Einigungsmangel

Begriff und Grundprinzip des Einigungsmangels

Ein Einigungsmangel liegt vor, wenn sich zwei Parteien über den Inhalt eines beabsichtigten Rechtsgeschäfts nicht deckungsgleich verständigt haben. Kern jedes Vertrages ist die Übereinstimmung von Angebot und Annahme in den wesentlichen Punkten. Fehlt diese inhaltliche Deckung, kommt es trotz abgegebener Erklärungen zu keinem oder nur zu einem unvollständigen Vertrag. Einigungsmängel können offen zutage treten oder unbemerkt bleiben und erst später sichtbar werden.

Entstehung und Erscheinungsformen

Offener Dissens

Beim offenen Dissens ist den Beteiligten bewusst, dass sie sich über einen oder mehrere Punkte nicht geeinigt haben. Sie erkennen den Konflikt, lassen ihn jedoch ungelöst. Fehlt die Einigung gerade über wesentliche Punkte, entsteht kein wirksamer Vertrag. Sind nur Nebenpunkte offen, kann ein Vertrag gleichwohl bestehen, dessen Lücken durch Auslegung oder gesetzliche Ersatzregeln gefüllt werden.

Versteckter Dissens

Beim versteckten Dissens glauben die Parteien, übereinzustimmen, verwenden aber Begriffe oder Formulierungen, die sie unterschiedlich verstehen. Erst später zeigt sich, dass sie in Wahrheit von verschiedenen Inhalten ausgingen. Auch hier gilt: Betrifft der Dissens wesentliche Punkte, fehlt es am Vertragsschluss. Betreffen die Abweichungen nur Nebenpunkte, kann der Vertrag im Übrigen bestehen.

Fehlender Konsens über wesentliche Punkte

Wesentliche Punkte sind diejenigen, ohne deren Einigkeit sich der Vertragstyp nicht sinnvoll bestimmen lässt, etwa die Art der Leistung, die Hauptmenge oder ein bestimmter Preis- oder Vergütungsmechanismus. Fehlt eine Übereinstimmung hierüber, liegt ein Einigungsmangel vor, der regelmäßig verhindert, dass ein Vertrag zustande kommt.

„Kampf der Formulare“

Verwenden beide Seiten vorformulierte Bedingungen, die einander widersprechen, kann es zu einem Einigungsmangel in Bezug auf die abweichenden Klauseln kommen. Abhängig von den Umständen gelten dann entweder nur die übereinstimmenden Teile, es greifen gesetzliche Ersatzregeln, oder ein Vertrag kommt mangels Einigkeit über zentrale Punkte nicht zustande.

Kreuzende Erklärungen und Schweigen

Treffen Erklärungen zeitlich versetzt und inhaltlich nicht aufeinander abgestimmt ein (etwa zwei sich kreuzende Angebote), fehlt die inhaltliche Deckung. Schweigen gilt grundsätzlich nicht als Zustimmung. Einigungsmängel können daher auch aus fehlender Annahme oder aus missverständlicher Kommunikation entstehen.

Abgrenzungen

Einigungsmangel versus Willensmangel

Ein Einigungsmangel betrifft die fehlende inhaltliche Übereinstimmung der Erklärungen. Willensmängel betreffen die Entstehung der Erklärung selbst, etwa Irrtum, Täuschung oder widerrechtliche Drohung. Bei Willensmängeln liegt zunächst ein Vertrag vor, der jedoch rückwirkend beseitigt werden kann. Beim Einigungsmangel fehlt es bereits am Vertragsschluss.

Einigungsmangel versus Formmangel

Ein Formmangel liegt vor, wenn eine vorgeschriebene Form (zum Beispiel Schriftform oder notarielle Beurkundung) nicht eingehalten wurde. Beim Einigungsmangel scheitert der Vertrag an der fehlenden Übereinstimmung, nicht an der Form. Formgerechtes Handeln kann einen inhaltlichen Dissens nicht heilen.

Scheinvertrag und Scheingeschäft

Beim Scheingeschäft geben die Parteien bewusst Erklärungen ab, die keine Rechtswirkungen entfalten sollen. Beim Einigungsmangel fehlt es hingegen an der Übereinstimmung, obwohl die Parteien regelmäßig Rechtswirkungen herbeiführen wollen. Beides führt im Ergebnis dazu, dass der beabsichtigte Vertrag nicht wirksam zustande kommt, beruht jedoch auf unterschiedlichen Gründen.

Rechtsfolgen

Nichtigkeit bei fehlendem Konsens

Fehlt die Einigung über wesentliche Punkte, kommt kein Vertrag zustande. Bereits erbrachte Leistungen können dann nach den Regeln über ungerechtfertigte Bereicherung rückabgewickelt werden. Die Beteiligten stehen so, als wäre der Vertrag nicht geschlossen worden.

Vertrag trotz offener Nebenpunkte

Sind nur Nebenpunkte ungeklärt, kann ein Vertrag gleichwohl wirksam sein. Die Lücken werden durch Auslegung geschlossen. Lässt sich der Parteiwille nicht ermitteln, treten gesetzliche Ersatzregeln an die Stelle der fehlenden Abrede. Voraussetzung ist, dass der Kern des Geschäfts hinreichend bestimmt und ein Leistungsprogramm identifizierbar ist.

Teilweise Unwirksamkeit einzelner Klauseln

Enthält ein Vertrag widersprüchliche oder unklare Bestimmungen, können einzelne Klauseln wegen eines Einigungsmangels keine Wirkung entfalten, während der übrige Vertrag bestehen bleibt. Maßgeblich ist, ob der restliche Inhalt auch ohne die betroffene Klausel sinnvoll aufrechterhalten werden kann.

Auswirkungen im Sachenrecht

Auch bei der Übertragung von Rechten ist eine Einigung erforderlich. Fehlende Übereinstimmung über den Gegenstand oder die Art der Übertragung führt dazu, dass die dingliche Rechtsänderung nicht eintritt. Der Erwerb scheitert dann unabhängig davon, ob eine zugrunde liegende schuldrechtliche Absprache beabsichtigt war.

Feststellung und Auslegung

Auslegung nach objektivem Empfängerhorizont

Ob eine Einigung vorliegt, wird danach beurteilt, wie die Erklärungen aus Sicht eines verständigen Empfängers zu verstehen sind. Nicht die unausgesprochene Vorstellung zählt, sondern das nach außen Erklärte und Erkennbare. Unklare Formulierungen gehen grundsätzlich zulasten dessen, der sie verwendet hat.

Bedeutung von Vorverhandlungen und Durchführung

Für die Feststellung des Inhalts sind Vorverhandlungen, Schriftverkehr, Entwürfe und die tatsächliche Durchführung bedeutsam. Daraus kann sich ergeben, worüber Konsens bestand und welche Punkte offenblieben. Auch ein längeres widerspruchsloses Vollziehen kann Hinweise auf den verstandenen Vertragsinhalt liefern.

Beweisfragen

Die Frage, ob ein Einigungsmangel vorliegt, ist häufig eine Frage der Auslegung und der Beweiswürdigung. Schriftliche Fixierungen, Protokolle und eindeutige Formulierungen erleichtern die Feststellung des Parteiwillens, ersetzen aber nicht die Prüfung, ob tatsächlich inhaltliche Deckung bestand.

Typische Konstellationen

Preis- und Mengenangaben

Uneinigkeit über Preis, Preisformel, Rabatte oder Mengen führt häufig zu Einigungsmängeln. Formulierungen wie „circa“, „voraussichtlich“ oder „nach Verfügbarkeit“ können je nach Kontext zu offenem oder verstecktem Dissens führen, wenn keine gemeinsame Bewertungsbasis erkennbar ist.

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Kollidierende vorformulierte Bedingungen verschiedener Parteien können einen Einigungsmangel hinsichtlich der abweichenden Klauseln bewirken. In der Folge gelten regelmäßig die übereinstimmenden Kernelemente, während widersprechende oder überraschende Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden.

Digitale Vertragsschlüsse

Bei Online-Bestellungen, Klick- oder Tap-Vorgängen entstehen Einigungsmängel insbesondere durch mehrdeutige Produktbeschreibungen, dynamische Preismodelle oder nachträglich eingeblendete Bedingungen. Maßgeblich bleibt, ob der Inhalt der Erklärungen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses deckungsgleich war.

Häufig gestellte Fragen

Was bedeutet Einigungsmangel?

Ein Einigungsmangel liegt vor, wenn Angebot und Annahme in ihrem Inhalt nicht übereinstimmen. Es fehlt dann die erforderliche inhaltliche Deckung der Erklärungen, die für das Zustandekommen eines Vertrages nötig ist.

Worin besteht der Unterschied zwischen offenem und verstecktem Dissens?

Beim offenen Dissens ist den Parteien bewusst, dass sie sich über bestimmte Punkte nicht geeinigt haben. Beim versteckten Dissens glauben sie, übereinzustimmen, weichen tatsächlich aber in ihrem Verständnis einzelner Punkte voneinander ab.

Welche Folgen hat ein Einigungsmangel?

Betrifft der Einigungsmangel wesentliche Punkte, kommt kein Vertrag zustande. Sind nur Nebenpunkte betroffen, kann der Vertrag bestehen, wobei Lücken durch Auslegung oder gesetzliche Ersatzregeln geschlossen werden.

Kann ein Vertrag trotz Einigungsmangel wirksam sein?

Ja, wenn der Dissens nur Nebenpunkte betrifft und der Vertragskern hinreichend bestimmt ist. In diesem Fall wird der fehlende Inhalt durch Auslegung oder gesetzliche Ersatzregeln ergänzt.

Wie wird festgestellt, ob ein Einigungsmangel vorliegt?

Entscheidend ist, wie die Erklärungen aus Sicht eines verständigen Empfängers zu verstehen waren. Herangezogen werden der Wortlaut, der Kontext, Vorverhandlungen und die tatsächliche Durchführung.

Worin liegt der Unterschied zwischen Einigungsmangel und Irrtum?

Der Einigungsmangel betrifft die fehlende inhaltliche Übereinstimmung der Erklärungen. Ein Irrtum betrifft die innere Willensbildung einer Partei. Beim Irrtum liegt zunächst ein Vertrag vor, der später beseitigt werden kann, während es beim Einigungsmangel bereits am Vertragsschluss fehlt.

Welche Bedeutung hat der Einigungsmangel bei der Übertragung von Eigentum?

Für die Übertragung ist eine gesonderte Einigung über den Übergang des Rechts erforderlich. Fehlt diese Einigung oder ist sie inhaltlich nicht deckungsgleich, tritt die beabsichtigte Rechtsänderung nicht ein.