Begriff und rechtliche Einordnung der Entschädigung für nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen
Die Entschädigung für nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen bezeichnet den Rechtsanspruch auf Wiedergutmachung von Schäden, die Einzelpersonen oder Gruppen infolge politischer, rassischer, religiöser oder sonstiger Verfolgung durch das nationalsozialistische Regime in Deutschland (1933-1945) erlitten haben. Diese Entschädigung basiert auf speziellen gesetzlichen Maßnahmen, die nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland und teils in der DDR geschaffen wurden, um immateriellen sowie materiellen Schaden zu kompensieren und Unrecht anzuerkennen.
Entwicklung des Entschädigungsrechts nach 1945
Die Anfänge der Wiedergutmachung
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erkannten die Alliierten und die deutsche Nachkriegsgesetzgebung die Notwendigkeit, den Opfern des Nationalsozialismus umfassende Entschädigungsmöglichkeiten einzuräumen. Die ersten Regelungen entstanden unmittelbar nach Kriegsende zunächst in den westlichen Besatzungszonen und wurden später in gesamtdeutsche Gesetzeswerke überführt.
Zentralgesetze der Bundesrepublik Deutschland
Bundesentschädigungsgesetz (BEG)
Das zentrale Gesetz in der Bundesrepublik ist das Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz, BEG). Es wurde erstmals 1953 verabschiedet und mehrfach novelliert (letzte Fassung: 1965). Das BEG sieht finanzielle Leistungen für Personen vor, die aus Gründen der politischen Gegnerschaft zum NS-Regime, aufgrund ihrer Rasse, ihres Glaubens oder Weltanschauung verfolgt wurden. Die Regelungen umfassen einmalige Entschädigungszahlungen, Renten, Heilverfahren, Schadensausgleich für Gesundheit, Freiheit, Vermögen und Beruf sowie Hinterbliebenenversorgung.
Allgemeines Kriegsfolgengesetz (AKG) und andere Regelungen
Weitere einschlägige Rechtsgrundlagen sind das Allgemeine Kriegsfolgengesetz (AKG), verschiedene Landesentschädigungsgesetze (vor allem in der Übergangszeit bis zur Vereinheitlichung durch das BEG), Verordnungen zur Entschädigung für bestimmte Berufsgruppen sowie ergänzende Vereinbarungen auf internationaler Ebene.
Entschädigung in der DDR
Auch die DDR gewährte Verfolgten des Nationalsozialismus Wiedergutmachung, jedoch vorwiegend in Form von Renten sowie bevorzugter Wohnungs- oder Arbeitsplatzvergabe. Die rechtlichen Grundlagen und das Verfolgtenverständnis differierten teilweise erheblich von denen der Bundesrepublik.
Anspruchsberechtigte und Kreis der Betroffenen
Personenkreis
Anspruch auf Entschädigung haben verfolgte Personen, die entweder ihren Wohnsitz zum Zeitpunkt der Verfolgung in Deutschland oder den von Deutschland annektierten Gebieten hatten. Dazu zählen insbesondere:
- jüdische Verfolgte,
- Sinti und Roma,
- politisch Verfolgte,
- religiös und weltanschaulich Verfolgte,
- Menschen mit Beeinträchtigungen, sogenannte „Euthanasie”-Opfer,
- als Homosexuelle Verfolgte.
Ebenso sind Hinterbliebene (Witwen, Waisen) unter bestimmten Voraussetzungen anspruchsberechtigt.
Schadenskategorien
Die Entschädigung unterscheidet zwischen:
- Schaden an Leben (z. B. Tötung Angehöriger)
- Schaden an Körper und Gesundheit (z. B. körperliche oder seelische Folgeschäden)
- Schaden an Freiheit (z. B. Haft, Aufenthalt in Konzentrationslagern)
- Schaden an Eigentum und Vermögen (z. B. Enteignungen, Plünderungen, Berufsverbot)
- Schaden im beruflichen Fortkommen (z. B. Verwehrung von Ausbildung, Berufsverbot)
- Schaden am wirtschaftlichen Fortkommen (z. B. Zerstörung wirtschaftlicher Existenzgrundlagen)
Art und Umfang der Entschädigungsleistungen
Finanzielle Leistungen
Die wichtigsten finanziellen Leistungen bestehen aus:
- Renten für dauerhafte Schädigungen oder für Hinterbliebene,
- Kapitalentschädigungen (Einmalzahlungen) für materielle Schäden, die nicht mittels Renten abgegolten werden,
- Heilbehandlungsleistungen im Rahmen von Kuren, Therapien und medizinischer Versorgung,
- Schadensersatz für Eigentumsverlust (soweit kein Restitutionsverfahren erfolgt ist).
Bescheinigungen und sonstige Leistungen
Opfer der NS-Verfolgung erhielten auf Antrag ebenfalls Anerkennungsbescheinigungen, Zugang zu Rentenvorteilen oder anderen sozialen Vergünstigungen.
Verfahrensablauf und Geltendmachung
Antragstellung und Fristen
Anträge auf Entschädigung mussten grundsätzlich fristgerecht beim zuständigen Landesamt (später: Bundesamt) gestellt werden. Ursprüngliche Antragsfristen (zumeist bis 1969) konnten in Härtefällen oder im Falle neuer Erkenntnisse nachträglich verlängert werden.
Nachweis der Verfolgung
Die Betroffenen trugen die Beweislast für Verfolgungstatbestände sowie für daraus resultierende Schäden. Hierzu waren Zeugenaussagen, Urkunden oder Archivbelege üblich. Die Nachweispflichten wurden im Lauf der Zeit durch praxisnahe Beweiserleichterungen gemindert.
Widerspruchs- und Klageverfahren
Entschädigungsbescheide konnten im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens angefochten werden. Streitigkeiten wurden vor den Verwaltungsgerichten geführt.
Entwicklungen nach 1990 und ergänzende Entschädigungsregelungen
Rückerstattung und Restitutionsansprüche
Mit der deutschen Wiedervereinigung und neuen internationalen Abkommen wurden offene Entschädigungs- und Rückerstattungsansprüche – insbesondere für nach Osteuropa und Israel emigrierte Betroffene – auf neue rechtliche Grundlage gestellt. Viele Vermögenswerte konnten restituiert oder durch Entschädigungsfonds ausgeglichen werden, beispielsweise durch das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG), das Bundesentschädigungs- und das Ausgleichsleistungsgesetz.
Gerechtigkeitslücken und spätere Erweiterungen
In den 1990er und 2000er Jahren wurden weitere Fonds und Stiftungen geschaffen (z. B. die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”), um NS-Zwangsarbeitern sowie Opfern mit bislang nicht anerkannten Schadenskategorien Entschädigung zukommen zu lassen.
Internationale Aspekte und bilaterale Entschädigungsabkommen
Die Bundesrepublik Deutschland schloss zahlreiche bilaterale Entschädigungsabkommen mit Staaten (z. B. Israel, west- und osteuropäische Länder) und internationalen Organisationen, um Ansprüche von Staatsbürgern dieser Länder kollektiv zu regeln und dafür pauschale Zahlungen zu leisten.
Kritik, Herausforderungen und rechtspolitische Bedeutung
Trotz der umfangreichen gesetzlichen Regelungen bestehen bis heute Diskussionen um die Höhe und Angemessenheit der Entschädigungen, um Gerechtigkeitslücken und Anerkennung weiterer Opfergruppen. Die Entschädigung für nationalsozialistische Verfolgungsmaßnahmen bleibt ein wichtiger Bestandteil der deutschen und internationalen Rechtspraxis sowie der historischen Aufarbeitung von NS-Unrecht.
Literaturhinweise und weiterführende Gesetze
- Bundesentschädigungsgesetz (BEG)
- Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (VermG)
- Allgemeines Kriegsfolgengesetz (AKG)
- Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG)
- Abkommen zwischen Deutschland und Israel von 1952 (Luxemburger Abkommen)
- Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft”
Dieser Artikel bietet eine umfassende Darstellung der rechtlichen Grundlagen, historischen Entwicklungen und aktuellen Herausforderungen der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen in Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist anspruchsberechtigt für Entschädigungsleistungen im Rahmen nationalsozialistischer Verfolgungsmaßnahmen?
Anspruch auf Entschädigungsleistungen für Schäden aus nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen haben grundsätzlich Personen, die aus politischen, rassischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen durch Maßnahmen des NS-Regimes verfolgt wurden. Dies umfasst insbesondere Betroffene, die in Konzentrationslager oder Ghettos eingewiesen, zu Zwangsarbeit verpflichtet, aus dem deutschen Staatsgebiet vertrieben oder von Einschränkungen ihrer bürgerlichen Rechte betroffen wurden. Rechtsgrundlage bilden u. a. das Bundesentschädigungsgesetz (BEG), das Allgemeine Kriegsfolgengesetz (AKG) sowie das Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG). Neben unmittelbaren Opfern können in bestimmten Fällen auch deren Ehegatten, Kinder oder Erben Leistung beanspruchen, sofern der/ die Verfolgte selbst verstorben ist und der kausale Zusammenhang der Verfolgung mit Lebens- oder Gesundheitsschäden nachgewiesen werden kann. Die Voraussetzungen und Nachweispflichten sind im Einzelnen gesetzlich geregelt und erfordern regelmäßig eine individuelle Prüfung.
Welche Arten von Schäden werden entschädigt?
Die gesetzlichen Entschädigungsleistungen beziehen sich auf verschiedene Schadensarten, die im Rahmen des NS-Unrechts entstanden sind. Dazu zählen insbesondere: Gesundheitsschäden (Körper- und Gesundheitsschäden infolge von Misshandlung, Haft oder schlechten Lebensbedingungen), Schäden an Eigentum (Enteignung, Konfiskation, so genannter arisierter Besitz), Schäden am Vermögen (z.B. durch Zwangsverkauf, Vermögensentzug), Berufsschäden (Verlust des Arbeitsplatzes, Hindernisse beim Zugang zum Beruf oder Ersatz eines Nachteils in der Rentenversicherung) sowie Einschränkungen im privaten und gesellschaftlichen Leben (z.B. Verbot der Eheschließung oder Diskriminierung durch Gesetze wie die Nürnberger Rassengesetze). Der Schadensumfang und die jeweilige Anspruchsgrundlage sind detailliert im BEG und anderen relevanten Gesetzen geregelt.
Welche Fristen sind für die Geltendmachung von Ansprüchen zu beachten?
Die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unterliegt bestimmten Fristen. Diese richten sich vor allem nach den jeweiligen Rechtsgrundlagen, wie etwa dem Bundesentschädigungsgesetz. Ursprünglich mussten Entschädigungsanträge innerhalb bestimmter Ausschlussfristen gestellt werden, die vielfach bereits Mitte der 1960er Jahre abliefen. In Ausnahmefällen, beispielsweise bei neu aufgetretenen oder erst später bekannten Schäden, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand oder eine Fristverlängerung beantragt werden. Nach Fristablauf verfallene Ansprüche können grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden, wobei es für einige Sonderfälle (z.B. Härtefallregelungen oder besondere Stiftungsprogramme) separate Antragsmöglichkeiten gibt.
Wie erfolgt die Antragsstellung und welche Nachweise sind erforderlich?
Die Antragsstellung auf Entschädigungsleistungen erfolgt regelmäßig bei der zuständigen Entschädigungsbehörde des jeweiligen Bundeslands oder auf Bundesebene, abhängig vom Verfolgungsort oder dem Wohnsitz des/der Antragstellerin. Der Antrag muss schriftlich erfolgen und sollte eine umfassende Darstellung der Verfolgungsumstände und der geltend gemachten Schäden enthalten. Zwingend erforderlich sind Nachweise zur Identität, Staatsangehörigkeit, zum Verfolgungsschicksal (z.B. Haftbescheinigungen, amtliche Dokumente, Zeugenaussagen) sowie zum kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgungsmaßnahme und eingetretenen Schäden. Die Anforderungen an Beweisführung und Dokumentation sind hoch, doch werden in Zweifelsfällen auch eidesstattliche Versicherungen oder plausible Darlegungen anerkannt, sofern die ursprünglichen Nachweise aufgrund der besonderen Verfolgungssituation nicht mehr erlangbar sind.
Wie werden die Entschädigungsleistungen berechnet und in welcher Form werden sie ausgezahlt?
Die Berechnung der Entschädigungsleistungen richtet sich nach Art und Umfang des entstanden Schadens sowie nach den Vorgaben der jeweils einschlägigen Gesetzesgrundlage. Für immaterielle Schäden, vor allem Gesundheitsschäden, werden regelmäßig Renten (Lebens- oder Teilrenten) oder einmalige Abfindungen gewährt, deren Höhe sich am festgestellten Schädigungsgrad orientiert. Materielle Schäden – insbesondere Vermögens- und Eigentumsschäden – werden in der Regel durch Einmalzahlungen abgegolten, wobei Zeitwert, Wertsteigerung und gegebenenfalls bereits erlangte Leistungen Dritter (etwa Rückerstattungsverfahren) berücksichtigt werden. Die Auszahlung erfolgt nach bestandskräftigem behördlichem oder gerichtlichem Bescheid meist als Überweisung auf das Konto des/der Berechtigten oder ggf. der Erben.
Welche Rechtsmittel stehen bei Ablehnung eines Antrags zur Verfügung?
Gegen ablehnende Bescheide der Entschädigungsbehörden steht den Antragstellerinnen der Rechtsweg offen. Zunächst kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids Widerspruch bei der ausstellenden Behörde eingelegt werden. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, kann Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. In bestimmten Fällen – insbesondere bei bedeutenden Grundsatzfragen – kann auch der Weg bis zum Bundesverwaltungsgericht oder Bundesverfassungsgericht offenstehen. Das gerichtliche Verfahren ist oftmals komplex und mit Kosten sowie hohen Anforderungen an Detailnachweise verbunden, weshalb eine anwaltliche Beratung empfohlen wird. Die Entscheidungen der Gerichte sind bindend, können bei wesentlichen neuen Tatsachen jedoch gegebenenfalls erneut überprüft werden.
Gibt es Besonderheiten oder ergänzende Programme außerhalb der gesetzlichen Entschädigung?
Neben den gesetzlichen Entschädigungsregelungen existieren eine Reihe von Sonderprogrammen und Stiftungen, die vor allem seit den 1990er Jahren zusätzliche oder ergänzende Leistungen für bestimmte Opfergruppen anbieten. Zu nennen sind insbesondere die Stiftung “Erinnerung, Verantwortung und Zukunft” (EVZ) zur Entschädigung von ehemaligen Zwangsarbeitern oder spezifische Programme für Überlebende Holocausts in Osteuropa. Diese Maßnahmen unterliegen eigenen Antrags- und Nachweisregeln und sind oft an bestimmte Fristen sowie besondere Tatbestände (z.B. Aufenthaltsort, Schädigungsart) geknüpft. In der Regel sollen sie Härtefälle abfedern, in denen das reguläre Entschädigungsrecht an seine Grenzen stößt oder keine ausreichende Abgeltung bietet.