Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Rechtsbegriffe (allgemein)»Einheitspatent (Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung)

Einheitspatent (Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung)


Einheitspatent (Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung)

Das Einheitspatent, offiziell „Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung” genannt, ist ein rechtsbedeutsames Schutzrecht im Rahmen des Europäischen Patentsystems. Das Einheitspatent ermöglicht den einheitlichen Patentschutz in mehreren EU-Mitgliedstaaten auf Grundlage einer zentralen Erteilung durch das Europäische Patentamt (EPA). Es gilt als eine der bedeutendsten Reformen im europäischen Patentrecht und zielt darauf ab, die bisher bestehenden Fragmentierungen sowie Kosten und Komplexität bei der Durchsetzung technischer Erfindungen zu reduzieren.


Historischer Hintergrund und Zielsetzung

Entwicklung des Europäischen Patentsystems

Das europäische Patentsystem ermöglicht seit Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) im Jahr 1977 die zentrale Anmeldung und Prüfung europäischer Patente. Bisher erforderte dieses System nach der zentralen Erteilung jedoch eine nationale Validierung in den einzelnen Vertragsstaaten, wodurch ein Bündel unabhängiger nationaler Patente entstand. Dies führte zu mehrfachen Formalitäten, Übersetzungserfordernissen sowie separaten Gebühren und erhöhter Rechtsunsicherheit im Falle von Verletzungsstreitigkeiten.

Einführung des Einheitspatents

Mit der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 zur Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes und der Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 betreffend die Übersetzungsregelungen wurde das Einheitspatent geschaffen. Die Verwirklichung des Einheitspatents startete zum 1. Juni 2023 parallel zur Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts (EPG).


Rechtlicher Rahmen des Einheitspatents

Europäische Union und verstärkte Zusammenarbeit

Nicht alle EU-Mitgliedstaaten beteiligen sich am Einheitspatentsystem. Das System basiert auf dem Instrument der „verstärkten Zusammenarbeit” nach Art. 326 ff. AEUV. Derzeit sind 17 EU-Mitgliedstaaten (Juni 2024) Vertragsparteien des Einheitspatents. Das Europäische Patentamt als Organ der Europäischen Patentorganisation bleibt für die Patenterteilung zuständig.

Rechtliche Grundlagen

  • Verordnung (EU) 1257/2012: Schaffung einheitlichen Patentschutzes
  • Verordnung (EU) 1260/2012: Übersetzungsregelungen
  • Abkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ/UPCA): Gerichtsbarkeit für Einheitspatente
  • Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ): Grundlage der Patenterteilung

Schutzumfang und Wirkung des Einheitspatents

Einheitliche Wirkung

Das Einheitspatent gewährt dem Patentinhaber einen einheitlichen, unmittelbar wirkenden Patenschutz in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten ab der Registrierung der einheitlichen Wirkung. Es handelt sich nicht um ein neues Patent, sondern um die Erweiterung eines durch das EPA erteilten europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung für alle teilnehmenden Staaten.

Kein Teilnichtigkeitsprinzip

Die einheitliche Wirkung bedeutet, dass Beschränkungen oder Nichtigkeiten das gesamte Einheitspatent für alle teilnehmenden Staaten erfassen und nicht, wie beim klassischen Bündelpatent, nur national begrenzt sind.


Antragstellung und Verfahren

Antragsverfahren

Nach Erteilung eines europäischen Patents kann innerhalb eines Monats beim EPA der Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt werden. Die einheitliche Wirkung kann nur für die Staaten beantragt werden, die zum Zeitpunkt der Patenterteilung am Einheitspatentsystem teilnehmen.

Übersetzungsanforderungen

Während einer Übergangsperiode ist zusammen mit dem Antrag eine vollständige Übersetzung des Patents in eine andere Amtssprache der EU einzureichen, sofern das Patent nicht bereits in Deutsch, Englisch oder Französisch verfasst wurde. Nach Ablauf der Übergangsfrist entfällt diese Verpflichtung.

Gebühren

Mit dem Antrag auf einheitliche Wirkung fallen Jahresgebühren an, die direkt an das EPA zu entrichten sind. Nationale Gebühren einzelner teilnehmender Staaten entfallen.


Rechtsfolgen des Einheitspatents

Ausschließliche Rechte und Verbote

Patentinhaber haben das exklusive Recht, Dritten die Herstellung, Verwendung, das Anbieten oder Inverkehrbringen der patentierten Erfindung im Gebiet aller teilnehmenden Staaten zu untersagen.

Rechtslöschung und Beschränkung

Nichtigkeitsklagen gegen das Einheitspatent können zentral vor dem Einheitlichen Patentgericht erhoben werden. Die Entscheidung wirkt für alle teilnehmenden Staaten gleichermaßen.

Übertragung und Lizenzierung

Das Einheitspatent ist übertragbar und kann vollständig oder für Teile seines räumlichen Geltungsbereichs lizenziert werden. Lizenzen können exklusiv oder nicht-exklusiv ausgestaltet werden.

Zwangslizenzen

Nationale Regelungen zu Zwangslizenzen bleiben anwendbar. Diese werden jedoch auf das gesamte einheitliche Gebiet erstreckt.


Verhältnis zu nationalen Patenten und herkömmlichen europäischen Patenten

Koexistenz mehrerer Schutzrechte

Es besteht neben dem Einheitspatent weiterhin die Möglichkeit, nationale Patente oder das klassische europäische Bündelpatent anzumelden. Ein und dieselbe Erfindung darf jedoch nicht gleichzeitig durch ein Einheitspatent und ein nationales Patent in demselben Staat geschützt werden (Doppelschutzverbot).

Opt-out-Regelung (Übergangsregelung)

Bis 2030 (verlängerbar) besteht eine Übergangsregelung, nach der Inhaber klassischer europäischer Patente und Patentanmelder entscheiden können, ob sie ihr Patent vom künftigen Einheitlichen Patentgericht ausschließen („opt-out”). Für Einheitspatente besteht keine Opt-out-Möglichkeit, sie fallen zwingend unter die Zuständigkeit dieses Gerichts.


Einheitliches Patentgericht (EPG) und Streitbeilegung

Zuständigkeit

Das Einheitliche Patentgericht ist zuständig für Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren im Zusammenhang mit Einheitspatenten. Es handelt sich um ein supranationales Gericht mit Zentralkammern sowie lokalen und regionalen Kammern in den teilnehmenden Staaten.

Harmonisierung der Durchsetzung

Durch die zentrale Gerichtsbarkeit sollen divergierende nationale Rechtsprechungen vermieden und die Durchsetzung von Patentrechten binnen der teilnehmenden Staaten effizienter und rechtssicher gestaltet werden.


Vorteile und Herausforderungen

Vorteile des Einheitspatents

  • Einheitlicher Schutz in mehreren Staaten durch ein einziges Patent
  • Reduzierte Übersetzungserfordernisse und Verfahrensvereinfachung
  • Einheitliche Gebührenstruktur
  • Zentralisierte Rechtsdurchsetzung und Nichtigkeitskontrolle

Herausforderungen und Kritikpunkte

  • Eingeschränkter räumlicher Geltungsbereich mangels Teilnahme aller EU-Mitgliedstaaten
  • Potenziell hohe Jahresgebühren im Vergleich zu einzelnen nationalen Anmeldungen bei geringen Schutzbedarfen
  • Rechtliche Unsicherheiten in der Anfangsphase bezüglich der gerichtlichen Praxis
  • Übersetzungsanforderungen in der Übergangszeit als Kostenfaktor

Fazit und Ausblick

Das Einheitspatent (Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung) stellt einen Meilenstein der Harmonisierung und Effizienzsteigerung im europäischen Patentschutz dar. Durch die Zusammenführung wesentlicher Schutzmechanismen in einer supranationalen Struktur sowie die Anbindung an das Einheitliche Patentgericht werden langfristig einheitlichere Standards und größere Rechtssicherheit im Binnenmarkt der teilnehmenden Staaten erwartet. Die fortschreitende Entwicklung und mögliche Erweiterung auf weitere EU-Mitgliedstaaten sind auf europäischer Ebene weiterhin von großer praktischer wie rechtlicher Bedeutung.


Weiterführende Rechtsquellen

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Wirkungen entfaltet das Einheitspatent in den teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten?

Das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent) entfaltet einheitliche und unmittelbare Wirkung in allen teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten, die das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht und die Verordnung zur Schaffung des einheitlichen Patentsystems ratifiziert haben. Die rechtlichen Wirkungen beziehen sich auf den Schutzumfang sowie auf die beschränkenden oder aufhebenden Maßnahmen, die entweder im gesamten Gebiet oder gar nicht wirksam werden. Das bedeutet, dass eine Einschränkung, ein Widerruf oder eine Nichtigerklärung des Patents immer das gesamte jeweilige Gebiet umfasst, ohne die Möglichkeit, das Patent selektiv nur in einzelnen teilnehmenden Staaten zu erhalten oder zu verlieren. Rechtsverletzungen werden einheitlich betrachtet und bewertet. Auch die Ansprüche richten sich hinsichtlich Unterlassung, Auskunft und Schadenersatz nach einheitlichen Maßstäben und sind gleichzeitig in allen teilnehmenden Ländern vollstreckbar.

Inwiefern ist der Rechtsweg für Rechtsstreitigkeiten bezüglich des Einheitspatents geregelt?

Die ausschließliche Zuständigkeit für zivilrechtliche Streitigkeiten, die sich aus Einheitspatenten ergeben – insbesondere Verletzungs-, Nichtigkeits- und Lizenzstreitigkeiten – liegt beim Einheitlichen Patentgericht (EPG). Das EPG besteht aus zentralen, lokalen und regionalen Kammern und ist als supranationales Gerichtssystem konzipiert worden, um eine konsistente Rechtsprechung und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Nationale Gerichte sind für Streitigkeiten bezüglich eines Einheitspatents grundsätzlich nicht zuständig, mit Ausnahme von Aspekten, die außerhalb des materiellen Patentrechts liegen (wie beispielsweise Vertragsstreitigkeiten, die sich nicht direkt auf das Patentrecht beziehen). Urteile des EPG gelten direkt in allen teilnehmenden Staaten, was zu einem einheitlichen Rechtsdurchsetzungsmechanismus führt.

Welche rechtlichen Anforderungen bestehen für die Lizenzierung eines Einheitspatents?

Einheitspatente können als Ganzes lizenziert werden, wobei die Lizenz gleichermaßen für das gesamte Gebiet der teilnehmenden Mitgliedsstaaten gilt. Teilweise Lizenzen – beispielsweise beschränkt auf bestimmte Mitgliedsstaaten – sind nicht vorgesehen. Der Lizenzvertrag unterliegt grundsätzlich den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften des anwendbaren Vertragsrechts, ist jedoch insoweit durch die gesetzlichen Bestimmungen zum Einheitspatent überlagert, als die Lizenzierung keinen Einfluss auf territoriale oder inhaltliche Einheit hat. Jeder Lizenznehmer muss sicherstellen, dass die Nutzung im Einklang mit den Bestimmungen des Einheitspatents und dessen Schutzumfang steht. Ob eine Lizenz exklusiv oder nicht-exklusiv ist, richtet sich danach, wie dies zwischen den Parteien vertraglich geregelt wird.

Welche Bedeutung hat das Einheitspatent für bestehende nationale Patente?

Das Einheitspatent beeinträchtigt nicht die Gültigkeit nationaler Patente oder deren Wirkung in den Mitgliedsstaaten. Nationale Patente bestehen unabhängig fort. Allerdings betrifft das Einheitspatent das sogenannte “klassische” europäische Bündelpatent insoweit, als dessen Inhaber im Wege einer Opt-out-Erklärung (sog. Ausstiegserklärung) entscheiden können, ob sie die Zuständigkeit des EPG für bereits bestehende europäische Patente oder Patentanmeldungen wünschen oder ausschließen möchten. Wird kein Opt-out erklärt, fallen auch diese Schutzrechte unter die einheitliche, supranationale Rechtsordnung. Neue Anmeldung des Einheitspatents oder die Inanspruchnahme der einheitlichen Wirkung kann die strategische Bedeutung von nationalen Schutzrechten mindern, insbesondere im Hinblick auf die Durchsetzung und Verteidigung von Patentrechten.

Wie verhält es sich mit Übersetzungsanforderungen beim Einheitspatent aus rechtlicher Sicht?

Die Übersetzungsregelungen für das Einheitspatent sind klar im Rahmen der Verordnung zur Durchführung des einheitlichen Patentschutzes geregelt. Während der Anmeldungs- und Prüfungsphase kommt zunächst das herkömmliche Europäische Patentsystem zum Tragen (amtssprachenabhängige Einreichung). Nach der Erteilung genügt eine vollständige Übersetzung der Patentschrift in eine beliebige Amtssprache der EU, falls das Einheitspatent nicht bereits in Englisch vorliegt. Für die Gültigkeit des Schutzes oder im Falle eines Rechtsstreits kann es erforderlich sein, Übersetzungen auf Aufforderung vorzulegen, die entsprechende Beweiskraft besitzen. Falsche oder irreführende Übersetzungen können unter bestimmten Umständen zum Verlust von Rechten oder zu einer Haftung führen.

Gibt es Haftungsregelungen bezüglich des Inhalts falscher Übersetzungen beim Einheitspatent?

Ja, nach Art. 4 der Verordnung zur Übersetzungsregelung (EU) Nr. 1260/2012 haftet der Inhaber des Einheitspatents für Schäden, die durch fehlerhafte Übersetzungen der Patentschrift entstehen. Dies bedeutet, dass Dritte, die sich im guten Glauben auf eine fehlerhafte Übersetzung verlassen und dadurch einen Schaden erleiden, Ansprüche gegen den Patentinhaber geltend machen können. Dies ist insbesondere im Kontext der Durchsetzung von Patentrechten und der Vermeidung von Rechtsverletzungen von erheblicher Bedeutung, da der Vertrauensschutz in die Richtigkeit offizieller Übersetzungen gestärkt wird.

Wie ist der materielle Schutzumfang eines Einheitspatents rechtlich definiert?

Der Schutzumfang des Einheitspatents bestimmt sich – genauso wie bei klassischen europäischen Patenten – nach dem Protokoll über die Auslegung von Artikel 69 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ). Es gilt der sogenannte Schutzbereich des Anspruchswortlauts, ausgelegt nach der Patentschrift, den Zeichnungen und der Beschreibung. Einheitspatente sind gegen jede Form von unberechtigter Benutzung im gesamten Gebiet der einheitlichen Wirkung geschützt, was insbesondere Herstellung, Angebot, Vertrieb, Nutzung, Einfuhr oder Lagerung umfasst. Die Einheitlichkeit dieses Schutzes verbietet es, einzelne Staaten aus dem territorialen Anwendungsbereich auszunehmen oder für diese abweichende Schutzumfänge geltend zu machen.

Welche Voraussetzungen und Fristen müssen für den Widerruf bzw. die Nichtigerklärung eines Einheitspatents eingehalten werden?

Eine Nichtigkeitsklage gegen ein Einheitspatent ist ausschließlich beim Einheitlichen Patentgericht (EPG) einzureichen. Die Nichtigkeitsklage kann sich auf fehlende Patentierbarkeit, unzureichende Offenbarung oder Erweiterung des Schutzgegenstandes gegenüber der Anmeldung stützen. Fristen und Verfahrensvorgaben richten sich nach der Verfahrensordnung des EPG. Gelingt der Nichtigkeitsangriff ganz oder teilweise, so wirkt die Nichtigerklärung stets erga omnes innerhalb aller teilnehmenden Mitgliedsstaaten und kann nicht auf einzelne Länder beschränkt werden. Entscheidungen über Widerruf oder Einschränkung entfalten somit unmittelbare und einheitliche Wirkung im gesamten Rechtsterritorium des Einheitspatents.