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Corona-Krise und Reiserecht


Corona-Krise und Reiserecht

Die Corona-Krise hat das Reiserecht grundlegend beeinflusst und stellt Reisende und Reiseveranstalter vor zahlreiche rechtliche Fragestellungen und Herausforderungen. Insbesondere durch die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf nationale und internationale Reisetätigkeit ergaben sich erhebliche Rechtsfragen zu Pauschalreisen, Individualreisen, Stornierungen, Rücktrittsrechten, Erstattungen, sowie zu neuen gesetzlichen Regelungen und Verordnungen. Der folgende Artikel bietet eine umfassende Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen, Auswirkungen und Entwicklungen im Zusammenhang von Corona-Krise und Reiserecht im deutschsprachigen Raum.


Rechtliche Grundlagen des Reiserechts

Pauschalreiserecht (§§ 651a ff. BGB)

Das Pauschalreiserecht ist in den §§ 651a ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt. Eine Pauschalreise liegt vor, wenn mindestens zwei verschiedene Arten von Reiseleistungen (etwa Flug und Hotel) zu einem Gesamtpreis angeboten werden. Die gesetzlichen Regelungen schützen Reisende insbesondere im Hinblick auf Stornierung, Rücktritt, Mängelhaftung und Insolvenzsicherung.

Vertragliche Vereinbarungen bei Individualreisen

Im Gegensatz zur Pauschalreise liegen Individualreisen vor, wenn einzelne Reiseleistungen gesondert gebucht werden. Hier gelten die jeweiligen Einzelverträge mit den Dienstleistern wie Fluggesellschaften, Hotels oder Mietwagenunternehmen. Die jeweiligen Allgemeinen Geschäftsbedingungen und vertraglichen Vereinbarungen sind maßgeblich.


Auswirkungen der Corona-Krise auf Reiseverträge

Voraussetzungen höherer Gewalt (§ 651h Abs. 3 BGB)

Eintritt und Ausbreitung der Corona-Krise wurden sowohl von deutschen Gerichten als auch in der Rechtsprechung der Europäischen Union vielfach als Fall „außergewöhnlicher, unvermeidbarer Umstände“ (höhere Gewalt) qualifiziert. Nach § 651h Absatz 3 BGB können sowohl Reisende als auch Veranstalter den Pauschalreisevertrag vor Reisebeginn kostenfrei kündigen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Reise erheblich beeinträchtigen.

Rücktrittsrecht und Rückerstattungspflicht

Reisende, die ihren Pauschalreisevertrag aufgrund von pandemiebedingten Umständen kündigen, haben Anspruch auf vollständige Rückerstattung des Reisepreises. Reiseveranstalter dürfen keine Entschädigung verlangen.

Ausnahme: Gutscheinregelungen

Im Frühjahr 2020 erlaubte die Bundesregierung abweichend die Ausstellung freiwilliger Gutscheine zur Abwendung von Liquiditätsengpässen bei Reiseanbietern. Die Annahme war für Reisende jedoch nicht verpflichtend. Nach Ablauf einer Frist konnten nicht eingelöste Gutscheine ausgezahlt werden.


Flugreisen und Fluggastrechte

Annullierung und Umbuchung

Bei Flugannullierungen infolge der Pandemie stehen Passagieren gemäß EU-Fluggastrechteverordnung (EG) Nr. 261/2004 wahlweise Ansprüche auf Erstattung des Ticketpreises oder eine zeitnahe Ersatzbeförderung zu. Bußgelder bei Verspätungen und Ausgleichszahlungen entfallen jedoch, wenn die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände (wie COVID-19) zurückzuführen ist.

Erstattungspflicht von Fluggesellschaften

Fluggesellschaften sind verpflichtet, den vollen Ticketpreis innerhalb von sieben Tagen zu erstatten, wenn der Flug storniert wurde. Verzögerte Auszahlungen oder verpflichtende Gutscheinangebote sind nicht zulässig.


Stornierung und Umbuchung von Individualreisen

Die Rechtslage für Individualreisende ist komplexer:

  • Hotelbuchungen: Stornierungen richten sich nach den jeweiligen vertraglichen Stornobedingungen und dem Recht des jeweiligen Landes bzw. Bundeslandes.
  • Mietwagen: Hier gelten die abgeschlossenen Verträge; bei amtlichen Reisewarnungen kann in manchen Fällen auch kostenfreie Stornierung möglich sein.


Auswirkungen nationaler und internationaler Pandemie-Verordnungen

Pandemiebedingte Ein- und Ausreisebeschränkungen, Quarantäneregelungen sowie staatliche Maßnahmen zählen zu den „unvermeidbaren außergewöhnlichen Umständen“ und führen häufig zu einer Beeinträchtigung oder Unmöglichkeit der Durchführung von Reisen.

Reisewarnung des Auswärtigen Amtes

Eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes für ein Land oder eine Region ist häufig ein Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände. Dennoch ist stets der Einzelfall entscheidend.

Quarantäne und Testpflichten

Quarantänepflichten am Zielort, bei Rückreise oder bei Transit können ein Grund für kostenfreie Stornierungen sein, insbesondere wenn wesentliche Reisebestandteile erheblich beeinträchtigt werden.


Durchsetzung und Verjährung von Ansprüchen

Die Durchsetzung von Ansprüchen im Zusammenhang mit pandemiebedingten Stornierungen unterliegt den regulären Fristen der Verjährung. Häufig beträgt diese zwei Jahre für reiserechtliche Rückerstattungsforderungen, beginnend ab dem vertraglich vorgesehenen Reiseende.


Europarechtliche Rahmendbedingungen

Richtlinie (EU) 2015/2302 über Pauschalreisen

Die EU-Pauschalreiserichtlinie wurde in Deutschland durch die §§ 651a ff. BGB implementiert. Sie umfasst Regelungen zu Rücktritt, Erstattung und Insolvenzsicherung und findet Anwendung bei grenzüberschreitenden Reisen innerhalb der EU.


Zukunft und Rechtsfortbildung

Die Corona-Krise hat zu zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen geführt. Diverse Gerichtsentscheidungen haben das Verständnis außergewöhnlicher Umstände, Rückerstattungspflichten und Reiserecht gestärkt. Künftige Rechtsentwicklungen und gesetzliche Anpassungen werden weiterhin das Reiserecht prägen, um auf pandemiebedingte Herausforderungen zu reagieren.


Siehe auch

  • [Pauschalreiserecht in Deutschland]
  • [Fluggastrechteverordnung]
  • [Vertragliches Rücktrittsrecht]
  • [Pandemieverordnungen]
  • [EU-Pauschalreise-Richtlinie]

Hinweis: Diese Darstellung bietet eine allgemeine rechtliche Übersicht zum Thema Corona-Krise und Reiserecht. Im Einzelfall empfiehlt sich eine Prüfung der konkreten Vertrags- und Sachlage.

Häufig gestellte Fragen

Kann ich meine Pauschalreise kostenlos stornieren, wenn wegen der Corona-Pandemie eine Reisewarnung für das Zielgebiet besteht?

Besteht für das gebuchte Reiseziel zum Zeitpunkt der geplanten Reise eine offizielle Reisewarnung des Auswärtigen Amtes wegen der Corona-Pandemie, gilt dies in aller Regel als „außergewöhnlicher Umstand“ bzw. „höhere Gewalt“. Gemäß § 651h BGB kann der Reisende in diesem Fall kostenlos vom Reisevertrag zurücktreten, da ihm die Durchführung der Reise nicht zumutbar ist. Die Pauschalreiseanbieter sind gesetzlich verpflichtet, bereits geleistete Zahlungen innerhalb von 14 Tagen an den Kunden zurückzuerstatten – es darf kein Gutschein aufgezwungen werden. Allerdings ist die aktuelle Lage am Tag der Reise entscheidend; liegt keine Reisewarnung oder eine erhebliche Beeinträchtigung vor, kann die kostenfreie Stornierung ausgeschlossen sein. Gerichte prüfen im Einzelfall, inwiefern konkrete Beeinträchtigungen durch COVID-19-Maßnahmen (Quarantänepflichten, Beherbergungsverbote etc.) im Zielgebiet vorliegen. Reisen in Gebiete mit nur geringen Einschränkungen können unter Umständen nicht storniert werden.

Habe ich Anspruch auf eine vollständige Rückzahlung, wenn die Fluggesellschaft den Flug wegen Corona annulliert?

Wird ein gebuchter Flug infolge der Corona-Pandemie durch die Fluggesellschaft storniert – beispielsweise wegen Einreisebeschränkungen oder behördlicher Auflagen -, haben Passagiere gemäß Art. 8 der EU-Fluggastrechteverordnung einen Anspruch auf vollständige Erstattung des Ticketpreises binnen sieben Tagen. Dies gilt unabhängig davon, ob ein außergewöhnlicher Umstand besteht, da hier der Flug durch die Airline ausfällt. Alternativ kann der Passagier einvernehmlich eine Umbuchung akzeptieren, ist dazu aber nicht verpflichtet. Wird nur der Hinflug storniert, greift der Erstattungsanspruch auch für einen zusammen gebuchten Rückflug. Wichtig ist, dass die Rückzahlung nicht durch einen Gutschein ersetzt werden darf, es sei denn, der Fluggast stimmt dem freiwillig zu.

Was gilt für Individual- und Geschäftsreisen bei coronabedingten Beherbergungsverboten?

Bei Individualreisen, also eigenständig gebuchten Unterkunftsleistungen, richtet sich die Rechtslage nach dem allgemeinen Mietrecht (§ 537 BGB). Wird die Unterkunft infolge behördlicher Anordnung (Beherbergungsverbot, Lockdown) unverschuldet nicht nutzbar, entfällt in der Regel die Pflicht zur Zahlung des Unterkunftspreises; bereits bezahlte Beträge sind zurückzuerstatten. Für Geschäftsreisende gelten diese Regelungen grundsätzlich ebenfalls, wobei hier der Zweck der Reise für die Zumutbarkeit einer alternativen Umsetzung geprüft werden kann. Eine isolierte Stornogebühr darf der Beherbergungsbetrieb nicht verlangen, wenn die Erbringung der Leistung rechtlich oder tatsächlich unmöglich geworden ist.

Erhalte ich eine Entschädigung, wenn während der Reise plötzlich Quarantänepflicht angeordnet wird?

Wird während des Aufenthaltes im Ausland durch neue behördliche Maßnahmen eine Quarantäne am Urlaubsort oder nach der Rückkehr ins Heimatland vorgeschrieben, ist eine Entschädigung normalerweise ausgeschlossen. Ein Anspruch auf zusätzliche Leistungen gegenüber dem Reiseveranstalter besteht nicht, außer die Quarantäne war nachweislich bereits vor Abreise als unumstößliche Einschränkung bekannt und wurde vom Veranstalter verschwiegen. Wird die Reise infolge von Quarantänemaßnahmen abgebrochen oder verlängert sich der Aufenthalt unfreiwillig, besteht in engen Ausnahmefällen ein Anspruch auf Ersatz der zusätzlichen Unterbringungs- oder Rückreisekosten, insbesondere wenn der Veranstalter für die sichere Rückbeförderung verantwortlich ist.

Greifen Reiseversicherungen bei coronabedingten Stornierungen oder Erkrankung während der Reise?

Die Leistungspflicht von Reiserücktritts- und Reiseabbruchversicherungen hängt maßgeblich von den jeweiligen Versicherungsbedingungen ab. Viele Standard-Tarife schließen Pandemien ausdrücklich vom Versicherungsschutz aus, sodass eine Stornierung wegen einer Reisewarnung oder allgemeinen Pandemie-Lage nicht vom Versicherungsschutz gedeckt ist. Anders kann es bei tatsächlich nachweisbarer eigener Covid-19-Erkrankung sein; einzelne Tarife bieten inzwischen expliziten Schutz bei Corona-bedingtem Krankenheitsfall oder angeordneter persönlicher Quarantäne. Reisende sollten daher die Vertragsklauseln genau prüfen und ggf. eine Police mit erweitertem Pandemieschutz abschließen.

Was passiert, wenn der Reiseveranstalter aufgrund der Pandemie Insolvenz anmeldet?

Meldet der Reiseveranstalter infolge der Corona-Pandemie Insolvenz an, greift der gesetzlich vorgeschriebene Reisesicherungsschein (§ 651r BGB, § 651r Abs. 1 S. 1 BGB). Dieser schützt Pauschalreisende vor finanziellen Verlusten, indem ein Sicherungsgeber für die Erstattung bereits gezahlter Reisepreise eintritt oder die Rückreise organisiert. Bei individuell gebuchten Einzelleistungen besteht dieser Insolvenzschutz grundsätzlich nicht. In diesem Fall müssen Forderungen im Rahmen des Insolvenzverfahrens angemeldet werden, deren Realisierung jedoch ungewiss ist.

Können Veranstalter die Reise nachträglich wegen Pandemieauflagen ändern oder verkürzen?

Der Reiseveranstalter ist grundsätzlich verpflichtet, die vertraglich vereinbarten Leistungen zu erbringen. Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände – wie neue Pandemieauflagen vor Ort – können aber Leistungsänderungen rechtfertigen, etwa eine Verlegung des Hotels oder Beschränkungen des Freizeitangebots. Die Änderungen müssen dem Reisenden unverzüglich mitgeteilt werden, und sie dürfen den Gesamtcharakter der Reise nicht wesentlich beeinträchtigen. Bei erheblichen Änderungen steht dem Kunden das Recht zum kostenfreien Rücktritt zu. Werden wesentliche Leistungen nicht mehr erbracht, muss er zudem den Reisepreis nicht voll bezahlen oder erhält einen Teilbetrag zurück.