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Entführung


Entführung – Rechtliche Definition und umfassende Einordnung

Begriff und allgemeine Definition

Die Entführung stellt im rechtlichen Sinne eine schwerwiegende Straftat dar, bei der eine Person gegen ihren Willen an einen anderen Ort verbracht und in ihrer Freiheit erheblich beschränkt wird. Die genaue Begriffsauslegung und deren juristische Einordnung unterscheiden sich je nach nationaler Gesetzgebung, wobei zahlreiche Staaten und internationale Verträge spezifische Bestimmungen und Strafvorschriften zum Thema enthalten.

Im deutschen Strafrecht umfasst der Begriff „Entführung“ insbesondere auch Teilaspekte wie die Freiheitsberaubung, die Geiselnahme sowie Kindesentziehung. Damit ist die Entführung häufig ein Komplex aus mehreren Straftatbeständen, die einzeln erfüllt oder in Tateinheit miteinander stehen können.


Entführung im deutschen Strafrecht

Tatbestandsmerkmale

§ 239a und § 239b StGB

Im Strafgesetzbuch (StGB) wird die Entführung insbesondere in zwei Vorschriften geregelt:

  • § 239a StGB – Erpresserischer Menschenraub: Wer einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um mit dessen Freilassung eine Erpressung durchzusetzen, macht sich nach § 239a StGB schuldig.
  • § 239b StGB – Geiselnahme: Diese Vorschrift knüpft daran an, wenn der Täter eine Geiselnahme begeht, um ein bestimmtes Verhalten einer dritten Person oder öffentlichen Stelle zu erzwingen.

Beide Straftatbestände zeichnen sich dadurch aus, dass das Tatopfer dem Herrschaftsbereich des Täters ausgeliefert und seiner Bewegungsfreiheit beraubt wird, während der Täter die Situation ausnutzt, um seine Forderungen durchzusetzen.

Wesentliche Voraussetzungen

  • Vorsatz: Der Täter handelt zielgerichtet, also mit dem Bewusstsein und dem Willen, eine Person zu verschleppen oder zu bemächtigen.
  • Freiheitsberaubung: Das Opfer wird an einen bestimmten Ort verbracht oder darin festgehalten, sodass es aus eigener Kraft diesen Zustand nicht beenden kann.
  • Absichtsmerkmale: Typischerweise besteht ein weiteres Ziel (sog. erpresserische oder sonstige Motive), das über die reine Freiheitsentziehung hinausgeht.

Strafrahmen

Beide Vorschriften sehen hohe Strafandrohungen vor. Im Fall des erpresserischen Menschenraubs reicht das Strafmaß bis hin zu lebenslanger Freiheitsstrafe, ebenso bei besonders schweren Fällen der Geiselnahme.


Weitere relevante Straftatbestände

Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

Neben den genannten Entführungsdelikten steht die Freiheitsberaubung als eigenständige Straftat. Sie ist bereits erfüllt, wenn eine Person ohne rechtliche Grundlage in ihrer Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt wird, ohne dass zusätzliche Erpressungsmerkmale vorliegen müssen.

Kindesentziehung (§ 235 StGB)

Die Kindesentziehung stellt einen Sonderfall der Entführung dar, sofern das Opfer ein Minderjähriger ist. Hierbei ist wesentlich, dass das Sorgerecht einer anderen Person gezielt unterlaufen wird, indem das Kind dem Sorgeberechtigten entzogen oder vorenthalten wird.

Menschenhandel (§ 232 StGB)

Der Menschenhandel, insbesondere zum Zwecke der Ausbeutung, kann Begleittat oder Variante der Entführung sein, etwa wenn durch Verschleppung eine Ausbeutungssituation geschaffen wird.


Internationales Recht und Entführung

Völkerrechtliche Aspekte

Haager Übereinkommen

Im internationalen Kontext ist das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung zentral. Es sieht Mechanismen zur Rückführung von Kindern in ihren Herkunftsstaat vor, wenn diese widerrechtlich von einem Elternteil oder Dritten ins Ausland verbracht werden.

Menschenrechte

Wesentliche Menschenrechtsabkommen schützen vor Entführungen, z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Diese verbietet in Artikel 5 jegliche rechtswidrige Freiheitsentziehung, zu der auch die Entführung zählt.


Abgrenzungen und verwandte Delikte

Unterschied zu Raub, Nötigung und erpresserischem Menschenraub

Obwohl bei der Entführung häufig auch ein Zwang zum Verhalten besteht, grenzt sie sich von anderen Delikten wie Raub, Nötigung oder der klassischen Erpressung ab. Entscheidend ist hier die Dauerhaftigkeit und Intensität der Freiheitsentziehung sowie das zusätzliche Fordern bestimmter Handlungen oder Unterlassungen.

Begriff der Geiselnahme

Die Geiselnahme stellt eine qualifizierte Form der Entführung dar. Während bei klassischen Entführungen meist das Opfer Ziel der Forderung ist, richtet sich die Geiselnahme gezielt auch an Dritte (z. B. Behörden oder Angehörige), um Druck aufzubauen.


Rechtsschutz und Opferhilfe

Strafantrag und Strafverfolgung

Entführungsdelikte sind Offizialdelikte. Die Strafverfolgungsbehörden leiten bereits bei entsprechendem Anfangsverdacht die Ermittlungen von Amts wegen ein. Opfer sind dabei auch bei fehlendem Strafantrag durchweg geschützt.

Opferschutzmaßnahmen

Das Opfer einer Entführung erfährt besonderen Schutz. Staatliche Stellen bieten umfassende Hilfen an, die sowohl psychologische Betreuung, als auch den Schutz der Persönlichkeit und Anonymität einschließen.


Strafzumessung und Besonderheiten im Strafverfahren

Strafrahmen und Strafmilderung

Der Strafrahmen ist maßgeblich von der Schwere der Tat, den individuellen Tatfolgen und dem Verhalten des Täters nach der Tat abhängig. Kooperationen wie das freiwillige Freilassen des Opfers können strafmildernd berücksichtigt werden.

Verjährung

Aufgrund der hohen Strafandrohungen ist die Verjährungsfrist bei Entführungsdelikten deutlich verlängert. In besonders schweren Fällen ist sogar eine Verfolgung ohne zeitliche Begrenzung möglich.


Literaturverzeichnis und weiterführende Hinweise

Strafgesetzbuch (StGB), §§ 232-235, 239, 239a, 239b
Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ)
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 5
Fischer, Thomas: Strafgesetzbuch und Nebengesetze, aktueller Kommentar
* BeckOK StGB, laufende Kommentierung


Dieser Artikel bietet eine umfassende und strukturierte Übersicht zum Begriff „Entführung“ und erläutert dessen Bedeutung sowie die rechtlichen Aspekte im nationalen und internationalen Kontext. Die enthaltenen Ausführungen bilden eine solide Grundlage für das Verständnis der rechtlichen Rahmenbedingungen, Abgrenzungen und Schutzvorschriften rund um das Thema Entführung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Strafen drohen für Entführung nach deutschem Strafrecht?

Das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) unterscheidet verschiedene Qualifikationen der Entführung und bemisst darauf basierend das Strafmaß. Grundsätzlich wird der Tatbestand der Entführung in § 239a StGB („Erpresserischer Menschenraub“) oder § 239b StGB („Geiselnahme“) geregelt. Wer eine Person entführt, um sie oder einen Dritten zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen, muss mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren rechnen. Bei minder schweren Fällen kann das Strafmaß auf ein bis zehn Jahre Freiheitsstrafe sinken. Hinzu kommen mögliche Strafschärfungen, falls bei der Entführung erschwerende Umstände vorliegen, wie etwa der Tod des Opfers (§ 239a Abs. 3 StGB), was eine lebenslange Freiheitsstrafe nach sich ziehen kann. Auch der Versuch der Entführung ist strafbar. Zusätzlich zu den strafrechtlichen Konsequenzen können zivilrechtliche Ansprüche des Opfers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz bestehen.

Inwiefern unterscheidet sich die Entführung von der Freiheitsberaubung im rechtlichen Kontext?

Rechtlich betrachtet stellt die Entführung einen qualifizierten Sonderfall der Freiheitsberaubung dar, ist aber nicht mit ihr gleichzusetzen. Während die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) das widerrechtliche Festhalten oder Einsperren einer Person sanktioniert – unabhängig von Beweggründen und Zielen – erfordert die Entführung immer eine besondere Zielrichtung, etwa das Erzwingen von Lösegeld oder die Erpressung einer anderen Leistung. Eine Entführung umfasst daher regelmäßig auch den Tatbestand der Freiheitsberaubung, wird jedoch aufgrund der zusätzlichen Erpressungs- oder Zwangskomponente schwerer bestraft.

Hat das Opfer einer Entführung besondere Rechte im Strafverfahren?

Im deutschen Strafverfahren stehen entführten Personen als Opfer einer schweren Straftat besondere Schutz- und Beteiligungsrechte zu. Sie können als Nebenkläger/in im Strafverfahren auftreten und dadurch Akteneinsicht erhalten, eigene Beweisanträge stellen und Rechtsmittel einlegen (§§ 395-406g StPO). Außerdem haben sie Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung und können staatliche Opferentschädigung gemäß Opferentschädigungsgesetz (OEG) beantragen. Im Fall von Bedrohung oder weitreichender psychischer Belastung besteht ferner die Möglichkeit, Zeugen- und Opferschutzmaßnahmen in Anspruch zu nehmen, zum Beispiel Anonymisierung oder Zeugenschutzprogramme.

Besteht für Angehörige der/des Entführten eine gesetzliche Verpflichtung zur Zahlung von Lösegeld?

Eine gesetzliche Verpflichtung für Angehörige, im Fall einer Entführung Lösegeld zu zahlen, besteht nach deutschem Recht nicht. Vielmehr ist die Zahlung von Lösegeld rechtlich ein höchst sensibles Thema: Zwar ist sie nicht explizit verboten, jedoch kann sie unter bestimmten Umständen strafrechtlich relevant werden, etwa wenn sie zu einer Unterstützung einer kriminellen Vereinigung führt (§ 129 StGB) oder relevante Vorschriften des Geldwäschegesetzes betroffen sind. Darüber hinaus empfiehlt die Polizei in aller Regel, keine eigenmächtigen Lösegeldzahlungen vorzunehmen, sondern die Ermittlungsbehörden sofort einzuschalten.

Welche Rolle spielt die Anzeigeerstattung bei einer Entführung für das weitere Verfahren?

Die schnelle Anzeigeerstattung bei einer Entführung ist zentral für den weiteren Verlauf der Ermittlungen und damit für die Sicherheit des Opfers. Grundsätzlich beginnt die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Strafverfolgung in der Regel erst mit Erstattung einer Anzeige (§ 158 StPO). Je früher die Entführung gemeldet wird, desto größer sind die Erfolgschancen für eine sichere und unversehrte Rettung des Opfers. Die Anzeige löst die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens aus, und spezialisierte Einheiten wie das Landeskriminalamt oder das Bundeskriminalamt werden eingebunden. Eine verspätete Anzeige kann hingegen Ermittlungen verzögern und Risiken für das Opfer erhöhen.

Welche Bedeutung hat die internationale Zusammenarbeit bei Entführungen mit Auslandsbezug?

Bei Entführungen mit Bezug zum Ausland – sei es, weil das Opfer ins Ausland verschleppt wurde oder die Täter aus dem Ausland agieren – kommt der internationalen Zusammenarbeit maßgebliche Bedeutung zu. Über Strukturen wie Interpol und Europol werden Fahndungsmaßnahmen koordiniert, und Auslieferungsabkommen ermöglichen eine internationale Strafverfolgung. Das deutsche Recht sieht bei einschlägigen Delikten zudem eine extraterritoriale Strafbarkeit vor (§ 7 StGB), sodass auch deutsche Behörden tätig werden können, wenn deutsche Staatsbürger im Ausland entführt werden. Die Zusammenarbeit mit den jeweiligen nationalen Behörden ist jedoch oftmals komplex und erfordert diplomatisches Geschick sowie die Beachtung völkerrechtlicher Rahmenbedingungen.

Ist eine Strafmilderung oder Straffreiheit im Falle der tätigen Reue möglich?

Das deutsche Strafrecht sieht für den Fall tätiger Reue, insbesondere bei Geiselnahme (§ 239b Abs. 4 StGB) und erpresserischem Menschenraub (§ 239a Abs. 4 StGB), die Möglichkeit zur Strafmilderung oder unter bestimmten Umständen sogar zur Straffreiheit vor. Voraussetzung ist, dass der Täter freiwillig das Opfer in Sicherheit bringt, bevor die Tat entdeckt wird, und dadurch die Gefahr für das Opfer wesentlich reduziert. Diese Regelung soll Anreize schaffen, dass die Täter aus eigenem Antrieb die Entführung beenden und das Opfer verschonen. Eine endgültige Straffreiheit ist allerdings an strenge Bedingungen geknüpft und wird jeweils im Einzelfall geprüft.