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Eigenständiges Delikt


Begriff und Allgemeine Definition des Eigenständigen Delikts

Das eigenständige Delikt ist ein zentraler Begriff im Strafrecht und kennzeichnet eine Straftat, die unabhängig von anderen Straftaten oder Delikten verwirklicht wird. Es unterscheidet sich von sogenannten „unselbständigen“ oder „akzessorischen“ Delikten, die stets an das Vorliegen einer Hauptstraftat gebunden sind. Eigenständige Delikte stehen demnach für sich und können unabhängig von weiteren Tatbestandsvoraussetzungen verfolgt und bestraft werden.

Eigenständige Delikte finden sich sowohl im Strafgesetzbuch (StGB) als auch in Nebengesetzen des Strafrechts und betreffen unterschiedlichste Lebensbereiche. Zu ihrer rechtlichen Würdigung und Abgrenzung sind mehrere strafrechtliche Grundsätze sowie die Systematik des Deliktsaufbaus zu berücksichtigen.

Systematik und Einordnung im Deliktsaufbau

Abgrenzung zu akzessorischen (unselbständigen) Delikten

Akzessorische Delikte, auch unselbständige Delikte genannt, sind Taten, die das Vorliegen einer Haupttat voraussetzen. Typischerweise zählen hierzu Beteiligungsdelikte wie die Beihilfe (§ 27 StGB) oder Anstiftung (§ 26 StGB), aber auch Begleitdelikte wie Hehlerei (§ 259 StGB) und Begünstigung (§ 257 StGB). Im Gegensatz dazu steht das eigenständige Delikt in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu einer vorausgehenden Tat und kann somit isoliert – das heißt für sich – zur Strafbarkeit führen.

Bedeutung im Rahmen der Konkurrenzen

Im Rahmen der sogenannten Deliktskonnkurrenz, also der gleichzeitigen Verwirklichung mehrerer Straftatbestände, kommt der Unterscheidung eigenständiger Delikte erhebliche Bedeutung zu. Eigenständige Delikte können beispielsweise mit anderen Straftaten in Tatmehrheit oder Tateinheit stehen. Die eigenständige Aburteilung oder Zurechnung solcher Delikte kann Auswirkungen auf Strafzumessung und Gesamtstrafenbildung haben.

Merkmale und typische Beispiele eigenständiger Delikte

Allgemeine Merkmale

Ein eigenständiges Delikt liegt immer dann vor, wenn der Tatbestand einer Strafnorm vollständig und ohne Rückgriff auf eine andere Straftat erfüllt werden kann. Der Täter muss alle Tatbestandsmerkmale des Delikts erfüllen, ohne dass etwa das Vorliegen einer Vortat erforderlich wäre.

Typische Beispiele

Zu den häufig genannten eigenständigen Delikten zählen:

  • Körperverletzung (§ 223 StGB): Die Körperverletzung setzt keine weitere Tat voraus und steht als eigenes Unrecht im Raum.
  • Diebstahl (§ 242 StGB): Auch der Diebstahl ist nicht akzessorisch an eine andere Straftat geknüpft.
  • Sachbeschädigung (§ 303 StGB): Eine eigenständige Tat, die unabhängig von Vordelikten verfolgt wird.

Im Gegensatz dazu stehen beispielsweise die Strafvereitelung (§ 258 StGB) oder die Hehlerei (§ 259 StGB), die sich stets auf eine vorausgegangene Straftat beziehen.

Relevanz eigenständiger Delikte in der rechtlichen Praxis

Strafverfolgung und Strafzumessung

Eigenständige Delikte ermöglichen es den Strafverfolgungsbehörden, einzelne Lebenssachverhalte losgelöst von einem etwaigen Gesamtgeschehen strafrechtlich zu bewerten. Dies ist von besonderer Bedeutung bei Deliktsserien, Tatmehrheiten oder auch Fällen, in denen Tatbeteiligte unterschiedliche Straftaten begehen. Eigenständige Delikte unterliegen hinsichtlich Strafmaß und Ahndung keiner Abhängigkeit von anderen Tatbeständen.

Bedeutung für Beteiligungsformen

Im Zusammenhang mit Täterschaft und Teilnahme ist die klare Einordnung eines Delikts als eigenständig wesentlich, da nur so eine korrekte rechtliche Bewertung, insbesondere hinsichtlich Mittäterschaft, Anstiftung oder Beihilfe, erfolgen kann. Beteiligungsformen beziehen sich grundsätzlich auf eigenständige Haupttaten, während Akzessorietät stets das Vorliegen einer Vortat voraussetzt.

Rechtliche Dogmatik und wissenschaftliche Einordnung

Historische und systematische Entwicklung

Die Eigenständigkeit des Delikts ist eine Folge der systematischen Aufbereitung des Strafrechts in Hauptnormen und Nebendelikten. Während das allgemeine Strafrecht lange Zeit überwiegend von der Idee der Tatakzessorietät geprägt war, hat sich die Bedeutung eigenständiger Delikte vor allem durch kodifizierte Einzelstrafbestände und die Betonung des Handlungs- und Erfolgsunrechts herausgebildet.

Wissenschaftliche Kontroversen

In der strafrechtlichen Literatur wird die Abgrenzung zwischen eigenständigen und akzessorischen Delikten sowohl im Hinblick auf systematische Zuordnung als auch im Kontext der Strafzumessung weiterhin diskutiert. Die Kriterien der Eigenständigkeit werden unter anderem an der Unabhängigkeit der Strafbarkeit und der autonomen Erfüllung aller Tatbestandsmerkmale festgemacht.

Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtssystem

Das eigenständige Delikt ist ein eigenständiger und unabhängiger Straftatbestand, der für die Systematik des Strafrechts, für die Abgrenzung zu akzessorischen Delikten und für die richtige Bewertung von Konkurrenzen und Beteiligungsformen von zentraler Bedeutung ist. Durch die klare Trennung zwischen eigenständigen und unselbständigen Delikten lassen sich Strafbarkeit, Strafzumessung sowie Täter- und Beteiligungsstrukturen transparent und rechtssicher bestimmen. Die Kenntnis und Anwendung dieses Begriffs ist für eine differenzierte rechtliche Prüfung unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Welche Bedeutung kommt dem eigenständigen Delikt im deutschen Strafrecht zu?

Das eigenständige Delikt nimmt im deutschen Strafrecht eine zentrale Rolle ein, insofern als es unabhängig von der Beteiligung Dritter verwirklicht werden kann. Es ist gegenüber den sogenannten Teilnahmehandlungen (Anstiftung oder Beihilfe gemäß §§ 26, 27 StGB) und den sogenannten akzessorischen Delikten (bei denen die Strafbarkeit von einer Hauptdelikt-Verwirklichung abhängt) abzugrenzen. Die Strafbarkeit wegen eines eigenständigen Delikts setzt ausschließlich die eigene Tathandlung und den eigenen Tatbestand voraus; es wird nicht verlangt, dass eine weitere, von Dritten begangene Straftat existiert oder unterstützt wird. Dies ist insbesondere bei klassischen Eigenhändigkeitsdelikten bedeutsam (beispielsweise die Körperverletzung nach § 223 StGB oder der Diebstahl gemäß § 242 StGB). Die Abgrenzung ist vor allem für die Bestimmung der Strafzumessung, der Teilnahmeformen und möglicher Versuchsstadien relevant.

Inwiefern beeinflusst das eigenständige Delikt die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme?

Beim eigenständigen Delikt steht die alleinige Täterschaft im Vordergrund; dies bedeutet, dass der Täter alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale eigenhändig erfüllt. Die Unterscheidung von Täterschaft (Eigenhändigkeit) und Teilnahme (Anstiftung oder Beihilfe) wird bei eigenständigen Delikten deshalb besonders deutlich, weil die Strafbarkeit des Teilnehmers immer am Bestand eines fremden Hauptdelikts hängt. Eigenständige Delikte ermöglichen es, die spezifisch für den Täter geltenden Strafrahmen anzuwenden und schließen eine Strafbarkeit für Teilnehmer vollständig aus. Dies verhindert eine ungewollte Ausdehnung der Strafbarkeit auf Personen, die nicht als Täter agieren; insbesondere bei Delikten mit spezifischen tätereigenen Merkmalen (sog. Sonderdelikten oder höchstpersönlichen Delikten).

Welche Rolle spielen eigenständige Delikte im Jugendstrafrecht?

Im Jugendstrafrecht gilt grundsätzlich derselbe Deliktskatalog wie im allgemeinen Strafrecht. Allerdings ist bei eigenständigen Delikten zu beachten, dass das besondere Gewicht auf der Eigenverantwortlichkeit des Jugendlichen liegt. Das Jugendgerichtsgesetz (JGG) sieht für eigenständige Delikte oftmals spezielle Sanktionen oder Erziehungsmaßnahmen vor, die sich nach der individuellen Schuld und Entwicklung des Täters richten. Dabei wird auf eine personalisierte Zurechnung Wert gelegt, da nur eigenständiges Verhalten, das aus eigener Entschließung heraus erfolgt, die Anwendung jugendstrafrechtlicher Maßnahmen rechtfertigt. Diese besondere Behandlung zeigt sich etwa in der Anwendung von Diversionsmaßnahmen und dem Erziehungsgedanken im JGG.

Gibt es besondere Voraussetzungen für eigenständige Delikte im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte?

Im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte ist auch ein eigenständiges Delikt möglich, sofern der Täter pflichtwidrig und sorgfaltspflichtverletzend eine Tat verwirklicht, ohne dass eine weitere, von anderen Personen begangene Straftat erforderlich wäre. Eigenständige Delikte auf der Fahrlässigkeitsebene zeichnen sich dadurch aus, dass sie allein durch das persönliche Fehlverhalten des Täters erfüllt werden. Vor allem im Verkehrsrecht (§ 222 StGB – fahrlässige Tötung, § 229 StGB – fahrlässige Körperverletzung) ist die Eigenständigkeit besonders relevant, da die Strafbarkeit ausschließlich an das eigene Verhalten und die Verletzung einer Sorgfaltspflicht anknüpft, unabhängig von etwaigen Handlungen Dritter.

Welche Konsequenzen hat das eigenständige Delikt in Bezug auf Konkurrenzverhältnisse?

Bei eigenständigen Delikten ergibt sich eine klare Trennlinie zu anderen Tatbeteiligungen und Delikten. In Konkurrenzverhältnissen (zum Beispiel mehrere eigenständige Delikte nebeneinander oder in Tateinheit) ist zu prüfen, ob die einzelnen Tatbestände unabhängig voneinander verwirklicht wurden oder ob eine Handlung mehrere Tatbestände gleichzeitig erfüllt (§ 52 StGB – Tateinheit; § 53 StGB – Tatmehrheit). Die Eigenständigkeit eines Delikts bedeutet, dass es für die Beurteilung von Konkurrenzen ausschließlich auf die eigene Tat und deren vollständige Verwirklichung ankommt, was insbesondere bei der Strafzumessung und der Frage der echten und unechten Konkurrenz maßgeblich ist.

Inwiefern sind eigenständige Delikte von Sonderdelikten oder eigenhändigen Delikten abzugrenzen?

Eigenständige Delikte sind – im kriminalwissenschaftlichen Sinne – nicht stets gleichzusetzen mit Sonderdelikten oder eigenhändigen Delikten. Sonderdelikte setzen besondere persönliche Eigenschaften des Täters voraus (z.B. Amtsträger bei § 331 StGB – Vorteilsannahme), und eigenhändige Delikte erfordern, dass der Täter die Tathandlung persönlich vollzieht (z.B. Trunkenheit im Verkehr, § 316 StGB). Ein eigenständiges Delikt kann, muss aber nicht zwangsläufig ein Sonderdelikt oder ein eigenhändiges Delikt sein; vielmehr kennzeichnet das eigenständige Delikt allgemein, dass für seine Verwirklichung keine vorausgehende oder gleichzeitige Tatbegehung durch eine andere Person erforderlich ist. Die Differenzierung ist vor allem für die Beteiligungsformen und Strafzumessung relevant.