Legal Lexikon

Disziplinarverfahren

Begriff und Einordnung

Ein Disziplinarverfahren ist ein formelles Verfahren zur Prüfung und Ahndung von Pflichtverstößen von Personen, die besonderen Dienst- oder Berufspflichten unterliegen. Es dient der Aufrechterhaltung der dienstlichen Ordnung und der Integrität des jeweiligen Bereichs. Anders als ein Strafverfahren verfolgt es nicht die allgemeine Ahndung strafbaren Verhaltens, sondern die Sicherung der Funktionsfähigkeit und des Ansehens des Dienstes oder Berufsstandes.

Disziplinarmaßnahmen knüpfen an ein dienst- oder berufsbezogenes Fehlverhalten an. Sie sind vom Arbeitsrecht und vom Strafrecht abzugrenzen, können aber mit arbeitsrechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren zusammentreffen.

Wer unterliegt dem Disziplinarrecht?

Öffentlicher Dienst

Im öffentlichen Dienst betrifft das Disziplinarrecht insbesondere Beamtinnen und Beamte, Richterinnen und Richter sowie Angehörige der Streitkräfte. Die Regelungen unterscheiden sich je nach Statusgruppe und Verwaltungsebene, verfolgen jedoch den gemeinsamen Zweck, Verstöße gegen Dienstpflichten zu ermitteln und angemessen zu sanktionieren.

Berufe mit Selbstverwaltung

Auch in berufsständisch organisierten Bereichen (zum Beispiel Heilberufe, rechtsberatende und wirtschaftsprüfende Berufe, Planungs- und Technikberufe) bestehen eigene Disziplinarordnungen. Diese Verfahren schützen vor allem die Berufsethik, die Zuverlässigkeit und das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Berufsausübung.

Typische Pflichtverstöße

  • Missachtung dienstlicher Weisungen und Kernpflichten
  • Verletzung von Verschwiegenheits- oder Neutralitätspflichten
  • Unzulässige Vorteilsannahme oder Interessenkonflikte
  • Unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst oder gravierende Dienstversäumnisse
  • Unzulässige Nebentätigkeiten oder Verstöße gegen Nebenpflichten
  • Außerdienstliches Verhalten, das das Vertrauen in die pflichtgemäße Amts- oder Berufsausübung erheblich beeinträchtigt

Verfahrensgrundsätze

  • Rechtmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme
  • Anspruch auf rechtliches Gehör und faire Behandlung
  • Amtsaufklärung: Die zuständige Stelle ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen
  • Unbefangenheit und organisatorische Trennung von Ermittlung und Entscheidung, soweit vorgesehen
  • Akteneinsicht und Datenschutz entsprechend den einschlägigen Regelungen
  • Beschleunigungsgebot und Beachtung gesetzlicher Fristen

Ablauf des Disziplinarverfahrens

Einleitung

Auslöser sind häufig Hinweise, Meldungen oder Feststellungen innerhalb der Dienststelle oder der beruflichen Selbstverwaltung. Die zuständige Stelle prüft, ob ein Anfangsverdacht für ein Dienst- oder Berufspflichtvergehen vorliegt und leitet bei Bedarf das Verfahren ein. Die betroffene Person wird über die Einleitung informiert.

Vorermittlungen

In einer Prüfungs- oder Vorermittlungsphase werden relevante Tatsachen erhoben. Dazu zählen die Sicherung von Unterlagen, Befragungen und die Gelegenheit der betroffenen Person, sich zu äußern. Bereits hier können Verfahren eingestellt werden, wenn sich der Verdacht nicht erhärtet.

Förmliche Ermittlungen

Ergibt sich ein hinreichender Verdacht, wird förmlich ermittelt. Der Sachverhalt wird systematisch aufgeklärt, Beweise werden geordnet erhoben und dokumentiert. Die betroffene Person kann Erklärungen abgeben und Beweisanregungen vorbringen.

Entscheidung

Die Entscheidung kann je nach Schwere des Verstoßes durch die Disziplinarbehörde getroffen werden oder ist in gravierenden Fällen einem Gericht vorbehalten. Möglich sind eine Einstellung, eine formelle Maßnahme oder die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens.

Rechtsbehelfe

Gegen belastende Entscheidungen bestehen Rechtsbehelfsmöglichkeiten. Je nach Bereich kommen verwaltungsinterne Rechtsbehelfe oder der Rechtsweg zu Gerichten in Betracht. Die gerichtliche Kontrolle erstreckt sich auf Rechtmäßigkeit und Angemessenheit.

Disziplinarmaßnahmen

  • Missbilligung, Verweis oder Rüge
  • Geldbuße oder Gehaltskürzung
  • Versetzung oder Umsetzung aus dienstlichen Gründen
  • Zurückstufung
  • Entfernung aus dem Dienst
  • Aberkennung oder Kürzung von Versorgungsbezügen in besonderen Konstellationen

Die Auswahl richtet sich nach der Schwere des Verstoßes, dem Verschuldensgrad, dem bisherigen dienstlichen Verhalten und den Auswirkungen auf den Dienstbetrieb. Grundsatz ist die Verhältnismäßigkeit.

Zusammentreffen mit anderen Verfahren

Disziplinar- und Strafverfahren sind voneinander unabhängig. Strafrechtliche Ermittlungen oder Urteile können berücksichtigt werden, ersetzen aber nicht die disziplinarische Bewertung. In geeigneten Fällen kann ein Disziplinarverfahren bis zum Abschluss eines Strafverfahrens ausgesetzt werden. Arbeits- oder standesrechtliche Verfahren können parallel geführt werden, sofern es die jeweiligen Regelungen vorsehen.

Vorläufige Maßnahmen

Zum Schutz des Dienstbetriebs oder zur Sicherung des Verfahrens können vorläufige Maßnahmen angeordnet werden, etwa eine vorläufige Dienstenthebung, beschränkte Aufgabenübertragung oder vorläufige Einbehaltung von Bezügen. Solche Maßnahmen sind befristet, eigenständig überprüfbar und müssen verhältnismäßig sein.

Öffentlichkeit, Datenschutz und Personalakte

Verwaltungsinterne Disziplinarverfahren sind grundsätzlich nichtöffentlich. Gerichtliche Verhandlungen können öffentlich sein, mit Ausnahmen zum Schutz personenbezogener Daten. Entscheidungen und Maßnahmen werden in der Regel in der Personal- oder Kammerakte dokumentiert und nach festgelegten Fristen wieder entfernt. Es gelten die einschlägigen Datenschutzanforderungen.

Kosten und Dauer

Je nach Ausgestaltung können Verwaltungs- und Gerichtskosten entstehen. Die Kostentragung richtet sich nach dem Ausgang des Verfahrens. Die Dauer ist abhängig von der Komplexität des Sachverhalts, dem Umfang der Beweiserhebung und gegebenenfalls vom Ablauf gerichtlicher Instanzen.

Besonderheiten nach Status

Aktive Angehörige des öffentlichen Dienstes

Bei aktiven Beschäftigten stehen dienstbezogene Steuerung und Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit im Vordergrund. Schwere Pflichtverletzungen können zu statusrelevanten Maßnahmen führen.

Ruhestandsangehörige

Auch nach dem Eintritt in den Ruhestand können Pflichtverletzungen aus der aktiven Zeit disziplinarisch relevant sein. In besonderen Konstellationen kommen versorgungsbezogene Maßnahmen in Betracht.

Berufe der Selbstverwaltung

In berufsständischen Verfahren liegt der Schwerpunkt auf der Wahrung der Berufswürde und der ordnungsgemäßen Berufsausübung. Über Maßnahmen entscheiden zuständige Organe der Selbstverwaltung und gegebenenfalls Berufs- oder Verwaltungsgerichte.

Rechtsschutz und Überprüfung

Disziplinarische Entscheidungen unterliegen interner und gerichtlicher Kontrolle. Prüfkriterien sind insbesondere Zuständigkeit, Verfahrensfehlerfreiheit, Sachverhaltsaufklärung sowie Angemessenheit der Maßnahme. Es bestehen Regelungen zur Wiederaufnahme bei neuen Tatsachen. Einträge werden nach bestimmten Fristen aus Akten entfernt.

Abgrenzung zu anderen Maßnahmen

Disziplinarmaßnahmen unterscheiden sich von arbeitsrechtlichen Abmahnungen, ordnungswidrigkeitenrechtlichen Sanktionen und strafrechtlichen Verurteilungen hinsichtlich Zweck, Voraussetzungen und Folgen. Eine parallele Bewertung desselben Verhaltens unter verschiedenen Regelungssystemen ist möglich, jedoch jeweils eigenständig.

Häufig gestellte Fragen

Was ist der Zweck eines Disziplinarverfahrens?

Der Zweck besteht darin, Pflichtverstöße festzustellen, dienstliche oder berufsständische Ordnung zu sichern und das Vertrauen in die pflichtgemäße Amts- oder Berufsausübung zu erhalten. Es geht nicht primär um Bestrafung im strafrechtlichen Sinn, sondern um die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit und Integrität.

Wer darf ein Disziplinarverfahren einleiten?

Die Einleitung erfolgt durch die hierfür zuständige Stelle, etwa die Disziplinarbehörde, die Dienstvorgesetzten oder Organe der beruflichen Selbstverwaltung. Die Zuständigkeit richtet sich nach Statusgruppe und Organisation.

Welche Rechte hat die betroffene Person im Verfahren?

Zu den wesentlichen Rechten zählen das rechtliche Gehör, Akteneinsicht im gesetzlichen Rahmen, die Möglichkeit zur Stellungnahme, die Benennung von Beweismitteln und die Überprüfung belastender Entscheidungen durch Rechtsbehelfe und Gerichte.

Welche Disziplinarmaßnahmen sind möglich?

Möglich sind abgestufte Maßnahmen von der Missbilligung über Geldbußen und Gehaltskürzungen bis hin zu Versetzung, Zurückstufung, Entfernung aus dem Dienst oder versorgungsbezogenen Maßnahmen. Auswahl und Höhe richten sich nach Schwere und Umständen des Einzelfalls.

Ist ein Disziplinarverfahren von einem Strafverfahren abhängig?

Nein. Beide Verfahren sind voneinander unabhängig. Ergebnisse eines Strafverfahrens können berücksichtigt werden, ersetzen aber nicht die eigenständige disziplinarische Bewertung. Eine Aussetzung bis zum Abschluss des Strafverfahrens ist möglich.

Wie lange bleiben disziplinarische Einträge in der Personalakte?

Einträge werden nach gesetzlich vorgesehenen Fristen wieder entfernt. Die Länge der Fristen hängt von Art und Schwere der Maßnahme ab und unterscheidet sich je nach Regelungsbereich.

Ist ein Disziplinarverfahren öffentlich?

Verwaltungsinterne Schritte sind grundsätzlich nichtöffentlich. Gerichtliche Verhandlungen können öffentlich sein, wobei zum Schutz personenbezogener Daten Ausnahmen bestehen.

Welche Möglichkeiten der Überprüfung einer Entscheidung gibt es?

Gegen belastende Entscheidungen stehen je nach Bereich interne Rechtsbehelfe und der Gang zu Gerichten offen. Geprüft werden unter anderem Zuständigkeit, Verfahrensordnung, Sachverhaltsaufklärung und Verhältnismäßigkeit.