Begriffserklärung: Sicheres Drittland
Der Begriff „sicheres Drittland” ist eine bedeutsame Rechtskategorie insbesondere im Asyl-, Aufenthalts- und Migrationsrecht. Er bezeichnet einen Staat, der weder Herkunftsland einer asylsuchenden Person noch der Staat ist, in den diese Person unmittelbar einreisen möchte. Zentral ist dabei, dass das Drittland als „sicher” eingestuft wurde, das heißt, dass die Grund- und Menschenrechte – insbesondere im Verhältnis zu Flüchtlingen – dort gewährleistet sind. Die genaue rechtliche Definition und die praktischen Auswirkungen variieren je nach nationalem und supranationalem Rechtsrahmen, insbesondere im europäischen Kontext.
Rechtliche Grundlagen des sicheren Drittlands
Europarechtliche Regelungen
Art. 38 Asylverfahrensrichtlinie
Die Qualifizierung eines sicheren Drittlandes wird im innerstaatlichen wie im unionsrechtlichen Kontext in verschiedenen Richtlinien geregelt. Nach Art. 38 der Richtlinie 2013/32/EU (Asylverfahrensrichtlinie) können Mitgliedstaaten einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig behandeln, wenn der Antragsteller aus einem sicheren Drittland einreist. Die Richtlinie legt Mindestanforderungen an die Einstufung eines Staates als sicheres Drittland fest.
Kriterien für die Einstufung
Die EU sieht vor, dass ein Drittland dann als sicher gilt, wenn:
- Das Leben und die Freiheit des Antragstellers nicht aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung bedroht sind.
- Das Verbot der Zurückweisung nach Art. 33 Genfer Flüchtlingskonvention und das Verbot der Abschiebung bei Gefahr von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eingehalten werden.
- Die Möglichkeit besteht, Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention im betreffenden Staat zu beantragen und zu erhalten.
Weiterhin ist eine individuelle Prüfung geboten, ob ein Antragsteller im konkreten Einzelfall im Drittland tatsächlich sicher ist.
Regelungen im deutschen Recht
Im deutschen Asylgesetz finden sich die maßgeblichen Vorschriften zur Definition und Anwendung des Begriffs „sicheres Drittland” in § 26a AsylG. Die Norm folgt im Wesentlichen den unionsrechtlichen Vorgaben. Ferner konkretisiert § 29 Abs. 1 AsylG, dass ein Asylantrag unzulässig ist, wenn der Antragsteller über ein sicheres Drittland eingereist ist.
Liste sicherer Drittländer
Der Gesetzgeber legt fest, welche Staaten als sichere Drittländer gelten. Im nationalen Recht sind gegenwärtig die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Norwegen und die Schweiz als sichere Drittländer benannt. Änderungen der Liste erfolgen durch Rechtsverordnung.
Verfassungsrechtliche Vorgaben
Das Bundesverfassungsgericht hatte sich wiederholt zur Vereinbarkeit der Drittstaatenregelung mit Art. 16a GG (Asylrecht) zu befassen. Nach der Rechtsprechung darf einem Asylbewerber die Einreise nach Deutschland verweigert werden, sofern der sichere Schutz in einem Drittstaat garantiert ist und Zugang zu faires Asylverfahren dort existiert.
Funktion und Bedeutung der Drittstaatenregelung
Effizienzsteigerung der Asylverfahren
Die Drittstaatenregelung dient der Verfahrensbeschleunigung und der Vermeidung mehrmaliger Antragstellung (sog. Asyl-Shopping). Die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz soll auf Staaten verteilt werden, in denen bereits ein effektiver Schutz realisiert werden kann.
Schutz vor Rückschiebung (Non-Refoulement)
Eines der obersten Prinzipien im Umgang mit Flüchtlingen ist das Verbot der Abschiebung in unsichere Staaten, auch „Non-Refoulement”-Grundsatz genannt. Länder, die als sichere Drittländer gelten, müssen garantieren, keine Rückführung in Staaten vorzunehmen, in denen Verfolgung droht.
Voraussetzungen und Verfahren in der Praxis
Individuelle Prüfung im Einzelfall
Die Konzeption des sicheren Drittlandes verlangt grundsätzlich eine individuelle Prüfung, ob für den konkreten Asylsuchenden im jeweiligen Drittland tatsächlich Schutz vorliegt. Probleme können sich insbesondere dann ergeben, wenn Menschenrechtsstandards im Drittland nicht hinreichend garantiert werden oder das Drittland faktisch keinen Zugang zum Asylverfahren ermöglicht.
Rechtsschutz und Verfahrensgarantien
Asylsuchende, denen die Einreise mit der Begründung des sicheren Drittlands verweigert wird, haben das Recht auf rechtliches Gehör sowie auf wirksamen Rechtsschutz gegen ablehnende Behördenentscheidungen.
Abgrenzung zum Konzept des „sicheren Herkunftsstaats”
Während beim sicheren Drittland ein Durchreisestaat als sicher eingestuft wird, bezieht sich das Konzept des sicheren Herkunftsstaats rein auf das Ursprungsland der asylsuchenden Person. Die beiden Rechtsfiguren verfolgen ähnliche Zwecke, unterscheiden sich aber hinsichtlich Voraussetzungen und Anwendungsbereich.
Internationale Perspektiven
In anderen Staaten außerhalb Europas existieren vergleichbare Konzepte, deren Ausgestaltung und Anforderungen variieren können. Im internationalen Flüchtlingsrecht ist insbesondere die Genfer Flüchtlingskonvention zentral.
Kritik und aktuelle Diskussionen
Menschenrechtliche Bedenken
Menschenrechtsorganisationen sowie völkerrechtliche Bewertungen mahnen an, dass die Anerkennung eines Staates als sicheres Drittland nicht pauschal erfolgen sollte. Die tatsächliche Schutzlage vor Ort und die Praxistauglichkeit des Asylzugangs müssen stets gewährleistet sein.
Aktuelle rechtspolitische Entwicklungen
Im Zuge von Migrationsbewegungen und Reformbestrebungen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems wird der Umgang mit sicheren Drittstaaten regelmäßig evaluiert und angepasst. Die Ausweitung der Liste sicherer Drittländer steht dabei genauso zur Debatte wie die Effektivität rechtsstaatlicher Garantien und Flüchtlingsschutzsysteme in den betreffenden Ländern.
Fazit
Der Begriff „sicheres Drittland” ist ein zentrales Element des europäischen und nationalen Asylrechts. Er dient der Steuerung und Beschleunigung von Asylverfahren, unterläft jedoch strengen materiellen und prozessualen Anforderungen, insbesondere dem Schutz grundlegender Menschenrechte. Die Bestimmung und Handhabung sicherer Drittländer ist von dauerhaft hoher rechtspolitischer und gesellschaftlicher Relevanz.
Häufig gestellte Fragen
Wann gilt ein Drittland als „sicher” im rechtlichen Kontext?
Ein Drittland gilt im rechtlichen Kontext als „sicher”, wenn es von der zuständigen nationalen Behörde oder gemäß europäischer Vorgaben als solches eingestuft ist. Diese Einstufung basiert üblicherweise auf klar definierten gesetzlichen Kriterien, insbesondere im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts, oder bei datenschutzrechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit internationalen Datenübermittlungen. Maßgeblich sind dabei unter anderem Faktoren wie die Gewährleistung grundlegender Menschenrechte, funktionierende Rechtsschutzmechanismen, Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sowie, im Datenschutzbereich, das Vorliegen eines Angemessenheitsbeschlusses der EU-Kommission nach Art. 45 DSGVO. Zuständig für diese Einstufung können nationale Parlamente, zuständige Ministerien oder auf EU-Ebene die Europäische Kommission sein. Rechtlich wird regelmäßig überprüft, ob die Kriterien weiterhin erfüllt werden, weshalb ein Land auch den Status „sicheres Drittland” wieder verlieren kann.
Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Einstufung als sicheres Drittland für den Asylbewerber?
Wird ein Land als „sicheres Drittland” eingestuft, hat dies erhebliche rechtliche Auswirkungen auf Asylverfahren. Gemäß § 26a des deutschen Asylgesetzes können Asylanträge von Personen, die über ein solches Drittland eingereist sind, in der Regel als unzulässig abgelehnt werden, da davon ausgegangen wird, dass dort Schutz vor Verfolgung möglich gewesen wäre. Der Antragsteller muss dann besondere Umstände darlegen, die eine Ausnahme rechtfertigen. In der EU regelt dies primär die Verfahrensrichtlinie 2013/32/EU in Verbindung mit der Dublin-III-Verordnung. Ferner entfällt regelmäßig der Anspruch auf inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens in Deutschland, soweit nicht nachgewiesen wird, dass im sicheren Drittland keine ausreichende Schutzgewährung möglich war.
Wer ist für die Festlegung eines sicheren Drittlandes zuständig?
Die Zuständigkeit richtet sich nach nationalem und europäischem Recht. In Deutschland legt der Gesetzgeber durch Aufnahme der Staaten in eine entsprechende Liste im Anhang des Asylgesetzes die sicheren Drittstaaten fest. Auf europäischer Ebene erfolgt die Festlegung durch den Rat oder die Kommission mittels gesetzlicher Instrumente wie Verordnungen oder Beschlüssen, etwa einem Angemessenheitsbeschluss im Sinne des Datenschutzrechts. Voraussetzung ist in jedem Fall ein vorheriges Prüfverfahren, in das oftmals Menschenrechtsberichte, Rechtsprechungsanalysen und Stellungnahmen internationaler Organisationen einfließen.
Welche Rolle spielen völkerrechtliche Verträge bei der Einordnung eines Drittlands als sicher?
Völkerrechtliche Verträge spielen eine maßgebliche Rolle. Im Asylrecht sind insbesondere die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention entscheidend für die Beurteilung, ob der betreffende Staat ausreichenden Schutz gewährleistet. Im Datenschutz ist die Berücksichtigung internationaler Datenschutzstandards wie die OECD-Leitsätze oder die Ratifikationspraxis von Konventionen der Vereinten Nationen oder des Europarats von Bedeutung. Staaten, die diese völkerrechtlichen Mindeststandards einhalten oder durch die Rechtsprechung ihrer Verfassungsgerichte fortentwickeln, werden eher als „sicher” eingestuft.
Welche rechtlichen Schutzmechanismen bestehen für Betroffene gegen eine falsche Einstufung?
Betroffene können gegen die Ablehnung von Asylanträgen unter Berufung auf das sichere Drittland grundsätzlich Rechtsschutz einlegen, etwa durch Klage vor den Verwaltungsgerichten nach §§ 74 ff. Asylgesetz in Verbindung mit der Verwaltungsgerichtsordnung. Hierbei besteht gemäß Art. 19 Abs. 4 GG das Recht auf effektiven Rechtsschutz, sodass die materielle Sachprüfung zwingend erfolgen muss, falls ernsthafte Zweifel an der Sicherheit des Drittstaats bestehen. Im Datenschutzrecht können sich Betroffene an die nationale Datenschutzaufsicht wenden oder gegebenenfalls den Europäischen Datenschutzbeauftragten anrufen. Zudem besteht das Recht auf Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder zumindest auf die individuelle Prüfung durch nationale Gerichte, ob im konkreten Einzelfall Schutz im Drittland tatsächlich besteht.
Wie wird die Liste sicherer Drittländer im rechtlichen Sinne überprüft und aktualisiert?
Die Überprüfung und Aktualisierung der Liste erfolgt regelmäßig durch die zuständigen Gesetzgeber oder Behörden. Rechtlich ist vorgesehen, dass bei veränderten politischen oder menschenrechtlichen Verhältnissen eines Drittlandes eine Neubewertung stattfinden muss. In Deutschland wird die Liste durch Gesetz geändert; dazu bedarf es eines legislativen Verfahrens unter Einbindung äußerer Gutachten, etwa durch das Auswärtige Amt oder Menschenrechtsorganisationen. Auf europäischer Ebene werden Angemessenheitsbeschlüsse oder Analogentscheidungen ebenfalls regelmäßig evaluiert und können durch neue Beschlüsse aufgehoben oder modifiziert werden.
Gibt es Ausnahmen von der Anwendung der Regelungen über sichere Drittländer im Individualfall?
Ja, rechtlich sind im Einzelfall Ausnahmen möglich. So kann bei substantiierter Darlegung durch den Antragsteller, dass eine Rückführung in das sogenannte „sichere Drittland” zu einer individuellen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit führen würde (zum Beispiel aufgrund besonderer persönlicher Umstände oder einer gruppenspezifischen Verfolgung), eine Ausnahme von der Unzulässigkeitsentscheidung gemacht werden. Dies ist in § 26a Asylgesetz sowie Art. 3 der EMRK („Refoulement-Verbot”) geregelt. In datenschutzrechtlichen Konstellationen kann der individuelle Rechtsschutz greifen, wenn der Betroffene glaubhaft machen kann, dass trotz offizieller Angemessenheitsentscheidung die effektive Durchsetzbarkeit seiner Rechte im Drittland nicht gewährleistet ist.