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Bundeswahlgesetz


Allgemeines zum Bundeswahlgesetz

Das Bundeswahlgesetz (BWahlG) ist das zentrale gesetzliche Regelwerk zur Durchführung der Bundestagswahlen in der Bundesrepublik Deutschland. Es regelt insbesondere die Voraussetzungen für das aktive und passive Wahlrecht, die Wahlkreiseinteilung, das Wahlsystem, das Wahlverfahren sowie die Rechtsgrundlagen zur Feststellung und Überprüfung der Wahlergebnisse. Das Bundeswahlgesetz ist das rechtliche Fundament für demokratische Legitimation des Deutschen Bundestages und damit unmittelbarer Ausdruck des Grundsatzes der repräsentativen Demokratie nach den Vorgaben des Grundgesetzes.

Historische Entwicklung und Gesetzgebungskompetenz

Gesetzgebung und Normenhierarchie

Die Kompetenz für das Bundeswahlgesetz liegt gemäß Artikel 38 Absatz 3 und Artikel 70 ff. Grundgesetz beim Bund. Erstmals trat das Gesetz 1956 in Kraft und wurde seither mehrfach novelliert, insbesondere um Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umzusetzen oder auf gesellschaftliche und politische Veränderungen zu reagieren. Das Bundeswahlgesetz hat als Bundesgesetz Vorrang vor landesrechtlichen Vorschriften auf dem Gebiet des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag.

Reformen und verfassungsgerichtliche Einflüsse

Bedeutende Reformen erfolgten im Zusammenhang mit der Anpassung an das Überhang- und Ausgleichsmandatsystem sowie aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die etwa das negative Stimmgewicht oder die zulässige Zahl der Überhangmandate betrafen.

Inhalt und Struktur des Bundeswahlgesetzes

Das Wahlsystem

Das Bundeswahlgesetz sieht ein personalisiertes Verhältniswahlrecht vor. Dies bedeutet, dass die Bundestagsabgeordneten sowohl nach Prinzipien des Mehrheits- als auch des Verhältniswahlrechts gewählt werden. Jeder Wähler verfügt über zwei Stimmen: Mit der Erststimme wird ein Wahlkreiskandidat nach dem Mehrheitsprinzip gewählt, mit der Zweitstimme eine Landesliste einer Partei nach dem Verhältniswahlgrundsatz.

Verhältniswahlrecht

Mit der Zweitstimme wird der über die Mandatsverteilung im Deutschen Bundestag entscheidende bundesweite prozentuale Stimmenanteil ermittelt. Die Sitzverteilung erfolgt nach verschiedenen mathematischen Verfahren zur Oberverteilung und Unterverteilung auf die Länder und Wahlkreise, zuletzt nach der Methode Sainte-Laguë/Schepers.

Mehrheitswahlrecht

Die Erststimme dient der Wahl von Direktkandidaten in 299 Einzelwahlkreisen. Der Bewerber mit den meisten Erststimmen im Wahlkreis erhält das Direktmandat (relative Mehrheitswahl).

Wahlanfechtungsverfahren

Das Bundeswahlgesetz enthält Regelungen zum Einspruch gegen die Bundestagswahl sowie das Verfahren zur Wahlprüfung durch den Bundestag selbst und, in bestimmtem Rahmen, durch das Bundesverfassungsgericht. Zuständig für Einsprüche ist gemäß §§ 49 ff. BWahlG zunächst der Wahlprüfungsausschuss des Bundestages, im zweiten Schritt kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden.

Wahlrechtsgrundsätze

Das Grundgesetz und das Bundeswahlgesetz sichern nach Artikel 38 Abs. 1 GG die allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen. Das Bundeswahlgesetz konkretisiert diese Grundsätze in zahlreichen Detailregelungen, darunter Vorschriften zu Wahlberechtigung und Wählbarkeit, zur Unverfälschtheit des Wahlaktes und zur Chancengleichheit der Parteien.

Wahlrechtsgleichheit

Das Prinzip der Gleichheit der Wahl wird durch gleichwertige Stimmengewichtung sowie durch Gewährleistung der Ausgleichsmandate im Fall von Überhangmandaten umgesetzt.

Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit

Das unmittelbare Wahlrechtsprinzip tritt darin hervor, dass die Wählenden die Abgeordneten des Bundestages direkt und nicht über Wahlmänner bestimmen. Die Öffentlichkeit der Wahl umfasst Zugänglichkeit der Auszählung und Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses.

Wahlorgane und Wahlordnung

Das Bundeswahlgesetz bestimmt die zentralen Wahlorgane wie Bundeswahlleiter, Landeswahlleiter, Kreiswahlleiter, Wahlvorstände, Wahlleiter der Gemeinden und stützt sich zur organisatorischen Durchführung zusätzlich auf die Bundeswahlordnung (BWO), welche administrative Einzelheiten regelt.

Wahlkreiseinteilung

Das BWahlG legt die Zahl und Gliederung der Wahlkreise fest. Die Einteilung erfolgt nach dem Grundsatz möglichst gleicher Bevölkerungsstärke (§ 3 BWahlG). Die Abgrenzung wird regelmäßig angepasst, um Bevölkerungsverschiebungen gerecht zu werden und das Prinzip der Erfolgswertgleichheit sicherzustellen.

Parteien und Kandidatur

Nach dem Bundeswahlgesetz dürfen nur Parteien, die nach dem Parteiengesetz gebildet und für die Bundestagswahl zugelassen wurden, Listen aufstellen. Unabhängige Kandidaturen sind für Direktmandate möglich. Das Verfahren zur Zulassung von Parteien, Listen und Einreichungsmodalitäten ist detailliert geregelt.

Sperrklausel

Das Bundeswahlgesetz sieht eine Fünf-Prozent-Sperrklausel auf Bundesebene vor (§ 6 Abs. 3 BWahlG). Parteien, die weniger als fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten, nehmen an der Sitzverteilung grundsätzlich nicht teil. Ausnahmen gelten, wenn eine Partei mindestens drei Direktmandate erringt (Grundmandatsklausel).

Stimmabgabe und Briefwahl

Die Stimmabgabe kann im Wahllokal durch Wahlurne oder per Briefwahl erfolgen. Das Verfahren ist zur Gewährleistung der Geheimheit und Integrität der Wahl strikt geregelt.

Schutz vor Wahlmanipulation

Das Bundeswahlgesetz enthält Normen zur Prävention vor Wahlfälschung, Stimmenkauf, Wählerbeeinflussung und anderen unzulässigen Wahlhandlungen. Verstöße sind straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich sanktioniert.

Verhältnis zu anderen Rechtsquellen

Das Bundeswahlgesetz steht im Kontext weiterer Regelungen, insbesondere des Grundgesetzes, des Parteiengesetzes, der Bundeswahlordnung und landesrechtlicher Bestimmungen zur Durchführung der Wahl. Im Konfliktfall hat das Bundeswahlgesetz Vorrang bei der Bundestagswahl.

Gesetzespublikation, Änderungen und Reformperspektiven

Das Bundeswahlgesetz wird im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und kann vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates im Rahmen der Verfassung geändert werden. Wesentliche Reformbestrebungen zielen auf die Verkleinerung des Bundestages, die Anpassung der Wahlkreisgrenzen und die Sicherung der Wahlrechtsgleichheit im digitalen Zeitalter.

Literaturhinweise und weiterführende Informationen

  • Text des Bundeswahlgesetzes: Bundeswahlgesetz auf gesetze-im-internet.de
  • Bundeszentrale für politische Bildung: Informationen zu Wahlsystem und Bundestagswahl
  • Bundestag.de: Themenschwerpunkte Bundestagswahl und Gesetzgebung

Zusammenfassung:
Das Bundeswahlgesetz bildet das fundamentale rechtliche Rahmenwerk für die Durchführung der Bundestagswahlen in Deutschland. Es legt die zentralen Wahlrechtsgrundsätze, das Wahlsystem, das Wahlverfahren und die gesetzlichen Anforderungen an Durchführung und Kontrolle der Wahl fest und gewährleistet demokratische Legitimation und Chancengleichheit im Sinne des Grundgesetzes. Regelmäßige Überprüfungen und Anpassungen garantieren die Aktualität und Verfassungskonformität.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird die Sitzverteilung nach dem Bundeswahlgesetz rechtlich bestimmt?

Die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag erfolgt gemäß §§ 6 und 7 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) auf Basis eines personalisierten Verhältniswahlrechts. Das Wahlsystem kombiniert Elemente der Mehrheits- und Verhältniswahl („Zwei-Stimmen-System“). Die erste Stimme entscheidet über die Direktmandate in den 299 Wahlkreisen nach dem Grundsatz der relativen Mehrheitswahl (§ 5 Abs. 1 BWahlG). Die zweite Stimme wird zur Ermittlung des Gesamtverhältnisses der Parteien im Bundestag herangezogen und ist maßgeblich für die proportionale Sitzverteilung (§ 6 BWahlG). Die Mandate werden zunächst auf die 16 Bundesländer im Verhältnis ihrer jeweiligen Bevölkerungszahlen verteilt (Verteilungssatz), daraufhin wird mittels des Sainte-Laguë/Schepers-Verfahrens die Mandatszahl jeder Partei in den einzelnen Ländern ermittelt. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Diese werden durch Ausgleichsmandate für andere Parteien kompensiert, um vollumfängliche Verhältnisgerechtigkeit sicherzustellen. Die genaue mathematische Berechnung und der Ablauf der Sitzverteilung sind in § 6 BWahlG umfassend geregelt.

Welche rechtlichen Anforderungen gelten für die Zulassung von Parteien zur Bundestagswahl?

Gemäß §§ 18 bis 21 BWahlG und den dazugehörigen Vorschriften der Bundeswahlordnung (BWO) müssen Parteien, die nicht bereits im Bundestag oder in einem Landtag aufgrund eigener Wahlvorschläge vertreten sind, ihre Beteiligung zur Bundestagswahl spätestens am 97. Tag vor der Wahl beim Bundeswahlleiter anzeigen. Diese Anzeige muss von mindestens drei Mitgliedern des Bundesvorstandes (darunter Vorsitzender oder dessen Stellvertreter) unterzeichnet werden (§ 18 BWahlG). Für die Wahlvorschläge müssen Parteien eine festgelegte Anzahl an Unterstützungsunterschriften beibringen, es sei denn, sie sind aufgrund ihrer Parlamentspräsenz hiervon befreit (§ 20 BWahlG). Die Parteieigenschaft im Sinne des Parteiengesetzes (§ 2 PartG) wird vom Bundeswahlausschuss überprüft; dieser entscheidet formal spätestens am 79. Tag vor der Wahl in öffentlicher Sitzung über die Zulassung der Parteien und Wahlvorschläge (§ 18 Abs. 4 BWahlG). Rechtsmittel gegen diese Entscheidungen sind nach § 18 Abs. 4a BWahlG ausgeschlossen, können aber im Zuge einer Wahlanfechtung nach Art. 41 GG überprüft werden.

Wie werden Überhang- und Ausgleichsmandate im Bundeswahlgesetz geregelt?

Durch das Bundeswahlgesetz, insbesondere § 6, wird geregelt, dass Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate erzielt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen würden. Zur Sicherstellung des Prinzips der Verhältniswahl schreibt das Gesetz seit der Reform von 2013 zwingend die Vergabe von Ausgleichsmandaten vor. Das heißt, alle anderen Parteien erhalten durch Korrektur der Sitzverteilung zusätzliche Mandate, bis die Proportionalität nach den Zweitstimmen bundesweit wiederhergestellt ist. Die Berechnung erfolgt mittels des der Sitzverteilung nachgeschalteten Ausgleichsmechanismus im Listenverfahren (Details in § 6 Abs. 5-6 BWahlG). Diese Regelung sorgt dafür, dass keine Partei durch Überhangmandate unverhältnismäßig bevorzugt wird und die Bundestagsgröße erheblich über die Mindestgröße von 598 Mandaten hinaus anwachsen kann.

Welche Sperrklauseln schreibt das Bundeswahlgesetz vor?

Das Bundeswahlgesetz, insbesondere § 6 Abs. 3, enthält eine sogenannte Fünf-Prozent-Hürde. Demnach werden einer Partei im Bundestag nur dann Sitze zugeteilt, wenn sie mindestens fünf Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen im gesamten Bundesgebiet erreicht oder mindestens drei Direktmandate gewonnen hat („Grundmandatsklausel“). Diese Sperrklausel dient laut Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1, 208 – 1952; BVerfGE 95, 335 – 1997) der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Bundestags und der Verhinderung einer Zersplitterung des Parlaments. Wählerstimmen für Parteien, die an der Sperrklausel scheitern, bleiben bei der bundesweiten Sitzverteilung unberücksichtigt. Für nationale Minderheitenparteien (z. B. Südschleswigsche Wählerverband) gilt die Sperrklausel gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 BWahlG nicht.

Welche Fristen und Mitwirkungspflichten regelt das Bundeswahlgesetz für Wahlberechtigte und Wahlorgane?

Das Bundeswahlgesetz setzt zahlreiche Fristen, die für Wahlberechtigte, Parteien und Wahlorgane verbindlich sind. Wichtige Fristen finden sich in §§ 17 bis 21 BWahlG. Die Aufstellung und Einreichung von Wahlvorschlägen unterliegt strikten Terminen (z. B. Anzeige der Wahlbeteiligung am 97. Tag und Einreichung der Wahlvorschläge bis spätestens zum 69. Tag vor der Wahl). Wahlberechtigte müssen bis zu dem im Gesetz genannten Termin die Aufnahme ins Wählerverzeichnis, Einsprüche gegen das Verzeichnis (§ 21 BWahlG) oder einen Antrag auf Briefwahl (§ 24 BWahlG) gestellt haben. Wahlorgane wie der Bundeswahlleiter, Kreiswahlausschüsse und Wahlvorstände haben ebenfalls spezifische rechtliche Pflichten, insbesondere in Bezug auf die Prüfung und Veröffentlichung von Wahlvorschlägen und die Organisation des Wahlvorgangs am Wahltag (§§ 7 bis 11 BWahlG).

Wie wird die Öffentlichkeit und Transparenz der Wahl im Bundeswahlgesetz sichergestellt?

Das Bundeswahlgesetz sieht zahlreiche Bestimmungen zur Sicherung der Transparenz des Wahlverfahrens vor. Nach § 31 BWahlG finden die Feststellung des Wahlergebnisses und die Zählungen öffentlich statt; jeder Anwesende kann die Auszählung beobachten, sofern der ordnungsgemäße Ablauf nicht gestört wird. Das Gesetz verpflichtet darüber hinaus zur Veröffentlichung der Wahlergebnisse durch die Wahlorgane (§ 43 BWahlG) und regelt die Einsichtnahme ins Wählerverzeichnis (§ 17 Abs. 1 BWahlG). Für die Aufstellung von Wahlvorschlägen schreibt das Gesetz innerparteiliche Demokratie und Transparenz als rechtliche Voraussetzung vor (§ 21 BWahlG). Zudem bestimmt die Bundeswahlordnung Details zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Wahlausschüsse und die Protokollierung der Entscheidungen. Ein Geheimhaltungsgebot liegt lediglich bei der Stimmabgabe selbst vor (§ 39 BWahlG – Wahlgeheimnis).

Welche rechtlichen Möglichkeiten der Wahlanfechtung bestehen nach dem Bundeswahlgesetz?

Nach § 49 ff. BWahlG stehen sowohl Wählern als auch Parteien umfangreiche Rechtsbehelfe zur Verfügung, um die Rechtmäßigkeit der Bundestagswahl anzufechten. Die Wahlanfechtung ist beim Bundestag einzureichen; sie muss binnen zwei Monaten nach dem Wahltag schriftlich und unter Angabe der Gründe erfolgen (§ 49 BWahlG). Zulässige Anfechtungsgründe sind Verstöße gegen wahlrechtliche Vorschriften, die die Mandatsverteilung oder das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten. Über die Gültigkeit der Wahl entscheidet zunächst der Bundestag, danach kann der Bundeswahlprüfungsgericht angerufen werden (§ 48 BWahlG i.V.m. Art. 41 GG). Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist abschließend und unanfechtbar. In der Vergangenheit führte dieser Rechtsweg u. a. zur Aufhebung und Wiederholung von Bundestagswahlen in einzelnen Wahlkreisen aufgrund gravierender Verfahrensfehler.