Begriff und Bedeutung der Entreicherung
Der Begriff Entreicherung ist ein zentrales Element des Bereicherungsrechts und beschreibt im deutschen Zivilrecht die tatsächliche oder rechtliche Verminderung einer ungerechtfertigten Bereicherung nach § 818 Abs. 3 BGB. Entreicherung spielt eine maßgebliche Rolle im Rahmen des Anspruchs auf Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, insbesondere als Einwendung des Bereicherungsschuldners gegenüber dem Herausgabeanspruch des Bereicherungsgläubigers.
Rechtsgrundlagen
§ 818 Abs. 3 BGB
Die gesetzliche Grundlage für die Entreicherung findet sich in § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB):
„Soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist, ist er zur Herausgabe nicht verpflichtet.”
Diese Vorschrift begrenzt die Herausgabepflicht des Bereicherungsschuldners auf den noch vorhandenen Bereicherungsumfang. Entreicherung wirkt dabei als rechtshindernde Einwendung und hat erhebliche Auswirkungen auf das Bestehen und den Umfang eines Bereicherungsanspruchs.
Stellung der Entreicherung im Bereicherungsrecht
Systematische Einordnung
Die Entreicherung ist Teil des allgemeinen Bereicherungsanspruchs gemäß §§ 812 ff. BGB und dient als Korrektiv zur restitutorischen Zielsetzung des Bereicherungsrechts. Während die Anspruchsvoraussetzungen in § 812 BGB geregelt sind, bestimmen §§ 818 ff. BGB die inhaltliche Ausgestaltung und die Begrenzungen des Bereicherungsanspruchs. Die Entreicherung kann somit verhindern, dass dem Bereicherungsgläubiger ein Wert zufließt, der beim Schuldner tatsächlich nicht mehr vorhanden ist.
Funktion
Die Entreicherung schützt den Schuldner davor, mehr herausgeben zu müssen, als bei ihm noch als Vorteil vorhanden ist. Dies verdeutlicht den Schutzgedanken des Bereicherungsrechts, der die Gleichbehandlung und Abwendung unzumutbarer Härten für den Schuldner sicherstellen soll.
Voraussetzungen der Entreicherung
Begriff der Entreicherung
Entreicherung liegt stets dann vor, wenn der Empfänger des Zugewinns den zu Unrecht erlangten Vermögensvorteil nicht mehr besitzt und dieser auch nicht mehr in seinem Vermögen vorhanden ist. Für die Feststellung der Entreicherung ist maßgeblich, ob und inwieweit der Bereicherungsschuldner noch einen gegenständlichen Vorteil aus der Bereicherung in seinem Vermögen hat.
Kein Vermögensvorteil mehr vorhanden
Die Entreicherung setzt voraus, dass der durch den Bereicherungsvorgang geschaffene Vermögensvorteil durch eine freiwillige oder unfreiwillige Vermögensminderung vollständig oder teilweise weggefallen ist. Dabei ist auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzustellen.
Anspruch und Darlegungs- sowie Beweislast
Für das Vorliegen einer Entreicherung ist grundsätzlich der Bereicherungsschuldner darlegungs- und beweispflichtig. Er muss substantiiert darlegen, in welchem Umfang und aus welchen Gründen er nicht mehr bereichert ist. Das Gericht prüft diese Einwendung am Maßstab des § 818 Abs. 3 BGB.
Umfang und Grenzen der Haftung
Grundsatz des Wegfalls der Bereicherung
Nach § 818 Abs. 3 BGB ist eine Herausgabepflicht nur insoweit gegeben, als beim Empfänger ein Vermögensvorteil noch vorhanden ist. Maßgeblich ist dabei ein objektiver Maßstab unter Berücksichtigung der konkreten Bereicherung und des verbleibenden Gegenwerts im Vermögen des Schuldners.
Anwendungsbeispiele
Häufige Fälle der Entreicherung sind etwa das Verbrauchsgut, das bereits verzehrt wurde, oder Geldbeträge, die endgültig ausgegeben und nicht mehr im Vermögen vorhanden sind. Ebenso kann die Entreicherung bei Zahlungen auf eine nichtige Forderung oder bei Rückabwicklung von unwirksamen Verträgen eintreten.
Eingeschränkte Anwendbarkeit und Entreicherungsausschluss
Verschärfte Haftung
Eine Einschränkung der Entreicherungseinwendung findet sich in §§ 818 Abs. 4, 819, 820 BGB („bösgläubige” oder „verschärfte Haftung”). So entfällt die Möglichkeit zur Berufung auf Entreicherung, wenn der Bereicherungsschuldner beim Erwerb des Vorteils deren Rechtsgrundlosigkeit kannte oder es an der Redlichkeit mangelt.
Entreicherung trotz Pflicht zur Herausgabe
Auch bei einer schuldhaften Verletzung des Herausgabeanspruchs, bei Verzug oder Missbrauch des herauszugebenden Gegenstandes, ist die Berufung auf Entreicherung nach dem Gesetz ausgeschlossen.
Ausnahmen und Sonderregelungen
Aufwandersatz und Wegfall der Bereicherung
Hat der Bereicherungsschuldner vermögenswerte Aufwendungen zur Aufrechterhaltung des erlangten Vorteils gemacht, so mindern diese den Umfang der Bereicherung nicht ohne Weiteres. Nur nicht erlangte eigene Vorteile können die Bereicherung verringern. Der Vorteilsausgleich richtet sich dabei stets nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise.
Wertersatz und Naturalrestitution
Nach § 818 Abs. 2 BGB kann der Bereicherungsgläubiger Wertersatz dann verlangen, wenn die Herausgabe des Gegenstandes unmöglich ist. Die Entreicherungseinrede findet aber auch hier Anwendung und begrenzt die Herausgabepflicht.
Praktische Bedeutung
Die Entreicherung ist ein grundlegendes Konzept im zivilrechtlichen Ausgleich ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen. Sie stellt das Gleichgewicht zwischen Gläubiger- und Schuldnerinteressen her, indem sie verhindert, dass eine Rückabwicklung zulasten dessen stattfindet, der sich keinen Vorteil mehr erhalten konnte.
In der Praxis wird die Entreicherungseinrede insbesondere bei Rückabwicklung von nichtigen Verträgen, Anfechtung oder Rückforderung irrtümlich erbrachter Leistungen relevant. Kommt der Empfänger der Herausgabepflicht nicht nach, ist die genaue Prüfung des noch vorhandenen Vorteils sowie der Anwendbarkeit der Einwendung wesentlicher Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen.
Literaturhinweise
- BGH, Urteil v. 18.01.1996 – IX ZR 170/94
- Münchener Kommentar zum BGB, § 818 BGB
- Palandt, Kommentar zum BGB, § 818
- Medicus/Lorenz, Schuldrecht: Besonderer Teil, Bereicherungsrecht
Zusammenfassung
Die Entreicherung stellt nach § 818 Abs. 3 BGB eine wesentliche Beschränkung des bereicherungsrechtlichen Herausgabeanspruchs dar. Sie gewährleistet, dass kein Wertausgleich erfolgt, der nicht mehr dem tatsächlichen Vorteil des Empfängers entspricht. Die genaue Darlegung und der Beweis der Entreicherung obliegen dem Schuldner. Ausschlussgründe und verschärfte Haftung können jedoch die Berufung auf Entreicherung verhindern. Damit besitzt die Entreicherung im Gefüge des Bereicherungsrechts einen zentralen Stellenwert bei der Rückabwicklung ungerechtfertigter Vermögensverschiebungen und schafft einen angemessenen gerechten Ausgleich beider Parteien.
Häufig gestellte Fragen
Wer trägt die Beweislast im Falle eines Anspruchs aus Entreicherung?
Im deutschen Zivilrecht ist die Beweislastverteilung bei einem Anspruch auf Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung (insbesondere § 812 Abs. 1 BGB) klar geregelt. Grundsätzlich obliegt es dem Anspruchsteller, sämtliche anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Dazu gehören insbesondere das Vorliegen einer entreichernden Vermögensverschiebung – also eine Herausgabe von etwas, das der Bereicherte „auf Kosten” des Anspruchstellers erlangt hat. Der Anspruchsgegner (der Bereicherte), der sich auf den Wegfall der Bereicherung beruft (§ 818 Abs. 3 BGB), trägt sodann die Beweislast dafür, dass und inwieweit ihm die Bereicherung nicht mehr vorhanden ist und auch nicht mehr realisierbar ist. Er muss nachweisen, dass die Entreicherung tatsächlich und endgültig eingetreten ist und er davon nicht profitiert hat – beispielsweise, dass er den erlangten Gegenstand verbraucht, zerstört oder verloren hat, ohne hiervon wirtschaftlich zu profitieren. Das Gericht prüft diese Umstände unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast. Die Anforderungen an die substantiierte Darlegung sind relativ hoch, pauschale Behauptungen reichen nicht aus.
Wie wirkt sich die Entreicherung auf die Rückgabepflicht nach § 818 BGB aus?
Kommt es im Rahmen eines Bereicherungsanspruchs zur Entreicherung des Empfängers, beschränkt dies die Rückgabepflicht nach § 818 Abs. 3 BGB. Der Anspruch auf Herausgabe des Erlangten verwandelt sich, wenn die Naturalrestitution nicht mehr möglich ist, zunächst in einen Wertersatzanspruch (§ 818 Abs. 2 BGB). Ist auch ein Wertersatz unmöglich, weil der Bereicherte nicht mehr bereichert ist, entfällt die Rückgabepflicht vollständig. Die Entreicherung ist als Einwendung zu verstehen und bringt zum Ausdruck, dass jemand das Erlangte nicht mehr besitzt und in der Folge keine Pflicht zur Rückgewähr mehr trifft – es sei denn, er hatte die Entreicherung vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, war bösgläubig oder es greift eine andere Verschärfungshaftung (etwa §§ 819, 820 BGB). Maßgebend ist immer die fortbestehende objektive Bereicherung im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.
Gilt der Entreicherungseinwand auch bei sittenwidrig erlangten Leistungen (§ 817 Satz 2 BGB)?
Nein, nach der ausdrücklichen Regelung des § 817 Satz 2 BGB ist der Entreicherungseinwand bei sittenwidrig erlangten Leistungen ausgeschlossen. Das bedeutet, dass derjenige, der durch vorsätzlich gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßendes Handeln etwas erlangt hat, sich auf eine Entreicherung nicht berufen kann. Er bleibt unabhängig von seinem tatsächlichen Vermögensstand zur Herausgabe oder zum Wertersatz verpflichtet – dies stellt eine verschärfte Haftung dar. Der Zweck liegt in der Abschreckung und Sanktionierung von gesetzes- und sittenwidrigem Verhalten. Eine Ausnahme hiervon gibt es lediglich, wenn auch der Leistende bewusst sittenwidrig handelt, dann bleibt er generell von Rückforderungsansprüchen ausgeschlossen.
Welche Bedeutung hat der Wegfall der Bereicherung bei Minderjährigen und beschränkt Geschäftsfähigen?
Bei minderjährigen oder beschränkt geschäftsfähigen Personen gelten besondere Maßstäbe. Nach § 819 Abs. 3 BGB sind Minderjährige oder geschäftsunfähige Personen grundsätzlich weniger streng haftbar und können sich auf den Wegfall der Bereicherung berufen. Allerdings wird die Haftung verschärft, wenn die Voraussetzungen für eine Deliktshaftung nach §§ 827, 828 BGB erfüllt sind oder falls der Minderjährige nicht nur bereicherungsrechtlich, sondern auch deliktisch oder über das Familienrecht haftet. Die Rechtsprechung stellt zudem erhöhte Anforderungen an eine tatsächliche Entreicherung; lediglich unwirtschaftliche oder leichtfertige Verwendung entlastet nicht. Bestehen Zweifel, muss der Minderjährige umfassend darlegen, wie ein entreichertes Vermögen verwendet wurde.
Kann eine Entreicherung auch bei einem Rückabwicklungstatbestand aus Rücktritt (§ 346 Abs. 3 BGB) geltend gemacht werden?
Der Grundsatz des Bereicherungsrechts – und damit der Entreicherungseinwand – greift auch beim Rücktritt von Verträgen, insbesondere bei der Rückabwicklung nach § 346 Abs. 1 und 2 BGB. Der Rückgewähranspruch kann durch Entreicherung nach § 346 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BGB modifiziert werden. Das bedeutet, dass die Verpflichtung zur Rückgewähr bzw. zum Wertersatz entfällt, soweit der Empfänger das Erlangte nicht mehr besitzt und dies nicht zu vertreten hat. Die Vorschrift verweist insoweit ausdrücklich auf die entsprechenden Vorschriften des Bereicherungsrechts (§§ 812 ff. BGB) und macht § 818 Abs. 3 BGB anwendbar. Besonderheiten bestehen, wenn eine Verschärfungshaftung einschlägig ist, z.B. bei Kenntnis der Rückabwicklungspflicht (§ 346 Abs. 3 Satz 2 BGB).
Welche Arten von Aufwendungen oder Verwendungen bewirken eine Entreicherung?
Nur solche Aufwendungen, die der Bereicherte ohne Vorteil für sich für den alltäglichen Verbrauch oder zur Lebenserhaltung gemacht hat, können zur Entreicherung führen. Werden hingegen Vermögenswerte umgeschichtet (z.B. durch den Erwerb eines anderen Vermögensgegenstandes) oder Verbindlichkeiten eines Dritten getilgt, liegt keine Entreicherung im bereicherungsrechtlichen Sinne vor. Auch Luxusaufwendungen, freiwillige Schenkungen an Dritte oder Spielverluste werden in der Regel nicht als Entreicherung anerkannt, soweit sie nicht unfreiwillig oder notwendigerweise zum Überleben erforderlich waren. Entscheidend ist, ob der Empfänger noch objektiv bereichert ist – das heißt, ob er in seinem Vermögen einen messbaren und dauerhaft bleibenden Vorteil aus dem Erlangten gezogen hat.
Wie wird die Entreicherung im Rechtsstreit substantiiert dargelegt?
Im Zivilprozess verlangt das Gericht eine substantiiert dargelegte Entreicherung, die individuell und nachvollziehbar erklärt, wie das Erlangte konkret verbraucht wurde. Der Bereicherte muss detaillierte Auskunft geben, wie und wann das Empfangene weggegeben, aufgebraucht, verloren oder zerstört wurde. Pauschale Angaben – etwa der Hinweis auf Konsum zur Bestreitung des Lebensunterhalts – genügen in aller Regel nicht. Die Darlegungen müssen so gefasst sein, dass das Gericht eine richterliche Überzeugungsbildung zur Entreicherung treffen kann. Ausreichend sind etwa Belege, Kontoauszüge, detailliert aufgeführte Ausgaben oder glaubhaft gemachte Tatsachenschilderungen, die den Schluss auf den Wegfall der Bereicherung zulassen. Gelingt dies nicht, bleibt die Vermutung, dass der Bereicherte noch bereichert ist.