Begriff und rechtlicher Hintergrund: Entgangener Urlaub
Entgangener Urlaub ist ein arbeitsrechtlicher Begriff und bezeichnet den von Arbeitnehmerinnen während eines Beschäftigungsverhältnisses nicht in Anspruch genommenen, aber grundsätzlich zustehenden Erholungsurlaub, der infolge bestimmter Umstände, wie beispielsweise krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht genommen werden konnte. Das Thema spielt insbesondere im Kontext des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), dem Arbeitszeitgesetz und einschlägiger Rechtsprechung auf nationaler und europäischer Ebene eine bedeutende Rolle.
Gesetzliche Grundlagen und Anspruchsvoraussetzungen
Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)
Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmerin in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Die Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubs beträgt gemäß § 3 BUrlG 24 Werktage, wobei viele Arbeits- oder Tarifverträge zusätzliche Urlaubstage vorsehen können.
Geltendmachung und Übertragbarkeit
Grundsätzlich ist der Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen und verfällt, wenn er nicht bis zum 31. Dezember in Anspruch genommen wurde (§ 7 Abs. 3 BUrlG). Eine Übertragung in das nächste Jahr ist nur gestattet, wenn dringende betriebliche Gründe oder in der Person desder Arbeitnehmerin liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall muss der Resturlaub jedoch bis spätestens 31. März des Folgejahres genommen werden.
Rechtsfolgen des entgangenen Urlaubs
Verfall und Übertragung von Urlaubsansprüchen
Ein zentraler Aspekt des entgangenen Urlaubs ist die Frage des Verfalls oder der Übertragung von Urlaubsansprüchen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) verfällt der Urlaubsanspruch nicht automatisch am Jahresende, wenn der Arbeitgeber seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen ist, die Arbeitnehmerinnen rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen und ihnen tatsächlich in die Lage zu versetzen, ihren Urlaub zu nehmen.
Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
Ein Sonderfall besteht bei andauernder Arbeitsunfähigkeit. Nach EU-Richtlinie 2003/88/EG und den dazu ergangenen Urteilen des EuGH kann der Urlaubsanspruch infolge Krankheit bis zu 15 Monate über das Kalenderjahr hinaus erhalten bleiben (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG mit unionskonformer Auslegung).
Entgangener Urlaub und Urlaubsabgeltung
Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Konnte der zustehende Urlaub auf Grund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr genommen werden, ist der Urlaub nach § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Die Urlaubsabgeltung gilt als Geldersatz für entgangenen, nicht genommenen Urlaub und ist Bestandteil der letzten Entgeltzahlung.
Berechnung der Urlaubsabgeltung
Die Höhe der Urlaubsabgeltung richtet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Auch bei Teilzeit, wechselnden Arbeitszeiten oder variabler Vergütung kann der Durchschnittsverdienst maßgeblich sein.
Regelungen für Langzeiterkrankte
Arbeitnehmerinnen, die aufgrund langandauernder Krankheit bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses keinen Urlaub nehmen konnten, behalten bis zu 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres einen Anspruch auf Abgeltung des entgangenen Urlaubs.
Wirkung der Hinweispflichten des Arbeitgebers
Bedeutung der Hinweispflicht
Die Rechtsprechung verpflichtet Arbeitgeber dazu, die Arbeitnehmerinnen rechtzeitig und transparent über den noch offenen Urlaubsanspruch sowie den drohenden Verfall zu informieren. Versäumt der Arbeitgeber diese Pflicht, bleibt der Urlaub längstens erhalten. Erst nach ordnungsgemäßer Belehrung beginnt der Ablauf der Urlaubsfrist.
Gerichtliche Durchsetzung und Verjährung
Durchsetzung des Anspruchs
Der Anspruch auf entgangenen Urlaub bzw. auf Urlaubsabgeltung kann gerichtlich geltend gemacht werden. Für die Durchsetzung gelten die allgemeinen Regeln der Verjährung: Ansprüche verjähren grundsätzlich nach drei Jahren ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und derdie Arbeitnehmerin von den maßgebenden Umständen Kenntnis hatte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte haben müssen (§ 195, § 199 BGB).
Unterscheidung von entgangenem und verweigertem Urlaub
Es ist zu differenzieren, ob Urlaub aus eigenem Verschulden desder Arbeitnehmerin, aufgrund betrieblicher Gründe oder auf Veranlassung des Arbeitgebers nicht genommen wurde. Nur bei Nichtgewährung ohne Verschulden desder Arbeitnehmerin bestehen Ansprüche auf Ersatz oder Abgeltung.
Einfluss europarechtlicher Vorgaben
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hat das nationale Recht maßgeblich geprägt, vor allem hinsichtlich der Übertragbarkeit bei Krankheit und der Wirksamkeit von Verfallsfristen. Wichtig ist hierbei immer die unionsrechtliche Vorgabe, wonach Urlaub dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen dient und nicht unangemessen eingeschränkt werden darf.
Zusammenfassung
Der Begriff „entgangener Urlaub“ bezeichnet im Arbeitsrecht den nicht genommenen, zustehenden Erholungsurlaub, zu dessen Kompensation derdie Arbeitnehmer*in nach gesetzlichen und europarechtlichen Vorgaben unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Nachgewährung oder Abgeltung hat. Die komplexe Rechtslage beruht auf einer Kombination aus nationalem Gesetz, europarechtlichen Vorgaben und gerichtlichen Entscheidungen und bindet das Thema eng an die arbeitgeberseitigen Pflichten zur ordnungsgemäßen Information, die besonderen Bedingungen bei Krankheit sowie die Regularien zur Urlaubsabgeltung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Häufig gestellte Fragen
Was passiert mit meinem Urlaubsanspruch, wenn ich wegen Krankheit meinen Urlaub nicht nehmen konnte?
Sollte ein Arbeitnehmer während eines genehmigten Urlaubs erkranken und diese Krankheit durch ein ärztliches Attest nachweisen können, wird die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nicht auf den Urlaub angerechnet. Der gesetzliche Urlaubsanspruch bleibt erhalten und kann zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Auch wenn ein Arbeitnehmer vor Ablauf des Kalenderjahres durchgängig arbeitsunfähig ist, verfällt der Urlaubsanspruch nicht automatisch zum Jahresende. In der Regel wird dieser Anspruch auf das Folgejahr übertragen und kann noch bis zum 31. März des Folgejahres genommen werden. Überschreitet die Krankheit jedoch diese Frist, bleibt der Anspruch bis zur Genesung, spätestens jedoch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, bestehen. Besonderheiten gelten, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht ausdrücklich auf den drohenden Verfall des Urlaubs hingewiesen hat; der Urlaubsanspruch kann dann sogar länger bestehen bleiben. Maßgeblich ist insbesondere die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und die daraus entwickelte Praxis des Bundesarbeitsgerichts (BAG).
Kann mein Urlaubsanspruch verfallen, wenn ich während des gesamten Jahres arbeitsunfähig bin?
Der gesetzliche Urlaubsanspruch kann grundsätzlich nicht durch Zeitablauf erlöschen, solange der Arbeitnehmer krankheitsbedingt verhindert ist, seinen Urlaub zu nehmen. Nach der aktuellen Rechtsprechung verfällt der Anspruch jedoch spätestens 15 Monate nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres, unabhängig vom Grund der Arbeitsunfähigkeit. Voraussetzung ist allerdings, dass der Arbeitgeber seine Hinweispflichten erfüllt hat, d.h. den Arbeitnehmer rechtzeitig und transparent über den bestehenden Urlaubsanspruch, die Übertragungsfristen sowie den drohenden Verfall informiert hat. Andernfalls kann sich die Frist weiter verlängern. Bei tariflichen oder vertraglichen Zusatztagen gelten möglicherweise andere Regelungen.
Habe ich Anspruch auf finanzielle Abgeltung nicht genommenen Urlaubs nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses?
Endet das Arbeitsverhältnis, bevor der bestehende Urlaubsanspruch vollständig in natura genommen werden konnte, wandelt sich der Anspruch auf Urlaub in einen Abgeltungsanspruch um. Der Arbeitgeber muss den nicht genommenen Resturlaub dann auszahlen. Dies gilt auch bei langer Krankheit, sofern die 15-monatige Übertragungsfrist noch nicht abgelaufen ist bzw. die Hinweispflichten bezüglich des Verfalls des Urlaubs nicht erfüllt wurden. Die Höhe der Urlaubsabgeltung bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst der letzten 13 Wochen vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wichtig ist, dass der Abgeltungsanspruch nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entsteht und nicht, wenn das Arbeitsverhältnis fortbesteht.
Welche Fristen gelten für den Verfall des Urlaubsanspruchs?
Der Urlaub, der im laufenden Kalenderjahr nicht genommen werden kann, muss grundsätzlich bis spätestens zum 31. März des Folgejahres genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz – BUrlG). Überschreitet der Arbeitnehmer diese Frist aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen (z.B. Krankheit oder betriebliche Gründe), kann eine weitere Übertragung möglich sein. Bei Krankheit gilt die bereits genannte 15-Monatsregel. Arbeitgeber müssen nachweisen, dass sie den Arbeitnehmer rechtzeitig auf die Verfallfristen und die Notwendigkeit der Urlaubsnahme hingewiesen haben. Ohne diese Information bleibt der Anspruch weiterhin bestehen und verfällt nicht automatisch.
Muss ich für meinen entgangenen Urlaub einen Antrag stellen, um den Anspruch zu bewahren?
Ein Urlaubsanspruch entsteht kraft Gesetzes, das heißt, der Arbeitnehmer muss diesen grundsätzlich nicht proaktiv beantragen, um seinen Bestand zu sichern. Allerdings verlangt die aktuelle Rechtsprechung, dass der Arbeitgeber seine Mitwirkungsobliegenheiten erfüllt, indem er den Arbeitnehmer auffordert, den Urlaub zu nehmen und auf den drohenden Verfall hinweist. Vernachlässigt der Arbeitgeber diese Pflicht, bleibt der Urlaubsanspruch erhalten. Ein Arbeitnehmer, der jedoch über diese Risiken informiert wurde, sollte eigenständig darauf achten, seinen Urlaub rechtzeitig zu beantragen und zu nehmen, da ansonsten ein Verfall des Anspruchs eintreten kann.
Wer trägt die Beweislast beim Streit über entgangenen Urlaub?
Im Streitfall trägt in der Regel der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen und die Höhe des nicht genommenen Urlaubs. Der Arbeitgeber dagegen muss nachweisen, dass er seinen Informations- und Hinweisobliegenheiten zur Urlaubsgewährung nachgekommen ist und die Voraussetzungen für einen Verfall des Urlaubsanspruchs vorliegen. Fehlt es an einem entsprechenden Nachweis, kann sich der Verfall des Urlaubsanspruchs hinauszögern oder ganz vermeiden lassen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass im Falle der Urlaubsabgeltung nach Ende des Arbeitsverhältnisses zwar die Anspruchsvoraussetzungen, aber nicht unbedingt die rechtzeitige Geltendmachung durch den Arbeitnehmer ausschlaggebend ist, sofern keine besonderen tariflichen oder vertraglichen Ausschlussfristen bestehen.
Gibt es Unterschiede beim Entgangenen Urlaub zwischen gesetzlichem und vertraglichem Mehrurlaub?
Ja, in der rechtlichen Behandlung sind Unterschiede zu beachten: Der gesetzliche Urlaubsanspruch unterliegt zwingend den Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG) und der europäischen Richtlinien, die eine Übertragung und gegebenenfalls Abgeltung bei Krankheit oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorsehen. Für vertraglich oder tariflich zusätzlich gewährten Urlaub („Mehrurlaub“) können allerdings abweichende Vorschriften getroffen werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können hier bspw. vereinbaren, dass der Mehrurlaub unter strengeren Voraussetzungen verfällt, etwa bereits mit Ablauf des Kalenderjahres oder des Übertragungszeitraums – solche Regelungen gelten jedoch nicht für den gesetzlichen Mindesturlaub. Im Streitfall ist zunächst zu prüfen, auf welche Urlaubsansprüche sich der Arbeitnehmer beruft und welche Regelungen im jeweiligen Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag getroffen wurden.