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Eigenverantwortliche Selbstgefährdung


Begriff und rechtliche Einordnung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung ist ein Begriff aus dem deutschen Strafrecht und Deliktsrecht. Er bezeichnet Konstellationen, in denen sich ein Einzelner wissentlich und willentlich einer Gefahr für Leib oder Leben aussetzt und hierbei eine Fremdeinwirkung im rechtlichen Sinn entfällt oder zurücktritt. Eigenverantwortliche Selbstgefährdung ist insbesondere für die strafrechtliche Bewertung von Handlungen Dritter von zentraler Bedeutung und hat auch im Zivilrecht, etwa bei der Frage nach einer Haftung für Schäden, eine maßgebliche Rolle.


Abgrenzung zur Fremdgefährdung

Bei der Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdgefährdung kommt der Unterscheidung eine erhebliche Bedeutung zu. Während die Fremdgefährdung vorliegt, wenn eine Person durch das Handeln eines anderen eine Gefahr für sich erleidet, ist die Selbstgefährdung dann gegeben, wenn der Betroffene eigenständig und eigenverantwortlich entscheidet, sich der Gefahr auszusetzen. In der Praxis ist die Abgrenzung bisweilen schwierig. Maßgebliches Kriterium ist, wer das Geschehen „in den Händen hält”, mithin, wer die Tatherrschaft über die Gefährdungsaussetzung innehat.


Strafrechtliche Bedeutung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Straftatbestände gegen Leib und Leben

Im deutschen Strafrecht ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung von zentraler Relevanz bei Tatbeständen wie Körperverletzungsdelikten (§ 223 ff. StGB) und Tötungsdelikten (§ 211 ff. StGB). In Fällen, in denen die Verletzung oder Tötung einer Person auf deren eigene autonome Entscheidung zurückgeht, scheidet eine strafrechtliche Verantwortlichkeit eines Dritten in der Regel aus (vgl. Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit).

Findet eine Mitwirkung Dritter statt – etwa indem diese ein gefährliches Werkzeug bereitstellen oder zu einer riskanten Handlung anstiften – ist zu prüfen, ob der Dritte eine strafbare Handlung begangen hat, oder ob die Eigenverantwortlichkeit des Opfers eine Zurechnung ausschließt. Nach der sogenannten Eigenverantwortungstheorie entfällt eine Strafbarkeit des Dritten, wenn das Opfer eigenverantwortlich und bewusst die Gefahr auf sich nimmt.

Tatherrschaft und Fremdsteuerung

Gegenstände lebhafter Diskussion sind insbesondere Fälle, bei denen Außenstehende zwar an einer Selbstgefährdung mitwirken, aber dennoch keine eigene Tatherrschaft ausüben (z.B. Mitwirkung am russischen Roulette, Drogeneinnahme in Anwesenheit Dritter). Maßgeblich für die Annahme einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung ist, dass der gefährdete Beteiligte die wesentliche Entscheidungsgewalt für sein Handeln und dessen Risiken innehat. Ist stattdessen ein Dritter federführend, liegt eine Fremdgefährdung mit potentieller Strafbarkeit vor.

Grenzen der Eigenverantwortlichkeit

Die Annahme einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung setzt voraus, dass die geschädigte Person einsichtsfähig, urteilsfähig und in der Lage zu freier Entscheidung war. Fälle, in denen dies nicht gegeben ist – beispielsweise bei Minderjährigkeit, geistigen Beeinträchtigungen, Zwang, Täuschung oder erheblichem Einfluss psychischer Ausnahmesituationen – führen dazu, dass eine Zurechnung an Dritte (also im Wege einer Fremdgefährdung) oder Beihilfestrafbarkeit möglich bleibt.


Zivilrechtliche Aspekte der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung

Auch im Zivilrecht, insbesondere bei Schadensersatzansprüchen nach den §§ 823 ff. BGB, beeinflusst die eigenverantwortliche Selbstgefährdung den Umfang der Haftung. Nimmt eine Person wissentlich und willentlich ein Risiko an, so kann dies zu einer vollständigen oder teilweisen Haftungsfreistellung eines Dritten führen.

Prinzip der freiwilligen Selbstgefährdung (eigenes Risiko)

Nach der Rechtsprechung ist von einer freiwilligen Selbstgefährdung auszugehen, wenn jemand selbstbestimmt in eine Gefahrensituation einwilligt, etwa bei gefährlichen Sportarten. Die Teilnahme an Motorsport, Risikosportarten oder bestimmten riskanten Hobbys kann dazu führen, dass ein Mitverursacher oder Veranstalter für eingetretene Schäden nicht oder nur eingeschränkt haftet.

Grenzen im Deliktsrecht

Auch im Zivilrecht gelten jedoch Grenze: Wurde die Person getäuscht, bedrängt oder war wegen Alters, Geistesverfassung oder anderer Umstände nicht in der Lage, die Tragweite ihrer Handlung zu erkennen, bleibt die Haftung des Dritten bestehen. Besonders bei Minderjährigen oder psychisch Kranken ist eine Berufung auf eigenverantwortliche Selbstgefährdung weitgehend ausgeschlossen.


Praktische Anwendungsfälle und Fallgruppen

Strafrechtliche Streitfälle

Typische Fälle der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung betreffen:

  • Teilnahme am „Risikosport” (z. B. Base Jumping, Motorradrennen)
  • Medikamenten- oder Drogenkonsum, bei dem Hilfspersonen bloß unterstützen
  • Hochriskante Mutproben oder gefährliche Wettspiele, bei denen der Handelnde über das Risiko informiert ist
  • Selbsttötung oder Teilnahme an Lebensgefährdungen auf eigenen Wunsch

Zivilrechtliche Fallgruppen

Im Zivilrecht finden sich Berührungen bei:

  • Haftungsausschluss bei Einwilligung zu gefährlichen Veranstaltungen
  • Schmerzensgeldansprüche nach Nichtbeachtung offensichtlicher Eigenrisiken
  • Haftung bei gemeinschaftlicher Gefährdung (z.B. gemeinsames Klettern ohne Absicherung)

Dogmatische Grundlagen und Entwicklung

Eigenverantwortungsprinzip als Ausdruck der Selbstbestimmung

Die Einordnung der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung knüpft an das im Grundgesetz (Art. 2 Abs. 1 GG) verankerte Prinzip der Selbstbestimmung an. Jeder Mensch hat das Recht, über körperliche Integrität und das eigene Leben zu verfügen, einschließlich das Recht zur eigenen Gefährdung.

Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur

Die Rechtsprechung betont die Bedeutung der tatsächlichen Selbstbestimmung. Die Grenzen werden jedoch dort gezogen, wo die Entscheidungsfreiheit eingeschränkt ist. Insbesondere in Einzelfällen, wie bei sogenannten „Risikospielen” (z. B. gefährliche Mutproben unter Gruppenzwang) oder bei vorübergehendem Verlust der Steuerungsfähigkeit, wird eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung häufig abgelehnt.


Eigenverantwortliche Selbstgefährdung und Einwilligung

Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung impliziert regelmäßig eine Einwilligung in das Risiko, wobei die Voraussetzungen für eine wirksame Einwilligung (Bewusstseinsklarheit, Freiwilligkeit, Einsichtsfähigkeit) auch hier maßgeblich sind. Ohne wirksame Einwilligung bleibt eine Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten bestehen.


Konsequenzen in Rechtsprechung und Praxis

Die Feststellung einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung führt dazu, dass der Mitwirkende – sowohl im Strafrecht wie im Zivilrecht – für Folgen der Handlung in aller Regel nicht oder nur eingeschränkt zur Verantwortung gezogen wird. Im Zweifel kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei Gerichte insbesondere den Grad der Selbstbestimmung, der Information über das Risiko und den Ausschluss fremder Steuerung sorgfältig prüfen.


Literaturhinweise und weiterführende Quellen

Für ein vertieftes Verständnis der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung empfiehlt sich die Auswertung einschlägiger Fachliteratur und aktueller Rechtsprechung der obersten Gerichte, insbesondere des Bundesgerichtshofs (BGH).


Zusammenfassung:
Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung ist ein zentrales Konzept des Straf- und Zivilrechts, das die Zurechnung von Haftung und Strafbarkeit bei riskanten Handlungen erheblich beeinflusst. Maßgeblich sind dabei der Grad an Selbstbestimmung, Bewusstsein und Freiheit der Entscheidung. Der Begriff bildet die dogmatische Grundlage für die Begrenzung strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verantwortung Dritter bei Risiken, die von Personen auf eigene Gefahr angenommen werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung hat die eigenverantwortliche Selbstgefährdung im Strafrecht?

Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung spielt im Strafrecht vor allem bei der Abgrenzung strafbarer fremdgefährdender Handlungen und strafloser Selbstschädigung eine zentrale Rolle. Sie ist insbesondere relevant in Fällen, in denen sich eine Person auf eigene Veranlassung in eine Gefahr begibt und dadurch einen Schaden an sich selbst erleidet, beispielsweise bei riskantem Verhalten oder Einwilligung in gefährliche Handlungen Dritter. Nach herrschender Meinung entfällt eine Strafbarkeit Dritter regelmäßig dann, wenn das Opfer in vollverantwortlicher Selbstbestimmung den gefahrbringenden Akt eigenverantwortlich herbeigeführt oder darin eingewilligt hat, es sei denn, eine Sittenwidrigkeit liegt vor (§ 216, § 228 StGB). Die Eigenverantwortlichkeit setzt voraus, dass die Person einsichtsfähig, volljährig und frei von Willensmängeln (Irrtum, Täuschung, Drohung) war. Somit wird verhindert, dass beispielsweise Rettungskräfte oder Veranstalter für eigenmächtige gefährliche Handlungen Erwachsener strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

In welchen Deliktsbereichen ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung besonders relevant?

Die eigenverantwortliche Selbstgefährdung kommt insbesondere im Bereich der Körperverletzungsdelikte, der fahrlässigen Tötung und unterlassener Hilfeleistung (§§ 212 ff, 222, 323c StGB) zum Tragen. Besonders bedeutsam ist sie im Kontext der “sterbehilfeähnlichen” Geschehnisse, riskanter Sportveranstaltungen (zum Beispiel Basejumping, Extremklettern) und medizinischen Behandlungsmaßnahmen, denen Patienten nach Aufklärung zustimmen. Auch bei der Lebensmittelgefährdung (§ 84 StGB) oder der Herausgabe gefährlicher Substanzen an Einsichtsfähige wird die Eigenverantwortung als strafbarkeitsausschließendes Kriterium herangezogen. Die Beurteilung erfolgt dabei stets im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Lebens- und Sachverhalte.

Welche Voraussetzungen müssen für eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung erfüllt sein?

Für die Annahme der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung verlangt die Rechtsprechung mehrere Voraussetzungen: Die betroffene Person muss zum einen zurechnungsfähig sein, also insbesondere das notwendige Mindestalter (i.d.R. Volljährigkeit) erreicht und keine geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen, die die Einsichtsfähigkeit oder Steuerungsfähigkeit maßgeblich einschränken, aufweisen. Zum anderen ist ein umfassender Kenntnisstand über die Gefahren sowie die Freiverantwortlichkeit des Willensentschlusses erforderlich. Hierzu gehören die informierte Einwilligung und das Fehlen von erheblichem Druck, Täuschung oder anderen Willensmängeln. Die Einwilligung muss zudem im Zeitpunkt der Handlung vorliegen und darf nicht gegen die guten Sitten (§ 228 StGB) verstoßen.

Ist eine Mitverursachung Dritter trotz eigenverantwortlicher Selbstgefährdung strafbar?

Sofern die Selbstgefährdung nach den oben genannten Kriterien als voll eigenverantwortlich zu bewerten ist, scheidet in der Regel die Strafbarkeit Dritter aus – etwa wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung. Dies gilt selbst dann, wenn sie zum Beispiel eine gefährliche Vorrichtung bereitstellen oder auf Gefahren (hinreichend) hinweisen. Lediglich in Ausnahmefällen, etwa wenn (Mit-)Täter ihre Überlegenheit in sittenwidriger Weise ausnutzen oder die Willensbildung erheblich manipulieren, kann eine Strafbarkeit verbleiben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass strafrechtlich zwischen Selbstgefährdung und Fremdgefährdung unterschieden werden muss: Wird eine Gefahr maßgeblich vom Dritten verursacht und die Opferhandlung tritt nicht eigeninitiativ hinzu, bleibt eine Strafbarkeit möglich.

Wie verhält sich die eigenverantwortliche Selbstgefährdung zur unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB)?

Bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung, sofern diese von einer einsichts- und handlungsfähigen Person vorgenommen wird, besteht für Außenstehende grundsätzlich keine strafrechtlich geschuldete Garantenstellung zur Abwendung der Gefahr. Das bedeutet, dass bei Unglücken infolge freiwilliger riskanter Handlungen keine Pflicht zur Hilfeleistung besteht, es sei denn, besondere Umstände (wie Garantenpflichten, etwa als Arzt oder spezieller Obhutspflichten) werden begründet. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Selbstgefährdung nicht mehr eigenverantwortlich war – beispielsweise infolge Bewusstlosigkeit oder Irreführung.

Gibt es Grenzen für die Wirksamkeit einer Einwilligung im Rahmen der Selbstgefährdung?

Ja, die Wirksamkeit der Einwilligung in eine selbstgefährdende Handlung erfährt gesetzlich normierte und jurisprudenzielle Grenzen. Zum einen bestimmt § 228 StGB, dass eine Körperverletzung trotz Einwilligung strafbar bleibt, sofern die Tat gegen die guten Sitten verstößt, wie zum Beispiel bei besonders schweren oder entwürdigenden Eingriffen. Auch § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) sieht eine eigenverantwortliche, jedoch in strafrechtlich engen Grenzen wirksame Einwilligung vor. Darüber hinaus sind Einwilligungen von Minderjährigen, Geschäftsunfähigen oder durch Zwang, Drohung oder Irrtum beeinflusste Willenserklärungen unwirksam. Involviert die Selbstgefährdung Schutzgesetze (z.B. Arbeitsschutzrecht), kann trotz Einwilligung eine Strafbarkeit verbleiben.

Welche Bedeutung hat die eigenverantwortliche Selbstgefährdung im Zivil- und Versicherungsrecht?

Auch außerhalb des Strafrechts spielt die eigenverantwortliche Selbstgefährdung eine große Rolle: Im Zivilrecht kann sie zu einer Minderung oder zum Ausschluss von Schadensersatzansprüchen führen; im Versicherungsrecht etwa entfällt Leistungspflicht bei “grob fahrlässiger Selbstschädigung” oder Suizid unter bestimmten Umständen. Maßgeblich ist dabei die Prüfung, ob dem Geschädigten ein erhebliches Mitverschulden zuzurechnen ist. Die Maßstäbe hierfür sind jedoch teils unterschiedlich und von spezifischen gesetzlichen Regulierungen abhängig.

Welche Rolle spielt die eigenverantwortliche Selbstgefährdung bei medizinischen Eingriffen?

Im medizinischen Kontext ist die eigenverantwortliche Selbstgefährdung insbesondere im Rahmen der Patientenaufklärung und Einwilligung zentral. Ärztliche Eingriffe – auch solche mit erheblichen Risiken – sind nur dann nicht strafbar, wenn der Patient nach umfassender Information freiwillig und eigenverantwortlich zustimmt. Hier wird streng geprüft, ob eine ordnungsgemäße Aufklärung über Art, Umfang, Risiken und Alternativen durch den Behandelnden erfolgt ist und der Patient aufgrund seiner psychischen Verfassung in der Lage war, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Anderenfalls könnte eine Strafbarkeit wegen Körperverletzung (§ 223 StGB) bestehen.