Begriff und rechtliche Stellung des Bundesrates
Der Bundesrat ist ein Verfassungsorgan der Bundesrepublik Deutschland, das maßgeblich an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes sowie an europäischen Angelegenheiten mitwirkt. Er bildet das föderative Gegengewicht zum Bundestag und repräsentiert die Länder auf Bundesebene. Die Aufgaben, Rechte und Pflichten des Bundesrates sowie seine Zusammensetzung und Arbeitsweise sind im Grundgesetz (GG) geregelt, insbesondere in den Artikeln 50 bis 53.
Zusammensetzung und Organisation des Bundesrates
Zusammensetzung nach Artikel 51 GG
Der Bundesrat setzt sich aus Mitgliedern der Regierungen der 16 deutschen Länder zusammen. Die Zahl der Stimmen eines Landes richtet sich nach dessen Einwohnerzahl (Artikel 51 Abs. 2 GG):
- Länder mit bis zu 2 Millionen Einwohnern: 3 Stimmen
- Länder mit mehr als 2, aber höchstens 6 Millionen Einwohnern: 4 Stimmen
- Länder mit mehr als 6, aber höchstens 7 Millionen Einwohnern: 5 Stimmen
- Länder mit mehr als 7 Millionen Einwohnern: 6 Stimmen
Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Vertreter abgegeben werden.
Geschäftsführung und Präsidium
Der Bundesrat wählt einen Präsidenten auf ein Jahr. Diese Position wechselt in einer festen Reihenfolge unter den Ministerpräsidenten der Länder. Der Präsident des Bundesrates vertritt das Organ nach außen und kann im Vertretungsfall den Bundespräsidenten wahrnehmen (§ 57 GG). Die Unterstützung erfolgt durch das Präsidium und das Bundesratsplenum.
Der Bundesrat unterhält eigene Ausschüsse, deren Zusammensetzung und Aufgaben auf die jeweiligen Politikbereiche ausgerichtet sind. Die Geschäftsstelle des Bundesrates sorgt für die administrative Verwaltung und Koordination der Gremientermine.
Verfassungsrechtliche Stellung des Bundesrates
Rolle im föderalen System
Der Bundesrat ist das zentrale Organ der Länderbeteiligung an der Bundesgesetzgebung und Verwaltung. Nach Artikel 50 GG wirken die Länder über den Bundesrat an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes sowie in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. So wird das Bundesstaatprinzip gemäß Artikel 20 GG verwirklicht.
Verhältnis zu anderen Verfassungsorganen
Im System der Gewaltenteilung bildet der Bundesrat das föderale Gegengewicht zum Bundestag, dem das Volksvertretungsprinzip zugrunde liegt. Während der Bundestag unmittelbar gewählt wird, sind Mitglieder des Bundesrates delegierte Mitglieder der Landesregierungen. Der Bundesrat steht somit in einem besonderen Verhältnis zur Exekutive der Länder, wirkt jedoch an legislativen und administrativen Aufgaben des Bundes mit.
Aufgaben und Befugnisse des Bundesrates
Gesetzgebungsverfahren
Zustimmungsgesetze und Einspruchsgesetze
Im Regelfall ist der Bundesrat an allen Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Das Grundgesetz unterscheidet Zustimmungs- und Einspruchsgesetze:
- Zustimmungsgesetze erfordern die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates. Hierunter fallen insbesondere Gesetze, die Interessen der Länder unmittelbar betreffen, etwa solche, die in die Verwaltungshoheit der Länder eingreifen oder finanzielle Auswirkungen auf die Länder haben (Art. 84, 85 GG).
- Einspruchsgesetze können auch gegen den Widerspruch des Bundesrates (Einspruch) durch den Bundestag endgültig beschlossen werden, wenn dieser den Einspruch zurückweist (Art. 77 Abs. 4 GG).
Einleitung und Mitwirkung im Gesetzgebungsprozess
Neben seiner Zustimmungs- oder Einspruchsbefugnis kann der Bundesrat Gesetzesvorlagen einbringen. Diese Gesetzesinitiativen werden der Bundesregierung zugeleitet, die sie anschließend dem Bundestag zuleitet (Art. 76 Abs. 1 GG). Darüber hinaus nimmt der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren Stellung zu Vorlagen der Bundesregierung und des Bundestages.
Mitwirkung in der Bundesverwaltung
Der Bundesrat wirkt an der Ausführung von Bundesgesetzen mit, wenn diese von den Ländern als eigene Angelegenheit oder im Auftrag des Bundes ausgeführt werden (Art. 83 ff. GG). Dabei kontrolliert der Bundesrat Verwaltungsanordnungen des Bundes im Aufgabenbereich der Länder. Ferner ist seine Zustimmung bei bestimmten Rechtsverordnungen erforderlich.
Aufgaben im Bereich der Europäischen Union
Nach Artikel 23 GG ist der Bundesrat bei Angelegenheiten der Europäischen Union zu beteiligen, sofern überwiegend Zuständigkeiten der Länder betroffen sind. In diesen Fällen kann der Bundesrat die Bundesregierung verpflichten, seine Stellungnahme bei Verhandlungen auf europäischer Ebene zu berücksichtigen.
Mitwirkung bei anderen Verfassungsaufgaben
Der Bundesrat hat weitere besondere Rechte und Aufgaben, u. a.:
- Wahl von Verfassungsrichtern: Jeweils ein Teil der Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts (Bundesrichter) wird durch den Bundesrat gewählt.
- Mitwirkung bei Notstandsgesetzen: In besonderen Notlagen (Verteidigungsfall) übernimmt der Bundesrat zusammen mit Bundestag und Bundesregierung spezielle Aufgaben.
- Mitwirkung bei der staatlichen Ordnung: Bei der Feststellung des Gesetzgebungsnotstands nach Artikel 81 GG oder im Rahmen des Abwehrmechanismus gegen verfassungsfeindliche Parteien gemäß Artikel 21 GG wirkt der Bundesrat mit.
Arbeitsweise und Beschlussfassung
Plenum und Ausschüsse
Die Beratungen und Beschlussfassungen des Bundesrates erfolgen im Plenum mit Unterstützung der ständigen Ausschüsse, die die Beratungen im Vorfeld inhaltlich vorbereiten. Das Plenum ist das eigentliche entscheidende Gremium. Die Tagesordnung wird vorwiegend in den Ausschüssen vorbereitet.
Stimmabgabe und Mehrheiten
Um handlungsfähig zu sein, müssen mindestens die Hälfte der Stimmen der Gesamtzahl der Bundesratsmitglieder vertreten sein (Quorum). Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich ausgeübt werden („imperatives Mandat“). Für Beschlüsse ist grundsätzlich die absolute Mehrheit erforderlich, in bestimmten Fällen (z. B. bei Verfassungsänderungen) eine Zweidrittelmehrheit (Art. 79 Abs. 2 GG).
Historische Entwicklung des Bundesrates
Bundesrat im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Bereits im Norddeutschen Bund (1867) und Deutschen Kaiserreich (1871-1918) existierte ein Bundesrat, der Vertretungsorgan der Gliedstaaten war. In der Weimarer Republik folgte ihm der Reichsrat, der jedoch im nationalsozialistischen „Ermächtigungsgesetz“ 1933 entmachtet und später aufgelöst wurde.
Bundesrat in der Bundesrepublik Deutschland
Mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 wurde der Bundesrat neu geschaffen und als Verfassungsorgan im föderalen Staat fest verankert. Die föderale Struktur und die Beteiligung der Länder an der Willensbildung auf Bundesebene gelten seither als tragende Prinzipien des bundesdeutschen Staatsaufbaus.
Rechtsstellung und Immunitäten der Mitglieder
Mitglieder des Bundesrates genießen den Schutz der Indemnität und Immunität nach Artikel 46 GG, wie er auch für Abgeordnete besteht. Dies betrifft Schutz vor Strafverfolgung und der dienstlichen/bürgerlichen Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit im Plenum und den Ausschüssen des Bundesrates.
Kritik und Reformdiskussionen
Die Rolle und Zusammensetzung des Bundesrates sind wiederholt Gegenstand politischer und wissenschaftlicher Diskussionen. Kritisiert werden u. a. die komplexen Entscheidungsabläufe, das imperativ gebundene Mandat der Länderregierungen sowie das teils als Blockademöglichkeit verstandene Zustimmungsrecht zu einer Vielzahl von Gesetzen. Gleichwohl wird dem Bundesrat eine maßgebliche Bedeutung für die Stabilität und den Ausgleich föderaler Interessen zugesprochen.
Quellen:
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
- Geschäftsordnung des Bundesrates
- BVerfGE (Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes)
- Literatur zur deutschen Verfassungsgeschichte und Staatsrecht
Die umfassende rechtliche Einordnung, die die verfassungsrechtliche Stellung, Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise und geschichtliche Entwicklung des Bundesrates darstellt, ist maßgeblich für das Verständnis des föderalen Systems der Bundesrepublik Deutschland.
Häufig gestellte Fragen
Wie ist das Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei der Gesetzgebung geregelt?
Das Mitwirkungsrecht des Bundesrates bei der Gesetzgebung ergibt sich primär aus dem Grundgesetz, insbesondere aus den Artikeln 50 bis 77 GG. Der Bundesrat wirkt bei sämtlichen Gesetzgebungsverfahren mit, indem er entstehende Gesetzesvorlagen prüft und hierzu Stellung nimmt. Dabei unterscheidet das Grundgesetz zwischen Zustimmungsgesetzen und Einspruchsgesetzen. Bei Zustimmungsgesetzen (z.B. solche, die die Finanzen der Länder oder die Verwaltung betreffen) ist die ausdrückliche Zustimmung des Bundesrates erforderlich, andernfalls kommt das Gesetz nicht zustande. Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat zwar Einspruch erheben, dieser kann jedoch vom Bundestag zurückgewiesen werden. Die Geschäftsordnung des Bundesrates legt das interne Verfahren fest, wie über einzelne Gesetzesvorlagen beraten und abgestimmt wird. Der Vermittlungsausschuss zwischen Bundestag und Bundesrat kann angerufen werden, um Gesetzesvorhaben abzustimmen und Kompromisse zu finden. Die detaillierte Ausformung der Verfahren steht unter der Kontrolle der Verfassungsgerichtsbarkeit, insbesondere wenn es um die Einzelfragen der Mitwirkung und deren Grenzen geht.
Welche Rechte hat der Bundesrat im Rahmen der Verwaltung des Bundes?
Auch im Verwaltungsbereich sieht das Grundgesetz ein umfassendes Informations-, Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrecht des Bundesrates vor. Gemäß Artikel 84 und 85 GG bestimmt er bei der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder durch Rechtsverordnungen mit, insbesondere dann, wenn Verwaltungsvorschriften oder allgemeine Verwaltungsvorschriften zu erlassen sind, die das Verhältnis zwischen Bund und Ländern in der Verwaltung betreffen. Die Zustimmung des Bundesrates ist insbesondere bei Verwaltungsvorschriften erforderlich, die sich auf den Vollzug von Bundesgesetzen durch die Länder beziehen. Darüber hinaus kann der Bundesrat auf Antrag innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens Einwände gegen Maßnahmen der Bundesregierung im Bereich der Bundesverwaltung erheben. Die genaue Ausgestaltung der Mitwirkungs- und Kontrollrechte ist detailliert im Grundgesetz und den jeweiligen Ausführungsgesetzen geregelt.
Welche Rolle spielt der Bundesrat bei der Verfassungsänderung?
Für jede Verfassungsänderung sieht Artikel 79 Abs. 2 GG eine qualifizierte Mitwirkung des Bundesrates vor. Hierzu ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat erforderlich. Dadurch wird dem Bundesrat, und damit den Vertretern der Länder, ein entscheidender Einfluss auf Grundgesetzänderungen eingeräumt. Ohne die Zustimmung des Bundesrates ist eine Verfassungsänderung nicht möglich, unabhängig von der Mehrheit im Bundestag. Diese Regelung soll sicherstellen, dass die föderale Struktur Deutschlands auch bei Grundgesetzänderungen gewahrt bleibt und die Bundesländer nicht übergangen werden können.
Wie funktioniert die Stimmabgabe im Bundesrat und wie bestimmt sich die Stimmenzahl der Länder?
Die Stimmenzahl der einzelnen Länder im Bundesrat wird gemäß Artikel 51 Abs. 2 GG nach dem Einwohnerprinzip gestaffelt, wobei jedes Land mindestens drei und höchstens sechs Stimmen hat. Die tatsächliche Stimmenzahl wird alle zehn Jahre nach einer offiziellen Bevölkerungszählung angepasst. Die Stimmen eines Landes können nur einheitlich und nur durch anwesende Mitglieder oder deren Stellvertreter abgegeben werden (sog. imperatives Mandat). Die innerstaatliche Organisation, wie die Stimmen eines Landes zustande kommen (z.B. bei Koalitionsregierungen oder Uneinigkeit im Landeskabinett) ist den Ländern im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Vorgaben weitgehend selbst überlassen, kann aber auch zu verfassungsrechtlichen Streitigkeiten führen, wie sie das Bundesverfassungsgericht mehrfach entscheiden musste.
Welche rechtlichen Mittel stehen dem Bundesrat bei Streitigkeiten mit anderen Verfassungsorganen zur Verfügung?
Der Bundesrat kann bei Meinungsverschiedenheiten oder Streitigkeiten mit anderen Verfassungsorganen (insbesondere Bundestag oder Bundesregierung) das Bundesverfassungsgericht anrufen. Dies geschieht in Form eines Organstreitverfahrens nach Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und § 13 Nr. 5, §§ 63 ff. BVerfGG. In diesem Verfahren kann der Bundesrat feststellen lassen, ob seine verfassungsmäßigen Rechte oder Kompetenzen durch Maßnahmen oder Unterlassungen anderer Verfassungsorgane verletzt wurden. In der Vergangenheit hat das Bundesverfassungsgericht zahlreiche Grundsatzentscheidungen zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung getroffen, etwa im Bereich der Gesetzgebung, des Haushalts- und Verwaltungsrechts sowie der Europäischen Angelegenheiten.
Wie ist die Rolle des Bundesrates bei internationalen Verträgen rechtlich geregelt?
Gemäß Artikel 59 Abs. 2 GG ist für bestimmte internationale Verträge (namentlich solche, die die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betreffen) ein Bundesgesetz erforderlich, damit diese innerstaatlich wirksam werden. Handelt es sich bei diesem Ausführungsgesetz um ein Zustimmungsgesetz im Sinne des Grundgesetzes, ist auch hier die Beteiligung und gegebenenfalls die Zustimmung des Bundesrats erforderlich. Dies betrifft insbesondere Verträge, die Einfluss auf die Zuständigkeiten der Länder haben oder Folgeänderungen im Bereich länderspezifischer Regelungen nach sich ziehen.
Welche Ausnahmen und Sonderregelungen existieren für den Bundesrat im Notstandsrecht?
Im Bereich des Notstandsrechts sieht das Grundgesetz (insbesondere Artikel 81 und Teil X) spezielle Mitwirkungsmechanismen für den Bundesrat vor. Im Gesetzgebungsverfahren im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann der Bundesrat z.B. auf besonderen Antrag des Bundeskanzlers Gesetzentwürfe beschleunigt beraten müssen. Zudem übernimmt ein Gemeinsamer Ausschuss teilweise die Aufgaben des Bundesrates, wenn dessen normale Funktionsfähigkeit eingeschränkt ist. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses gewährleistet aber ebenfalls die Mitwirkung der Länder. Über Ausmaß und Grenze dieser Sonderregelungen wacht das Bundesverfassungsgericht, das insbesondere die Gewährleistung der föderalen Mitwirkung auch in Ausnahmesituationen prüft.