Legal Lexikon

Diversion


Diversion im Recht – Definition, Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereiche

Die Diversion ist ein Begriff aus dem Strafverfahrensrecht und bezeichnet die Möglichkeit, ein Strafverfahren – insbesondere im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht – unter bestimmten Voraussetzungen ohne Urteil oder förmliches Strafverfahren vorzeitig und endgültig zu beenden. Ziel der Diversion ist es, Verfahrensbeteiligte zu entlasten, Ressourcen effizient einzusetzen, das Strafjustizsystem zu entbürokratisieren und insbesondere den speziellen Bedürfnissen bestimmter Tätergruppen – wie zum Beispiel Jugendlichen oder Heranwachsenden – gerecht zu werden.

Begriffliche Einordnung der Diversion

Unter Diversion (von lat. „divertere“: umleiten, abwenden) versteht man die Abweichung vom formellen Verfahrensweg, indem unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen und Auflagen von der weiteren Strafverfolgung abgesehen oder ein Verfahren eingestellt wird. Die Diversion beruht auf dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dient auch dem Opferschutz sowie der Prävention weiterer Straftaten.

Gesetzliche Regelungen der Diversion

Diversion im deutschen Strafrecht

In Deutschland ist die Diversion insbesondere in der Strafprozessordnung (StPO) sowie im Jugendgerichtsgesetz (JGG) geregelt:

  • Erwachsenenstrafrecht: §§ 153, 153a StPO ermöglichen es, unter bestimmten Voraussetzungen mit Zustimmung des Gerichts und der Staatsanwaltschaft von der Verfolgung einer Straftat abzusehen oder das Verfahren gegen Auflagen und Weisungen einzustellen.
  • Jugendstrafrecht: Diversion stellt einen zentralen Baustein im Jugendgerichtsgesetz (JGG) dar, konkret geregelt in §§ 45, 47 JGG. Hier wird noch stärker auf Erziehung und Prävention als auf Strafe abgestellt.

Voraussetzungen für die Anwendung der Diversion

Folgende Voraussetzungen müssen regelmäßig erfüllt sein:

  1. Geringe Schuld: Der Tatvorwurf und die daraus resultierende Schuld wiegen nicht schwer.
  2. Keine schwere Straftat: Es darf sich nicht um schwerwiegende oder besonders gravierende Straftaten handeln.
  3. Tätergeständnis oder geklärter Sachverhalt: Der Sachverhalt darf nicht bestritten sein, eine umfassende Beweisaufnahme ist nicht erforderlich.
  4. Opferinteresse: Die Belange des Opfers werden berücksichtigt, z. B. durch Wiedergutmachung.

Verfahren und Ablauf der Diversion

  1. Vorprüfung: Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht prüfen die Voraussetzungen.
  2. Angebot der Diversion: Dem/der Beschuldigten wird ggf. ein Angebot unterbreitet, das Verfahren gegen bestimmte Auflagen oder Weisungen einzustellen.
  3. Zustimmung: Häufig ist die Zustimmung der Beteiligten (Beschuldigter, Opfer, Staatsanwaltschaft, ggf. Gericht) erforderlich.
  4. Erfüllung der Auflagen: Erst mit der Erfüllung aller Bedingungen ist das Verfahren endgültig beendet.

Mögliche Auflagen und Weisungen

Die Diversion sieht folgende gängige Auflagen und Weisungen vor:

  • Wiedergutmachung des Schadens (materiell oder ideell)
  • Zahlung eines Geldbetrags an gemeinnützige Einrichtungen
  • Teilnahme an sozialen Trainingsmaßnahmen, Anti-Gewalt-Training
  • Arbeitsleistungen (soziale Arbeit)
  • Entschuldigung beim Opfer
  • Teilnahme an Verkehrsunterricht, Suchtberatung oder Therapie

Rechtsfolgen der Diversion und ihre Wirkungen

Einstellung des Verfahrens

Mit der erfolgreichen Erfüllung der Diversionsauflagen endet das Strafverfahren endgültig, es erfolgt keinerlei Eintragung im Bundeszentralregister, sofern keine Täteridentifikation für künftige Verfahren erforderlich ist. Der/Die Beschuldigte gilt weiterhin als nicht vorbestraft.

Scheitern der Diversion

Bei Nichterfüllung der Auflagen kann das Verfahren wieder aufgenommen und regulär weitergeführt werden. Im Jugendstrafrecht findet eine enge Überwachung der Auflagenerfüllung statt. Die Diversion stellt daher einen „Probecharakter“ dar: Erst nach vollständigem Nachweis gilt die Maßnahme als gelungen.

Diversion im internationalen Vergleich

Diversion im österreichischen Strafrecht

Im österreichischen Recht ist die Diversion fester Bestandteil des Strafverfahrensrechts (§§ 198 ff. StPO), sowohl für Jugendliche als auch Erwachsene. Sie kann schon im Ermittlungsverfahren oder später angeboten werden und umfasst ähnlich wie im deutschen Recht Auflagen wie Leistungen gemeinnütziger Art, Wiedergutmachung oder therapeutische Maßnahmen.

Diversion im internationalen Jugendstrafrecht

Viele Staaten, insbesondere im Common Law Bereich, kennen vergleichbare Modelle. Ziel ist überall die Entkriminalisierung geringfügiger Verfahren, die Entlastung der Justiz und die gesellschaftliche Reintegration der Beschuldigten.

Kritische Würdigung und rechtspolitische Bedeutung

Vorteile der Diversion

  • Vermeidung stigmatierender Nebenfolgen (z. B. Vorstrafe)
  • Entlastung der Strafjustiz
  • Förderung der Resozialisierung, insbesondere bei Jugendlichen
  • Flexibilität und individuelle Reaktionsmöglichkeiten des Rechtssystems

Kritik und Herausforderungen

  • Gefahr unterschiedlicher Anwendungspraxis (Ungleichbehandlung)
  • Gefahr, dass Diversion als „zweite Strafe“ statt als Chance wahrgenommen wird
  • Schutz der Opferinteressen muss stets gewährleistet sein

Zusammenfassung

Diversion steht als Sammelbegriff für Maßnahmen und Möglichkeiten im Strafrecht, die eine Abweichung von der förmlichen Strafverfolgung erlauben, wenn darauf unter Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit verzichtet werden kann. Sie ist integraler Bestandteil eines modernen, flexiblen Strafjustizsystems, das auf Prävention und Wiedergutmachung ausgerichtet ist. Ihre Anwendung setzt einen verantwortungsvollen und sorgfältig kontrollierten Einsatz voraus, der sowohl dem Schutz des Beschuldigten als auch den Interessen der Allgemeinheit sowie des Opfers Rechnung trägt.


Siehe auch:

  • Einstellung des Strafverfahrens
  • Auflagen im Strafverfahren
  • Jugendstrafrecht
  • Wiedergutmachung im Strafverfahren

Literatur und Quellen:

  1. Strafprozessordnung (StPO)
  2. Jugendgerichtsgesetz (JGG)
  3. Bundeszentralregistergesetz (BZRG)
  4. Gesetz über das Jugendgericht in Österreich
  5. Monografien und Kommentare zum Thema Diversion und restorative justice

Kategorie: Strafverfahrensrecht, Jugendstrafrecht, Kriminalpolitik

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Anordnung einer Diversion erfüllt sein?

Für die Anordnung einer Diversion, auch als außergerichtliche Erledigung eines Strafverfahrens bekannt, müssen verschiedene rechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst muss das Tatgeschehen rechtlich als geringfügig einzustufen sein, wobei das Ausmaß der Schuld, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung und das Verhalten des Beschuldigten von erheblicher Bedeutung sind. Es darf kein Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuchs vorliegen, sondern lediglich ein Vergehen. Zudem muss die Tat geständig sein oder zumindest der Sachverhalt soweit geklärt sein, dass eine Beurteilung ohne Hauptverfahren möglich ist. Ein weiteres Kriterium ist, dass keine spezial- oder generalpräventiven Gründe gegen eine Diversion sprechen. Das heißt, die Diversion darf nicht den Eindruck erwecken, dass strafrechtliches Fehlverhalten ohne Konsequenzen bleibt. Häufig ist die Zustimmung des Beschuldigten, im Jugendstrafrecht auch der Erziehungsberechtigten, notwendig. Darüber hinaus ist die Diversion ausgeschlossen, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung besteht, beispielsweise bei einschlägigen Vorbelastungen oder besonders schädlichen Folgen der Tat.

Wie läuft das Diversionsverfahren praktisch ab?

Das Diversionsverfahren beginnt in der Praxis üblicherweise, sobald nach einer polizeilichen Ermittlungsarbeit und nach Einlangen der Ergebnisse bei der Staatsanwaltschaft ersichtlich ist, dass die Voraussetzungen einer Diversion vorliegen könnten. Die Staatsanwaltschaft prüft zunächst den Sachverhalt sowie die Person des Beschuldigten. Sind die Voraussetzungen erfüllt, legt sie dem Beschuldigten einen Vorschlag zur Diversion vor, oft verbunden mit bestimmten Auflagen oder Weisungen (z.B. Schadenswiedergutmachung, Sozialstunden, Geldbuße, Teilnahme an einem Sozialtraining). Der Beschuldigte muss über seine Rechte und die Folgen umfassend belehrt werden. Nur bei freier und freiwilliger Zustimmung aller Beteiligten wird das Verfahren ausgesetzt. Der Beschuldigte hat dann eine bestimmte Frist zur Erfüllung der Auflagen, deren Einhaltung streng kontrolliert wird. Bei erfolgreichem Abschluss wird das Verfahren endgültig eingestellt, bei Nichterfüllung kann das reguläre Strafverfahren wieder aufgenommen werden.

Können Vorstrafen einer Diversion entgegenstehen?

Vorstrafen sind bei der Prüfung einer Diversion von erheblicher Bedeutung. Grundsätzlich ist die Diversion bei erstmaligen oder geringfügigen Vergehen vorgesehen, insbesondere bei unvorbelasteten Personen. Allerdings schließt das Vorliegen einer Vorstrafe eine Diversion nicht zwingend aus. Entscheidend ist, ob der aktuelle Sachverhalt ein neues schweres Fehlverhalten darstellt und ob Vorstrafen einschlägiger Natur sind, also mit dem aktuellen Tatgeschehen vergleichbar sind. Bei mehrfachen oder einschlägigen Vorstrafen besteht meist ein gesteigertes öffentliches Interesse an einer regulären Strafverfolgung, sodass die Diversion ausgeschlossen sein kann. Die Entscheidung liegt letztlich im Ermessen der zuständigen Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts, wobei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben muss.

Welche Rechtsfolgen hat eine Diversion für den Beschuldigten?

Nach erfolgreichem Abschluss einer Diversion gilt der Beschuldigte rechtlich weiterhin als „unschuldig“, da das Strafverfahren eingestellt wurde, ohne dass ein Schuldspruch erfolgt ist. Eine Diversion wird in der Regel nicht im Strafregister eingetragen, sodass dem Beschuldigten keine förmliche Vorstrafe entsteht. Im polizeilichen Erkennungsdienst hingegen kann ein Eintrag über das Diversionsverfahren für eine begrenzte Zeitumspeicherungsfrist vermerkt sein, was aber den Beschuldigten im Alltagsleben meist nicht beeinträchtigt. Die erfolgreiche Absolvierung aller Auflagen gilt zudem als Zeichen positiver Legalbewährung und wird bei eventuellen späteren Verfahren als mildernder Umstand gewertet. Lediglich bei neuen Straftaten in den nächsten Jahren kann die absolvierte Diversion im Rahmen der Einzelfallbeurteilung Bedeutung gewinnen.

Besteht ein Rechtsmittel gegen die Anordnung oder Ablehnung einer Diversion?

Die Entscheidung über die Anordnung einer Diversion liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Es gibt grundsätzlich kein förmliches Rechtsmittel gegen die Ablehnung einer Diversion. Nur in Ausnahmefällen kann eine fehlerhafte Ablehnung im Wege einer Beschwerde oder eines Einspruchs im Instanzenzug überprüft werden, etwa wenn die gesetzlichen Voraussetzungen offensichtlich erfüllt gewesen wären und die Entscheidung als Ermessensmissbrauch zu werten ist. Auch gegen die Anordnung einer Diversion steht den Beteiligten kein eigentliches Rechtsmittel zu, da deren Zustimmung ja Voraussetzung für die Durchführung ist. Es bleibt daher bei einer Einzelfallentscheidung im Rahmen der jeweiligen Ermittlungs- oder Hauptverfahrensleitung.

Können auch Jugendliche und Heranwachsende von einer Diversion profitieren?

Das Rechtsinstitut der Diversion ist im Jugendstrafrecht besonders bedeutsam. Insbesondere im Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende kommt der Diversion regelmäßig ein wichtiger Stellenwert zu, da diese Verfahrensart speziell auf Resozialisierung und Prävention abstellt. Voraussetzung ist, dass keine schwerwiegende Straftat vorliegt, der / die Jugendliche geständig ist oder die Sachlage hinreichend geklärt werden kann und eine positive pädagogische Prognose besteht. Speziell im Jugendstrafverfahren werden die Erziehungsberechtigten sowie das Jugendamt in das Verfahren einbezogen. Die Weisungen im Rahmen der Diversion sind hier oft auf erzieherische Maßnahmen, soziale Trainingskurse oder gemeinnützige Arbeit ausgerichtet. Durch die Diversion wird die Belastung durch ein reguläres Strafverfahren vermieden und die soziale Entwicklung der jungen Beschuldigten gefördert.