Begriff und Grundidee der Diversion
Unter Diversion versteht man die gelenkte Abweichung eines Strafverfahrens vom klassischen Weg der Anklage und Verurteilung hin zu alternativen Maßnahmen. Diese Alternativen zielen darauf ab, den Konflikt zu befrieden, Schäden wiedergutzumachen und künftige Straftaten zu vermeiden, ohne dass es zu einem Schuldspruch kommt. Die Ausgestaltung variiert je nach Rechtsordnung, umfasst jedoch regelmäßig Auflagen, Weisungen oder Programme, die innerhalb einer festgelegten Frist zu erfüllen sind.
Typische Erscheinungsformen sind Zahlungen an gemeinnützige Einrichtungen, Schadenswiedergutmachung, gemeinnützige Arbeit, Teilnahme an Trainings- oder Beratungsangeboten sowie ein Täter-Opfer-Ausgleich. Mit erfolgreichem Abschluss wird das Verfahren beendet; eine förmliche Verurteilung erfolgt nicht.
Ziele und Leitprinzipien
Entlastung der Strafrechtspflege
Diversion reduziert die Anzahl förmlicher Hauptverhandlungen und trägt zu einer effizienteren Ressourcenverwendung bei.
Wiedergutmachung und Verantwortungsübernahme
Im Mittelpunkt stehen die zügige Schadenswiedergutmachung und die aktive Auseinandersetzung mit dem Unrecht der Tat.
Prävention und Resozialisierung
Durch auf die Person zugeschnittene Maßnahmen sollen erneute Straftaten vermieden und soziale Integration gefördert werden.
Opferorientierung
Die Belange betroffener Personen werden einbezogen, insbesondere durch Ausgleichsverfahren, Entschuldigungen oder materielle Kompensation.
Voraussetzungen und Eignung
Persönliche und tatbezogene Faktoren
Diversion kommt vor allem bei geringeren bis mittleren Tatvorwürfen in Betracht. Positiv wirken sich unter anderem die fehlende oder geringe Vorbelastung, Einsichtsfähigkeit und die Bereitschaft zur Wiedergutmachung aus.
Ausschlussgründe
Schwerwiegende Delikte, erhebliche Gewalt- oder Sexualdelikte sowie Fälle mit hohem Unrechtsgehalt sind in der Regel nicht geeignet. Auch besondere öffentliche Interessen an einer gerichtlichen Klärung können gegen Diversion sprechen.
Freiwilligkeit und Zustimmung
Die betroffene Person muss den vorgeschlagenen Maßnahmen zustimmen. Bei Ausgleichsverfahren ist regelmäßig die Mitwirkung der betroffenen Geschädigten erforderlich.
Beweis- und Rechtslage
Vorausgesetzt wird zumeist, dass der Tatnachweis im regulären Verfahren voraussichtlich möglich wäre oder die betroffene Person Verantwortung übernimmt. Diversion ersetzt keine fehlende Sachverhaltsaufklärung.
Verfahrensablauf
Zeitpunkt der Entscheidung
Diversion kann je nach Rechtsordnung im Ermittlungsverfahren, seltener im Zwischen- oder sogar im Hauptverfahren angeordnet werden. Im Jugendbereich ist sie besonders verbreitet.
Rolle der Beteiligten
Maßgeblich entscheiden Staatsanwaltschaft oder Gericht. Unterstützend wirken soziale Dienste, Bewährungshilfen und spezialisierte Stellen für Ausgleichsverfahren. Die Belange des Opfers werden berücksichtigt.
Entscheidung und Dokumentation
Die Entscheidung wird förmlich festgehalten. Darin sind Inhalt, Umfang und Frist der Maßnahmen sowie die Kontrolle der Erfüllung geregelt.
Erfüllung und Nichterfüllung
Bei vollständiger und fristgerechter Erfüllung wird das Verfahren beendet. Bei Nichterfüllung kann das Verfahren fortgeführt oder wieder aufgenommen werden; eine Anklage oder Verhandlung ist dann möglich.
Mögliche Inhalte und Auflagen
Geldleistungen
Zahlungen an gemeinnützige Einrichtungen oder zur Schadenswiedergutmachung sind häufig. Höhe und Empfänger werden festgelegt.
Gemeinnützige Arbeit und Programme
Dazu zählen Sozialstunden, Trainings zu Gewaltprävention, Verkehrs- und Suchtpräventionskurse oder vergleichbare Lernprogramme.
Täter-Opfer-Ausgleich
In moderierten Gesprächen werden Verantwortungsübernahme, Entschuldigung und konkrete Wiedergutmachung vereinbart. Die Umsetzung wird dokumentiert.
Therapie- und Beratungsauflagen
Beratung oder Behandlung, etwa bei Sucht- oder Aggressionsproblemen, kann Bestandteil der Auflagen sein.
Weisungen und Kontrollen
Meldeauflagen, Kontaktverbote oder begleitende Betreuung können angeordnet werden, um die Zielerreichung abzusichern.
Rechtsfolgen und Eintragungen
Keine Verurteilung
Mit erfolgreicher Diversion erfolgt kein Schuldspruch. Es entsteht keine strafrechtliche Verurteilung.
Register und Akten
Öffentliche Register enthalten in der Regel keinen Eintrag über eine erfolgreich abgeschlossene Diversion. Interne Verfahrensvermerke können für begrenzte Zeit vorhanden sein und in späteren Verfahren berücksichtigt werden; sie sind typischerweise nicht öffentlich zugänglich.
Auswirkungen auf spätere Verfahren
Frühere Diversionsentscheidungen können bei künftigen Beurteilungen eine Rolle spielen, etwa bei der Frage der Eignung erneuter Diversion.
Diversion im Jugendbereich und bei Erwachsenen
Jugendbereich
Im Jugendbereich hat Diversion eine besondere Bedeutung. Der Fokus liegt auf erzieherischer Einwirkung, schneller Konfliktlösung und Vermeidung von Stigmatisierung.
Erwachsene
Bei Erwachsenen dient Diversion einer gerechten und effizienten Verfahrensbeendigung in geeigneten Fällen. Schwere Taten bleiben regelmäßig dem regulären Verfahren vorbehalten.
Vorteile und Grenzen
Vorteile
- Schnelle, ressourcenschonende Erledigung geeigneter Fälle
- Konkrete Wiedergutmachung und Stärkung der Opferinteressen
- Vermeidung von Stigmatisierung durch Schuldspruch
- Individuell passende Maßnahmen mit präventiver Wirkung
Grenzen und Kritik
- Gefahr uneinheitlicher Anwendung
- Spannungsfeld zwischen Freiwilligkeit und faktischem Druck
- Belastung für betroffene Personen im Ausgleichsverfahren
- Risiko einer Ausweitung von Eingriffen auf Fälle, die sonst eingestellt würden
Internationale und nationale Unterschiede
Die Grundidee der Diversion ist in vielen Rechtsordnungen anerkannt. Unterschiede bestehen vor allem in der Zuständigkeit (Staatsanwaltschaft oder Gericht), den konkreten Maßnahmen, der Rolle des Opfers, dem Umfang der Dokumentation sowie den Regeln über Datenspeicherung und Berücksichtigung in späteren Verfahren. Im deutschsprachigen Raum finden sich vergleichbare Instrumente in unterschiedlichen Bezeichnungen und mit jeweils eigenen Verfahrensregeln.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet Diversion in einfachen Worten?
Diversion ist die gelenkte Abweichung vom regulären Strafverfahren hin zu Auflagen oder Maßnahmen, die bei erfolgreicher Erfüllung eine Verurteilung entbehrlich machen.
Ist Diversion dasselbe wie eine Einstellung des Verfahrens?
Nicht vollständig. Bei Diversion ist die Verfahrensbeendigung an konkrete Maßnahmen gebunden. Eine reine Einstellung erfolgt ohne solche Auflagen, kann aber in geeigneten Fällen ebenfalls vorkommen.
Entsteht durch Diversion ein Eintrag im Strafregister?
Eine erfolgreich abgeschlossene Diversion führt regelmäßig nicht zu einer strafrechtlichen Verurteilung und damit zu keinem entsprechenden Registereintrag. Interne Vermerke über das Verfahren können jedoch für begrenzte Zeit vorhanden sein.
Muss die betroffene Person die Tat eingestehen?
In vielen Systemen wird zumindest eine Verantwortungsübernahme erwartet. Bei Ausgleichsverfahren ist ein klares Einräumen des Geschehens praktisch bedeutsam, damit Wiedergutmachung möglich wird.
Kann das Opfer der Diversion widersprechen?
Die Interessen des Opfers werden berücksichtigt. Bei Ausgleichsverfahren ist die Mitwirkung des Opfers regelmäßig erforderlich; bei anderen Maßnahmen besteht kein formales Vetorecht, die Sicht des Opfers fließt aber in die Entscheidung ein.
Was passiert, wenn Auflagen nicht erfüllt werden?
Werden Auflagen nicht oder nur teilweise erfüllt, kann das Verfahren fortgeführt oder wieder aufgenommen werden; eine Anklage oder Verhandlung ist dann möglich.
Wie lange bleiben Informationen über Diversion gespeichert?
Die Aufbewahrungsdauer interner Vermerke hängt von der jeweiligen Rechtsordnung und den datenschutzrechtlichen Vorgaben ab und ist zeitlich begrenzt.
Gilt Diversion auch bei schweren Straftaten?
Regelmäßig ist Diversion auf leichtere bis mittlere Delikte beschränkt. Bei schweren Straftaten kommt sie in der Regel nicht in Betracht.