EG (Europäische Gemeinschaft): Begriff, Einordnung und Bedeutung
Die Europäische Gemeinschaft (EG) war bis 2009 der zentrale supranationale Zusammenschluss in Europa, der maßgeblich den Binnenmarkt, das Wettbewerbsrecht und zahlreiche Politikbereiche gestaltete. Sie ging aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) hervor und bildete zusammen mit weiteren Gemeinschaften den Kern der europäischen Integration. Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wurde die EG in die Europäische Union (EU) überführt; die EU trat als Gesamtrechtsnachfolgerin an ihre Stelle. Der Begriff EG ist damit historisch, die rechtliche Wirkung ihres Normenbestands besteht jedoch als Teil des Unionsrechts fort.
Historische Entwicklung
Vorläufer und Gründung
In den 1950er-Jahren entstanden drei Gemeinschaften: die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Ziel war die wirtschaftliche Verflechtung und die Schaffung eines gemeinsamen Marktes, um Frieden, Wohlstand und Rechtsbindung der Mitgliedstaaten zu fördern.
Vom EWG-Verbandszweck zur EG
Mit weiteren Integrationsschritten wurden Zuständigkeiten ausgebaut, Entscheidungsverfahren vertieft und demokratische Mitwirkungsrechte gestärkt. Die EWG entwickelte sich zur EG, die über den reinen Wirtschaftsverbund hinaus eine breite Palette an Politikfeldern koordinierte.
Reformen und Überführung in die EU
Mehrere Vertragsreformen modernisierten Institutionen, Zuständigkeiten und Verfahren. Mit dem Vertrag von Lissabon (2009) ging die EG in der EU auf. Die EU erhielt einheitliche Rechtspersönlichkeit und übernahm alle Rechte und Pflichten der EG. Der Begriff „Gemeinschaftsrecht“ wurde durch „Unionsrecht“ abgelöst; die Euratom besteht als eigenständige Gemeinschaft fort, ist aber institutionell eng mit der EU verknüpft.
Rechtsnatur und Grundprinzipien
Supranationalität und Rechtsautonomie
Die EG besaß eigene Rechtspersönlichkeit und handelte unabhängig von den Mitgliedstaaten innerhalb der übertragenen Zuständigkeiten. Ihr Recht bildete eine eigenständige Rechtsordnung, die in den Mitgliedstaaten verbindlich galt.
Anwendungsvorrang und unmittelbare Wirkung
Wesentliche Grundsätze waren der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber entgegenstehenden nationalen Normen und die unmittelbare Wirkung bestimmter Vorschriften. Dadurch konnten Einzelne sich unter Voraussetzungen direkt auf EG-Recht berufen; Behörden und Gerichte mussten es vorrangig anwenden.
Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
Kompetenzwahrnehmung orientierte sich daran, ob Ziele auf nationaler Ebene ausreichend erreichbar waren (Subsidiarität) und Eingriffe nicht über das Erforderliche hinausgingen (Verhältnismäßigkeit). Diese Leitlinien strukturierten die Gesetzgebung und Verwaltungspraxis der EG.
Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze
Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze wurden als Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung anerkannt. Sie dienten als Maßstab für Rechtsakte und deren Anwendung. Mit der Überführung in die EU wurden Grundrechtsgarantien weiter verdichtet und systematisch verankert.
Zuständigkeiten und Politikbereiche
Binnenmarkt
Kernaufgabe war die Vollendung des Binnenmarkts mit freiem Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Dazu gehörten der Abbau von Handelshemmnissen, die gegenseitige Anerkennung von Standards und eine einheitliche Regulierungsarchitektur.
Wettbewerb und staatliche Beihilfen
Die EG schuf ein einheitliches Wettbewerbsregime gegen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen und den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen. Staatliche Beihilfen wurden kontrolliert, um Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden.
Agrar- und Fischereipolitik
Gemeinsame Politiken regelten Märkte, Förderung und Strukturmaßnahmen. Ziel war die Versorgungssicherheit, die Stabilität landwirtschaftlicher Einkommen und der Ausgleich regionaler Unterschiede.
Gemeinsame Handelspolitik und Außenbeziehungen
Die EG schloss internationale Abkommen, setzte Zölle und handelspolitische Schutzinstrumente und vertrat die Mitgliedstaaten in vielen Bereichen mit einheitlicher Stimme. Zahlreiche Abkommen wurden als „gemischte“ Abkommen gemeinsam mit den Mitgliedstaaten geschlossen.
Weitere Politikfelder
Transport, Umwelt, Energie, Verbraucherschutz, Forschung und Bildung wurden schrittweise harmonisiert oder koordiniert, soweit ihre Regelung für das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich war.
Institutionelle Struktur
Kommission
Die Kommission war Motor der Integration mit Initiativrecht für Gesetzgebung, Hüterin des Gemeinschaftsrechts und Exekutivorgan für die Umsetzung und Überwachung der Politikbereiche.
Rat der Europäischen Union
Der Rat vereinte die Fachminister der Mitgliedstaaten und erließ zusammen mit dem Parlament Rechtsakte. Je nach Politikbereich galten unterschiedliche Abstimmungsmodalitäten.
Europäisches Parlament
Das Parlament übte Mitentscheidungs-, Kontroll- und Haushaltsbefugnisse aus und stärkte die demokratische Legitimation der Gemeinschaft. Seine Rolle wurde über Reformen schrittweise ausgebaut.
Gerichtshof
Der Gerichtshof sicherte die einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts. Zentrale Verfahren waren Vertragsverletzungsverfahren, Nichtigkeitsklagen, Untätigkeitsklagen und Vorabentscheidungsverfahren nationaler Gerichte.
Rechnungshof und beratende Gremien
Der Rechnungshof prüfte die Recht- und Ordnungsmäßigkeit des Haushaltsvollzugs. Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie Ausschuss der Regionen wirkten beratend an der Rechtsetzung mit.
Rechtsquellen und Rechtsakte
Primärrecht
Die Gründungs- und Änderungsverträge bildeten das Primärrecht als verfassungsähnliche Grundlage. Sie legten Ziele, Zuständigkeiten, Institutionen und Verfahren fest.
Sekundärrecht
Auf dieser Basis erließ die EG Rechtsakte: Verordnungen (allgemein und unmittelbar gültig), Richtlinien (verbindlich hinsichtlich des Ziels, Umsetzung durch die Mitgliedstaaten), Entscheidungen (verbindlich für die Adressaten) sowie Empfehlungen und Stellungnahmen (ohne verbindliche Wirkung).
Durchführung und Ausschussverfahren
Für technische Details und Vollzug wurden Durchführungs- und delegationsgestützte Akte erlassen, häufig unter Einbindung von Ausschüssen der Mitgliedstaaten („Ausschussverfahren“).
Mitgliedschaft, Erweiterung und internationale Abkommen
Beitritt und Erweiterung
Die Gemeinschaft wuchs durch Erweiterungsrunden. Beitritte erfolgten über völkerrechtliche Verträge, die Rechte und Pflichten der neuen Mitglieder festlegten und Übergangsbestimmungen enthielten.
Austritt und Rechtsnachfolge
Ein ausdrücklicher Austrittsmechanismus war in der EG nicht verankert. Mit der Überführung in die EU wurden Regelungen zum Austritt auf Unionsebene etabliert. Die EU übernahm als Rechtsnachfolgerin sämtliche Verträge, Rechte und Pflichten der EG.
Abkommen mit Drittstaaten und Organisationen
Die EG schloss eigenständige Abkommen und gemischte Abkommen mit Drittstaaten und internationalen Organisationen. Nach der Rechtsnachfolge bestehen diese Abkommen fort und werden der EU zugerechnet.
Heutige Bedeutung des EG-Begriffs
Der Begriff „Europäische Gemeinschaft“ hat vornehmlich historische Bedeutung. Inhaltlich lebt das frühere Gemeinschaftsrecht als Unionsrecht fort. Viele Grundprinzipien, Institutionen und Politikbereiche wurden nahtlos in die EU überführt. Die Euratom besteht als eigene Gemeinschaft weiterhin neben der EU, nutzt jedoch weitgehend deren Institutionen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was war die EG (Europäische Gemeinschaft) und wie unterschied sie sich von der EU?
Die EG war der zentrale supranationale Zusammenschluss für den Binnenmarkt und zahlreiche Politikfelder. Die EU löste die EG 2009 ab, erhielt einheitliche Rechtspersönlichkeit und übernahm alle Rechte und Pflichten. Während die EG primär wirtschaftlich ausgerichtet war, bündelt die EU heute ein erweitertes Aufgaben- und Kompetenzspektrum.
Existiert die EG heute noch und wer ist ihre Rechtsnachfolgerin?
Die EG existiert als eigenständige Rechtsperson nicht mehr. Ihre vollständige Rechtsnachfolge trat die Europäische Union an. Normen der EG wirken als Teil des Unionsrechts fort; Institutionen und Verfahren wurden in das Unionsgefüge integriert.
Welche Arten von Rechtsakten konnte die EG erlassen und wie wirkten sie?
Die EG erließ Verordnungen (allgemein und unmittelbar geltend), Richtlinien (verbindliche Ziele, nationale Umsetzung), Entscheidungen (verbindlich für bestimmte Adressaten) sowie Empfehlungen und Stellungnahmen (ohne Bindungswirkung). Viele Verordnungen galten direkt in allen Mitgliedstaaten, Richtlinien erforderten innerstaatliche Umsetzung.
Welche Institutionen trugen die EG und welche Aufgaben hatten sie?
Kommission (Initiative, Vollzug, Überwachung), Rat der EU (Mitgesetzgeber der Mitgliedstaaten), Europäisches Parlament (Mitentscheidung, Kontrolle, Haushalt), Gerichtshof (einheitliche Auslegung, Rechtsschutz) sowie Rechnungshof und beratende Ausschüsse bildeten das institutionelle Gerüst.
Welche Bedeutung hatten Anwendungsvorrang und unmittelbare Wirkung im EG-Recht?
Beide Grundsätze sicherten die Wirksamkeit des EG-Rechts: Es ging bei Kollision nationalem Recht vor und bestimmte Normen konnten von Einzelnen unmittelbar geltend gemacht werden. Dadurch wurde eine einheitliche und effektive Durchsetzung in allen Mitgliedstaaten gewährleistet.
Was geschah mit den internationalen Abkommen der EG nach der Überführung in die EU?
Die EU trat als Rechtsnachfolgerin in sämtliche internationalen Abkommen der EG ein. Diese Abkommen gelten fort und werden der EU zugerechnet; bestehende Rechte und Pflichten blieben bestehen.
Welche Rolle spielte die EG im Wettbewerbs- und Beihilfenrecht?
Die EG setzte unionsweit einheitliche Maßstäbe zur Sicherung unverfälschten Wettbewerbs. Kartelle und Missbrauch marktbeherrschender Stellungen wurden untersagt; staatliche Beihilfen unterlagen einer Kontrolle, um Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu verhindern.