Corona-Krise und Insolvenzrecht
Die Corona-Krise, ausgelöst durch das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) ab Anfang 2020, hatte weltweit weitreichende gesellschaftliche und ökonomische Auswirkungen. In Deutschland und Europa beeinflusste die Pandemie insbesondere zahlreiche Rechtsbereiche, wobei das Insolvenzrecht eine herausgehobene Rolle einnimmt. Die Corona-Krise führte zu einer Vielzahl rechtlicher Sonderregelungen und temporärer Anpassungen im Insolvenzrecht, um Unternehmen und Unternehmer in der akuten pandemiebedingten Notlage vor der Zahlungsunfähigkeit zu schützen und die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzumildern.
Begriffsbestimmung: Insolvenzrecht und Zusammenhang mit der Corona-Krise
Das Insolvenzrecht regelt im Kern die Rechtsfolgen bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer natürlichen oder juristischen Person. Es bezweckt die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, die Sanierung leistungsfähiger Unternehmen sowie die geordnete Abwicklung wirtschaftlich nicht überlebensfähiger Einheiten. Während der Corona-Krise entwickelte das Insolvenzrecht durch gesetzgeberische Eingriffe temporäre Sonderbestimmungen, um pandemiebedingte Insolvenzwellen zu verhindern und damit wirtschaftsstabilisierende Effekte zu erzielen.
Gesetzgeberische Maßnahmen und Sonderregelungen während der Corona-Krise
COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG)
Mit dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) wurde am 27. März 2020 eine befristete Aussetzung der Insolvenzantragspflichten beschlossen. Dies ermöglichte es Unternehmen, die infolge der Folgen der Corona-Pandemie in eine finanzielle Schieflage geraten waren, den Insolvenzantrag zu verschieben und erhielten damit einen zeitlichen „Schutzschirm“.
Voraussetzungen der Aussetzung
Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht galt zunächst rückwirkend ab dem 1. März 2020 bis zum 30. September 2020 und wurde später mehrfach verlängert bzw. modifiziert. Unternehmen waren von der Insolvenzantragspflicht entbunden, sofern die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruhte und Aussichten auf eine nachhaltige Beseitigung der bestehenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestand. Dies wurde gesetzlich zugunsten der Unternehmen vermutet, wenn sie am 31. Dezember 2019 noch nicht zahlungsunfähig waren.
Einschränkungen und Ausnahmen
Ab 1. Oktober 2020 bis 31. Dezember 2020 wurde die Aussetzung auf Fälle der Überschuldung beschränkt, sodass ab diesem Zeitpunkt eine Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit wiederauflebte. Ab dem 1. Januar 2021 galten je nach Unternehmensgröße und Art der Insolvenzursache weiter differenzierte Regelungen. Auch für Unternehmen, bei denen keine pandemiebedingten Ursachen für die Insolvenzreife vorlagen, galt die Insolvenzantragspflicht uneingeschränkt weiter.
Auswirkungen auf Organverantwortung und Haftung
Die Insolvenzaussetzung beeinflusste unmittelbar die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit der Unternehmensorgane (z. B. Geschäftsführungen einer GmbH). Während der Aussetzungsphase konnten Zahlungen, die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgten und einer Sanierung oder Fortführung dienten, weiterhin geleistet werden, ohne Haftungsfolgen für Führungskräfte zu befürchten. Gleichzeitig hielt das Gesetz Verschärfungen gegen missbräuchliches Verhalten parat, etwa bei Zahlung der Insolvenzmasse entziehenden Transaktionen oder Verstößen gegen die erleichterten Voraussetzungen.
Zahlungsverbote und Anfechtungsrecht
Mit der zeitweisen Aussetzung der Insolvenzantragspflichten wurden gesetzliche Zahlungsverbotstatbestände vorübergehend gelockert. Zahlungen, die während der Aussetzung geleistet wurden, waren grundsätzlich privilegiert und unterlagen nur eingeschränkt der insolvenzrechtlichen Anfechtung. Gleiches galt für Kreditvergaben und Besicherungen, um die Liquidität der betroffenen Unternehmen zu sichern, insbesondere mit Blick auf die staatlichen KfW-Corona-Hilfsprogramme.
Folgen für Gesellschafterdarlehen und Gläubigerstellungen
Das COVInsAG erlaubte es zudem, dass Gesellschafterdarlehen und wirtschaftlich gleichgestellte Leistungen in der Krisenphase nicht wie üblich nachrangig behandelt wurden. Auch hier sollten Erleichterungen der Liquiditätsversorgung und eine erleichterte Rückzahlung von krisenbedingten Überbrückungskrediten greifen.
Insolvenzrechtliche Sanierungsinstrumente und Pandemie
Erweiterung präventiver Restrukturierungsinstrumente
Im Zuge der Corona-Krise wurde die Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie vorangetrieben. Seit Januar 2021 steht Unternehmen das „StaRUG“, das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, zur Verfügung. Damit konnte erstmals eine außerinsolvenzliche präventive Restrukturierung mit gerichtlicher Beteiligung und Gläubigermehrheitsentscheid möglich gemacht werden – ein Meilenstein zur frühzeitigen Sanierung insolvenzbedrohter Unternehmen ohne Einleitung eines Insolvenzverfahrens.
Schutzschirmverfahren und Eigenverwaltung angepasst
Bereits im Kontext der Krise wurde das Schutzschirmverfahren für Unternehmen attraktiver gestaltet. Die Einleitung eines Schutzschirmverfahrens ermöglicht Unternehmen mit Aussicht auf Sanierung einen eigenverantworteten Restrukturierungsversuch unter Aufsicht eines (vorläufigen) Sachwalters.
Weitere Auswirkungen und Verfahrensrecht
Statistische Entwicklung des Insolvenzgeschehens
Wenngleich die Pandemie gravierende wirtschaftliche Einschnitte verursachte, zeigte sich im Jahr 2020 und 2021 ein deutlicher Rückgang der Insolvenzfälle insbesondere im Vergleich zu den Vorjahren. Dafür waren maßgeblich die gesetzlichen Aussetzungen und die staatlichen Unterstützungsleistungen verantwortlich.
Rückabwicklung von Hilfsmaßnahmen
Problematisiert wird nach Ablauf der Pandemie-bedingten Sonderregelungen vielfach die mögliche Rückforderung von Corona-Hilfen und staatlichen Überbrückungshilfen im Rahmen späterer Insolvenzverfahren. Hierbei ist zu prüfen, ob Mittel zweckentsprechend verwendet wurden und ob Rückzahlungsansprüche bestehen.
Kritik, Evaluation und Ausblick
Bewertung der Maßnahmen
Die vorübergehenden insolvenzrechtlichen Sonderregelungen während der Corona-Krise haben nach Ansicht vieler Analysen einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung von Unternehmensbeständen und Arbeitsplätzen geleistet. Kritisch diskutiert wird, ob hierdurch dennoch insolvenzreife „Zombiefirmen“ künstlich am Markt gehalten wurden („Zombie-Unternehmen“), was die Neuordnung der Wirtschaftslandschaft hinauszögern könnte.
Rückkehr zum Regelinsolvenzrecht
Mit dem Wegfall der pandemiebedingten Sonderregelungen und der Rückkehr zur regulären Anwendung der Insolvenzordnung ab dem 1. Mai 2021 gilt erneut das klassische Insolvenzrecht samt darunter fallender Antragspflichten. Unternehmen sind seitdem gehalten, sich frühzeitig mit Restrukturierungs- und Sanierungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen.
Fazit
Die Verbindung von Corona-Krise und Insolvenzrecht stellt ein markantes Beispiel dynamischer Gesetzgebung in wirtschaftlichen Ausnahmesituationen dar. Durch die schnell implementierten Ausnahmeregelungen konnte ein massenhafter Zusammenbruch wirtschaftlicher Strukturen abgewendet werden. Die Rückkehr zum Regelinsolvenzrecht hebt die Bedeutung nachhaltiger Restrukturierungsfähigkeit und frühzeitiger Unternehmenssteuerung hervor – beides Aspekte, die für eine widerstandsfähige Wirtschaft grundlegend sind.
Siehe auch:
* Insolvenzordnung (InsO)
* COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG)
* StaRUG (Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz)
* Gläubigerschutz
* Zahlungsmoratorium
* Unternehmensliquidität während Pandemien
Literatur und Weblinks:
* Bundesministerium der Justiz – Informationen zum Insolvenzrecht während der Corona-Krise
* Deutscher Bundestag – Gesetzgebung zur COVID-19-Pandemie
* Europäische Kommission – Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen 2019/1023/EU
Häufig gestellte Fragen
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf die Insolvenzantragspflicht für Unternehmen?
Zu Beginn der Corona-Krise hat der deutsche Gesetzgeber mit dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) wesentliche Änderungen an der Insolvenzantragspflicht vorgenommen. Grundsätzlich sind Geschäftsführer einer GmbH oder Vorstände einer AG verpflichtet, spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen. Mit dem COVInsAG wurde diese Pflicht temporär ausgesetzt, um pandemiebedingt wirtschaftlich in Schieflage geratene Unternehmen vor einer Insolvenzwelle zu schützen. Diese Aussetzung erfolgte jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen, etwa, wenn die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung auf den Folgen der Pandemie basiert und Aussicht auf Beseitigung der Insolvenzreife besteht. Nach Fortfall der pandemiebedingten Sonderregelungen gelten die regulären Bestimmungen der Insolvenzordnung (§ 15a InsO) wieder uneingeschränkt. Geschäftsführer müssen daher sehr genau prüfen, ob die Insolvenzreife noch auf Corona-bedingten Umständen beruht und ob die Voraussetzungen für eine Nichtantragstellung weiterhin erfüllt sind.
Welche haftungsrechtlichen Risiken bestehen für Geschäftsführer im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht während der Corona-Krise?
Trotz temporärer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht existieren nach wie vor erhebliche haftungsrechtliche Risiken für Geschäftsleiter. Werden die Voraussetzungen für die Aussetzung nach dem COVInsAG nicht erfüllt und der Insolvenzantrag dennoch nicht rechtzeitig gestellt, drohen zivil- und strafrechtliche Haftungsfolgen. Insbesondere haften Geschäftsführer für Zahlungen, die nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet werden, wenn diese nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns vereinbar sind (§ 64 GmbHG, § 92 AktG). Zudem kann vorsätzliche Insolvenzverschleppung strafbar sein (§ 15a InsO). Es ist daher empfehlenswert, die Liquiditätslage und die Ursache einer möglichen Insolvenzreife fortlaufend zu dokumentieren und rechtzeitig rechtlichen Rat einzuholen.
Welche Besonderheiten gelten für Mietverhältnisse insolventer Unternehmen während der Corona-Krise?
Das COVInsAG und die Änderungen im Mietrecht führten dazu, dass Mietern, die infolge der Corona-Pandemie ihre Miete nicht zahlen konnten, für einen begrenzten Zeitraum nicht gekündigt werden durfte. Für insolvente Unternehmen bedeutete dies, dass Mietrückstände aus dem pandemiebedingten Zeitraum zwar nicht zu einer fristlosen Kündigung führten, gleichwohl bleiben die Mietschulden jedoch bestehen und sind als Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle anzumelden. Im Insolvenzverfahren gelten weiterhin die allgemeinen Regeln zur Abwicklung von Mietverhältnissen, insbesondere das Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters (§ 109 InsO).
Gibt es Erleichterungen für Unternehmen bei der Beantragung von Insolvenzplanverfahren während der Corona-Krise?
Im Rahmen des COVInsAG wurden die Zugangsmöglichkeiten zum Insolvenzplanverfahren und Restrukturierungsmaßnahmen durch das SanInsFoG (Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts) erweitert. Das Restrukturierungsrahmenwerk eröffnet Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten – auch infolge pandemiebedingter Umsatzeinbrüche – die Möglichkeit, außerhalb eines Insolvenzverfahrens einen Restrukturierungsplan durchzusetzen. Dies bietet insbesondere mittelständischen Unternehmen mehr Flexibilität, Sanierungsmaßnahmen zu ergreifen und eine Insolvenz zu vermeiden. Die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans ist nur mit Mehrheit der betroffenen Gläubigergruppen erforderlich.
Wie werden Corona-bedingte Fördermittel im Insolvenzverfahren behandelt?
Erhaltene staatliche Hilfen und Fördermittel, wie z.B. Soforthilfen oder Überbrückungshilfen, sind im Insolvenzverfahren grundsätzlich Bestandteil der Insolvenzmasse, sofern sie auf das Konto des insolventen Unternehmens überwiesen wurden. Bereits ausgegebene Mittel müssen jedoch im Einzelnen darauf geprüft werden, ob sie zweckwidrig verwendet wurden; in diesem Fall kann eine Rückforderung durch die Förderstelle sowie eine Haftung der Geschäftsleitung drohen. Die Auszahlung und Verwendung von Fördermitteln sollte daher immer klar dokumentiert und regelmäßig mit dem Insolvenzverwalter abgestimmt werden.
Welche Pflichten zur Information und Zusammenarbeit bestehen gegenüber dem Insolvenzverwalter im Zusammenhang mit pandemiebedingten Herausforderungen?
Im Insolvenzverfahren ist der Schuldner – also die Geschäftsführung des betroffenen Unternehmens – verpflichtet, dem Insolvenzverwalter umfassend Auskunft zu erteilen und zur Verfügung zu stehen (§ 97 InsO). Diese Pflichten erstrecken sich auch auf alle Maßnahmen und Entscheidungen, die im Zusammenhang mit Corona getroffen wurden, etwa Beantragung und Verwendung von Soforthilfen, Kurzarbeitergeld oder Darlehen. Verstöße gegen die Mitwirkungs- und Auskunftspflicht können zu Ersatzansprüchen des Insolvenzverwalters oder zu strafrechtlichen Konsequenzen führen.
Inwieweit beeinflusst die Corona-Krise die Bewertung von Fortführungsprognosen im Insolvenzrecht?
Die Erstellung einer sogenannten Fortführungsprognose ist im Zusammenhang mit der Überschuldungsprüfung (§ 19 InsO) eine zentrale Aufgabe der Geschäftsleitung. Die Corona-Krise stellt die Prognose erschwerten Bedingungen gegenüber, da Umsatzeinbußen und Planungsunsicherheiten berücksichtigt werden müssen. Das COVInsAG sieht vor, dass für die Beurteilung der Fortführungsprognose pandemiebedingte Unwägbarkeiten zu Gunsten des Unternehmens berücksichtigt werden können, solange Aussicht auf Überwindung der Krise besteht bzw. staatliche Hilfen effektiv genutzt wurden oder werden können. Eine fortlaufende Aktualisierung und nachvollziehbare Dokumentation der Prognosedaten wird dringend empfohlen, um eine Haftung der Organe zu vermeiden.