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Eigenschaftsirrtum


Eigenschaftsirrtum – Begriff, Definition und rechtliche Bedeutung

Der Begriff Eigenschaftsirrtum ist ein zentraler Bestandteil des deutschen Zivilrechts und bezeichnet einen speziellen Tatbestand im Rahmen der Willenserklärung, der insbesondere im Zusammenhang mit Anfechtungen wegen Irrtums nach § 119 Absatz 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) von Bedeutung ist. Ein Eigenschaftsirrtum liegt vor, wenn sich eine Partei bei Abgabe einer Willenserklärung über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder Sache irrt. Im nachfolgenden Beitrag werden die verschiedenen Rechtsaspekte des Eigenschaftsirrtums umfassend dargestellt und erläutert.


Begriff und gesetzliche Grundlagen

Definition des Eigenschaftsirrtums

Der Eigenschaftsirrtum ist ein Unterfall des sogenannten Inhaltsirrtums. Die gesetzliche Grundlage findet sich in § 119 Abs. 2 BGB. Dort heißt es:

„Irrt sich der Erklärende bei Abgabe der Willenserklärung über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden, so kann die Erklärung angefochten werden.“

Eine Eigenschaft im Sinne des Gesetzes ist dabei jede tatsächliche oder rechtliche Beschaffenheit, die einer Person oder Sache für eine gewisse Dauer anhaftet und für deren Wert oder Verwendbarkeit von Bedeutung ist.

Abgrenzung zu anderen Irrtumsarten

Innerhalb des Irrtumsrechts des BGB unterscheidet man:

  • Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB)
  • Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB)
  • Übermittlungsirrtum (§ 120 BGB)
  • Eigenschaftsirrtum (§ 119 Abs. 2 BGB)

Der Eigenschaftsirrtum zeichnet sich dadurch aus, dass nicht das „Was“ (der Inhalt) oder das „Wie“ (die Erklärungshandlung) der Willenserklärung betroffen sind, sondern bestimmte Eigenschaften der Person oder Sache, auf die sich die Erklärung bezieht.


Voraussetzungen des Eigenschaftsirrtums

1. Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften

Voraussetzung ist ein Irrtum über eine „verkehrswesentliche“ Eigenschaft. Dazu zählen unter anderem:

  • Beschaffenheit, Material oder Zusammensetzung einer Sache (z. B. Gold oder Messing)
  • Alter, Herkunft, Echtheit oder künstlerischer Wert eines Gegenstandes
  • Qualifikationen, Vorstrafenfreiheit, Geschäftsfähigkeit oder Zahlungsfähigkeit einer Person

Nicht erfasst sind wertbildende Faktoren allgemeiner Art, subjektive Vorstellungen über den Wert oder zukünftige Entwicklungen bezüglich der Sache oder der Person.

2. Eigenschaften müssen für das konkrete Rechtsgeschäft wesentlich sein

Ob eine Eigenschaft wesentlich ist, richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont, d. h. danach, was im beiderseitigen Geschäftsverkehr als relevant angesehen wird. Persönliche Wertschätzungen oder Motive allein genügen nicht.

3. Ursächlichkeit des Irrtums

Der Eigenschaftsirrtum muss ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung gewesen sein (Kausalität). Hätte der Erklärende bei Kenntnis der tatsächlichen Eigenschaft die Erklärung nicht abgegeben, ist diese Voraussetzung erfüllt.


Rechtsfolgen des Eigenschaftsirrtums

Anfechtungsrecht

Liegt ein Eigenschaftsirrtum im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB vor, ist die Willenserklärung anfechtbar. Die erfolgte Anfechtung führt zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts ex tunc, d.h., das Geschäft gilt von Anfang an als nichtig.

Anfechtungsfrist

Die Erklärung muss unverzüglich, d. h. ohne schuldhaftes Zögern, nach Kenntnis des Irrtums angefochten werden (§ 121 BGB).

Schadensersatzpflicht

Gemäß § 122 BGB ist der Anfechtende unter bestimmten Voraussetzungen zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet, den der Anfechtungsgegner durch das Vertrauen auf die Gültigkeit des Geschäfts erleidet.


Abgrenzungen und Sonderfälle

Motivirrtum

Der Eigenschaftsirrtum grenzt sich vom bloßen Motivirrtum ab. Ein Motivirrtum, also ein Irrtum über einen Beweggrund, berechtigt grundsätzlich nicht zur Anfechtung, es sei denn, dieses Motiv schlägt aufgrund vertraglicher Vereinbarung oder branchenüblicher Bedeutsamkeit zur verkehrswesentlichen Eigenschaft durch.

Sachmangelrecht vs. Eigenschaftsirrtum

Der Eigenschaftsirrtum nach § 119 Abs. 2 BGB ist von Mängelgewährleistungsrechten bei Kauf- und Werkverträgen abzugrenzen. Während das Mängelrecht an die tatsächliche Beschaffenheit im Zeitpunkt des Gefahrübergangs anknüpft, betrifft der Eigenschaftsirrtum die Irrtumslage bei Vertragsschluss.

Willensmängel und Geschäftsunfähigkeit

Ein Eigenschaftsirrtum darf nicht mit Willensmängeln wie Zwang oder Täuschung (§ 123 BGB) oder Fragen der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 ff. BGB) verwechselt werden.


Typische Anwendungsfälle aus der Praxis

  • Kauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs: Der Käufer irrt über die Unfallfreiheit, während das Fahrzeug tatsächlich unfallbeschädigt ist.
  • Erwerb von Antiquitäten: Der Käufer geht von einer Originalität aus, tatsächlich handelt es sich um eine Replik.
  • Arbeitsverträge: Der Arbeitgeber irrt über die Qualifikation oder vorherige strafrechtliche Verurteilung eines Bewerbers.

Aktuelle Rechtsprechung und Literatur

Die Abgrenzung verkehrswesentlicher Eigenschaften und die Reichweite des Eigenschaftsirrtums werden in der Rechtsprechung laufend konkretisiert. Die Instanzengerichte sowie der Bundesgerichtshof (BGH) haben insbesondere zur Wesentlichkeit von Eigenschaften sowie zur Bedeutung von Eigenschaftsirrtümern im unternehmerischen Verkehr wichtige Maßstäbe entwickelt.


Zusammenfassung und Bedeutung im Rechtsverkehr

Der Eigenschaftsirrtum ist ein bedeutendes Instrument zum Schutz vor ungewollten Rechtsgeschäften bei Fehlvorstellungen über wesentliche Merkmale von Personen oder Sachen. Durch die Anfechtungsmöglichkeit trägt das deutsche Zivilrecht der Bedeutung des Vertrauensschutzes und des redlichen Geschäftsverkehrs Rechnung. Die sorgfältige Prüfung, ob eine verkehrswesentliche Eigenschaft betroffen ist und ob die gesetzlichen Anfechtungsvoraussetzungen vorliegen, ist maßgeblich für die Anwendung im Einzelfall.


Siehe auch


Literaturhinweise

  • Grüneberg, Bürgerliches Gesetzbuch, § 119 BGB
  • Brox/Walker, Allgemeiner Teil des BGB
  • BGHZ-Rechtsprechung zu Eigenschaftsirrtum

Hinweis: Dieser Artikel bietet eine umfassende und fundierte Übersicht zum Eigenschaftsirrtum im deutschen Recht und kann zur Vertiefung rechtlicher Kenntnisse herangezogen werden.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt der Eigenschaftsirrtum bei der Anfechtung von Willenserklärungen gemäß § 119 Abs. 2 BGB?

Der Eigenschaftsirrtum ist im deutschen Zivilrecht einer der anerkannten Anfechtungsgründe nach § 119 Abs. 2 BGB. Im Gegensatz zum Inhalts- oder Erklärungsirrtum bezieht sich der Eigenschaftsirrtum auf eine Fehlvorstellung über verkehrswesentliche Eigenschaften einer Person oder Sache, die Gegenstand des Rechtsgeschäfts ist. Liegt ein solcher Irrtum vor, kann der Erklärende seine Willenserklärung anfechten, wobei die Eigenschaften nicht nur physische Merkmale (etwa Material, Herkunft, Alter etc.) umfassen, sondern auch rechtliche oder wirtschaftliche Aspekte (wie z.B. Belastungen, Rechte, Rentabilität oder Berechtigungen). Der Irrtum muss sich jedoch auf eine verkehrswesentliche Eigenschaft beziehen. Eine erfolgreiche Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums führt zur Rückabwicklung des Rechtsgeschäfts, wobei der Anfechtende ggf. Schadensersatz gemäß § 122 BGB zu leisten hat, wenn der Vertragspartner auf die Gültigkeit vertraut hat. Der Anfechtende trägt die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Eigenschaftsirrtums sowie die Bedeutung der betreffenden Eigenschaft für das Geschäft.

Welche Eigenschaften gelten nach deutschem Recht als „verkehrswesentlich“ im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB?

Verkehrswesentliche Eigenschaften sind nach gefestigter Rechtsprechung und herrschender Meinung solche Merkmale, die für das konkrete Rechtsgeschäft nach der Verkehrsauffassung von erheblicher Bedeutung sind und dem Gegenstand oder der Person für eine gewisse Dauer anhaften. Bei Sachen können dies beispielsweise Materialzusammensetzung, Alter, Herkunft, Echtheit, Funktionstüchtigkeit oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Produktlinie sein. Bei Personen zählen dazu Berufsausbildung, Vorstrafenfreiheit, Geschäftsfähigkeit oder bestimmte Qualifikationen. Unerheblich sind dagegen rein subjektive Vorstellungen oder Erwartungen, rein persönliche Wertschätzungen oder Beweggründe, es sei denn, sie wurden ausdrücklich zur Vertragsgrundlage gemacht. Die Wesentlichkeit der Eigenschaft bemisst sich stets am Zweck des konkreten Geschäfts sowie den Umständen des Einzelfalls.

Kann ein Eigenschaftsirrtum auch bei Rechtsgeschäften über Rechte, nicht nur Sachen oder Personen, vorliegen?

Ja, ein Eigenschaftsirrtum kann sich auch auf Rechte als Gegenstand des Rechtsgeschäfts beziehen. Rechte besitzen ebenfalls verkehrswesentliche Eigenschaften, wie etwa der Bestand, der Inhalt, der Umfang, die Übertragbarkeit oder Beleihbarkeit des Rechts. Insbesondere bei Forderungen ist etwa die Bonität des Schuldners, die Freiheit von Einwendungen oder der Rang des Rechts im Grundbuch als verkehrswesentliche Eigenschaft anerkannt. Führt eine Fehlvorstellung über solche Umstände zur Abgabe einer Willenserklärung, kann auch hier eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB in Betracht kommen.

Wie unterscheidet sich der Eigenschaftsirrtum vom Motivirrtum und welche Folgen hat diese Unterscheidung?

Der Eigenschaftsirrtum betrifft Irrtümer über objektiv feststellbare, dem Gegenstand, Recht oder der Person anhaftende Merkmale, die für das Geschäft verkehrswesentlich sind. Demgegenüber liegt ein Motivirrtum vor, wenn sich jemand über einen außerhalb des Geschäftsgegenstands liegenden Beweggrund irrt; etwa über Marktpreisentwicklungen, eigene finanzielle Möglichkeiten, persönliche Präferenzen oder andere Umstände, die seiner Entschlussfassung zugrunde liegen, jedoch nicht zur objektiven Beschaffenheit des Geschäftsobjektes gehören. Motivirrtümer berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung, es sei denn, das aus dem Motiv abgeleitete Merkmal wurde ausdrücklich zur vertraglichen Grundlage gemacht (Geschäftsgrundlage). Die Differenzierung ist entscheidend für die Frage, ob die Anfechtung zulässig ist – nur der Eigenschaftsirrtum eröffnet einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gemäß § 119 Abs. 2 BGB.

Welche Fristen gelten für die Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums und wie ist der Ablauf?

Die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Eigenschaftsirrtums muss gemäß § 121 Abs. 1 BGB „unverzüglich“, das heißt ohne schuldhaftes Zögern, nach Kenntnis des Anfechtungsgrundes erfolgen. In der Praxis bedeutet dies, dass der Anfechtende umgehend nach Entdeckung des Irrtums seine Erklärung an den Anfechtungsgegner richten muss. Eine verspätete Anfechtung kann zur Heilung des Mangels und zur Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts führen. Zudem ist zu beachten, dass die Anfechtung spätestens zehn Jahre nach Abgabe der Willenserklärung ausgeschlossen ist (§ 121 Abs. 2 BGB analog). Die Anfechtung erfolgt durch eine empfangsbedürftige Willenserklärung, sie muss also dem Vertragspartner zugehen. Die Wirkungen der erfolgreichen Anfechtung treten ex tunc ein, d.h., das Geschäft gilt als von Anfang an nichtig.

Welche Rechtsfolgen hat eine erfolgreiche Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums für die Vertragsparteien?

Eine erfolgreiche Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums führt gemäß § 142 Abs. 1 BGB zur Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts von Anfang an (ex tunc). Die Parteien sind im Rahmen der Rückabwicklung verpflichtet, die erbrachten Leistungen nach den Regeln des Bereicherungsrechts (§§ 812 ff. BGB) zurückzugewähren. Darüber hinaus kann der Anfechtende dem anderen Teil nach § 122 BGB zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet sein, wenn dieser auf die Wirksamkeit des Geschäfts vertraute und dadurch einen Nachteil erlitten hat. Ersatzfähig ist dabei nicht der entgangene Gewinn oder das erwartete positive Interesse, sondern nur das negative Interesse, das heißt, der Anfechtungsgegner ist so zu stellen, als wäre das Rechtsgeschäft nie abgeschlossen worden.

Wird der Eigenschaftsirrtum auch außerhalb des klassischen Kaufvertrags anerkannt, z.B. bei Arbeitsverträgen oder Schenkungen?

Ja, der Eigenschaftsirrtum kann grundsätzlich bei allen schuldrechtlichen Verträgen eine Rolle spielen, sofern die Willenserklärung durch eine Fehlvorstellung über eine verkehrswesentliche Eigenschaft beeinflusst wurde. Beispielsweise kann bei Arbeitsverträgen eine Anfechtung möglich sein, wenn sich der Arbeitgeber bei Abschluss des Arbeitsvertrags über entscheidende Qualifikationen oder Vorstrafen des Arbeitnehmers irrt. Ebenso kann ein Schenker eine Schenkung anfechten, wenn er einem Eigenschaftsirrtum über die zuwendende Sache oder den Beschenkten unterlag. Allerdings gelten immer die besonderen Voraussetzungen und Grenzen des § 119 Abs. 2 BGB, insbesondere die Verkehrswesentlichkeit der betreffenden Eigenschaft.