Begriff und Rechtsstellung der EG (Europäische Gemeinschaft)
Die Europäische Gemeinschaft (EG) stellte eine eigenständige, supranationale Organisation im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses dar und war ein zentrales Element des europäischen Einigungswerks. Ihr rechtlicher Rahmen fußte auf den Gründungsverträgen und war – bis zur Integration in die Europäische Union im Zuge des Vertrags von Lissabon – von erheblicher Bedeutung für das Wirtschaftsrecht, das europäische Recht und die staatliche Souveränität der Mitgliedstaaten. Die EG bildete die bedeutendste Teilgemeinschaft des sogenannten „Drei-Säulen-Modells“ der EU, bevor dieses 2009 aufgehoben wurde.
Historische Entwicklung
Gründung und Entwicklung
Die EG geht auf die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 durch die Römischen Verträge zurück. Später wurde die EWG in „Europäische Gemeinschaft (EG)“ umbenannt. Daneben existierten die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, gegründet 1951, ausgelaufen 2002) sowie die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM, seit 1957). Die Europäische Gemeinschaft wurde 1993 durch den Vertrag über die Europäische Union (Maastricht-Vertrag) zum integralen Bestandteil der dreisäuligen Struktur der Europäischen Union erhoben und entwickelte sich zur maßgeblichen Rechtsgrundlage für die meisten Bereiche der europäischen Zusammenarbeit.
Auflösung als eigenständige Organisation
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 wurde die Europäische Gemeinschaft (EG) in die Europäische Union eingegliedert und existiert seither nicht mehr als eigenständige Organisation. Die EU hat die Rechtsnachfolge der EG übernommen, ausgenommen davon ist die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM), die weiterhin rechtlich eigenständig besteht.
Rechtliche Grundlagen
Primärrechtliche Grundlagen
Die EG beruhte auf den Römischen Verträgen von 1957, die im Laufe der Jahre durch verschiedene Vertragsänderungen ergänzt, angepasst und umbenannt wurden:
- EWG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1957)
- EG-Vertrag (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Fassung nach Maastricht 1992)
- Folgeverträge: Single European Act (1986), Vertrag von Maastricht (1992), Vertrag von Amsterdam (1997), Vertrag von Nizza (2001) und Vertrag von Lissabon (2007/2009)
Das EG-Primärrecht regelte die Struktur, Zuständigkeiten und Funktionsweise der Organe, den Binnenmarkt, die Wettbewerbspolitik sowie Aspekte wie Unionsbürgerschaft und Grundfreiheiten.
Sekundärrecht und Rechtsprechung
Daneben bestand das sogenannte Sekundärrecht (Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen), das von den Organen der EG erlassen wurde. Hinzu kam eine umfangreiche Auslegung und Weiterentwicklung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), insbesondere zur unmittelbaren Wirksamkeit und zum Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts.
Organe und Institutionen der EG
Leitende und ausführende Organe
Die EG verfügte über folgende Institutionen, die ihre Aufgaben wahrnahmen:
- Europäische Kommission: Exekutivorgan, Initiativrecht für Gesetzgebungsverfahren, Überwachung der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, Vertretung nach außen.
- Rat der Europäischen Union (Ministerrat): Legislativorgan der Mitgliedsstaaten, Beschlussfassung im Zusammenwirken mit dem Europäischen Parlament.
- Europäisches Parlament: Parlamentarische Kontrolle, Mitentscheidung und Beratung bei Rechtsetzungsvorhaben, Wahl der Kommissionsmitglieder.
- Europäischer Gerichtshof (EuGH): Judikative der EG, Rechtsprechung zur Auslegung und Anwendung des EG-Rechts.
Zu den weiteren Einrichtungen zählten der Europäische Rechnungshof, Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie der Ausschuss der Regionen.
Rechtsgebiete und Zuständigkeiten der EG
Binnenmarkt und Grundfreiheiten
Der EG war die Schaffung und Sicherung eines gemeinsamen Binnenmarktes zentral. Dieser beruhte auf vier Grundfreiheiten, die unmittelbar anwendbar waren:
- Warenverkehrsfreiheit
- Dienstleistungsfreiheit
- Niederlassungsfreiheit
- Freier Kapital- und Zahlungsverkehr
Diese Freiheiten wurden durch Verordnungen und Richtlinien ausgestaltet und waren Auslöser weitreichender Harmonisierung und Integration in zahlreichen Wirtschaftsbereichen.
Wettbewerb und Beihilferecht
Ein zentrales Anliegen der EG war die Sicherung eines unverfälschten Wettbewerbs. Das EG-Recht enthielt strenge Regeln zum Vereinbarungsverbot von Kartellen, zur Missbrauchskontrolle marktbeherrschender Stellungen sowie zu staatlichen Beihilfen (Art. 101-109 EG-Vertrag).
Agrar- und Handelspolitik
Eine eigene Rechtsordnung war für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) sowie die Gemeinsame Handelspolitik der EG geschaffen worden. Diese umfasste neben Zollunion und Handelsabkommen auch umfassende Marktordnungen und Subventionsregelungen.
Umweltpolitik, Verbraucherschutz, Sozialpolitik
Im Lauf der Jahrzehnte erhielt die EG wachsende Zuständigkeiten auf Gebieten wie Umweltschutz, Verbraucherschutz, Forschung, Regionalpolitik und Sozialpolitik. Die Zahl der Bereiche, in denen die EG verbindliche Regelungen setzen konnte, wurde sukzessive erweitert.
Außenbeziehungen
Die EG verfügte über eigene Rechtspersönlichkeit und konnte daher internationale Abkommen abschließen. Sie war Vertragspartei zahlreicher internationaler Wirtschaftsabkommen und handelte autonom im internationalen Waren- und Wirtschaftsverkehr.
Verhältnis zum Recht der Mitgliedstaaten
Anwendungsvorrang und Unmittelbare Geltung
Das Recht der EG genoss im Kollisionsfall Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten. Zahlreiche Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts waren unmittelbar anwendbar, das heißt sie galten auch ohne innerstaatliche Umsetzung direkt.
Umsetzung und Kontrolle
Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, EG-Richtlinien und Verordnungen ordnungsgemäß und fristgerecht umzusetzen bzw. anzuwenden. Die Kommission konnte bei Verstößen Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH einleiten.
Wegfall und Rechtsnachfolge der EG
Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Gemeinschaft (EG) formal in die Europäische Union überführt. Die Rechtsakte, Verträge und Verpflichtungen der EG wurden auf die Europäische Union übertragen und fortgeführt. Einzig die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) besteht weiterhin als eigenständige völkerrechtliche Organisation.
Bedeutung für das heutige Unionsrecht
Das ehemals für die EG geltende Recht bildet den Grundstock des heutigen Unionsrechts. Viele grundlegende Prinzipien, Institutionen und Regelungsbereiche stammen aus der EG-Zeit und prägen weiterhin die Rechtsordnung und Funktionsweise der Europäischen Union.
Literatur und Quellen:
- Consolidated versions of the Treaty on European Union and the Treaty on the Functioning of the European Union (TFEU)
- EuGH-Entscheidungen zur unmittelbaren Wirkung, Anwendungsvorrang etc.
- Europarechtliche Kommentare zu ehemaligen EG-Verträgen und Sekundärrecht
- Gründungsverträge, insbesondere Vertrag von Rom (1957), Vertrag von Maastricht (1992), Vertrag von Lissabon (2007/2009)
Hinweis: Der Begriff Europäische Gemeinschaft (EG) hat nach der Integration in die Europäische Union im Jahr 2009 nur noch historische Bedeutung. Die wesentlichen Grundlagen, Rechtsakte und Prinzipien wirken jedoch im Unionsrecht fort und sind weiterhin maßgeblich für die Auslegung und Anwendung des europäischen Rechts.
Häufig gestellte Fragen
Welche Rolle spielten die EG-Verträge im rechtlichen Rahmen der Europäischen Gemeinschaft?
Die EG-Verträge, insbesondere der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG-Vertrag, später EG-Vertrag) sowie der Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom-Vertrag), bildeten nach ihrer Unterzeichnung 1957 in Rom die verfassungsrechtliche Grundlage der Europäischen Gemeinschaft. Sie legten die Zuständigkeiten der Gemeinschaft, die Befugnisse ihrer Organe, das Rechtsetzungsverfahren und die Grundsätze des Binnenmarktes fest. Kernziele waren der Abbau von Handelshemmnissen, die gemeinsame Handelspolitik und die Harmonisierung von Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Regelmäßig erfolgten Änderungen und Erweiterungen (z. B. durch die Einheitliche Europäische Akte, die Verträge von Maastricht, Amsterdam und Nizza), um neue Politikbereiche und Integrationsstufen abzubilden. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) interpretierte die Verträge dynamisch und entwickelte Grundprinzipien wie die unmittelbare Anwendbarkeit oder den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts, wodurch die EG-Verträge einen überstaatlichen Charakter erhielten und tief ins nationale Recht der Mitgliedstaaten eingriffen.
Wie wurde das EG-Recht in das nationale Recht der Mitgliedstaaten integriert?
Das EG-Recht war supranationales Recht, das grundsätzlich Vorrang vor dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten hatte. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH mussten die Mitgliedstaaten nationale Vorschriften, die mit EG-Recht kollidierten, unangewendet lassen. Diese unmittelbare Anwendbarkeit galt insbesondere für Verordnungen, während Richtlinien erst durch nationale Umsetzungsakte Geltung erlangten. Die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, die Ziele und Vorgaben der Richtlinien fristgerecht und vollständig in nationales Recht zu überführen („Umsetzungspflicht“). Kommt ein Mitgliedstaat dieser Pflicht nicht nach, konnten Einzelpersonen unmittelbar Rechte aus solchen Richtlinien ableiten, wenn deren Regelungen hinreichend bestimmt und unbedingt waren („wirkungsgleiche Anwendung“). Zudem sorgte die „staatliche Haftung für Gemeinschaftsrechtsverstöße“ (Francovich-Urteil) dafür, dass bei Nichtumsetzung oder fehlerhafter Umsetzung Schadensersatzansprüche gegenüber dem jeweiligen Staat bestanden. Konsequenzen für die Nichtbeachtung waren Vertragsverletzungsverfahren, eingeleitet von der Kommission oder anderen Mitgliedstaaten vor dem EuGH.
Welche Kompetenzen regelte der EG-Vertrag für die Organe der Europäischen Gemeinschaft?
Der EG-Vertrag definierte die Zuständigkeiten und Befugnisse der wichtigsten Organe: die Kommission als „Hüterin der Verträge“ initiierte Gesetzgebungsverfahren, überwachte die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und vertrat die Gemeinschaft nach außen. Der Ministerrat entschied – oft gemeinsam mit dem Europäischen Parlament – über Gesetzesvorlagen, wobei der genaue Einfluss je nach Politikbereich und jeweils angewandtem Gesetzgebungsverfahren variierte (Konsultations-, Mitentscheidungs- oder Zustimmungsverfahren). Das Europäische Parlament hatte ursprünglich nur beratende Kompetenzen, die durch spätere Vertragsänderungen sukzessive gestärkt wurden (bis hin zum Mitentscheidungsverfahren). Der Europäische Gerichtshof stellte die einheitliche Auslegung und Anwendung des EG-Rechts sicher und entschied über Rechtsstreitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten, Organen und – unter bestimmten Voraussetzungen – Einzelpersonen.
In welchen Politikbereichen galt innerhalb der EG die ausschließliche oder geteilte Zuständigkeit?
Die EG-Verträge differenzierten zwischen Bereichen mit ausschließlicher Zuständigkeit (wie etwa die Zollunion, Wettbewerbsvorschriften oder die gemeinsame Handelspolitik) – hier durfte nur die Gemeinschaft tätig werden und Mitgliedstaaten waren zur Rechtssetzung nicht befugt – und Bereichen mit geteilter Zuständigkeit, etwa im Binnenmarkt, Umweltschutz oder der Energiepolitik, wo sowohl EG als auch Mitgliedstaaten Rechtsakte setzen konnten, sofern die Gemeinschaft noch nicht exhaustiv tätig geworden war („Vorrang der Gemeinschaftstätigkeit“). In Bereichen der sogenannten „unterstützenden und koordinierenden Zuständigkeit“ konnte die EG nur unterstützend tätig werden (z. B. im Bildungs- oder Kulturbereich), ohne die Gesetzgebungshoheit der Staaten zu verdrängen. Die praktische Kompetenzabgrenzung sowie ihre dynamische Weiterentwicklung war vielfach Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH.
Wie wurden Vertragsverletzungen innerhalb des EG-Systems geahndet?
Zur Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts sahen die EG-Verträge ein strukturiertes Vertragsverletzungsverfahren vor, das von der Europäischen Kommission oder von anderen Mitgliedstaaten gegen einen oder mehrere Staaten eingeleitet werden konnte. Zunächst erfolgte ein informelles Aufforderungsverfahren durch die Kommission, in dem der Mitgliedstaat zur Stellungnahme aufgefordert wurde. Blieb die Vertragsverletzung bestehen, wurde eine mit Gründen versehene Stellungnahme abgegeben. Führte dies ebenfalls nicht zur Abhilfe, konnte die Kommission Klage vor dem EuGH erheben. Der Gerichtshof konnte feststellen, dass ein Vertragsverstoß vorliegt, und die Staaten zur Beseitigung verpflichten; bei fortgesetztem Verstoß konnten auf Antrag der Kommission finanzielle Sanktionen (Pauschalbeträge und Zwangsgelder) verhängt werden. Dieses Verfahren sicherte die effektive Durchsetzung des supranationalen Rechts und diente der Wahrung der Einheit und Wirksamkeit des EG-Rechts.
Welche Bedeutung hatte die Europäische Gemeinschaft im Bereich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs?
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) spielte eine Schlüsselrolle bei der Fortentwicklung des Gemeinschaftsrechtsrahmens und dessen Durchsetzung, indem er u. a. die Grundprinzipien des Vorrangs und der unmittelbaren Anwendbarkeit entwickelte. Durch das Vorabentscheidungsverfahren (Art. 234 EG-Vertrag, jetzt Art. 267 AEUV) ermöglichte er es nationalen Gerichten, Zweifelsfragen zur Auslegung des EG-Rechts dem EuGH vorzulegen, wodurch die Einheitlichkeit der Anwendung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet wurde. Die Judikatur zu Themen wie Diskriminierungsverbot, Grundfreiheiten (Warenverkehr, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrsfreiheiten), Wettbewerbsrecht sowie zum Schutz individueller Rechte wurde prägend für die gesamte Entwicklung der europäischen Integration und das Verhältnis zwischen Unions- und nationalem Recht.
Wie wurde der Übergang von der EG zur EU rechtlich vollzogen?
Mit dem Vertrag von Maastricht (1992) wurde die EG in die neu geschaffene Europäische Union (EU) überführt, wobei die EG selbst als eine der drei Säulen der EU fortbestand. Die wesentlichen Gemeinschaftsstrukturen blieben zunächst erhalten und wurden später mit dem Vertrag von Lissabon (2009) vollständig in das Recht der Europäischen Union integriert. Der EG-Vertrag wurde dabei in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV) umbenannt und alle Kompetenzen, Organe und Rechtsakte der EG wurden auf die EU übertragen. Damit endete die Existenz der EG als eigenständige völkerrechtliche Organisation, wobei ihr Rechtsbestand und ihre Rechtsprinzipien in das Unionsrecht übergingen. Der Lissabon-Vertrag kodifizierte damit die Einheitlichkeit und Modernisierung der (ehemals) gemeinschaftlichen Rechtsordnung.