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Dauerdelikt


Begriff und Grundstruktur des Dauerdelikts

Das Dauerdelikt stellt im Recht der Straftaten einen besonderen Deliktstyp dar, der sich durch eine anhaltende, rechtswidrige Verletzung eines geschützten Rechtsguts kennzeichnet. Im Gegensatz zu sogenannten Zustandsdelikten, bei denen die Rechtsgutsverletzung mit der Tathandlung abgeschlossen ist, besteht beim Dauerdelikt die strafbare Handlung über eine gewisse Zeit hinweg fort und dauert über die Vornahme der eigentlichen Tathandlung hinaus an.

Zu finden ist dieser Deliktstyp insbesondere im deutschen Strafrecht, aber auch in vergleichbaren Rechtsordnungen. Die genaue rechtliche Einordnung, die Abgrenzung zu anderen Deliktstypen sowie die Auswirkungen auf Verfolgungsverjährung, Versuch und Beendigung nehmen mit Blick auf strafprozessuale und materielle Rechtsfolgen eine wichtige Rolle ein.


Dogmatische Einordnung und Abgrenzungen

Unterscheidung zum Zustandsdelikt

Ein Zustandsdelikt liegt vor, wenn durch eine strafbare Handlung ein rechtswidriger Zustand herbeigeführt wird, der in der Rechtsordnung sein Unrecht darin findet, dass der verbotene Zustand entstanden ist – unabhängig von dessen Dauer. Das Dauerdelikt erfordert dagegen, dass der Täter den verbotenen Zustand willentlich über eine gewissen Zeitraum aufrechterhält und damit das geschützte Rechtsgut fortdauernd beeinträchtigt.

Abgrenzung zum Erfolgs- und Unterlassungsdelikt

Während das Erfolgsdelikt durch den Eintritt eines bestimmten Erfolges (beispielsweise Körperverletzung durch das Zufügen einer Verletzung) charakterisiert wird, knüpft das Dauerdelikt an einen prozesshaften Zustand an. Im Gegensatz zum Unterlassungsdelikt (bei welchem ein gebotenes Tun unterbleibt), wird beim Dauerdelikt aktiv ein fortdauernder Zustand verursacht oder aufrechterhalten.


Erscheinungsformen und typische Beispiele

Echte und unechte Dauerdelikte

Im Strafrecht wird zwischen echten und unechten Dauerdelikten unterschieden:

  • Echtes Dauerdelikt: Die Tathandlung besteht darin, einen rechtswidrigen Zustand zu schaffen und diesen willentlich über einen gewissen Zeitraum hinweg aufrechtzuerhalten, beispielsweise bei der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB).
  • Unechtes Dauerdelikt: Hierbei handelt es sich um Delikte, bei denen der Täter nach Abschluss der eigentlichen Tat einen tatbestandlichen Zustand weiter währen lässt, ohne hierzu durch den Straftatbestand ausdrücklich verpflichtet zu sein. Beispielsweise das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB).

Typische Beispiele im Gesetz

Bekannte Beispiele für Dauerdelikte im Strafgesetzbuch (StGB) sind:

  • Freiheitsberaubung (§ 239 StGB): Die Handlung ist nicht bereits mit der Einwirkung auf die Freiheit abgeschlossen, sondern dauert über die Dauer der Freiheitsentziehung fort.
  • Hausfriedensbruch (§ 123 StGB): Verweilt der Täter trotz Aufforderung des Berechtigten in der Wohnung, liegt ein Dauerdelikt vor, das im Verweilen fortdauert.
  • Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB): Bei fortgesetztem Widerstand kann es sich um fortdauernde Tatbegehung handeln.

Rechtsfolgen und Besonderheiten des Dauerdelikts

Täter- und Teilnahmehandlungen

Wesentlich für die Abgrenzung und rechtliche Bewertung ist, dass jede weitere Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustands als Teil derselben Tat gilt. Dies hat Auswirkungen auf Fragen der Täterschaft und Teilnahme – insbesondere bei nachträglichem Hinzutreten zusätzlicher Beteiligter während der andauernden Begehung.

Strafrechtliche Bewertung des Versuches

Der Versuch eines Dauerdelikts unterscheidet sich insoweit, als die Schwelle zur Strafbarkeit erst mit Beginn des „Dauerzustandes“ überschritten wird. Das Beendigen des Dauerdelikts durch den Täter kann strafmildernd berücksichtigt werden (sog. tätige Reue), sofern das Gesetz eine Milderung explizit vorsieht.

Verfolgungsverjährung

Ein bedeutsamer Aspekt liegt in der Verfolgungsverjährung. Die Verjährungsfrist beginnt für Dauerdelikte erst mit der Beendigung der Tat – also mit dem endgültigen Abbruch des rechtswidrigen Zustandes. Solange das Dauerdelikt andauert, läuft die Verjährungsfrist nicht an. Dadurch kann eine Strafverfolgung auch noch nach Jahren möglich sein, sofern der Zustand weiterwirkt.

Strafzumessung und Beendigung

Bei der Strafzumessung kann die Dauer der rechtswidrigen Zustandsaufrechterhaltung straferschwerend gewertet werden. Ebenso spielt der Umfang der Tat (beispielsweise Dauer der Freiheitsentziehung) eine zentrale Rolle für die strafrechtliche Einordnung und das Strafmaß.

Die Beendigung des Dauerdelikts ist für verschiedene strafrechtliche Institute relevant, etwa für den Beginn der Verjährung, den Abschluss der Tat und die Möglichkeit eines Rücktritts. Ein Dauerdelikt ist beendet, sobald der rechtswidrige Zustand nicht mehr besteht oder der Täter die Kontrolle darüber vollständig aufgibt.


Bedeutung im Zusammenhang mit Konkurrenz und Tatmehrheit

In Bezug auf Tateinheit und Tatmehrheit nimmt das Dauerdelikt eine bedeutende Stellung ein. Werden beispielsweise mehrere gleichartige Handlungen innerhalb der Dauer des Delikts vorgenommen (etwa während andauernder Freiheitsberaubung weitere Körperverletzungen), können sich Fragen hinsichtlich der Abgrenzung von Handlungseinheit und -mehrheit ergeben.

Darüber hinaus kann das fortdauernde Unrecht eines Dauerdelikts zu einer besonderen Konkurrenzsituation führen, beispielsweise im Zusammenhang mit anderen begleitenden Delikten, die während des Fortbestehens begangen werden.


Praktische Bedeutung in der Strafverfolgung und Prozessrecht

In der strafprozessualen Praxis gewinnt das Dauerdelikt vor allem hinsichtlich der Ermittlungen und der strafrechtlichen Verfolgung an Bedeutung. Da die Verjährung erst mit der Beendigung einsetzt, kann eine Ahndung auch noch längere Zeit nach Beginn der Tat erfolgen. Auch für die Tatort- und Zuständigkeitsbestimmung sowie für die internationale Strafverfolgung (bei länderübergreifender Tatbegehung) spielen Dauerdelikte eine Rolle.


Zusammenfassung und Bedeutung im Strafrecht

Das Dauerdelikt ist ein wichtiger Deliktstyp im deutschen und internationalen Strafrecht, der durch die fortdauernde Verletzung eines Rechtsguts und die willentliche Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes gekennzeichnet ist. Die genaue Abgrenzung zu anderen Deliktsformen, die Auswirkungen auf Verjährung, Versuch, Beendigung und strafrechtliche Sanktionierung sowie die besondere Bedeutung für Täterschaft und Teilnahme machen das Thema für die Praxis und die Rechtswissenschaft gleichermaßen bedeutsam.

Somit trägt das Verständnis und die korrekte Anwendung des Dauerdelikts maßgeblich zu einer rechtssicheren und effektiven Strafverfolgung bei.

Häufig gestellte Fragen

Ab wann beginnt die Strafbarkeit bei einem Dauerdelikt und wie lange dauert sie an?

Die Strafbarkeit bei einem Dauerdelikt setzt mit dem Beginn der tatbestandlichen Handlung ein, also ab dem Zeitpunkt, an dem der Täter den vom Gesetz umschriebenen rechtswidrigen Zustand herstellt oder aufrechterhält. Im Unterschied zum sogenannten Zustandsdelikt, bei dem der rechtserhebliche Zustand durch eine einmalige Handlung ausgelöst wird, besteht das Unrecht beim Dauerdelikt gerade darin, dass der gesetzeswidrige Zustand fortwährend unterhalten wird. Die Deliktsbegehung dauert an, solange der Täter die Tathandlung aufrechterhält. Die Strafbarkeit endet erst mit der Beseitigung dieses Zustandes, entweder durch den Täter selbst, durch ein Außeneingreifen oder wenn der tatbestandliche Zustand sonst wie entfällt. Für die strafrechtliche Bewertung ist somit insbesondere der gesamte Zeitraum relevant, über den die tatbestandsmäßige Dauerhandlung aufrechterhalten bleibt.

Welche Bedeutung hat der Beendigungszeitpunkt eines Dauerdelikts aus strafprozessualer Sicht?

Der Zeitpunkt der Beendigung eines Dauerdelikts ist im Strafprozessrecht von erheblicher Bedeutung, insbesondere hinsichtlich Verjährungsfragen nach § 78a StGB. Die Verjährungsfrist beginnt regelmäßig erst mit der Beendigung der Tat zu laufen, d.h. mit dem Wegfall des tatbestandlichen rechtswidrigen Zustandes. Solange der Täter den Zustand aufrechterhält, läuft die Verjährung nicht an. Dies wirkt sich sowohl auf die Möglichkeit der Strafverfolgung als auch auf die Frage aus, welches materielle Strafrecht (z.B. bei Gesetzesänderungen während des Deliktszeitraums) Anwendung findet. Eine abweichende Bewertung erfolgt bei Dauerschuldverhältnissen außerhalb des Strafrechts, insofern ist stets eine genaue Differenzierung vorzunehmen.

Wie ist die Versuchsstrafbarkeit bei Dauerdelikten zu beurteilen?

Der Versuch eines Dauerdelikts ist rechtlich grundsätzlich möglich, wenn der Täter bereits zur Ausführung der Handlung ansetzt, die den rechtswidrigen Zustand herstellen oder aufrechterhalten soll, das Ziel jedoch noch nicht erreicht. Allerdings ist bei Dauerdelikten zu differenzieren, ob tatsächlich ein tatbestandsmäßiger Zustand noch nicht eingetreten ist oder bereits. Solange sich der Täter noch im Vorbereitungsstadium befindet und den Erfolg (den dauerhaften rechtswidrigen Zustand) noch nicht realisiert hat, kann eine Versuchsstrafbarkeit angenommen werden. Gelangt der Täter jedoch in den Zustand der Aufrechterhaltung, befindet er sich bereits im vollendeten Dauerdelikt, so dass ab diesem Moment rein tatbestandlich kein Versuch mehr in Betracht kommt.

Können mehrere Personen Mittäter oder Gehilfen eines Dauerdelikts sein und wie wirkt sich dies auf ihre Strafbarkeit aus?

Mehrere Personen können grundsätzlich Mittäter eines Dauerdelikts sein, wenn sie in arbeitsteiligem Zusammenwirken den rechtswidrigen Zustand gemeinsam herstellen oder aufrechterhalten (§ 25 II StGB). Auch eine sukzessive Mittäterschaft ist möglich, d.h. wenn sich ein weiterer Täter während der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes aktiv in das tatbestandsmäßige Geschehen einschaltet. Ebenso kommt eine Beteiligung als Gehilfe nach § 27 StGB in Betracht, etwa wenn eine Person dem Haupttäter bei der Aufrechterhaltung des Zustandes unterstützt. Die Strafbarkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Beteiligung, wobei jeder Beteiligte für die gesamte Dauer des Delikts aus seiner jeweiligen Rolle heraus haftet, sofern die Beteiligung tatsächlich auf den Fortbestand des rechtswidrigen Zustandes gerichtet ist.

Wie sind Dauerdelikte von fortgesetzten Delikten und von Zustandsdelikten abzugrenzen?

Ein Dauerdelikt ist dadurch charakterisiert, dass das durch die Tathandlung geschaffene Unrecht in Form eines fortwährenden rechtswidrigen Zustandes aufrechterhalten wird und der Täter diese Kontinuität willentlich beherrscht. Im Gegensatz dazu liegt beim fortgesetzten Delikt eine Mehrheit gleichartiger, selbstständiger Tatbestandsverwirklichungen vor, die durch einen einheitlichen Handlungsentschluss miteinander verbunden sind, dabei jedoch jeweils eigenständigen Unrechtsgehalt aufweisen. Das Zustandsdelikt hingegen ist durch eine punktuelle Herbeiführung eines rechtswidrigen Ergebnisses gekennzeichnet; der auf die Herbeiführung folgende Zustand ist für die Strafbarkeit unerheblich. Die Kenntnis dieser Abgrenzungen ist relevant für Fragen der Verjährung, Konkurrenzen und Beteiligung mehrerer Täter.

Welche Bedeutung haben Dauerdelikte im Zusammenhang mit rechtfertigenden oder entschuldigenden Umständen (z. B. Notwehr oder Rücktritt)?

Da bei Dauerdelikten der rechtswidrige Zustand über einen längeren Zeitraum fortbesteht, können rechtfertigende oder entschuldigende Umstände zu verschiedenen Zeitpunkten eingreifen. Insbesondere ist ein Rücktritt vom Dauerdelikt möglich, solange der Täter noch Einfluss auf die Aufrechterhaltung des Zustandes hat; der Rücktritt kann etwa durch die Beendigung des Dauerdelikts (Beseitigung des Zustandes) erfolgen, womit die Strafbarkeit für das weiter fortdauernde Unrecht entfällt (§ 24 StGB analog). Auch kann Notwehrrecht während des gesamten Zeitraums des rechtswidrigen Zustands ausgeübt werden. Besonderheiten ergeben sich zudem, wenn während der Dauer des Delikts ein Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund eintritt oder wieder entfällt, was für die Beurteilung einzelner Tatabschnitte relevant sein kann.

Welche typischen Beispiele für Dauerdelikte gibt es im deutschen Strafrecht?

Im deutschen Strafrecht werden insbesondere das Hausfriedensbruch (§ 123 StGB), die Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) und das Führen eines Fahrzeugs ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) als klassische Dauerdelikte betrachtet. Ein Dauerdelikt liegt jeweils dann vor, wenn der Täter nicht nur einmalig den tatbestandlichen Erfolg herbeiführt, sondern den durch seine Handlung eingetretenen rechtswidrigen Zustand über einen gewissen Zeitraum aufrechterhält. Auch die Unterlassung der Herausgabe eines Kindes nach § 235 Abs. 2 StGB oder das Überziehen von Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz gelten als Dauerdelikte. Für jedes dieser Delikte gelten die oben beschriebenen besonderen strafrechtlichen Grundsätze hinsichtlich Beendigung, Verjährung und Beteiligung.