Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Rechtsbegriffe (allgemein)»Entwicklungspolitik der EU

Entwicklungspolitik der EU


Begriff und rechtlicher Rahmen der Entwicklungspolitik der EU

Die Entwicklungspolitik der Europäischen Union (EU) stellt ein zentrales Politikfeld für die Außenbeziehungen der Union dar. Sie zielt darauf ab, die Armut weltweit zu beseitigen, nachhaltige Entwicklung zu fördern sowie Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Entwicklungsländern zu stärken. Die europäische Entwicklungspolitik ist dabei umfassend rechtlich geregelt und bildet einen festen Bestandteil der EU-Verträge sowie der darauf basierenden Sekundärrechtsakte und internationalen Übereinkommen.

Rechtsquellen der europäischen Entwicklungspolitik

Die Entwicklungspolitik der EU ist überwiegend primärrechtlich im Vertrag über die Europäische Union (EUV) und im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) normiert. Insbesondere die Artikel 3 Abs. 5 EUV sowie die Artikel 208 bis 211 AEUV sind maßgeblich. Daneben bestehen einschlägige Sekundärrechtsakte, etwa Verordnungen und Richtlinien, sowie internationale Abkommen, an denen die EU als Kollektiv teilnimmt oder die sie mit Drittstaaten schließt.

Primärrechtlicher Rahmen

Der primärrechtliche Rahmen wird vor allem durch folgende Vorschriften gebildet:

  • Artikel 3 Abs. 5 EUV erklärt das Ziel der Union, zu nachhaltiger Entwicklung, Solidarität und gegenseitigem Respekt zwischen den Völkern beizutragen.
  • Artikel 21 EUV bestimmt die Grundsätze und Ziele des auswärtigen Handelns der Union, zu denen die nachhaltige Entwicklung beiträgt.
  • Artikel 208-211 AEUV enthalten die spezifischen Bestimmungen zur Entwicklungspolitik. Artikel 208 AEUV stellt klar, dass das Hauptziel die Verminderung – und letztlich die Beseitigung – von Armut ist.

Sekundärrecht

Auf Grundlage des AEUV erlässt die Europäische Union eine Vielzahl von Rechtsakten, etwa Verordnungen zur Errichtung von Finanzierungsinstrumenten, Leitlinien oder Beschlüsse über Finanzierungsrahmen. Wichtige Vorschriften betreffen beispielsweise den Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), der bislang eine zentrale Rolle für die Finanzierung der Zusammenarbeit mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten) spielte, sowie das Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit (NDICI – Global Europe), das den EEF seit 2021 ablöst.

Internationale Abkommen

Die EU schließt regelmäßig internationale Übereinkommen mit Drittstaaten und Organisationen. Bedeutsam war das Cotonou-Abkommen mit den AKP-Staaten, das 2021 durch das Samoa-Abkommen abgelöst wurde. Völkerrechtliche Verträge prägen maßgeblich die inhaltliche Ausgestaltung der Entwicklungspolitik und ihre Umsetzung.

Institutionelle Struktur und Zuständigkeiten

Die Entwicklungspolitik der EU wird gemeinschaftlich und koordiniert ausgestaltet.

Europäische Kommission

Innerhalb der Europäischen Kommission ist insbesondere die Generaldirektion Internationale Partnerschaften (DG INTPA, vormals DG DEVCO) für die Konzeption, Steuerung und Umsetzung der Entwicklungspolitik zuständig. Weitere relevante Generaldirektionen sind DG ECHO (humanitäre Hilfe) sowie der Europäische Auswärtige Dienst (EAD).

Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament

Das Gesetzgebungsverfahren in der Entwicklungspolitik erfolgt nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, bei dem sowohl das Europäische Parlament als auch der Rat der Europäischen Union entscheiden. Besonders hervorzuheben ist die Kompetenzaufteilung nach dem Prinzip der geteilten Zuständigkeiten gemäß Artikel 4 Abs. 4 AEUV: Die Entwicklungspolitik wird sowohl auf EU- als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten verfolgt.

Mitgliedstaaten

Die einzelstaatliche Entwicklungspolitik der EU-Mitgliedstaaten bleibt ausdrücklich unberührt (Artikel 208 Abs. 1 AEUV). Allerdings verpflichten sich die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Politiken mit den Maßnahmen der Union abzustimmen und bestmöglich zu koordinieren (Art. 210 AEUV).

Grundsätze und Ziele der Entwicklungspolitik der EU

Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung

Gemäß Artikel 208 AEUV ist die „Verringerung und auf längere Sicht die Beseitigung von Armut” das übergeordnete Ziel. Daneben verpflichtet sich die EU, die nachhaltige Entwicklung – inkl. wirtschaftliche, soziale und ökologische Gesichtspunkte – strategisch und rechtlich in alle Politiken zu integrieren.

Grundsatz der Politikkohärenz für Entwicklung

Nach Artikel 208 Abs. 2 AEUV hat die Union die Verpflichtung, im Rahmen sämtlicher interner und externer Politikbereiche darauf zu achten, dass keine Maßnahmen den Zielen der Entwicklungspolitik entgegenstehen. Dieses Kohärenzgebot (sog. „Policy Coherence for Development”, PCD) wurde im Rahmen des Vertrags von Lissabon besonders betont.

Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit

Die Achtung der Menschenrechte, Förderung von Demokratie, Gleichstellung und Rechtsstaatlichkeit sind gemäß den Verträgen und einschlägigen Sekundärrechtsakten integrale Bestandteile der Entwicklungspolitik.

Finanzierungsinstrumente der Entwicklungspolitik

Die Entwicklungspolitik der EU verfügt über eine Vielzahl von Finanzierungsinstrumenten:

  • NDICI – Global Europe (2021-2027): Hauptfinanzierungsinstrument für Außen- und Entwicklungspolitik, umfasst rund 80 Milliarden Euro.
  • Europäischer Entwicklungsfonds (EEF): 1959-2020 eigenständiges Finanzierungsinstrument zur Umsetzung der AKP-Partnerschaft.
  • Humanitärer Hilfsfonds und thematische Programme: Für spezifische Bereiche wie Menschenrechte, Umwelt oder Geschlechtergerechtigkeit existieren weitere Instrumente mit jeweils eigenen Rechtsgrundlagen.

Rechtswirkungen und Kontrollmechanismen

Rechtliche Bindung

Die Verordnungen und Beschlüsse der Union zur Entwicklungspolitik sind in den Mitgliedstaaten unmittelbar bzw. nach nationalem Umsetzungsakt verbindlich und entfalten für Programmteilnehmer Rechtswirkung nach Maßgabe ihres Inhalts.

Kontrolle und Rechenschaft

Die Kontrolle über die rechtskonforme Mittelverwendung obliegt dem Europäischen Rechnungshof sowie unabhängigen Prüfinstanzen. Die Europäische Kommission ist gegenüber dem Parlament und dem Rat rechenschaftspflichtig und übermittelt regelmäßig Berichte über die Wirkungen und die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben.

Verhältnis zu anderen Politikbereichen

Außenbeziehungen

Die Entwicklungspolitik ist eng verzahnt mit anderen Bereichen des auswärtigen Handelns, etwa der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), der Handelspolitik oder der Nachbarschaftspolitik. Rechtlich ist eine enge Abstimmung der Maßnahmen und Programme vorgesehen.

Kompetenzabgrenzung zu nationaler Entwicklungspolitik

Nach Artikel 4 Abs. 4 AEUV besteht eine geteilte Zuständigkeit, sodass sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten eigenständig tätig werden können, wobei jedoch die Zusammenarbeit und Abstimmung verpflichtend sind (Artikel 210 AEUV).

Zusammenarbeit mit Drittstaaten und internationalen Organisationen

Die Umsetzung der EU-Entwicklungspolitik vollzieht sich in partnerschaftlicher Form mit Drittstaaten, internationalen Organisationen – etwa den Vereinten Nationen oder der OECD – und anderen multilateralen Einrichtungen. Die vertraglichen Beziehungen sind durch Partnerschaftsabkommen, Kooperationsabkommen und sog. Länderstrategien rechtlich verbindlich ausgestaltet.

Ausblick und Reformen

Die rechtliche Entwicklung der EU-Entwicklungspolitik ist von einer zunehmenden Ausweitung des Mandats, einer stärkeren Institutionalisierung sowie neuen Finanzierungs- und Steuerungsinstrumenten gekennzeichnet. Insbesondere die Integration des EEF in den EU-Haushalt (vormals separater Fonds) im Zuge der NDICI-Reform stellt einen zentralen Reformschritt dar.

Literatur und Rechtsquellen

  • Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Artikel 208-211
  • Vertrag über die Europäische Union (EUV), Artikel 3 und 21
  • NDICI-VO: Verordnung (EU) 2021/947 zur Einrichtung des Instruments für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit („Global Europe”)
  • Cotonou-Abkommen (2000), Samoa-Abkommen (2021)
  • Diverse Durchführungsbestimmungen und Strategiepapiere der Europäischen Kommission

Fazit:
Die Entwicklungspolitik der EU ist umfassend und detailliert, sowohl im Primär- als auch Sekundärrecht geregelt. Sie verfolgt vorrangig das Ziel der Armutsbekämpfung, eingebettet in einen normativen Rahmen, der politische Kohärenz, nachhaltige Entwicklung und die Achtung der Menschenrechte verpflichtend vorsieht. Die Koordinierung mit der nationalen Entwicklungspolitik bleibt eine ständige Herausforderung und ist rechtlich besonders ausgeprägt geregelt. Die fortwährende Konsolidierung und Erweiterung der Rechtsgrundlagen belegt die stetige Weiterentwicklung der EU-Entwicklungspolitik im internationalen Kontext.

Häufig gestellte Fragen

Wie ist die Entwicklungspolitik als Politikfeld in den EU-Verträgen verankert?

Die entwicklungspolitische Zuständigkeit der Europäischen Union ist vorrangig durch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere in den Artikeln 208 bis 213, geregelt. Danach ergänzt die Entwicklungspolitik der EU die von den Mitgliedstaaten durchgeführten Maßnahmen, wobei der Grundsatz der Kohärenz mit anderen Politikfeldern – gemäß Artikel 208 Abs. 2 AEUV – eine besondere Rolle spielt. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) verankert die Entwicklungspolitik zudem als einen Gründungszweck der EU (Art. 21 EUV: Förderung nachhaltiger Entwicklung in Drittländern). Die EU ist nach Maßgabe dieser Vertragsbestimmungen befugt, eigenständig Entwicklungsabkommen mit Drittstaaten abzuschließen, Programme aufzulegen und finanzielle Mittel bereitzustellen. Die Rechtgrundlage unterliegt dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, sofern nicht explizit eine andere Vorgehensweise vorgesehen ist (insb. im Bereich externer Maßnahmen).

Welche rechtlichen Instrumente kann die EU im Bereich Entwicklungspolitik einsetzen?

Rechtlich stehen der Europäischen Union verschiedene Instrumente zur Verfügung. Sekundärrechtliche Maßnahmen erfolgen meist in Form von Verordnungen, etwa dem Mehrjährigen Finanzierungsinstrument für Entwicklungsländer (wie dem Instrument für Nachbarschaft, Entwicklungszusammenarbeit und internationale Zusammenarbeit – NDICI/Global Europe gemäß Verordnung (EU) 2021/947). Außerdem kann der Rat der EU, oft zusammen mit dem Europäischen Parlament, gezielte Durchführungsbeschlüsse, Gemeinsame Standpunkte oder Rahmenregelungen erlassen. Darüber hinaus schließt die EU völkerrechtliche Übereinkommen mit Partnerstaaten und -regionen ab, wie zum Beispiel das Cotonou-Abkommen mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP). Hierbei gelten die allgemeinen Regeln für den Abschluss internationaler Abkommen (Art. 216 ff. AEUV).

Welchen Stellenwert hat die Beachtung der Menschenrechte in der entwicklungspolitischen Gesetzgebung der EU?

Die Beachtung und Förderung der Menschenrechte stellen einen verpflichtenden Bestandteil für das gesamte außenpolitische Handeln der EU dar, somit auch für die Entwicklungspolitik (vgl. Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b EUV, Charta der Grundrechte der EU). Rechtlich ist vorgesehen, dass sämtliche entwicklungspolitischen Maßnahmen, Programme und Finanzierungen an Bedingungen der Achtung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Prinzipien in den Partnerländern geknüpft werden. Diese sogenannten Konditionalitäten werden durch konkrete Klauseln in Finanzierungsinstrumenten und in den von der EU abgeschlossenen Abkommen ausdrücklich festgelegt und bei Vertragsverletzungen werden finanzielle oder politische Konsequenzen bis hin zur Aussetzung von Maßnahmen ermöglicht.

Wie ist das Verhältnis zwischen EU-Kompetenzen und nationaler Entwicklungspolitik rechtlich ausgestaltet?

Die entwicklungspolitische Zuständigkeit der EU ist gemäß Art. 4 Abs. 4 i.V.m. Art. 208 Abs. 1 AEUV als „geteilte” Kompetenz ausgestaltet, wobei die Mitgliedstaaten weiterhin ihre eigene Entwicklungspolitik verfolgen und gestalten können. Dies bedeutet, dass Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten einander ergänzen, jedoch müssen diese aufeinander abgestimmt und kohärent sein. Laut Art. 210 Abs. 1 AEUV verpflichtet sich die Union, im Sinne effizienter Entwicklungszusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu kooperieren und gegenseitige Informationen zu gewährleisten. Nationale Maßnahmen dürfen dabei nicht im Widerspruch zu den Zielen und Prinzipien der EU-Entwicklungspolitik stehen.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen an die Mittelvergabe im Rahmen der EU-Entwicklungspolitik?

Die Haushaltsführung und Mittelvergabe folgen – über die allgemeinen Vorgaben der EU-Haushaltsordnung hinaus – zusätzlichen entwicklungspolitischen und rechtlichen Anforderungen. Gemäß Art. 209 Abs. 1 und 2 AEUV unterliegt die Durchführung der Programme und Maßnahmen spezifischen Transparenz- und Kontrollmechanismen. Voraussetzung für die Vergabe von Mitteln ist in der Regel die Einhaltung der Grundsätze effizienter Mittelverwendung, Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und der Rechenschaftspflicht. Bei Projekten mit Kofinanzierungen wird eine vertragliche Regelung zwischen Kommission, Partnerländern und ggf. internationalen Organisationen abgeschlossen, in denen Mittelverwendung, Berichterstattung und Kontrollrechte der EU präzise geregelt sind.

Wie wird die Rechtmäßigkeit und Wirksamkeit der EU-Entwicklungspolitik überprüft?

Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen der EU-Entwicklungspolitik unterliegt mehreren Kontrollinstanzen: Auf unionsinterner Ebene obliegt der EU-Kommission die Durchführung und das Monitoring der Programme; die Europäische Anti-Betrugsbehörde (OLAF) und der Europäische Rechnungshof prüfen Finanzflüsse und deren korrekte Verwendung gemäß Art. 287 AEUV. Institutionell gesehen kann auch der Europäische Gerichtshof angerufen werden, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder Auslegung der entwicklungspolitischen Rechtsakte bestehen (Rechtmäßigkeitskontrolle und Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 263 ff. AEUV). Die Wirksamkeit der Maßnahmen wird zudem durch regelmäßige Evaluierungsberichte und externe Audits sichergestellt, die sowohl politisch als auch rechtlich zu verbindlichen Anpassungen führen können.

Gibt es rechtlich verbindliche Planelemente zur Kohärenz der EU-Entwicklungspolitik mit anderen Politikfeldern?

Artikel 208 Abs. 2 AEUV verpflichtet die EU und ihre Mitgliedstaaten ausdrücklich zur politischen wie rechtlichen Kohärenz im Sinne der Entwicklungsziele mit anderen Politikfeldern, insbesondere der Handels-, Landwirtschafts-, Fischerei- und Umweltpolitik. In der Praxis bedeutet dies, dass sämtliches EU-Sekundärrecht und sämtliche Maßnahmen auf mögliche Zielkonflikte mit der Entwicklungsagenda zu prüfen sind. Dafür bestehen verpflichtende Ex-ante-Folgenabschätzungen sowie regelmäßige Überprüfungen, ob bestehende Regelungen oder Abkommen die Entwicklungsziele beeinträchtigen. Die Ergebnisse fließen in die Fortschreibungen der entwicklungspolitischen Strategien und in die Anpassung anderweitiger EU-Rechtsakte ein.