Begriff und Grundlagen des Disziplinarvergehens
Als Disziplinarvergehen wird im deutschen Recht ein schuldhafter Verstoß eines Amtsträgers, Beamten oder Soldaten gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten bezeichnet. Disziplinarvergehen stehen im Mittelpunkt des Disziplinarrechts und sind die zentrale Voraussetzung für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens. Die rechtliche Behandlung von Disziplinarvergehen ist vorrangig im Bundesdisziplinargesetz (BDG) sowie in den jeweiligen Landesdisziplinargesetzen geregelt.
Definition und Abgrenzung
Ein Disziplinarvergehen liegt vor, wenn ein Beamter oder ein Soldat vorsätzlich oder fahrlässig die ihm aus dem Dienstverhältnis erwachsenden Pflichten verletzt. Der Begriff des Disziplinarvergehens ist somit normativ definiert und unterscheidet sich von anderen Verstößen, wie Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten. Während letztere für alle Bürger gelten, ist das Disziplinarvergehen ausschließlich auf das besondere Dienstverhältnis, wie das eines Beamten oder Soldaten, bezogen.
Rechtsgrundlagen
Bundesdisziplinargesetz (BDG)
Das BDG normiert das Disziplinarrecht für Bundesbeamte. Nach § 47 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) und § 77 BDG begeht ein Beamter ein Disziplinarvergehen, wenn er schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt. Diese Vorschrift bildet die zentrale Anspruchsgrundlage für die Annahme eines Disziplinarvergehens im Bundesrecht.
Landesdisziplinargesetze
Für Landesbeamte gelten entsprechende landesrechtliche Disziplinargesetze, die inhaltlich dem BDG weitgehend entsprechen, jedoch landesspezifische Besonderheiten aufweisen können.
Soldatengesetz und Wehrdisziplinarordnung
Für Soldaten sind die Regelungen der Wehrdisziplinarordnung (WDO) sowie § 23 Soldatengesetz einschlägig. Auch hier gilt: Ein Verstoß gegen die Dienstpflichten kann ein Disziplinarvergehen darstellen.
Tatbestandsmerkmale des Disziplinarvergehens
Dienstpflichtverletzung
Die zentrale Voraussetzung für ein Disziplinarvergehen ist die Verletzung einer Dienstpflicht. Dienstpflichten ergeben sich aus Gesetzen, Verordnungen, Verwaltungsvorschriften und dem individuellen Dienstverhältnis. Zu den wichtigsten Dienstpflichten zählen beispielsweise die Pflicht zur Dienstleistung, Gehorsamspflicht, Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes sowie die Verschwiegenheitspflicht.
Schuld (Vorsatz oder Fahrlässigkeit)
Ein Disziplinarvergehen liegt nur vor, wenn die Dienstpflichtverletzung schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig, begangen wurde. Ein bloßer objektiver Pflichtenverstoß ohne Verschulden löst keine disziplinarrechtlichen Konsequenzen aus.
Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis
Das Disziplinarvergehen setzt voraus, dass die Pflichtverletzung im Rahmen des Dienstverhältnisses begangen wurde. Auch außerdienstliches Verhalten kann ein Disziplinarvergehen darstellen, wenn es sich negativ auf das Amt oder das Ansehen der Verwaltung auswirkt.
Arten von Disziplinarvergehen
Beispielsfälle von Disziplinarvergehen
Typische Disziplinarvergehen sind:
- Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst
- Pflichtwidriges Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern oder der Öffentlichkeit
- Annahme unerlaubter Belohnungen oder Geschenke
- Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht
- Missbrauch der Amtsautorität
- Strafbare Handlungen im Zusammenhang mit dem Dienst
Abgrenzung zu anderen Rechtsverstößen
Disziplinarvergehen müssen von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten abgegrenzt werden. Während Straf- und Ordnungswidrigkeiten eine Sanktionierung nach dem Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrecht nach sich ziehen, ist ein Disziplinarverfahren ein eigenständiges Verfahren mit eigenen Sanktionsmechanismen (Disziplinarmaßnahmen).
Das Disziplinarverfahren
Einleitung und Ablauf
Bei Verdacht auf ein Disziplinarvergehen wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das Verfahren ist grundsätzlich in mehrere Abschnitte unterteilt:
- Vorermittlungsverfahren: Prüfung, ob ein Anfangsverdacht für ein Disziplinarvergehen vorliegt
- förmliches Disziplinarverfahren: ggf. Anhörung des Beamten/Soldaten, Beweiserhebung, Abschlussbericht
- Entscheidung: Feststellung des Verstoßes und Verhängung einer Disziplinarmaßnahme
Rechtsschutz und Rechtsmittel
Gegen disziplinarrechtliche Maßnahmen stehen dem Betroffenen verschiedene Rechtsmittel wie Widerspruch und Klage zum Disziplinargericht offen. Im Rahmen des Disziplinarverfahrens sind die Grundrechte (wie rechtliches Gehör, faires Verfahren) umfassend zu beachten.
Disziplinarmaßnahmen
Für ein Disziplinarvergehen können folgende Sanktionen verhängt werden:
- Verweis
- Geldbuße
- Kürzung der Dienstbezüge
- Entfernung aus dem Beamtenverhältnis
- Ruhestandsbeamte: Kürzung des Ruhegehalts
Das Disziplinarmaß kann abhängig von Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzung sowie dem Grad des Verschuldens unterschiedlich ausfallen.
Rechtsfolgen und Bedeutung
Das Disziplinarvergehen begründet nicht nur die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Ahndung, sondern kann je nach Sachverhalt auch zivilrechtliche, strafrechtliche oder dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. In schweren Fällen, etwa bei strafbaren Handlungen im Dienst, ist auch die Entfernung aus dem Dienst möglich.
Löschung und Tilgung
Disziplinarmaßnahmen werden nach bestimmten Fristen im Disziplinarregister gelöscht. Die Fristen und Voraussetzungen hierfür sind gesetzlich geregelt.
Literatur und Weblinks
- Bundesdisziplinargesetz (BDG)
- Bundesbeamtengesetz (BBG)
- Soldatengesetz (SG)
- Wehrdisziplinarordnung (WDO)
- Entsprechende Landesdisziplinargesetze
Zusammenfassung
Das Disziplinarvergehen ist ein komplexer Begriff des deutschen Dienstrechts und unterliegt umfangreichen gesetzlichen Regelungen. Im Mittelpunkt steht der schuldhafte Pflichtverstoß eines Beamten oder Soldaten. Das disziplinarrechtliche Verfahren sichert ein gerechtes und faires Verfahren zur Klärung und Ahndung eines Vergehens und schützt zugleich die Rechte des Beschuldigten. Die rechtlichen Folgen eines Disziplinarvergehens können erheblich sein und reichen von minder schweren Maßnahmen bis zur Entfernung aus dem Dienstverhältnis.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Folgen können Disziplinarvergehen für Beschäftigte im öffentlichen Dienst haben?
Disziplinarvergehen im öffentlichen Dienst können vielfältige rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die sich aus den einschlägigen Disziplinargesetzen (zum Beispiel dem Bundesdisziplinargesetz – BDG – für Bundesbeamte oder entsprechenden Landesdisziplinargesetzen) ergeben. Zu den möglichen Maßnahmen zählen: Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung, Entfernung aus dem Dienst oder bei Ruhestandsbeamten die Aberkennung des Ruhestandsbeamtenstatus bzw. die Kürzung oder Aberkennung des Ruhegehalts. Die Auswahl der Maßnahme richtet sich nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und berücksichtigt die Schwere und die Umstände der Pflichtverletzung. Es besteht zudem eine Berichtspflicht gegenüber der zuständigen Dienststelle und – je nach Fallgestaltung – eine Einbindung der Personalvertretung. Betroffene haben ein Recht auf rechtliches Gehör sowie die Möglichkeit, gegen Disziplinarmaßnahmen Rechtsmittel einzulegen, in der Regel durch Einlegung eines Widerspruchs und anschließend durch Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Wie läuft das Disziplinarverfahren rechtlich ab?
Das Disziplinarverfahren beginnt in der Regel mit der Einleitung einer Vorermittlung, in deren Rahmen Sachverhalt und mögliche Pflichtverletzungen geprüft werden. Stellt die Dienststelle einen hinreichenden Tatverdacht für ein Disziplinarvergehen fest, wird das förmliche Disziplinarverfahren eröffnet und der/die Betroffene schriftlich darüber informiert. Der/die Beschäftigte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und kann sich rechtlich vertreten lassen. Die Untersuchung umfasst die Beweiserhebung zu den Vorwürfen und endet mit einer abschließenden Würdigung der Umstände durch die Disziplinarbehörde. Nach Abschluss dieses Verfahrens trifft die Behörde eine Entscheidung über die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme oder stellt das Verfahren ein. Während des gesamten Ablaufs gelten rechtsstaatliche Grundsätze, wie das Recht auf rechtliches Gehör, Akteneinsicht und Unschuldsvermutung bis zum Abschluss der Ermittlungen.
In welchem Verhältnis stehen Strafverfahren und Disziplinarverfahren?
Disziplinarverfahren und Strafverfahren sind grundsätzlich voneinander unabhängige Verfahren mit unterschiedlichen Zielsetzungen. Während das Strafverfahren auf die strafrechtliche Ahndung von Schuldverhalten nach dem Strafgesetzbuch oder ergänzenden Gesetzen abzielt, behandelt das Disziplinarverfahren die Verletzung von Dienstpflichten und deren dienstrechtliche Konsequenzen. Eine strafrechtliche Verurteilung kann jedoch Einfluss auf das Disziplinarverfahren haben, insbesondere weil strafrechtliche Urteile Bindungswirkung für das Disziplinarverfahren entfalten können (§ 22 BDG: Bindung an tatsächliche Feststellungen eines strafgerichtlichen Urteils). Umgekehrt kann auch ein Freispruch im Strafverfahren erheblich sein, schließt jedoch disziplinarische Maßnahmen nicht stets aus, solange eine Verletzung der Dienstpflichten unabhängig festgestellt werden kann. In der Praxis werden Disziplinarverfahren bei laufenden Strafverfahren oftmals ausgesetzt, bis das Strafverfahren abgeschlossen ist.
Können Disziplinarmaßnahmen auch rückwirkend ausgesprochen werden?
Disziplinarmaßnahmen können grundsätzlich nur für solche Pflichtverletzungen verhängt werden, die während des aktiven Dienstverhältnisses begangen wurden. Allerdings existieren Fristen, innerhalb derer Disziplinarmaßnahmen ausgesprochen werden müssen. Nach dem Bundesdisziplinargesetz beträgt die Verfolgungsverjährung fünf Jahre ab Kenntnis der Tat und maximal 15 Jahre ab Begehung. Nach Ablauf dieser Fristen ist ein Vorgehen nicht mehr möglich (Verjährung). Für bereits eingeleitete Disziplinarverfahren gilt, dass die Maßnahme auch nach Eintritt in den Ruhestand ausgesprochen werden kann; dann sind aber nur bestimmte Maßnahmen zulässig, wie die Aberkennung des Ruhegehalts. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und formelle Verfahrensvorschriften sind stets zu beachten.
Ist eine Verteidigung oder rechtliche Beratung durch einen Anwalt im Disziplinarverfahren zulässig und ratsam?
Beschäftigte haben jederzeit das Recht, sich in einem Disziplinarverfahren beraten und vertreten zu lassen – auch durch einen Rechtsanwalt oder andere Bevollmächtigte. In komplexen oder schwerwiegenden Fällen, insbesondere wenn existenzielle Maßnahmen wie Entfernung aus dem Dienst oder Kürzung des Ruhegehalts drohen, ist die Inanspruchnahme rechtlicher Beratung dringend zu empfehlen. Ein Anwalt kann Akteneinsicht beantragen, auf die Wahrung von Verfahrensrechten achten, auf das Recht auf rechtliches Gehör hinwirken und den Mandanten in allen Phasen des Verfahrens unterstützen – von der Entgegnung auf die Vorwürfe bis hin zur Einlegung von Rechtsmitteln gegen etwaige Maßnahmen.
Welche Rolle spielt der Personalrat oder die Gleichstellungsbeauftragte im Disziplinarverfahren?
Bei Disziplinarverfahren im öffentlichen Dienst hat der Personalrat gemäß den Personalvertretungsgesetzen ein Informations- und gegebenenfalls Beteiligungsrecht. Dies bedeutet, dass der Personalrat über die Einleitung und den Abschluss eines Disziplinarverfahrens zu informieren ist. Die Rechte können von einfachem Informationsaustausch bis zu beratender Beteiligung reichen, je nach Landesrecht und Stellung des/der Beschäftigten. Ebenso ist die Gleichstellungsbeauftragte bei Verfahren gegen weibliche Angehörige oder bei geschlechtsbezogenen Vorwürfen zu beteiligen. Allerdings hat der Personalrat kein materielles Mitbestimmungsrecht bei der Entscheidung über die Disziplinarmaßnahme selbst.
Welche Arten von Disziplinarmaßnahmen kann das Gericht im Streitfall aufheben?
Im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens kann das Verwaltungsgericht die Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit aller ausgesprochenen Disziplinarmaßnahmen überprüfen. Stellt das Gericht fest, dass die Maßnahme formell fehlerhaft, unverhältnismäßig oder materiell-rechtlich unbegründet ist, hebt das Gericht diese auf. Die Maßnahme kann vollständig aufgehoben oder, falls rechtlich geboten, auf eine mildere disziplinarrechtliche Reaktion abgeändert werden. Der richterlichen Kontrolle unterliegt sowohl das behördliche Ermessen bei der Auswahl der Maßnahme als auch die Einhaltung der Verfahrensvorschriften und der Schutz der Grundrechte des/der Betroffenen. Auch eine teilweise Aufhebung ist möglich, etwa wenn nur Teile der Vorwürfe zutreffen.
Gibt es Besonderheiten bei Disziplinarvergehen von Beamten im Ruhestand?
Für Beamte im Ruhestand gelten gesonderte Vorschriften: Das Disziplinarverfahren kann auch nach Eintritt in den Ruhestand durchgeführt werden, sofern das mutmaßliche Disziplinarvergehen während der aktiven Dienstzeit begangen wurde. Die Palette der disziplinarrechtlichen Maßnahmen ist jedoch eingeschränkt. Die zentrale Maßnahme ist die Aberkennung des Ruhegehalts oder dessen Kürzung, wobei auch hier die Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Disziplinarverfahren können nicht wegen nach Eintritt in den Ruhestand geschehenen Pflichtverletzungen eingeleitet werden. Auch für Ruhestandsbeamte gilt das Recht auf ein faires Verfahren, Akteneinsicht und anwaltliche Vertretung.