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Einzelfallgesetz


Einzelfallgesetz

Begriff und Definition des Einzelfallgesetzes

Ein Einzelfallgesetz ist ein Gesetz, das sich auf einen individuell bestimmten oder bestimmbaren Sachverhalt bezieht und dadurch ausschließlich einen Einzelfall regelt. Im Gegensatz zu abstrakt-generellen Gesetzen, die für eine Vielzahl von Fällen gleichartig gelten, zeichnet sich das Einzelfallgesetz dadurch aus, dass es entweder nur für eine einzelne Person, eine bestimmte Sache oder einen konkreten Sachverhalt verbindlich ist.

Die rechtliche Einordnung des Einzelfallgesetzes ist insbesondere im Verfassungsrecht von hoher Relevanz, da Einzelfallgesetze der Prüfung am Gleichheitssatz, dem Gewaltenteilungsprinzip und dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit unterliegen.

Abgrenzung: Einzelfallgesetz und abstrakt-generelles Gesetz

Ein Einzelfallgesetz verliert seine Geltung, sobald der konkrete, in der Norm geregelte Sachverhalt abschließend geregelt ist. Im Gegensatz dazu besteht bei generellen Gesetzen ein wiederholbarer Anwendungsbereich für unbestimmte Fälle und Personenkreise. Die Zuordnung erfolgt dabei nicht immer nach der Formulierung des Gesetzes, sondern nach dessen tatsächlichem Regelungsgehalt. Ein Gesetz kann dem Wortlaut nach abstrakt-generell erscheinen, aber faktisch (etwa durch Bezeichnung konkreter Namen, Orte oder Ereignisse) einen Einzelfall regeln.

Einzelne Rechtsbereiche, wie das Haushaltsrecht oder das Erschließungsrecht, arbeiten regelmäßig mit Gesetzen, die zumindest teilweise einzelfallbezogen wirken und somit den Charakter eines Einzelfallgesetzes annehmen können.

Verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Einzelfallgesetzen

Grundsatz und verfassungsimmanente Schranken

Im deutschen Grundgesetz ist die Gesetzgebung grundsätzlich durch die Prinzipien der Abstraktheit und Allgemeinheit geprägt (vgl. Art. 20 Abs. 3 GG – Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung). Einzelfallgesetze sind nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Die wichtigsten verfassungsrechtlichen Schranken ergeben sich aus Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG, dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie dem Prinzip der Gewaltenteilung.

Insbesondere Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG normiert, dass bei Einschränkungen grundrechtlicher Regelungen diese allgemein und nicht bloß für den Einzelfall gelten dürfen. Dies wird als Verbot des Einzelfallgesetzes im Grundrechtsbereich bezeichnet.

Das Verbot des Einzelfallgesetzes

Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG lautet: „Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muss das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.” Daraus folgt ein ausdrückliches Verbot von Einzelfallgesetzen, sofern diese zu Lasten der Grundrechte wirken. Grundrechte dürfen also nicht durch speziell auf einen Einzelfall zugeschnittene Gesetze eingeschränkt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt bestätigt, dass Gesetze, die der Umgehung des grundrechtlichen Schutzes durch eine Einzelregelung dienen, verfassungswidrig sind. Zulässig bleiben Einzelfallgesetze, sofern sie keine Grundrechte einschränken oder soweit sie Sonderregelungen für atypische Konstellationen treffen, die sich sachlich rechtfertigen lassen.

Das rechtsstaatliche Differenzierungsgebot

Neben dem grundrechtlichen Einzelfallgesetzverbot ist jeder Differenzierung in Gesetzen eine sachlich gerechtfertigte Grundlage vorgeschrieben (Art. 3 Abs. 1 GG), um willkürliche Einzelfallregelungen ausgeschlossen werden. Damit soll verhindert werden, dass durch Gesetzgebung gezielt Einzelpersonen oder -gruppen ohne hinreichenden Grund bevorzugt oder benachteiligt werden.

Rechtsfolgen und Rechtskontrolle eines Einzelfallgesetzes

Bei Verstoß gegen das Verbot des Einzelfallgesetzes ist das betreffende Gesetz verfassungswidrig und nichtig. Eine solche Nichtigkeit kann in Deutschland durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt werden (Normenkontrollverfahren). Im Verwaltungs- und Zivilrecht kann der Anwendungsbereich des Einzelfallgesetzes ebenfalls gerichtlich überprüft werden, insbesondere wenn individuelle Rechte betroffen sind.

Eine Ausnahme existiert für sogenannte „Einzelfall-Anwendungsgesetze”, bei denen das Gesetz zwar einen Einzelfall betrifft, dieser jedoch aus objektiven, nachvollziehbaren Gründen von einer allgemeinen Regel abweicht und dabei keine Grundrechte einschränkt.

Praxisbeispiele für Einzelfallgesetze

Einzelfallgesetze sind in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland vergleichsweise selten, da das Grundgesetz hohe Hürden setzt. Beispiele aus der Vergangenheit sind:

  • Aufhebung der Immunität eines einzelnen Abgeordneten durch spezielles Gesetz (heute nicht mehr notwendig, da das Grundgesetz das Verfahren anders regelt)
  • Sondergesetze im Rahmen der deutschen Wiedervereinigung, die spezifische Regelungen für bestimmte Grundstücke oder Unternehmen getroffen haben.
  • Im Ausnahmefall spezifische Regelungen etwa zum Wiederaufbau nach Katastrophen, sofern diese auf eine individualisierbare Situation zugeschnitten wurden.

Regelungen in anderen Rechtsordnungen

Auch in anderen Rechtsordnungen existiert das Konzept des Einzelfallgesetzes. Im österreichischen Verfassungsrecht beispielsweise bestimmt Art. 7 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz), dass die Erlassung von Einzelfallgesetzen unzulässig ist, soweit diese nicht durch einen besonderen Rechtfertigungsgrund geboten sind. In der Schweiz ist nach Art. 36 Abs. 1 BV grundsätzlich ein generelles Gesetz erforderlich, jedoch lassen die Kantone zum Teil Sonderregelungen zu.

Bedeutung und Kritik am Einzelfallgesetz

Einzelfallgesetze stehen in der Kritik, weil sie den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz sowie das Prinzip der Gewaltenteilung schwächen können. Zugleich können sie zum Instrument von Willkür und politischer Einflussnahme werden. Andererseits können sie zur Lösung außergewöhnlicher, atypischer Situationen herangezogen werden, sofern eine hinreichende sachliche Rechtfertigung vorliegt und keine Grundrechte eingeschränkt werden.

Literaturauswahl und weiterführende Hinweise

  • BVerfG, 2 BvL 81/86, NJW 1992, 1967 – Einzelfallregelung und Art. 19 Abs. 1 GG
  • Epping/Hillgruber, Grundgesetz-Kommentar, Art. 19 und Art. 3 GG
  • Sachs, Grundgesetz, Kommentar, Art. 19 Rn. 13 ff.
  • Maurer, Staatsrecht I, 10. Auflage, S. 433 ff.

Fazit:
Das Einzelfallgesetz ist ein rechtlich hoch bedeutsamer Begriff. Seine Anwendung ist in der Bundesrepublik Deutschland durch das Grundgesetz einer engen Kontrolle unterworfen, um individuelle Sonderregelungen zulasten grundrechtlicher Garantien zu verhindern. Nur in Ausnahmefällen und im Rahmen sachlich gerechtfertigter Abweichungen kann ein Einzelfallgesetz Bestand haben, sofern alle verfassungsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden.

Häufig gestellte Fragen

Unterliegen Einzelfallgesetze besonderen verfassungsrechtlichen Schranken?

Einzelfallgesetze unterliegen im deutschen Recht besonderen verfassungsrechtlichen Anforderungen, da sie von dem allgemeinen Prinzip der abstrakt-generellen Gesetzgebung abweichen. Gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG müssen Gesetze, die Grundrechte einschränken, allgemeine und keine Einzelfallregelungen sein. Einzelfallgesetze sind – insbesondere bei belastenden Regelungen – daher strikt am Grundsatz der Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) zu messen. Ein Verstoß gegen diese Schranke liegt insbesondere vor, wenn im Gesetz für einen bestimmten Einzelfall ohne sachlichen Grund von einer bestehenden Regelung abgewichen wird. Außerdem prüft das Bundesverfassungsgericht bei Einzelfallgesetzen regelmäßig, ob eine unzulässige Umgehung justizieller Kontrolle oder eine Diskriminierung vorliegt. Der Gesetzgeber darf grundsätzlich Einzelfallgesetze erlassen, sofern hinreichende Gründe dies rechtfertigen und kein Willkürverbot verletzt wird. Trotzdem unterliegen Einzelfallgesetze stets einer strengen Verhältnismäßigkeitskontrolle und müssen transparent sowie sachbezogen begründet werden.

Wie unterscheidet sich ein Einzelfallgesetz von einer Sonderregelung?

Ein Einzelfallgesetz bezieht sich – anders als eine Sonderregelung – ausschließlich auf einen ganz bestimmten Fall, eine einzelne Person, Einrichtung oder konkret bestimmbare Sachverhalte, während eine Sonderregelung zwar eine kleine, besondere Gruppe betrifft, aber nicht auf nur einen einzelnen Fall zugeschnitten ist. Sonderregelungen gelten mindestens für eine abstrakte Kategorie von Fällen oder Personen. Die Abgrenzung ist insbesondere für die verfassungsrechtliche Bewertung relevant, da Einzelfallgesetze strengeren Beschränkungen unterliegen und schneller als willkürlich oder privilegierend/diskriminierend angesehen werden können. Einzelfallgesetze werden daher im Gesetzgebungsverfahren und in der Verfassungsrechtsprechung besonders genau überprüft.

Können Einzelfallgesetze rückwirkend erlassen werden?

Die rückwirkende Anwendung von Einzelfallgesetzen ist rechtlich besonders problematisch und im Regelfall unzulässig. Grundsätzlich verbietet das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot, das sich aus Art. 20 Abs. 3 GG und dem Vertrauensschutzgrundsatz ergibt, dass belastende Einzelfallgesetze mit Rückwirkung erlassen werden. Ausnahmen sind nur in sehr engen Grenzen möglich, etwa wenn kein schutzwürdiges Vertrauen vorliegt und der Gesetzgeber gewichtige Gemeinwohlinteressen anführt. Für begünstigende Einzelfallgesetze könnte die Rückwirkung hingegen zulässig sein, solange keine Rechte Dritter beeinträchtigt werden. Auch hier ist eine genaue verfassungsrechtliche Prüfung zwingend erforderlich.

Ist die gerichtliche Kontrolle von Einzelfallgesetzen beschränkt?

Nein, Einzelfallgesetze unterliegen ebenso wie andere Gesetze der vollumfänglichen verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Insbesondere prüft das Bundesverfassungsgericht, ob ein Einzelfallgesetz gegen das Willkürverbot, den Gleichheitssatz oder sonstige Grundrechte verstößt. Da Einzelfallgesetze häufig einen erhöhten Rechtfertigungsbedarf haben, ist die gerichtliche Kontrolle hier in der Praxis sogar intensiver; Gerichte überprüfen nicht nur die formelle Gesetzgebungskompetenz, sondern auch, ob das Gesetz materiell in verfassungsgemäßer Weise angewendet wurde. Unzulässige Einzelfallgesetze können vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt werden.

Welche typischen Beispiele für Einzelfallgesetze gibt es in der Rechtsprechung?

In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind einige prominente Einzelfallgesetze zu finden. Ein klassisches Beispiel ist das sog. „Lex Krupp”, mit dem 1957 im Einzelfall das Unternehmenseigentum einer bestimmten Familie in einer bestimmten rechtlichen Form übertragen wurde. Auch das „Lex Stinnes” oder das „Lex Göring” aus der Vergangenheit sind Beispiele für explizit auf Einzelpersonen ausgerichtete Gesetze. Diese und ähnliche Gesetze wurden vom Bundesverfassungsgericht in der Regel einer strengen Prüfung unterzogen; einzuhalten sind immer die Anforderungen aus dem Gleichheitssatz sowie grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien. In der Gegenwart sind Einzelfallgesetze eher selten, da im Gesetzgebungsverfahren hohe Hürden und Transparenzanforderungen bestehen.

In welchen Bereichen kommen Einzelfallgesetze heute noch vor?

Einzelfallgesetze sind in der heutigen Rechtspraxis selten, finden jedoch noch in bestimmten Bereichen Anwendung, etwa im Haushaltsrecht (z. B. bei der Bereitstellung von Geldern für einzelne Institutionen), im Beamten- oder Disziplinarrecht (z. B. bei Sonderregelungen für Amtsträger) oder zur Rehabilitierung und Entschädigung von Einzelpersonen. Auch im Bereich der Auflösung besonderer Staatsverhältnisse (z. B. Statusänderungen einzelner Behörden oder Körperschaften) können Einzelfallgesetze erlassen werden. Die Besonderheit bleibt, dass solche Gesetze stets einer sehr engen verfassungsrechtlichen Kontrolle unterliegen und ausführlich begründet werden müssen, um nicht gegen das Willkürverbot oder den Gleichheitssatz zu verstoßen.