzug sicherzustellen.

Besondere Konstellationen

Jugendstrafverfahren

Im Jugendstrafrecht gelten eigene Reaktionsformen mit erzieherischem Schwerpunkt. Suchtbezogene Maßnahmen können auch dort angeordnet werden, orientieren sich jedoch an den besonderen Grundsätzen des Jugendstrafverfahrens.

Mehrfachabhängigkeit und Begleiterkrankungen

Bestehen mehrere Abhängigkeiten oder zusätzliche psychische Störungen, wird die Therapie entsprechend angepasst. In Einzelfällen kann eine andere Unterbringungsform angezeigt sein, wenn diese die Behandlung umfassender ermöglicht.

Mehrere Anordnungen

Werden neben der Entziehungsanstalt weitere Maßnahmen in Betracht gezogen, entscheidet das Gericht über Reihenfolge, Vorrang und mögliche Kombination, stets ausgerichtet an Therapieerfolg und Sicherungsinteresse.

Häufig gestellte Fragen

Was ist eine Entziehungsanstalt im strafrechtlichen Sinne?

Sie ist eine Einrichtung des Maßregelvollzugs zur stationären Behandlung von Suchtproblemen, wenn die begangene Straftat in engem Zusammenhang mit dem Konsum oder der Abhängigkeit steht. Ziel ist die Verringerung des Rückfallrisikos durch Therapie.

Wer entscheidet über die Unterbringung und wann?

Die Entscheidung trifft das zuständige Gericht im Strafverfahren. Die Anordnung erfolgt im Urteil, gestützt auf Begutachtungen, Berichte und die Einschätzung der Erfolgsaussicht.

Wie lange dauert die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt?

Die Maßnahme ist zeitlich begrenzt; die Höchstdauer beträgt zwei Jahre. Innerhalb dieses Rahmens wird regelmäßig überprüft, ob Fortführung, Lockerung oder Beendigung angezeigt ist.

Wird die Zeit in der Entziehungsanstalt auf eine Freiheitsstrafe angerechnet?

Ja. Zeiten der Unterbringung werden auf eine verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Nach erfolgreicher Therapie kommen Entscheidungen zur Aussetzung weiterer Vollstreckung in Betracht, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

Was passiert, wenn die Therapie keine Aussicht auf Erfolg hat?

Ergibt sich, dass die Maßnahme voraussichtlich nicht zum Erfolg führen wird, kann sie beendet werden. In diesem Fall wird die weitere Vollstreckung entsprechend fortgesetzt, etwa durch anschließende Vollstreckung einer Freiheitsstrafe.

Worin unterscheidet sich die Entziehungsanstalt vom psychiatrischen Krankenhaus?

Die Entziehungsanstalt richtet sich auf Suchterkrankungen. Das psychiatrische Krankenhaus ist für schwerwiegende seelische Störungen vorgesehen, die unabhängig von einer Sucht bestehen. Bei entsprechender Indikation kann das psychiatrische Krankenhaus vorrangig sein.

Welche Rechte haben Untergebrachte während der Maßnahme?

Sie haben Anspruch auf eine Behandlung nach anerkannten Standards, auf rechtliches Gehör bei wichtigen Entscheidungen sowie auf geregelte Kontakte nach außen unter Beachtung von Sicherheit und Therapieerfordernissen. Datenschutz und Vertraulichkeit gesundheitlicher Informationen sind zu beachten.

Kann die Unterbringung auch ohne zusätzliche Freiheitsstrafe angeordnet werden?

Das ist möglich, wenn die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und die Maßnahme zur Abwendung weiterer suchtbedingter Straftaten erforderlich ist. Häufig wird sie jedoch zusammen mit einer Freiheitsstrafe angeordnet.