Eigenverwaltung

Begriff und Grundprinzip der Eigenverwaltung

Eigenverwaltung bezeichnet ein Insolvenzverfahren, in dem die Geschäftsleitung eines Unternehmens die Verwaltung des Vermögens und den laufenden Geschäftsbetrieb selbst fortführt. Anders als im üblichen Ablauf bleibt die Leitung im Tagesgeschäft handlungsfähig, jedoch unter der Aufsicht eines vom Gericht eingesetzten unabhängigen Überwachers, dem sogenannten Sachwalter. Ziel ist die geordnete Stabilisierung und Sanierung, die Wahrung von Werten und Arbeitsplätzen sowie eine möglichst hohe Befriedigung der Gläubiger.

Die Eigenverwaltung ist damit eine Ausprägung des Grundsatzes, dass der Schuldner in einer Krise weiterhin bestmöglich für die Gesamtheit der Gläubiger wirtschaften soll, allerdings in einem rechtlich strukturierten Rahmen mit Kontrollen, Transparenzanforderungen und klaren Zuständigkeiten.

Abgrenzung zum Regelverfahren

Leitunterschiede

  • Leitung: In der Eigenverwaltung führt die bisherige Geschäftsführung den Betrieb fort; im Regelverfahren übernimmt ein Insolvenzverwalter die vollständige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis.
  • Kontrolle: Der Sachwalter überwacht und prüft als Kontrollinstanz; im Regelverfahren steuert der Insolvenzverwalter selbst die Maßnahmen.
  • Gestaltung: Die Eigenverwaltung ermöglicht die Fortführung in Eigenregie mit gerichtlicher und gläubigerseitiger Kontrolle; das Regelverfahren ist stärker fremdgesteuert.
  • Kooperation: Die Eigenverwaltung setzt auf enge Zusammenarbeit von Schuldner, Sachwalter und Gläubigern; im Regelverfahren stehen Eingriff und Abwicklung stärker im Vordergrund.

Typische Einsatzfelder

Die Eigenverwaltung wird häufig genutzt, wenn ein tragfähiges Geschäftsmodell vorliegt, eine geordnete Fortführung möglich erscheint und eine transparente Zusammenarbeit mit den Beteiligten sichergestellt werden kann. Sie kommt für kleine, mittlere und große Unternehmen in Betracht; auch in Konzernstrukturen ist sie einsetzbar.

Voraussetzungen und Einleitung

Antragstellung und Unterlagen

Die Eigenverwaltung wird durch Antrag des Schuldners eingeleitet, der zusammen mit dem Insolvenzantrag gestellt wird oder in einem bereits anhängigen Verfahren beantragt werden kann. Dem Antrag sind regelmäßig Unterlagen beizufügen, die die Fortführungsfähigkeit, die organisatorische Eignung der Geschäftsleitung sowie eine erste Einschätzung zur Liquidität und zu den geplanten Sanierungsschritten belegen. Üblich sind ein Grobkonzept zur Sanierung, aktuelle Finanzinformationen und Angaben zur Unternehmensorganisation.

Gerichtliche Prüfung und Entscheidung

Das Gericht prüft, ob die Eigenverwaltung die Gläubiger voraussichtlich nicht schlechter stellt als das Regelverfahren, ob die Fortführung sinnvoll erscheint und ob die personellen und organisatorischen Voraussetzungen gegeben sind. Es hört regelmäßig die wesentlichen Beteiligten an und berücksichtigt insbesondere die Position der Gläubiger. Wird dem Antrag entsprochen, ordnet das Gericht die Eigenverwaltung an und bestellt einen Sachwalter.

Vorläufige Eigenverwaltung

Bereits im Eröffnungsverfahren kann eine vorläufige Eigenverwaltung angeordnet werden. In dieser Phase werden die Grundlagen für die spätere Verfahrensführung gelegt, Liquidität gesichert, die Buchhaltung strukturiert und der Informationsfluss an Gericht, Sachwalter und Gläubiger etabliert.

Rollen und Aufgaben

Schuldnerorgan

Leitung und Kontrolle

Die Geschäftsleitung bleibt in der Verantwortung für operative Entscheidungen, die laufende Verwaltung, die Vertragserfüllung und die Kommunikation mit Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten. Sie handelt jedoch nicht unbegrenzt, sondern im rechtlichen Rahmen der Eigenverwaltung und unter Aufsicht des Sachwalters und des Gerichts.

Pflichten: Buchführung, Bericht, Sorgfalt

Zentrale Pflichten sind eine ordnungsgemäße Buchführung, laufende Berichte über die wirtschaftliche Lage, die Sicherung der Masse sowie die sorgfältige Abwägung aller Maßnahmen im Interesse der Gläubiger. Für bestimmte Geschäfte kann ein Zustimmungsvorbehalt vorgesehen sein, etwa bei außergewöhnlichen oder risikobehafteten Maßnahmen.

Sachwalter

Kontroll- und Prüfaufgaben

Der Sachwalter überwacht die Geschäftsführung, prüft die wirtschaftliche Entwicklung, kontrolliert die Einhaltung der insolvenzrechtlichen Regeln und berichtet an das Gericht und die Gläubiger. Er prüft Forderungen, achtet auf Masseerhalt und wirkt an wesentlichen Entscheidungen mit.

Zustimmungsvorbehalte

Das Gericht kann anordnen, dass bestimmte Maßnahmen der Geschäftsleitung der Zustimmung des Sachwalters bedürfen. Dies betrifft insbesondere Geschäfte von erheblicher wirtschaftlicher Tragweite, die die Masse risikobehaftet verändern könnten.

Gläubigerausschuss und Gläubigerversammlung

Ein Gläubigerausschuss kann eingerichtet werden, um das Verfahren zu begleiten. Er wirkt bei Auswahl und Kontrolle mit, nimmt Berichte entgegen und kann Stellung nehmen. Die Gläubigerversammlung entscheidet über grundlegende Weichenstellungen, etwa zur Fortführung, zu einem Plan oder zur Beendigung der Eigenverwaltung.

Insolvenzgericht

Das Gericht ordnet die Eigenverwaltung an, überwacht ihren Verlauf und entscheidet über wesentliche Anträge und Beschwerden. Bei Verstößen oder fehlender Eignung kann es die Eigenverwaltung aufheben und in ein Regelverfahren überführen.

Rechtsfolgen während der Eigenverwaltung

Verfügungsbefugnis und Masse

Die Verfügungsbefugnis bleibt beim Schuldner, jedoch ausschließlich zum Zwecke der geordneten Verfahrensabwicklung und Wahrung der Masse. Neu begründete Verpflichtungen nach Verfahrenseröffnung können Masseverbindlichkeiten darstellen und sind vorrangig zu bedienen, soweit die Masse ausreicht. Die Masse ist von privaten Vermögensinteressen strikt getrennt zu halten.

Verträge und Dauerschuldverhältnisse

Laufende Verträge können fortgeführt werden, wenn sie der Sanierung dienen. Für Verträge mit erheblicher Belastung besteht die Möglichkeit, geordnet aus ihnen auszuscheiden. Vorverfahren begründete Forderungen werden grundsätzlich als Insolvenzforderungen behandelt; Verpflichtungen aus der Zeit nach Eröffnung treffen die Masse.

Arbeitsverhältnisse

Arbeitsverhältnisse bestehen grundsätzlich fort. Es gelten erleichterte Kündigungsmöglichkeiten hinsichtlich Fristen und Sozialauswahlinstrumenten, gleichzeitig bestehen Schutzmechanismen für Beschäftigte. Ausstehende Lohnansprüche für einen bestimmten Zeitraum werden durch spezielle Sicherungsinstrumente abgedeckt; laufende Löhne nach diesem Zeitraum sind aus der Masse zu leisten.

Vollstreckungsschutz und Sicherungsrechte

Mit Eröffnung des Verfahrens greift ein umfassender Schutz vor Einzelzwangsvollstreckungen. Absonderungs- und Aussonderungsrechte bleiben dem Grunde nach erhalten, unterliegen jedoch verfahrensspezifischen Regeln zur Nutzung, Verwertung und Vergütung. Ziel ist die Fortführung des Betriebes bei gleichzeitiger Wahrung der Sicherungsinteressen.

Anfechtung und Haftung

Rechtshandlungen aus der Zeit vor Verfahrenseröffnung können angefochten werden, wenn sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt haben. Während der Eigenverwaltung haftet die Geschäftsleitung für pflichtwidriges Verhalten. Die Beachtung der Sorgfaltsanforderungen, eine transparente Dokumentation und die Einbindung der Kontrollorgane dienen der Haftungsvermeidung.

Finanzierung und Kosten

Masseverbindlichkeiten und Zahlungsströme

Verbindlichkeiten aus der Zeit nach Verfahrenseröffnung, die der Fortführung dienen, gelten häufig als Masseverbindlichkeiten. Sie sind nach Maßgabe der vorhandenen Mittel zu bedienen. Die Liquiditätsplanung und der Nachweis der Massesuffizienz sind zentrale Elemente der Eigenverwaltung.

Insolvenzgeld und Löhne

Für einen gesetzlich definierten Zeitraum vor Verfahrenseröffnung werden Ansprüche der Beschäftigten durch spezielle Sicherungsmechanismen abgedeckt. Nach diesem Zeitraum sind Entgelte wieder laufend zu zahlen. Die Lohnabrechnung und die korrekte Behandlung von Sozialabgaben müssen lückenlos erfolgen.

Finanzierungslösungen

Zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen kommen verschiedene Instrumente in Betracht, etwa die Fortführung bestehender Linien, neue Massekredite oder Factoring-Modelle. Solche Finanzierungen sind auf ihre Massewirkung, Besicherung und Vereinbarkeit mit dem Verfahren zugeschnitten und unterliegen der Kontrolle von Sachwalter und Gericht.

Kostenstrukturen

Neben den üblichen Betriebskosten fallen Verfahrenskosten an, darunter Gerichtsgebühren und Vergütungen für Sachwalter und ggf. Ausschuss. Die Kosten sind planbar zu halten und im Liquiditätskonzept abzubilden.

Sanierungsinstrumente im Rahmen der Eigenverwaltung

Insolvenzplan

Der Insolvenzplan ist das zentrale Gestaltungsinstrument. Er erlaubt maßgeschneiderte Regelungen zur Entschuldung, zur Gläubigerbefriedigung und zur Neuordnung des Unternehmens. Der Plan wird den Gläubigern zur Abstimmung vorgelegt und bedarf gerichtlicher Bestätigung. Mit der rechtswirksamen Umsetzung kann das Verfahren aufgehoben werden.

Schutzschirm

Die Eigenverwaltung kann mit einem Schutzschirm kombiniert werden. Dabei wird dem fortführungsfähigen Unternehmen für eine begrenzte Zeit ein besonderer Schutzrahmen gewährt, um einen Plan auszuarbeiten. Der ordnungsgemäße Nachweis der Sanierungsfähigkeit und die laufende Kontrolle sind hierfür prägend.

Übertragende Sanierung

Als Alternative zur Sanierung im Rechtsträger kann das werthaltige Geschäft im Wege einer übertragenden Sanierung auf einen Erwerber übergehen. Dies erfolgt strukturiert, transparent und mit Rücksicht auf die Rechte der Gläubiger und Beschäftigten.

Beendigung und Aufhebung

Planbestätigung und Verfahrensaufhebung

Nach Annahme und Bestätigung eines Insolvenzplans wird das Verfahren aufgehoben. Der Schuldner führt den Geschäftsbetrieb regulär fort; die im Plan vorgesehenen Regelungen treten an die Stelle der bisherigen Verbindlichkeiten.

Aufhebung oder Entzug der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung kann aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen entfallen, Pflichtverletzungen vorliegen oder die Gläubigerinteressen gefährdet sind. In diesem Fall wird das Verfahren in das Regelverfahren überführt. Auch eine Einstellung mangels Masse ist möglich.

Besondere Konstellationen

Unternehmens- und Konzernbezug

In Konzernen können mehrere Verfahren koordiniert werden. Ziel ist eine abgestimmte Sanierung, die operative Verflechtungen, Cash-Pooling, Sicherheiten und interne Leistungsbeziehungen berücksichtigt. Die Abstimmung der Gläubigerkreise und die Transparenz der konzerninternen Transaktionen sind hierbei wesentlich.

Steuern und Sozialabgaben

Pflichten gegenüber Finanzverwaltung und Sozialversicherungsträgern bestehen fort. Erklärungen und Zahlungen sind fristgerecht zu leisten, wobei zwischen Altverbindlichkeiten und neuen Verbindlichkeiten strikt zu unterscheiden ist. Die richtige Zuordnung ist für die Massesituation bedeutsam.

Internationaler Bezug

Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind internationale Zuständigkeiten und Anerkennungsfragen zu beachten. Entscheidend ist regelmäßig der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Hauptinteressen. Ausländische Gläubiger sind in das Verfahren einzubeziehen und erhalten dieselben Informations- und Beteiligungsrechte wie inländische Gläubiger nach Maßgabe des Verfahrens.

Häufig gestellte Fragen

Was versteht man unter Eigenverwaltung im Insolvenzverfahren?

Eigenverwaltung ist ein Verfahren, in dem die Geschäftsleitung den Betrieb und das Vermögen des Unternehmens selbst verwaltet, jedoch unter Aufsicht eines Sachwalters und des Gerichts. Ziel ist die geordnete Sanierung und eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung.

Wer entscheidet über die Anordnung der Eigenverwaltung?

Die Entscheidung trifft das Insolvenzgericht nach Prüfung der Eignung des Unternehmens, der Organisation der Geschäftsleitung und der voraussichtlichen Auswirkungen auf die Gläubiger. Es hört regelmäßig die Gläubigerseite und weitere Beteiligte an.

Welche Rolle hat der Sachwalter?

Der Sachwalter überwacht die Geschäftsführung, prüft die wirtschaftliche Entwicklung, kontrolliert die Einhaltung der Regeln des Verfahrens, prüft Forderungen und berichtet an Gericht und Gläubiger. Für bestimmte Geschäfte kann seine Zustimmung erforderlich sein.

Bleiben bestehende Verträge in der Eigenverwaltung bestehen?

Grundsätzlich bleiben Verträge bestehen und können zur Sanierung fortgeführt werden. Aus belastenden Verträgen kann unter Beachtung der verfahrensrechtlichen Regeln geordnet ausgeschieden werden. Alt- und Neuforderungen werden unterschiedlich behandelt.

Wie werden Arbeitnehmeransprüche behandelt?

Arbeitsverhältnisse bestehen grundsätzlich fort. Für einen abgegrenzten Zeitraum vor Verfahrenseröffnung gibt es besondere Sicherungsmechanismen für Entgeltansprüche. Laufende Löhne nach diesem Zeitraum sind aus der Masse zu zahlen, wobei die üblichen Schutzvorschriften zu beachten sind.

Wann kann die Eigenverwaltung aufgehoben werden?

Die Eigenverwaltung kann aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen entfallen, Pflichtverletzungen vorliegen oder die Gläubigerinteressen gefährdet sind. Das Verfahren wird dann in das Regelverfahren überführt.

Welche Bedeutung hat der Insolvenzplan in der Eigenverwaltung?

Der Insolvenzplan ist das zentrale Instrument zur rechtlichen und wirtschaftlichen Neuordnung. Er regelt die Befriedigung der Gläubiger, Entschuldung und Strukturmaßnahmen und bedarf der Annahme durch die Gläubiger sowie der gerichtlichen Bestätigung.

Ist die Eigenverwaltung nur für große Unternehmen geeignet?

Nein. Die Eigenverwaltung steht Unternehmen unterschiedlicher Größenordnungen offen, sofern die organisatorischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind und eine geordnete Fortführung erwartet werden kann.