Einheitliches Patentgericht (EPG)
Das Einheitliche Patentgericht (EPG) ist ein internationales Gericht, das durch das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) geschaffen wurde und für Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf europäische Patente und das Einheitspatent zuständig ist. Das EPG stellt einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung des Patentschutzes und der Patentstreitigkeiten im Rahmen der Europäischen Union dar. Es nimmt seit dem 1. Juni 2023 seine Tätigkeit auf und bildet einen zentralen Bestandteil des neuen europäischen Patentsystems.
Rechtsgrundlagen und Zielsetzung des Einheitlichen Patentgerichts
Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)
Die rechtliche Grundlage des Einheitlichen Patentgerichts bildet das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), das am 19. Februar 2013 von ursprünglich 25 EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde. Das EPGÜ regelt Organisation, Zuständigkeit, Verfahren und Rechtsfolgen der richterlichen Tätigkeit des EPG. Das EPG ist Teil des sogenannten “Europäischen Patentpakets”, das zudem die Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 (Einrichtung des Einheitspatents) und die Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 (Übersetzungsregelungen für das Einheitspatent) umfasst.
Ziel und Bedeutung
Ziel des EPG ist es, die Durchsetzung und Anfechtung von europäischen Patenten sowie von Einheitspatenten zentral zu koordinieren und damit die bislang vorhandene zersplitterte nationale Rechtsdurchsetzung zu überwinden. Das EPG soll Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Effizienz bei Patentstreitigkeiten innerhalb der teilnehmenden EU-Mitgliedstaaten gewährleisten.
Organisation und Aufbau des Einheitlichen Patentgerichts
Gerichtsbarkeit und Sitz
Das Einheitliche Patentgericht besteht aus einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht. Überdies ist eine Geschäftsstelle zur administrativen Unterstützung eingerichtet.
Gericht erster Instanz:
- Teilt sich auf in eine zentrale Kammer, lokale Kammern und regionale Kammern.
- Die zentrale Kammer ist in Paris (Hauptsitz), München und Mailand angesiedelt.
- Lokale Kammern bestehen in teilnehmenden Staaten, unter anderem in Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München.
Berufungsgericht:
- Der Sitz des Berufungsgerichts ist in Luxemburg.
Zusammensetzung der Kammern
Eine Kammer des EPG ist in der Regel mit drei Richtern besetzt. Es findet eine Mischung aus technisch qualifizierten und rechtlich qualifizierten Richtern statt, wobei an Verfahren zu technisch-komplexen Sachverhalten stets mindestens ein technisch qualifizierter Richter beteiligt ist.
Sprachenregelungen
Vor dem EPG kann grundsätzlich in der Verfahrenssprache des Europäischen Patentamts (Deutsch, Englisch, Französisch) oder in der Sprache des jeweiligen Mitgliedsstaates verhandelt werden. Die zentrale Kammer arbeitet vornehmlich in den Amtssprachen des Europäischen Patentamts.
Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts
Sachliche und örtliche Zuständigkeit
Das EPG ist insbesondere zuständig für:
- Einheitspatente,
- Europäische Patente (nach und vor dem Inkrafttreten des EPGÜ, sofern sie nicht einem Opt-out unterliegen),
- Zusatzschutzzertifikate auf Basis dieser Patente.
Es entscheidet in folgenden Angelegenheiten:
- Klagen auf Verletzung und Unterlassung,
- Nichtigkeitsklagen,
- Anträge auf Erlass einstweiliger Maßnahmen (z. B. einstweilige Verfügung),
- Klagen auf Schadenersatz,
- Anträge auf Feststellung der Nichtverletzung,
- Zwangslizenzstreitigkeiten.
Für Alt-Patente (vor dem Inkrafttreten des EPG erteilte europäische Patente) besteht eine Übergangsregelung. Inhaber können mit einer Opt-out-Erklärung die Zuständigkeit des EPG ausschließen, so dass nationale Gerichte zuständig bleiben.
Persönliche Zuständigkeit
Die Zuständigkeit des EPG umfasst sämtliche natürlichen und juristischen Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit oder ihrem Sitz, sofern eine streitgegenständliche Handlung im Gebiet der teilnehmenden Staaten stattfindet oder sich die Wirkung eines Patents über diese erstreckt.
Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht
Verfahrensablauf
Das Verfahren vor dem EPG ist durch eine straffe Verfahrensführung und kurze Fristen geprägt. Zu den wesentlichen Elementen gehören:
- elektronische Einreichung von Klagen,
- Austausch von Schriftsätzen in festgelegten Fristen,
- mündliche Verhandlung (in der Regel innerhalb von circa 12 Monaten nach Klageeinreichung),
- Beweisaufnahme durch Sachverständige und Zeugen,
- Rechtsmittelverfahren vor dem Berufungsgericht.
Beweisverfahren
Das EPG kennt Nebenklagen wie die inspektorische Besichtigung (vergleichbar mit der “Dawn Raid”) und Verfahren zur Beweissicherung (z. B. bei drohendem Beweisverlust). Zudem sind Anordnungen zur Vorlage von Unterlagen (“Discovery Light”) möglich.
Rechtsmittel, Kosten und Vollstreckung
Rechtsmittel
Gegen erstinstanzliche Entscheidungen des Einheitlichen Patentgerichts kann Berufung beim Berufungsgericht des EPG eingelegt werden. Die Berufung ist innerhalb einer festgelegten Frist einzureichen und beschränkt sich im Regelfall auf Rechts- und Verfahrensfragen; aber auch neue Tatsachen und Beweismittel können unter bestimmten Voraussetzungen berücksichtigt werden.
Kosten
Die Gerichtskosten richten sich nach einer Kombination aus festen und streitwertabhängigen Gebühren, die nach Maßgabe der EPG-Gebührenordnung berechnet werden. Die unterliegende Partei trägt regelmäßig die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Rechtsverfolgungskosten des Gegners, beschränkt durch Obergrenzen.
Vollstreckung von Entscheidungen
Urteile und einstweilige Maßnahmen des EPG sind in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten vollstreckbar. Die Vollstreckung erfolgt nach Maßgabe der nationalen Vorschriften am Ort der Zwangsvollstreckung.
Übergangsregelungen und das “Opt-out”-Recht
In der Übergangszeit von sieben Jahren (mit Verlängerungsoption) nach Inkrafttreten des EPGÜ besteht die Möglichkeit, für „klassische” europäische Patente und anhängige Patentanmeldungen die Zuständigkeit ausschließlich auf die nationalen Gerichte zu verlagern. Dies erfolgt durch eine Opt-out-Erklärung, sofern noch keine Klage vor dem EPG anhängig ist.
Beteiligte Staaten und Geltungsbereich
Nicht alle EU-Mitgliedstaaten beteiligen sich an dem EPG-System. Insbesondere Spanien, Polen und Kroatien nehmen derzeit nicht teil. Das einheitliche Patentsystem und das EPG umfassen jene Staaten, die das EPGÜ ratifiziert haben. Ein in diesen Staaten wirksames einheitliches Patent kann vor den Gerichten aller teilnehmenden Staaten geltend gemacht und verteidigt werden.
Bedeutung und Auswirkungen auf das Patentrecht
Das Einheitliche Patentgericht markiert einen Wendepunkt im europäischen Patentrecht. Es verleiht dem Patentschutz eine neue Qualität, indem es ermöglicht, für einheitliche europäische Patente zentral Rechtsschutz zu erlangen oder Rechtsverletzungen abzuwehren. Es reduziert den Verwaltungsaufwand, erhöht die Effizienz der Rechtsdurchsetzung und schafft eine vergleichbare Behandlung von Patentangelegenheiten in den beteiligten Staaten.
Literatur und weiterführende Informationen
- Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) – konsolidierte Fassung
- Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates
- Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates
- www.unified-patent-court.org
Das Einheitliche Patentgericht bietet durch einheitliche Verfahren und Entscheidungen einen bedeutsamen Beitrag für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und Rechtssicherheit im europäischen Patentsystem.
Häufig gestellte Fragen
Welche Zuständigkeit hat das Einheitliche Patentgericht (EPG) im rechtlichen Kontext?
Das Einheitliche Patentgericht (EPG) ist ausschließlich zuständig für Streitigkeiten, die sich auf das Einheitspatent sowie auf klassische europäische Patente mit einheitlicher Wirkung in den teilnehmenden Mitgliedstaaten beziehen. Die Zuständigkeit erstreckt sich insbesondere auf Klagen wegen Verletzung, Nichtigkeit, Feststellung von Nichtverletzung, einstweiligen Rechtsschutz, sowie Anträge auf Erlass vorläufiger Maßnahmen. Zudem ist das EPG für Widerklagen auf Nichtigerklärung in Verletzungsverfahren zuständig. Wichtig dabei ist, dass innerhalb des Übergangszeitraums (sog. Opt-out-Phase) Inhaber klassischer europäischer Patente wählen können, ob sie für diese das traditionelle nationale Gerichtssystem oder das EPG in Anspruch nehmen. Nach Ablauf dieses Übergangs ist das EPG ausschließlich zuständig. Rechtsgrundlage für dessen Zuständigkeit bilden vorrangig das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ), die Einheitspatentverordnung und ergänzende Regelwerke.
Welches Verfahrensrecht findet vor dem Einheitlichen Patentgericht Anwendung?
Vor dem EPG gilt primär das Verfahrensrecht aus dem Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) und die Verfahrensordnung des EPG, welche detaillierte Regelungen zu Prozessführung, Beweisaufnahme, Fristen, Verfahrenssprachen und Kostenstruktur enthalten. Daneben behält sich das Gericht vor, ergänzend auf allgemeine Grundsätze des europäischen Zivilprozessrechts und auf das Recht der teilnehmenden Staaten zurückzugreifen, falls ein konkreter Aspekt im EPGÜ oder in der Verfahrensordnung nicht geregelt ist. Die Verfahrensordnung ist maßgeblich für Streitverfahren, Nichtigkeitsverfahren, einstweilige Verfügungen sowie Maßnahmen zur Beweissicherung und beschreibt Übergänge zwischen schriftlichem und mündlichem Verfahren, soweit dies für die Rechtssicherheit erforderlich ist. Die Verfahrenssprache richtet sich grundsätzlich nach der Patentsprache, kann aber durch Antrag auch abweichen.
Welche Möglichkeiten der Rechtsmittel stehen gegen Urteile des EPG offen?
Gegen Entscheidungen der erstinstanzlichen Kammern des EPG ist das Rechtsmittel der Berufung zulässig. Diese ist bei der Berufungskammer einzulegen, die ihren Sitz in Luxemburg hat. Die Berufung muss grundsätzlich innerhalb eines Monats nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils eingelegt werden. Sie kann sich sowohl gegen das Urteil in der Sache als auch gegen bestimmte prozessuale Entscheidungen richten. Im Berufungsverfahren wird der Streitfall umfassend und in rechtlicher wie auch in tatsächlicher Hinsicht erneut geprüft. Es besteht ferner die Möglichkeit der Korrektur oder Widerrufung von Verfahrensakten. Ein weiteres Rechtsmittel (Revision) ist im EPGÜ hingegen nicht vorgesehen, sodass die Entscheidungen der Berufungskammer regelmäßig rechtskräftig werden.
Wie wird der Schadensersatz bei Patentverletzungen durch das EPG festgelegt?
Das EPG legt den Schadensersatz bei Patentverletzungen anhand der Grundsätze des EPGÜ und in Orientierung an europäischen Standards fest. Die Schadensberechnung erfolgt typischerweise nach der Wahl des Klägers entweder auf der Grundlage des entgangenen Gewinns, des tatsächlich entstandenen Schadens, einer angemessenen Lizenzgebühr (fiktive Lizenzgebühr) oder etwa dem Verletzergewinn. Relevant für die Bemessung sind dabei Faktoren wie Marktanteile, die Schwere des Verschuldens, sowie in Ausnahmefällen auch immaterielle Komponenten wie geschäftlicher Rufverlust. Das Gericht kann zur Schadensschätzung Experten heranziehen und Anweisungen zur Offenlegung von Gewinn- und Umsatzzahlen erlassen. Zudem kann das EPG bei vorsätzlichen Verstößen neben dem eigentlichen Schadensersatz auch Auskunftsansprüche, Vernichtung von Produkten sowie Rückrufe anordnen.
Welche Bedeutung hat das „Opt-out”-Verfahren im Zusammenhang mit dem EPG?
Das Opt-out-Verfahren ist ein rechtlicher Mechanismus, der es Patentinhabern erlaubt, für klassische europäische Patente und anhängige Anmeldung die Zuständigkeit des EPG bis zum Ablauf der Übergangsfrist (max. sieben Jahre ab Inkrafttreten des EPGs, verlängerbar um bis zu sieben weitere Jahre) auszuschließen. Der Opt-out muss aktiv über das „Case Management System” des EPG beantragt werden und gilt für das gesamte Patent – eine partielle oder nachträgliche Abweichung ist ausgeschlossen. Das Opt-out kann jederzeit während der Übergangszeit zurückgenommen werden („Opt-in”), sofern noch keine Klage vor einem nationalen Gericht oder dem EPG anhängig ist. Das Verfahren gibt insbesondere Inhabern bereits erteilter europäischer Patente die Möglichkeit, ihre Rechte weiterhin unter nationalen Rechtssystemen durchzusetzen.
Welche Rolle spielt die Verfahrenssprache beim EPG?
Die Verfahrenssprache beim EPG wird grundlegend durch die Verfahrensordnung bestimmt und richtet sich in der Regel nach der Sprache des Patents (gewöhnlich Englisch, Deutsch oder Französisch). Die Local und Regional Divisions können jedoch auch eine der Amtssprachen des jeweiligen Mitgliedsstaates als Verfahrenssprache zulassen. Daneben ist auf Antrag der Parteien und unter bestimmten Voraussetzungen auch eine Änderung der Verfahrenssprache möglich, wenn das Gericht dies genehmigt. Die Wahl der Verfahrenssprache hat erhebliche Auswirkungen auf die Kosten, das Beweisverfahren sowie den Zugang und die Verständlichkeit für die Verfahrensbeteiligten.
Wie werden Entscheidungen des EPG vollstreckt?
Die Urteile und Entscheidungen des EPG sind in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten unmittelbar vollstreckbar. Die Vollstreckung erfolgt nach den jeweiligen nationalen Vorschriften jenes Staates, in dem die Maßnahme durchgeführt werden soll. Bei Geldsummen oder Unterlassungsgeboten steht den Parteien der Rechtsweg zur nationalen Justiz offen, um die Entscheidung wie ein vollstreckbares nationales Urteil zu behandeln. Das EPG kann die Zwangsvollstreckung anordnen und gegebenenfalls Zwangsgelder verhängen. Die grenzüberschreitende Wirkung der Entscheidungen stellt einen der größten rechtlichen Vorteile des EPG-Systems dar.