Legal Lexikon

Eigenverwaltung


Begriff und Grundzüge der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung ist ein verfahrensrechtliches Institut des deutschen Insolvenzrechts. Sie ermöglicht es einem insolventen Schuldner, unter gerichtlicher Aufsicht sein Insolvenzverfahren eigenständig zu führen, ohne dass ein Insolvenzverwalter bestellt wird. Stattdessen übernimmt der Schuldner selbst, gegebenenfalls mit Unterstützung eines sogenannten Sachwalters, die Verwaltung und Verwertung seiner Insolvenzmasse. Die Eigenverwaltung fördert damit die Sanierung und Fortführung des Unternehmens und bietet eine Alternative zum klassischen Regelinsolvenzverfahren.

Rechtliche Grundlagen

Gesetzliche Verankerung

Die Regelungen zur Eigenverwaltung finden sich in den §§ 270 ff. der Insolvenzordnung (InsO). Seit der Insolvenzrechtsreform 2012 wurde die Eigenverwaltung insbesondere durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) gestärkt. Ziel ist die Förderung der unternehmerischen Eigeninitiative sowie die Erleichterung und Beschleunigung von Unternehmenssanierungen im Insolvenzverfahren.

Voraussetzungen und Antrag

Die Eigenverwaltung kann entweder von Anfang an gemeinsam mit dem Insolvenzantrag (§ 270a InsO) oder später im Verfahren beantragt werden. Der Antrag kann vom Schuldner selbst gestellt werden. Das Insolvenzgericht prüft, ob die Eigenverwaltung angeordnet werden kann. Sie ist ausgeschlossen, wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen würde (§ 270 Abs. 2 InsO).

Anforderungen an den Schuldner

Der Schuldner muss nachweisen, dass er in der Lage ist, die Eigenverwaltung ordnungsgemäß und zum Wohl der Gläubigergesamtheit durchzuführen. Dies erfordert insbesondere die Vorlage eines aussagekräftigen Konzepts zur Fortführung des Unternehmens sowie Transparenz im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse.

Ablauf des Eigenverwaltungsverfahrens

Rolle des Sachwalters

Anders als im Regelinsolvenzverfahren wird in der Eigenverwaltung kein Insolvenzverwalter eingesetzt. Stattdessen überwacht ein gerichtlich bestellter Sachwalter das Verfahren (§ 274 InsO). Der Sachwalter agiert als Kontrollinstanz, prüft insbesondere die wirtschaftliche Lage und die Geschäftsführung des Schuldners, ist jedoch nicht weisungsbefugt.

Rechte und Pflichten des Schuldners

Der Schuldner behält die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen (§ 275 InsO). Er führt im eigenen Namen und auf eigene Rechnung die Verwertung und Verteilung der Masse durch. Er ist verpflichtet, das Gericht und den Sachwalter laufend zu informieren und Einblick in die Buchhaltung zu gewähren.

Gläubigerschutzmaßnahmen

Das Gericht kann jederzeit die Eigenverwaltung aufheben, etwa bei Verstößen gegen gesetzliche Vorschriften oder bei Nachteilen für die Gläubiger. Zudem können die Gläubiger über den Gläubigerausschuss Einfluss auf den Ablauf und die Entscheidung zur Aufhebung der Eigenverwaltung nehmen (§ 277 InsO).

Sonderformen: Vorläufige Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren

Vorläufige Eigenverwaltung

In der Praxis ist die Beantragung der vorläufigen Eigenverwaltung weit verbreitet (§ 270b InsO). Mit der Eröffnung des Verfahrens wird dem Schuldner bereits im Insolvenzantragsverfahren gestattet, die Geschäfte unter gerichtlicher und sachwalterlicher Aufsicht fortzuführen. Ziel ist eine nahtlose Sanierungsplanung.

Schutzschirmverfahren

Das Schutzschirmverfahren (§ 270d InsO) stellt eine besondere Variante der Eigenverwaltung dar. Es zielt auf die frühzeitige Sanierung und ist nur möglich, wenn keine Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt. In diesem Stadium wird dem Schuldner ein sog. vorläufiger Gläubigerschutz gewährt, um innerhalb von drei Monaten einen Sanierungsplan zu erstellen.

Verhältnis zur Insolvenzordnung und Restrukturierungsrecht

Vergleich zur Regelinsolvenz

Im Unterschied zur Eigenverwaltung wird im klassischen Regelinsolvenzverfahren alle Verfügungsbefugnis auf den vom Gericht eingesetzten Insolvenzverwalter übertragen (§ 80 InsO). Die Eigenverwaltung stellt damit eine Ausnahme dar, welche den Schuldner in einer stärkeren Position belässt und unternehmerische Handlungsfähigkeit sichert.

Zusammenhang mit europäischen Vorgaben

Die Eigenverwaltung entspricht in vielerlei Hinsicht den europäischen Vorgaben zur Unternehmenssanierung und Gläubigerbeteiligung. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen wurde das Rechtsinstitut auch im deutschen Recht weiter gestärkt.

Aufhebung und Beendigung der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung kann vom Gericht aufgehoben werden, wenn deren Voraussetzungen entfallen oder wenn das Verfahren missbräuchlich geführt wird. Mit der Aufhebung wird in das Regelinsolvenzverfahren mit Insolvenzverwalter gewechselt (§ 272 InsO). Die Eigenverwaltung endet regelmäßig mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder der rechtskräftigen Bestätigung des Insolvenzplans.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Die Eigenverwaltung hat in der Praxis insbesondere infolge der Gesetzesänderungen an Bedeutung gewonnen. Sie wird vor allem von größeren Unternehmen und Unternehmensgruppen genutzt, deren Management die Sanierung selbstverantwortlich umsetzen will. Sie findet ihren Anwendungsbereich vor allem bei der Insolvenz in Eigenverwaltung zum Zweck der Unternehmensfortführung, Sanierung und Gläubigerbefriedigung.

Literaturhinweise und Weblinks

  • Insolvenzordnung (InsO), §§ 270 ff.
  • Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)

Dieser Artikel wurde für ein umfangreiches Rechtslexikon erstellt und gibt einen umfassenden und detaillierten Überblick über das Rechtsinstitut der Eigenverwaltung im deutschen Insolvenzrecht.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anordnung der Eigenverwaltung erfüllt sein?

Im rechtlichen Kontext regelt die Insolvenzordnung (InsO), insbesondere in den §§ 270 ff., die Voraussetzungen der Eigenverwaltung. Das Insolvenzgericht kann die Eigenverwaltung auf Antrag des Schuldners anordnen, wenn keine Umstände vorliegen, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird. Zu den gesetzlichen Voraussetzungen zählen insbesondere die formgerechte Antragstellung, die Vorlage von Unterlagen zur Begründung der Eigenverwaltung und die Glaubhaftmachung, dass die Eigenverwaltung dem Gläubigerinteresse nicht widerspricht. Der Antrag muss vom Schuldner schriftlich gestellt werden; dabei ist eine Eigenverwaltungsplanung mit aufzulegen. Weiterhin darf kein Grund zu der Annahme bestehen, dass der Schuldner pflichtwidrig handelt oder dass die Eigenverwaltung zu Verzögerungen oder Nachteilen im Verfahren führen könnte (§ 270b InsO). Das Gericht holt regelmäßig die Stellungnahme des vorläufigen Gläubigerausschusses ein oder prüft anderweitig das Gläubigerinteresse. Das Gericht bestellt weiterhin einen vorläufigen Sachwalter zur Überwachung.

Welche Aufgaben übernimmt der Sachwalter in der Eigenverwaltung?

Der Sachwalter spielt eine zentrale Rolle im Verfahren der Eigenverwaltung nach § 274 InsO. Er wird durch das Insolvenzgericht bestellt und fungiert im rechtlichen Sinne als Kontrollinstanz. Zu seinen Aufgaben zählt die Überwachung der Geschäftsführung des Schuldners, wobei er kein Weisungsrecht aber umfangreiche Überwachungsbefugnisse besitzt. Der Sachwalter prüft insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, kontrolliert die Einhaltung der insolvenzrechtlichen Vorschriften durch den Schuldner und nimmt Kontrollfunktionen im Hinblick auf die Erhaltung der Vermögensmasse wahr. Außerdem hat der Sachwalter zahlreiche Informationspflichten gegenüber dem Insolvenzgericht und den Gläubigern. Im Zusammenhang mit dem Insolvenzplan verfasst er eine Stellungnahme für das Gericht, vor allem zu den Erfolgsaussichten und zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung des Schuldners.

Welche besonderen Pflichten treffen den Schuldner während der Eigenverwaltung?

Während der Eigenverwaltung bleibt der Schuldner nach § 270 InsO Herr seiner Geschäfte, übernimmt allerdings im Gegensatz zum Regelinsolvenzverfahren erweiterte insolvenzrechtliche Pflichten. Er hat insbesondere die Pflicht, sämtliche Rechtshandlungen im Interesse der Gläubigergesamtheit vorzunehmen, eine ordnungsgemäße Buchführung und Rechnungslegung sicherzustellen und dem Sachwalter umfassend Auskunft zu erteilen. Der Schuldner darf keine Handlungen vornehmen, die die Insolvenzmasse schmälern oder das Verfahren verzögern könnten. Darüber hinaus obliegen dem Schuldner spezielle Anzeige-, Mitwirkungs- und Informationspflichten. Beispielsweise sind bedeutsame Geschäfte, wie etwa Veräußerungen oder Belastungen von Immobilien, oft nur mit Zustimmung des Sachwalters und/oder des Gläubigerausschusses zulässig (§ 275 InsO).

Wie erfolgt die Kontrolle und Beteiligung der Gläubiger bei der Eigenverwaltung?

Die Gläubiger nehmen bei der Eigenverwaltung im rechtlichen Sinne eine bedeutende Mitwirkungsrolle ein. Sie werden im Regelfall durch einen Gläubigerausschuss vertreten, der bereits im Eröffnungsverfahren vom Gericht bestellt werden kann (§§ 22a, 67 ff. InsO). Der Ausschuss hat weitreichende Kontroll- und Mitspracherechte, zum Beispiel im Hinblick auf die Bestellung und die Abberufung des Sachwalters oder die Vornahme von bedeutenden Geschäften durch den Schuldner. Zudem erhält der Ausschuss umfangreiche Auskunftsrechte über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners sowie über den Stand des Insolvenzverfahrens. Die Gläubiger haben das Recht, die Eigenverwaltung im Einzelfall zu versagen oder aufzuheben, wenn dies zum Schutz ihrer Interessen geboten erscheint.

Unter welchen Bedingungen kann das Insolvenzgericht die Eigenverwaltung wieder aufheben?

Eine Aufhebung der Eigenverwaltung ist rechtlich in § 272 InsO geregelt. Das Gericht kann die Eigenverwaltung insbesondere dann aufheben, wenn nachträglich Umstände bekannt werden, welche die Anordnung der Eigenverwaltung ausgeschlossen hätten oder wenn der Schuldner seine insolvenzrechtlichen Pflichten verletzt, etwa indem er die Masse gefährdet, Auskunftspflichten verletzt oder den Sachwalter behindert. Die Aufhebung kann auch auf Antrag des Sachwalters oder der Gläubigerversammlung erfolgen, wenn ein entsprechender schwerwiegender Grund vorliegt. Nach der Aufhebung wird typischerweise der reguläre Insolvenzverwalter eingesetzt, der fortan die Verwaltung und Verwertung der Masse übernimmt.

Wie unterscheidet sich die Eigenverwaltung von der Schutzschirmverfahren?

Obwohl Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren beide Instrumente der Insolvenzordnung sind und dem Ziel dienen, Sanierungsprozesse zu unterstützen, bestehen rechtliche Unterschiede. Während die Eigenverwaltung eine Verfahrensart nach den §§ 270 ff. InsO darstellt, ist das Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO) ein besonderes vorläufiges Verfahren, das auf Antrag des Schuldners vor der Insolvenzeröffnung möglich ist, sofern keine Zahlungsunfähigkeit, sondern lediglich drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorliegt. Im Schutzschirmverfahren genießt der Schuldner umfassenderen Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen und bekommt eine Frist von maximal drei Monaten zur Vorlage eines Insolvenzplans, wobei bestimmte erhöhte Anforderungen an die Fortführungsprognose und Eignung des Schuldners gestellt werden. Die Eigenverwaltung kann im Rahmen des Schutzschirmverfahrens beantragt werden, ist aber als solche auch außerhalb dieses besonderen Vorverfahrens möglich.

Welche rechtlichen Folgen ergeben sich für laufende Verträge während der Eigenverwaltung?

Im Rahmen der Eigenverwaltung bestehen für laufende Verträge nach §§ 103 ff. InsO grundsätzlich die gleichen insolvenzrechtlichen Regelungen wie im Regelverfahren. Der Schuldner (nun unter Eigenverwaltung) kann nach Eröffnung des Verfahrens frei entscheiden, ob er gegenseitige Verträge erfüllen oder ablehnen will. Im Falle der Nichterfüllung stehen dem Vertragspartner Schadensersatzansprüche als Insolvenzforderungen zu. Bei Miet- und Pachtverträgen und bei Arbeitsverhältnissen gelten besondere Kündigungsregelungen mit verkürzten Fristen. Der Sachwalter überprüft zudem, ob die Fortführung oder Beendigung bestehender Verträge mit dem Ziel der bestmöglichen Befriedigung der Gläubigerinteressen vereinbar ist.