Legal Wiki

Wiki»Legal Lexikon»Rechtsbegriffe (allgemein)»Corona-Krise und Insolvenzrecht

Corona-Krise und Insolvenzrecht

Begriff und Einordnung

Corona-Krise und Insolvenzrecht bezeichnet die Gesamtheit der vorübergehenden, pandemiebedingten Anpassungen des deutschen Insolvenz- und Restrukturierungsrahmens sowie deren Auswirkungen auf Unternehmen, Selbstständige und Verbraucher. Ziel dieser Sonderregelungen war es, pandemiebedingte Liquiditätsengpässe abzufedern, Sanierungen zu erleichtern und ungesteuerte Insolvenzwellen zu vermeiden. Der Begriff umfasst sowohl materiell-rechtliche Änderungen (z. B. zu Insolvenzantrags- und Haftungspflichten) als auch verfahrensrechtliche Erleichterungen sowie die Behandlung staatlicher Hilfen innerhalb und außerhalb von Insolvenzverfahren.

Ausgangslage vor der Pandemie

Kernbegriffe des Insolvenzrechts

Das Insolvenzrecht ordnet die geordnete Schuldenbereinigung bei Unternehmen und Privatpersonen. Zentrale Insolvenztatbestände sind Zahlungsunfähigkeit (fällige Verbindlichkeiten können nicht mehr bedient werden), drohende Zahlungsunfähigkeit (absehbare Liquiditätslücke) und Überschuldung bei haftungsbeschränkten Rechtsträgern (negatives Eigenkapital bei fehlender Fortführungsperspektive). Regelmäßig besteht eine Pflicht der Unternehmensleitung, bei Eintritt bestimmter Insolvenztatbestände einen Insolvenzantrag zu stellen. Ziel des Verfahrens ist die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, wahlweise durch Sanierung (z. B. Plan) oder geordnete Abwicklung.

Pandemiebedingte Sonderregelungen

Ziel und Mechanik

Die Sonderregelungen zielten darauf ab, wirtschaftlich grundsätzlich tragfähige Einheiten vor pandemiebedingten, vorübergehenden Schocks zu schützen. Kerninstrumente waren die zeitweise Aussetzung der Antragspflichten, Erleichterungen bei Zahlungen im Krisenzeitraum, Einschränkungen von Gläubigeranträgen und punktuelle Anpassungen im Anfechtungs- und Vertragsrecht.

Aussetzung der Insolvenzantragspflicht

Voraussetzungen und Abgrenzung

Die Pflicht, bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen, war zeitlich befristet ausgesetzt, wenn die wirtschaftliche Krise überwiegend auf die Pandemie zurückzuführen war und Aussicht auf Beseitigung der Insolvenzreife bestand. Nicht erfasst waren Fälle, in denen die Krise andere Ursachen hatte oder keine Sanierungsperspektive vorlag. Das Erfordernis einer sachgerechten Ursachenzuordnung und einer realistischen Fortführungsprognose blieb bestehen.

Zeitliche Geltung und stufenweise Rückkehr

Die Aussetzung galt nicht durchgängig und nicht in unveränderter Form. Sie wurde phasenweise eingeführt, angepasst und wieder aufgehoben. Zeitweise erfasste sie zunächst vor allem die Zahlungsunfähigkeit, teilweise später auch die Überschuldung oder spezifisch betroffene Zeiträume, in denen Unterstützungsprogramme anliefen. Danach kehrte die reguläre Antragssystematik stufenweise zurück.

Einschränkung der Gläubigerrechte

Erschwerte Gläubigeranträge

In bestimmten Zeitfenstern waren Gläubigeranträge erschwert. Wer die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Schuldners beantragte, musste erhöhte Anforderungen erfüllen, insbesondere zur Darlegung, dass keine pandemiebedingte Ausnahmesituation vorlag oder dass die Insolvenzreife nicht überwiegend auf die Pandemie zurückgeführt werden konnte.

Vollstreckungs- und Kündigungsschutz in Teilbereichen

Flankierend gab es vorübergehend Schutzmechanismen in ausgewählten Dauerschuldverhältnissen und bei einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen. Ziel war, kurzfristige Liquidität nicht zusätzlich zu belasten und Sanierungsbemühungen nicht zu behindern. Diese Schutzmechanismen waren eng begrenzt und zeitlich befristet.

Anfechtungsrechtliche Erleichterungen

Im Krisenzeitraum wurden bestimmte Rechtsfolgen üblicher Krisenzahlungen entschärft. Unterstützungsbedingte Stundungen und vergleichbare Maßnahmen galten nicht ohne Weiteres als gläubigerbenachteiligend. Zahlungen, die im Rahmen einer ernsthaften Fortführungsbemühung geleistet wurden, erhielten einen gewissen Schutz, sofern sie auf pandemiebedingten Ausnahmelagen beruhten.

Staatliche Hilfen und ihre insolvenzrechtliche Behandlung

Zuschüsse

Direkte Zuschüsse (z. B. Überbrückungshilfen) dienten der Stabilisierung von Fixkosten und Liquidität. Im Insolvenzverfahren ist zu unterscheiden, ob die Mittel vor oder nach Verfahrenseröffnung zugeflossen sind. Nach Eröffnung zugeflossene Zuschüsse sind regelmäßig der Masse zuzuordnen, sofern sie nicht zweckgebunden anders zu behandeln sind. Zuschüsse unterlagen Auflagen und nachträglichen Prüfungen; bei Nichterfüllung konnten Rückforderungen entstehen, die als Forderungen gegen den Schuldner zu behandeln waren.

Kredite und Bürgschaften

Darlehen, teils mit öffentlicher Absicherung, verbesserten vorübergehend die Liquidität. Sie begründen jedoch weiterhin Verbindlichkeiten. Für die insolvenzrechtliche Bewertung sind Fälligkeit, Besicherung und Rang relevant. Die Aufnahme solcher Mittel konnte die Fortführungsprognose stützen, änderte aber nicht die grundlegenden Kriterien für das Vorliegen einer Insolvenzreife.

Steuerliche und beitragsrechtliche Erleichterungen

Stundungen und Ratenzahlungen senkten temporär die Liquiditätslast. Sie beseitigen jedoch den Entstehungsgrund von Verbindlichkeiten nicht. Für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit ist zu berücksichtigen, dass aufgeschobene Forderungen später wieder fällig werden, was die Planung der Zahlungsströme beeinflusst.

Arbeitsrechtlich flankierende Maßnahmen

Instrumente zur Stabilisierung der Beschäftigung entlasteten die Liquidität. Insolvenzspezifisch relevant ist, dass Lohn- und Gehaltszahlungen teilweise durch Sonderinstrumente gesichert wurden. Dies wirkte sich auf Massekosten, Verteilungsquoten und Fortführungsmöglichkeiten in laufenden Verfahren aus.

Pflichten der Geschäftsleitung in der Pandemie

Überwachung der wirtschaftlichen Lage

Auch während der Sonderregelungen blieb die Pflicht zur laufenden Überwachung der Liquidität und Vermögenslage bestehen. Entscheidungen zu Zahlungen in der Krise mussten anhand einer realistischen Fortführungsplanung erfolgen.

Dokumentation der Kausalität

Für die Inanspruchnahme pandemiebedingter Erleichterungen war die Darlegung und Dokumentation der Ursache der Krise zentral. Erforderlich war eine nachvollziehbare Verbindung zwischen pandemiebedingten Einschränkungen und der wirtschaftlichen Schieflage.

Zahlungen nach Eintritt von Insolvenzreife

Der Grundsatz, dass Zahlungen nach Eintritt bestimmter Insolvenztatbestände haftungsrechtlich riskant sein können, wurde nicht aufgehoben. Pandemiebedingte Erleichterungen minderten Risiken in eng umgrenzten Fällen, ersetzten jedoch nicht die Sorgfaltspflichten der Leitung.

Kommunikation mit internen Stakeholdern

Transparenz gegenüber Überwachungsorganen und Kapitalgebern blieb von Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf Fortführungsaussichten, Liquiditätsplanung und die Nutzung von Hilfsprogrammen.

Verfahren und Sanierungsinstrumente

Regelinsolvenz und Verbraucherinsolvenz

Unternehmens- und Verbraucherinsolvenz folgten weiterhin den bekannten Verfahrensarten. Die Pandemie führte nicht zur Schaffung gänzlich neuer Insolvenzverfahren, sondern zu temporären Anpassungen und Beschleunigungen in Teilbereichen.

Eigenverwaltung und Schutzschirmähnliche Instrumente

Die Eigenverwaltung blieb als Sanierungsweg bedeutsam, bei dem die Unternehmensleitung unter Aufsicht fortführt. Schutzschirmähnliche Konstellationen sollten die Reorganisation bereits vor Verfahrenseröffnung oder in frühen Phasen fördern. Die Sonderregeln erleichterten den Zugang teilweise, ohne die grundlegenden Eignungskriterien aufzuheben.

Präventiver Restrukturierungsrahmen

Parallel zur Pandemie wurden präventive Restrukturierungsinstrumente eingeführt, die Sanierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens ermöglichen. Sie zielen auf frühzeitige Gläubigermehrheitsentscheidungen über Restrukturierungspläne ab und ergänzen die klassische Insolvenzsanierung.

Nachwirkungen und aktuelle Bedeutung

Auslaufen der Sonderregelungen

Die pandemiebedingten Erleichterungen liefen stufenweise aus. Seither gelten wieder die regulären Antragspflichten und materiellen Anforderungen. Nachwirkungen betreffen vor allem die Aufarbeitung von Hilfszahlungen, die Bewertung von Fortführungsannahmen in den Krisenjahren und die Behandlung aufgeschobener Forderungen.

Aufarbeitung von Hilfs- und Krisenzahlungen

Im Rahmen nachträglicher Prüfungen können Rückforderungsansprüche entstehen, wenn Fördervoraussetzungen nicht erfüllt wurden. Insolvenzanfechtungsrechtliche Fragestellungen betreffen insbesondere, ob Krisenzahlungen gläubigerbenachteiligend waren oder unter Schutzmechanismen fielen.

Dauerhafte Lehren

Die Pandemie hat die Bedeutung frühzeitiger Liquiditätsplanung, belastbarer Fortführungsprognosen und transparenter Dokumentation hervorgehoben. Sie hat außerdem die Rolle präventiver Restrukturierungsmechanismen gestärkt.

Besonderheiten bei grenzüberschreitenden Fällen

In Fällen mit Auslandsbezug bleibt maßgeblich, wo sich der Schwerpunkt der hauptsächlichen Interessen befindet. Die Anerkennung ausländischer Verfahren, die Koordination paralleler Verfahren und unterschiedliche nationale Sonderregeln während der Pandemie konnten zusätzliche Abgrenzungsfragen aufwerfen.

Typische Streitfragen

Häufig strittig sind die Abgrenzung, ob eine Insolvenzreife überwiegend pandemiebedingt war, die Qualität der Fortführungsprognose, die Zulässigkeit von Zahlungen im Krisenzeitraum, die Einordnung von Zuschüssen und Darlehen im Verfahren sowie die Frage, ob Gläubigeranträge während bestimmter Zeitfenster zulässig und hinreichend begründet waren.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Was bedeutet die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Krise?

Die Aussetzung ermöglichte es betroffenen Unternehmen, trotz vorübergehender pandemiebedingter Insolvenzreife nicht sofort einen Insolvenzantrag stellen zu müssen. Voraussetzung war, dass die Krise überwiegend auf die Pandemie zurückzuführen war und eine realistische Aussicht auf Beseitigung der Insolvenzreife bestand.

Welche Voraussetzungen mussten für die Inanspruchnahme der Aussetzung vorliegen?

Erforderlich waren eine pandemiebedingte Ursache der wirtschaftlichen Schieflage und eine belastbare Fortführungsperspektive. Konnte die Krise nicht überwiegend der Pandemie zugerechnet werden oder fehlte eine realistische Sanierungsaussicht, griff die Aussetzung nicht.

Wie wurden staatliche Zuschüsse insolvenzrechtlich behandelt?

Zuschüsse sollten liquiditätsstützend wirken und konnten zweckgebunden sein. Flossen sie nach Verfahrenseröffnung zu, waren sie regelmäßig der Insolvenzmasse zuzuordnen. Bei Nichterfüllung der Förderbedingungen konnten Rückforderungen entstehen, die als Forderungen gegen den Schuldner zu berücksichtigen waren.

Konnte ein Gläubiger während der Sonderregelungen einen Insolvenzantrag stellen?

Grundsätzlich ja, jedoch unter erhöhten Darlegungsanforderungen. Der Gläubiger musste insbesondere darlegen, dass die Insolvenzreife nicht überwiegend pandemiebedingt war oder die Voraussetzungen der Aussetzung nicht vorlagen.

Wurden Haftungsrisiken der Geschäftsleitung vollständig aufgehoben?

Nein. Pandemiebedingte Erleichterungen reduzierten Risiken nur in engen Konstellationen. Die grundlegenden Sorgfaltspflichten und die Verantwortung für Zahlungen nach Eintritt bestimmter Insolvenztatbestände blieben bestehen.

Welche Rolle spielten gestundete Steuern und Beiträge bei der Zahlungsfähigkeitsprüfung?

Stundungen entlasteten kurzfristig die Liquidität, beseitigten die Verbindlichkeiten jedoch nicht. Für die Zahlungsfähigkeitsprüfung war zu berücksichtigen, dass aufgeschobene Beträge später wieder fällig wurden und in die Liquiditätsplanung einzubeziehen waren.

Welche Bedeutung haben die pandemiebedingten Sonderregelungen heute noch?

Die Sonderregelungen sind weitgehend ausgelaufen. Relevanz besteht weiterhin bei der nachträglichen Prüfung von Hilfszahlungen, der Beurteilung früherer Fortführungsprognosen und der rechtlichen Einordnung von während der Pandemie vorgenommenen Zahlungen und Maßnahmen.