Definition und Grundsatz der Deckungsrückstellung
Die Deckungsrückstellung ist ein zentrales Element der versicherungstechnischen Rückstellungen in der Lebens- und privaten Krankenversicherung. Sie stellt die kalkulierte, notwendig gebildete Verbindlichkeit des Versicherungsunternehmens gegenüber den Versicherungsnehmern dar. Ziel der Deckungsrückstellung ist es, für die zum Bilanzstichtag bestehenden Versicherungsverträge die zu erwartenden zukünftigen Leistungsverpflichtungen – abzüglich noch einzuziehender Beiträge – bilanziell zu erfassen und abzusichern.
Rechtliche Grundlagen der Deckungsrückstellung
Nationale Vorgaben
Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und Einführungsgesetz zum Versicherungsvertragsgesetz (EGVVG)
Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) bildet die Grundlage für das Vertragsverhältnis zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmer. Gemäß § 341f Handelsgesetzbuch (HGB) sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, Deckungsrückstellungen nach Maßgabe der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen zu bilden.
Handelsgesetzbuch (HGB)
Das HGB schreibt in § 341e vor, dass Versicherungsunternehmen, die dem HGB unterliegen, für ihre versicherungstechnischen Verpflichtungen gegenüber den Versicherungsnehmern Deckungsrückstellungen in ausreichender Höhe in der Bilanz ausweisen müssen. Die Bildung, Bewertung und Auflösung dieser Rückstellung regelt unter anderem § 341f HGB in Verbindung mit entsprechenden Rechtsverordnungen.
Verordnung über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen (RechVersV)
Gemäß §§ 6 bis 10 der RechVersV sind die Einzelheiten zur Berechnung, Bewertung, Gliederung und Offenlegung der Deckungsrückstellung detailliert geregelt. Die Verordnung sieht unter anderem eine pauschale Mindestverzinsung, versicherungsmathematische Methodik und Ansatz von Stornowahrscheinlichkeiten vor. Die Bewertung erfolgt nach dem Grundsatz der vorsichtigen Kalkulation.
Europarechtliche Rahmenbedingungen
Solvabilitätsverordnung (Solvency II)
Die europäische Solvabilitätsvorschrift „Solvency II“ (Richtlinie 2009/138/EG) regelt die Mindestkapitalanforderungen und die Eigenmittelausstattung von Versicherungsunternehmen auf europäischer Ebene. Die Berechnung der Deckungsrückstellung erfolgt nach den Grundsätzen des Marktwertes und der besten Schätzung (Best Estimate) zuzüglich einer Risikomarge, um sämtliche künftige Zahlungsströme mit einrechnen zu können.
Aufsichtsrechtliche Bestimmungen
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)
Die BaFin überwacht die ordnungsgemäße Berechnung und Dotierung der Deckungsrückstellung nach den einschlägigen aufsichtsrechtlichen Vorgaben, namentlich die Einhaltung der notwendigen Sicherheiten zum Schutz der Versicherteninteressen. Invaliditätsrisiken, Langlebigkeitsrisiken sowie volatile Kapitalmarktsituationen müssen dabei angemessen berücksichtigt werden.
Technische Ausgestaltung und Berechnung der Deckungsrückstellung
Aktuarielle Methoden
Die Berechnung der Deckungsrückstellung erfolgt auf Basis aktuarieller Grundsätze der Versicherungsmathematik. Verwendet werden versicherungsmathematische Barwerte der künftigen Verpflichtungen abzüglich der Barwerte künftiger Prämieneinnahmen. Relevante Parameter sind Sterbetafeln, Rechnungszins, Verwaltungskostenansätze und Betrag sowie Wahrscheinlichkeit für Risikoereignisse wie Alter, Todesfall oder Invalidität.
Rechnungszins
Dem Rechnungszins kommt eine besondere Bedeutung zu. Es handelt sich um den Zinssatz, der bei der Prämienkalkulation zugrunde gelegt und auch zur Bewertung der Deckungsrückstellung genutzt wird. In Deutschland ist die Höhe des maximal zulässigen Rechnungszinses gesetzlich reguliert (§ 65 VAG), um etwaige Unterdeckungen im Sicherungsfall zu vermeiden.
Bewertungsreserven
Bewertungsreserven in der Deckungsrückstellung entstehen, wenn der tatsächliche Kapitalertrag die bei der Prämienkalkulation zugrunde gelegten Annahmen überschreitet. Nach § 153 Versicherungsvertragsgesetz sind Versicherungsunternehmen verpflichtet, einen Anteil dieser Bewertungsreserven an die Versicherungsnehmer weiterzugeben.
Arten und Besonderheiten der Deckungsrückstellung
Lebensversicherung
In der Lebensversicherung ist die Deckungsrückstellung besonders relevant, da sie die Basis für die garantierten Leistungen der Versicherungsunternehmen an die Versicherten bildet. Sie entspricht dem nach versicherungsmathematischen Grundsätzen bestimmten Wert der eingegangenen Verpflichtungen.
Krankenversicherung
In der privaten Krankenversicherung wird die Deckungsrückstellung zur Finanzierung der im Alter steigenden Versicherungsleistungen und zur Glättung der Prämien verwendet. Sie wird bereits ab Versicherungsbeginn gebildet und ist vertraglich unverfallbar. Rechtsgrundlagen sind hier insbesondere die §§ 146 ff. Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG).
Rückversicherungsunternehmen
Auch Rückversicherungen müssen für übernommene Risiken entsprechende Deckungsrückstellungen bilden, wobei die Bewertung nach vergleichbaren Grundsätzen erfolgt, jedoch oft mit Modifikationen, die spezifische Rückversicherungsaspekte betreffen.
Offenlegung, Prüfung und Kontrolle der Deckungsrückstellung
Jahresabschluss und Offenlegung
Versicherungsunternehmen sind im Rahmen des Jahresabschlusses verpflichtet, die Höhe und Berechnungsweise der Deckungsrückstellung auszuweisen und in den Anhängen transparent offen zu legen. Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und handelsrechtliche Publizitätspflichten sind einzuhalten.
Überwachung und Kontrolle
Neben der Überwachung durch die BaFin unterliegt die Deckungsrückstellung der prüferischen Kontrolle im Rahmen von Abschlussprüfungen. Prüfende Instanzen bewerten insbesondere die Angemessenheit der zugrunde gelegten Annahmen und die Einhaltung der gesetzlichen Bewertungsvorschriften.
Rechtsfolgen bei unzureichender Deckungsrückstellung
Ein Verstoß gegen die Pflicht zur ausreichenden Bildung von Deckungsrückstellungen hat weitreichende aufsichtsrechtliche und haftungsrechtliche Konsequenzen. Reicht die Deckungsrückstellung nicht zur Deckung der eingegangenen Verpflichtungen aus, kann die BaFin Maßnahmen wie Kapitalnachschusspflichten, die Bestellung eines Sonderbeauftragten oder im Extremfall das Entziehen der Geschäftserlaubnis anordnen. Darüber hinaus können zivilrechtliche Haftungsansprüche der Versicherungsnehmer entstehen.
Zusammenfassung
Die Deckungsrückstellung ist eine zentrale betriebswirtschaftliche und aufsichtsrechtliche Größe im deutschen und europäischen Versicherungsrecht. Ihre Bildung und Berechnung unterliegt strengen gesetzlichen, aufsichtsbehördlichen und handelsrechtlichen Vorgaben. Ziel ist der umfassende Schutz der Versicherungsnehmer durch permanente Sicherstellung der Erfüllbarkeit sämtlicher zukünftiger Vertragspflichten. Betragsgrundlage, Bewertungsparameter und Offenlegungsvorschriften sind klar gesetzlich geregelt und fortlaufend zu beachten. Die Deckungsrückstellung trägt somit maßgeblich zur Finanzstabilität und zum Vertrauen in das deutsche Versicherungssystem bei.
Häufig gestellte Fragen
In welchem rechtlichen Rahmen ist die Deckungsrückstellung in Deutschland geregelt?
Die Deckungsrückstellung unterliegt in Deutschland einer Vielzahl gesetzlicher Vorschriften, die sich primär aus dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), der Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung (RechVersV) sowie den einschlägigen Vorschriften des Handelsgesetzbuches (HGB) und der Solvency II-Richtlinie auf europäischer Ebene ergeben. Das VAG legt fest, dass Lebensversicherungsunternehmen verpflichtet sind, Deckungsrückstellungen zur Sicherstellung der künftigen Leistungsverpflichtungen gegenüber den Versicherungsnehmern zu bilden. Die Bildung und Bewertung der Deckungsrückstellung ist dabei unter Beachtung des § 341f HGB und der §§ 13 ff. RechVersV vorzunehmen. Ergänzend dazu konkretisiert die Verordnung über die Deckungsrückstellungen in der Lebensversicherung (DeckRV) Einzelheiten zur Berechnung und Gliederung. Seit Inkrafttreten von Solvency II zum 1. Januar 2016 sind zudem die aufsichtsrechtlichen Regelungen und Methoden zur Bewertung von Verpflichtungen nach marktnahen Prinzipien verbindlich, wobei auch die Anforderungen der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde (EIOPA) zu berücksichtigen sind. Die Rechtsnormen dienen primär dazu, die finanzielle Stabilität des Versicherungsunternehmens und den Schutz der Versicherten sicherzustellen.
Wer ist nach dem Gesetz zur Bildung der Deckungsrückstellung verpflichtet?
Nach deutschem Recht ist grundsätzlich jedes Lebensversicherungsunternehmen verpflichtet, für seine Versicherungsverträge Deckungsrückstellungen zu bilden. Diese Verpflichtung ergibt sich aus § 124 Absatz 1 VAG und erstreckt sich auf alle Versicherungsunternehmen, die im Inland Verträge der Lebensversicherung und der substitutiven Krankenversicherung abschließen. Auch Pensionsfonds und bestimmte Unfallversicherer, sofern Leistungen im Leistungsfall laufend erbracht werden, sind hierzu verpflichtet. Die Vorschriften gelten unabhängig von der jeweiligen Rechtsform des Unternehmens, also sowohl für Aktiengesellschaften, Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG), als auch für öffentlich-rechtliche Versicherungsträger. Ausländische Unternehmen, die im Rahmen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs oder über eine Niederlassung in Deutschland tätig werden, haben die entsprechenden nationalen Regelungen ebenfalls zu beachten, sofern die Verträge deutschem Recht unterliegen.
Welche rechtlichen Anforderungen bestehen hinsichtlich der Methoden zur Berechnung der Deckungsrückstellung?
Die Methoden zur Berechnung der Deckungsrückstellung sind im deutschen Recht durch das VAG, das HGB, die RechVersV sowie die DeckRV genau vorgegeben. Nach § 341f HGB und § 13 RechVersV muss die Berechnung prospektiv erfolgen, das heißt, die zukünftigen Leistungen und Prämien sind mit den jeweils maßgeblichen versicherungsmathematischen Rechnungsgrundlagen zu bewerten. Dabei gelten Höchstzinssätze, die von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) festgelegt werden, aktuell gemäß DeckRV. Die Berechnung muss nach anerkannten versicherungsmathematischen Methoden erfolgen und sämtliche vertraglichen und gesetzlich vorgesehenen Verpflichtungen berücksichtigen. Bei der Wahl der Rechnungsgrundlagen sind insbesondere die Grundsätze der Vorsicht, Stetigkeit und Angemessenheit zu beachten. Darüber hinaus sind die Vorgaben der Solvency II-Durchführungsverordnung hinsichtlich der marktnahen Bewertung und der Verwendung von „Best Estimate“-Annahmen sowie Solvency Capital Requirement (SCR) zu berücksichtigen.
Welche Aufsichtspflichten hat die BaFin im Hinblick auf die Deckungsrückstellung?
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ist die zuständige Aufsichtsbehörde für Versicherungsunternehmen in Deutschland und hat umfassende Kontroll- und Überwachungspflichten bezüglich der Bildung, Bewertung und Angemessenheit der Deckungsrückstellung. Im Rahmen der Solvenzaufsicht prüft die BaFin, ob die Versicherungsunternehmen die gesetzlichen Vorgaben zur Bildung der Deckungsrückstellung ordnungsgemäß umsetzen. Dazu verlangt sie regelmäßig umfangreiche Berichte und Prüfungsunterlagen, insbesondere im Rahmen der Jahresabschlüsse sowie des Solvency II-Berichtswesens. Die BaFin kann bei Anhaltspunkten für eine unzureichende Deckungsrückstellung Nachberechnungen oder Rückstellungen verlangen und im Extremfall aufsichtsrechtliche Maßnahmen wie Kapitalanforderungen, Geschäftsunterlassungsverfügungen oder den Entzug der Geschäftserlaubnis ergreifen.
Welche Offenlegung- und Berichtspflichten ergeben sich für Versicherungsunternehmen bezüglich der Deckungsrückstellung?
Versicherungsunternehmen sind verpflichtet, die Deckungsrückstellung im Rahmen ihrer externen Rechnungslegung sowie gegenüber der Aufsicht umfassend zu dokumentieren und offenzulegen. Nach § 341i HGB und § 55 ff. RechVersV sind Art, Höhe und Berechnungsgrundlagen der Deckungsrückstellung im Anhang des Jahresabschlusses darzustellen. Die Unternehmen müssen zudem versicherungsmathematische Gutachten vorlegen, die die ordnungsgemäße Bildung und Bewertung der Deckungsrückstellung bestätigen. Die Solvency II-Pillar 3 Berichtspflichten verlangen darüber hinaus detaillierte quantitative und qualitative Berichte (QRTs und SFCR), die regelmäßig der BaFin und der Öffentlichkeit offengelegt werden müssen. Verstöße gegen diese Berichtspflichten können aufsichtsrechtliche Sanktionen nach sich ziehen und als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.
Wie wirken sich rechtliche Änderungen, zum Beispiel Anpassungen des Höchstrechnungszinses, auf bestehende Deckungsrückstellungen aus?
Rechtliche Änderungen, insbesondere Anpassungen des Höchstrechnungszinses durch die BaFin, haben unmittelbar Auswirkungen auf die Bildung neuer Deckungsrückstellungen für neu abgeschlossene Verträge. Für Bestandsverträge gilt grundsätzlich das bei Vertragsabschluss vereinbarte Rechnungszinsniveau weiter, sodass bestehende Deckungsrückstellungen hiervon nicht erfasst werden, es sei denn, der Gesetzgeber trifft ausnahmsweise explizite Regelungen zur Nachreservierung. Bei neuen Verträgen ist der jeweils gültige Höchstrechnungszins anzuwenden, wodurch sich der Rückstellungsbedarf in der Höhe anpasst. Darüber hinaus können Änderungen der Bewertungsvorschriften, beispielsweise durch europäische Harmonisierung im Rahmen von Solvency II, dazu führen, dass die Methode der Rückstellungsberechnung für den Gesamtbestand angepasst werden muss, was zu einer Neubewertung der Verpflichtungen führen kann. Solche Änderungen sind dann vollständig und nachvollziehbar zu dokumentieren und gegenüber den Aufsichtsbehörden darzulegen.
Inwiefern können rechtliche Vorgaben zur Deckungsrückstellung die Interessen der Versicherungsnehmer schützen?
Die rechtlichen Vorgaben zur Deckungsrückstellung dienen dem primären Ziel des Versicherungsnehmerschutzes. Sie stellen sicher, dass die Versicherungsunternehmen zu jedem Zeitpunkt über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um die im Rahmen der übernommenen Verträge zugesagten Leistungen zuverlässig und vollständig zu erbringen. Die gesetzlichen Bestimmungen verlangen eine vorsichtige Bewertung künftiger Verpflichtungen, reglementieren die verwendeten Rechnungsgrundlagen und schreiben eine laufende Kontrolle durch unabhängige Aktuare und die Aufsichtsbehörde vor. Darüber hinaus wird durch die umfangreichen Transparenz- und Offenlegungspflichten eine Nachprüfbarkeit für Aufsicht, Abschlussprüfer und in Teilen auch für Versicherungsnehmer und Öffentlichkeit gewährleistet. Diese rechtlichen Rahmenbedingungen tragen somit maßgeblich zur Stabilität des Versicherungswesens und zur Vermeidung von Insolvenzen bei, die den Schutz der Versicherten gefährden könnten.