Begriff und Einführung: Die Bundesnotbremse
Die sogenannte Bundesnotbremse war eine im Zeitraum der COVID-19-Pandemie in Deutschland geltende, bundesweite Regelung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2. Mit der Bundesnotbremse wurde einheitlich und verbindlich geregelt, welche Schutzmaßnahmen in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten ab einem bestimmten Inzidenzwert bundesweit in Kraft traten. Die rechtliche Grundlage bildete hierfür eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Die Bundesnotbremse war als temporäre, gesetzliche Reaktion auf das Infektionsgeschehen konzipiert und trat am 23. April 2021 in Kraft.
Rechtsgrundlagen der Bundesnotbremse
Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) durch das Vierte Bevölkerungsschutzgesetz
Die rechtliche Implementierung der Bundesnotbremse erfolgte durch das Vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (Viertes Bevölkerungsschutzgesetz – BGBl. I S. 802), verabschiedet am 22. April 2021. Mit dieser Gesetzesänderung wurde § 28b IfSG neu eingeführt. Wesentlicher Regelungsinhalt war, dass ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt automatisch und unmittelbar standardisierte Schutzmaßnahmen zur Anwendung kamen.
Ziel und Regelungszweck
Mit der Bundesnotbremse wurde ein bundeseinheitliches Vorgehen erreicht, um das Infektionsgeschehen wirksam einzudämmen und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Der Gesetzgeber verfolgte durch diesen gesetzlichen Mechanismus eine Einschränkung der föderalen Entscheidungsfreiheit der Länder, um unterschiedliche Regelungen und damit verbundene Inkohärenz zu vermeiden.
Inhalt und Anwendung der Bundesnotbremse
Maßnahmenspektrum nach § 28b IfSG
Die Bundesnotbremse regelte unter anderem folgende Maßnahmen:
- Ausgangsbeschränkungen: Wohnungs- und Grundstücksverlassen zwischen 22 Uhr und 5 Uhr nur in begründeten Ausnahmefällen möglich.
- Kontaktbeschränkungen: Beschränkung privater Zusammenkünfte auf den eigenen Haushalt und maximal eine weitere Person.
- Handel und Dienstleistungen: Schließung nicht lebensnotwendiger Geschäfte, Ausnahmen galten etwa für Lebensmitteleinzelhandel, Apotheken, Drogerien.
- Schule und Bildung: Wechselunterricht oder Distanzunterricht ab bestimmten Inzidenzwerten; zusätzliche Testpflichten.
- Freizeit, Sport und Kultur: Schließungen von Freizeit-, Sport- und Kultureinrichtungen, Verbot bestimmter Freizeitaktivitäten.
Automatisches Inkrafttreten und Außerkrafttreten
Die Maßnahmen der Bundesnotbremse setzten automatisch ein, sobald in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt die 7-Tage-Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen überschritten wurde. Sie traten außer Kraft, sobald an fünf aufeinanderfolgenden Tagen die Inzidenzen wieder unter den Grenzwert sanken.
Verfassungsrechtliche Aspekte und Gerichtsentscheidungen
Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz
Die Bundesnotbremse setzte tiefgreifende Eingriffe in Grundrechte um, insbesondere hinsichtlich der Freiheit der Person (Art. 2 GG), Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und Recht auf Bildung (Art. 7 GG). Der Gesetzgeber berief sich dabei auf die Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) sowie auf die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit.
Verfassungsgerichtliche Überprüfungen
Mehrere Normenkontrollanträge und Verfassungsbeschwerden wurden vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. Das Bundesverfassungsgericht entschied in mehreren Urteilen (u.a. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2021, 1 BvR 781/21, 1 BvR 798/21), dass die wesentlichen Regelungen der Bundesnotbremse mit dem Grundgesetz vereinbar waren. Das Gericht betonte das Ziel des Gesetzgebers, Leben und Gesundheit zu schützen sowie eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden.
Systematik und Abgrenzung zu anderen Maßnahmen
Verhältnis zu Landesrecht und föderaler Kompetenzverteilung
Durch die Bundesnotbremse wurde das Infektionsschutzrecht im Rahmen der epidemischen Notlage deutlich zentralisiert. Zuvor lag die rechtliche Verantwortung in erster Linie bei den Bundesländern, etwa durch Erlass eigener Corona-Schutzverordnungen. Das Bundesgesetz überlagerte diese Regelungen, sobald die Voraussetzungen des § 28b IfSG erfüllt waren.
Abgrenzung zu anderen Kriseninstrumenten
Der Begriff „Notbremse“ wird auch im Kontext anderer Pandemien oder Katastrophen verwendet; im rechtlichen Sinne ist jedoch explizit die gesetzlich geregelte automatische Anwendung vorgeschrieben. Die Bundesnotbremse unterscheidet sich in diesem Zusammenhang insbesondere durch ihre bundeseinheitliche, nicht-modifizierbare und sofortige Verbindlichkeit.
Außerkrafttreten und Nachwirkungen
Außerkrafttreten der Regelungen
Die gesetzlichen Regelungen der Bundesnotbremse (insbesondere § 28b IfSG) waren von vornherein zeitlich befristet. Der § 28b IfSG trat zum 30. Juni 2021 außer Kraft. Im weiteren Verlauf wurden keine vergleichbaren bundesweit einheitlichen Regelungen mehr beschlossen, sondern wiederum regional differenzierte Maßnahmen getroffen.
Evaluation und Bewertung
Die Bundesnotbremse ist Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Bewertungen. In der Rückschau wurde einerseits die schnelle und bundeseinheitliche Handhabung begrüßt, andererseits Kritik an der Intensität der Grundrechtseingriffe und ihren sozialen sowie wirtschaftlichen Folgewirkungen geübt. Gerichtlich bestätigte Einschätzungen unterstrichen die Ausnahmecharakteristik der Maßnahmen angesichts der damaligen epidemischen Lage.
Überblick und Bedeutung im deutschen Rechtssystem
Die Bundesnotbremse stellt ein erhebliches Beispiel für die temporäre Zentralisierung von Entscheidungsbefugnissen bei gesundheitlichen Notlagen dar. Ihre Existenz dokumentiert die Möglichkeit des Bundes, bei außergewöhnlichen Gefährdungslagen kompetenzübergreifend Regelungen zu erlassen, die unmittelbar und verbindlich für sämtliche Länder gelten.
Die Regelungen der Bundesnotbremse sind daher ein bedeutsames Beispiel für das staatliche Krisenmanagement im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland und ein Referenzfall für die rechtliche Bewältigung pandemiebedingter Ausnahmesituationen.
Häufig gestellte Fragen
Wann trat die Bundesnotbremse in Kraft und auf welcher rechtlichen Grundlage basierte sie?
Die Bundesnotbremse trat am 24. April 2021 in Kraft und basierte auf einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), konkret § 28b IfSG. Damit erließ der Bund erstmals verbindliche und bundeseinheitliche Regelungen im Rahmen der Pandemiebekämpfung, die zuvor in die Kompetenz der Länder fielen. Die Gesetzesänderung regelte, dass automatisch bestimmte Schutzmaßnahmen (z. B. Ausgangsbeschränkungen, Schulschließungen, Kontaktbeschränkungen usw.) aktiviert werden mussten, wenn in Landkreisen oder kreisfreien Städten an drei aufeinanderfolgenden Tagen eine Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritten wurde. Die Regelung zielte auf eine rechtssichere, nachvollziehbare und deutschlandweit einheitliche Steuerung pandemiebedingter Maßnahmen ab.
Welche Maßnahmen konnten durch die Bundesnotbremse rechtlich verordnet werden?
Die Bundesnotbremse erlaubte es dem Bund per Gesetz, weitgehende Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren zwischen 22 und 5 Uhr, weitreichende Einschränkungen für den Einzelhandel, für Sport, Freizeiteinrichtungen, Gastronomie sowie Schulen und Kitas anzuordnen. Besondere rechtliche Bedeutung kam der Regelung zu, dass diese Maßnahmen nicht mehr im Ermessen der Länder standen, sondern unmittelbar durch Bundesgesetz galten. Alle Einschränkungen beruhen direkt auf einer gesetzlichen Grundlage und waren damit verfassungsrechtlich und organisatorisch abgestützt. Die jeweiligen Maßnahmen wurden in § 28b IfSG konkretisiert, wodurch Verordnungen der Länder nicht mehr erforderlich waren, sondern direkt Rechtssicherheit bestand.
Welche Rolle spielten Gerichte bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Bundesnotbremse?
Die Maßnahmen der Bundesnotbremse wurden vielfach gerichtlich überprüft. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Rahmen mehrerer Eilverfahren und später im Hauptsacheverfahren zu entscheiden, ob die Regelungen insbesondere im Hinblick auf die Grundrechte, wie z. B. die Versammlungsfreiheit, Berufsfreiheit und Unverletzlichkeit der Wohnung zulässig waren. Das Gericht bestätigte mit Beschluss vom 30. November 2021 (1 BvR 781/21 u.a.), dass die Gesetzesänderung im Kern verfassungsmäßig war, da der Gesetzgeber angesichts der pandemischen Lage einen weiten Gestaltungsspielraum habe und die Eingriffe verhältnismäßig ausgestaltet worden seien. Allerdings wurden auch die Anforderungen an eine ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und Verhältnismäßigkeit hervorgehoben.
Welche Bedeutung hatte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bei der Anwendung der Bundesnotbremse?
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit war ein zentraler Maßstab für die rechtliche Bewertung der Bundesnotbremse. Jede Maßnahme musste sowohl geeignet, erforderlich als auch angemessen sein, um das mit ihr verfolgte Ziel – den Schutz der öffentlichen Gesundheit und das Verhindern einer Überlastung des Gesundheitssystems – zu erreichen. Gerichte prüften in Einzelfällen, ob mildere Mittel zur Verfügung gestanden hätten oder ob die Einschränkungen in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Nutzen standen. Die verfassungsrechtliche Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht betonte, dass Eingriffe in Grundrechte in Anbetracht der pandemischen Lage gerechtfertigt sein können, jedoch stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu prüfen sei.
Wie unterscheidet sich die Bundesnotbremse rechtlich von bisherigen Maßnahmen im Infektionsschutzrecht?
Während bislang die Bundesländer auf Grundlage von § 32 IfSG weitgehend eigenverantwortlich über Infektionsschutzmaßnahmen entscheiden konnten, verschob die Bundesnotbremse von April bis Juni 2021 dieses Entscheidungsermessen zugunsten des Bundes. Wesentlich war der Übergang von Verordnungen der Exekutive der Länder zu unmittelbar geltenden Bundesgesetzen, also von länderspezifischen Ermessensspielräumen zu bundeseinheitlich zwingenden Maßnahmen. Diese Zentralisierung stand aus rechtsstaatlicher Perspektive im Spannungsfeld zwischen Föderalismusprinzip und dem Bedürfnis nach rechtsgleicher Gefahrenabwehr im gesamten Bundesgebiet.
Gab es Ausnahmen oder rechtlich geregelte Abweichungen von den Maßnahmen der Bundesnotbremse?
Ja, das Gesetz sah verschiedene Ausnahmetatbestände vor. Ausgangssperren galten beispielsweise nicht für Personen mit medizinischem Notfall, Berufswege (sofern keine andere Möglichkeit bestand) oder die Betreuung unterstützungsbedürftiger Personen. Ebenso waren in § 28b Abs. 2 bis Abs. 4 und weiteren Bestimmungen Teilbereiche normiert, in denen die Länder unter bestimmten Voraussetzungen Lockerungen gestatten konnten, etwa bei der Rücknahme von Maßnahmen, wenn die Inzidenz unter die Schwellenwerte fiel. Gleichwohl waren die Ausnahmen eng und abschließend geregelt, um bundeseinheitliche Standards zu sichern.
Welche Kontroll- und Sanktionsmechanismen setzte das Infektionsschutzgesetz im Zuge der Notbremse durch?
Das Infektionsschutzgesetz legte fest, dass Verstöße gegen die angeordneten Bundesnotbremsen-Maßnahmen als Ordnungswidrigkeiten galten und entsprechend durch die Behörden mit Bußgeldern geahndet werden konnten (§ 73 IfSG). Die Überwachung der Einhaltung oblag weiterhin den Länderbehörden, insbesondere Ordnungs- und Gesundheitsämtern sowie der Polizei. Zudem wurden Meldepflichten für Infektionszahlen präzise geregelt, um den Schwellenwert der Inzidenz zweifelsfrei und rechtssicher zu bestimmen.**
Wie und wann wurde die Bundesnotbremse rechtlich aufgehoben?
Die Gültigkeit der Bundesnotbremse war im Gesetz sachlich und zeitlich befristet. Sie trat mit Ablauf des 30. Juni 2021 automatisch außer Kraft (§ 28b Abs. 10 IfSG a.F.), ohne dass es einer zusätzlichen Aufhebung durch Gesetzgeber oder Verwaltung bedurfte. Mit dem Absinken der Inzidenzzahlen und einer veränderten pandemischen Lage beschloss der Gesetzgeber keine Verlängerung dieser Regelung und kehrte zu einem stärker föderal geprägten Infektionsschutzregime zurück. Die temporäe Ausgestaltung wurde auch aus rechtsstaatlicher Perspektive als Maßnahme zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zur Begrenzung der Grundrechtseingriffe gewertet.