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Bundesanwaltschaft


Begriff und Stellung der Bundesanwaltschaft

Die Bundesanwaltschaft (auch Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof, kurz: BAW) ist die oberste Strafverfolgungsbehörde der Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Strafjustiz des Bundes. Ihre Hauptaufgaben liegen in der Verfolgung besonders schwerwiegender Straftaten mit bundesweiter und internationaler Bedeutung. Organisatorisch gehört die Bundesanwaltschaft zur sogenannten Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof und ist damit ein zentraler Bestandteil der deutschen Strafverfolgungsstruktur.

Rechtsgrundlagen

Verfassungsrechtlicher Rahmen

Die Einrichtung der Bundesanwaltschaft beruht auf dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, konkret auf Art. 96 Abs. 2 GG, der die Bildung von Bundesgerichtshöfen sowie die Einrichtung von Bundesstaatsanwaltschaften vorsieht. Die weitere Ausgestaltung erfolgt im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), insbesondere in den §§ 142 ff. GVG.

Gesetzliche Aufgaben

Die gesetzlichen Aufgaben und Zuständigkeiten der Bundesanwaltschaft finden sich primär im Gerichtsverfassungsgesetz sowie in der Strafprozessordnung (StPO). Gemäß § 142 GVG nimmt die Bundesanwaltschaft hoheitliche Funktionen der Strafverfolgung für das Bundesgebiet wahr, insbesondere in Fällen von:

  • Staatsschutzdelikten (§§ 74a, 120 GVG)
  • Terrorismusbekämpfung (§ 129a StGB, § 129b StGB)
  • Strafsachen mit erheblicher außenpolitischer oder sicherheitspolitischer Bedeutung

Organisationsstruktur

Aufbau der Behörde

Die Bundesanwaltschaft hat ihren Sitz in Karlsruhe. Sie wird vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof geleitet, der vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesministers der Justiz ernannt wird. Dem Generalbundesanwalt sind mehrere Bundesanwälte und Oberstaatsanwälte nachgeordnet. Die Struktur der Bundesanwaltschaft folgt klassischen Hierarchien einer Staatsanwaltschaft mit unterschiedlichen Dezernaten, welche jeweils spezifische Deliktsbereiche abdecken.

Unterstellungsverhältnis

Die Bundesanwaltschaft ist organisatorisch der Exekutive, namentlich dem Bundesministerium der Justiz, unterstellt (§ 147 GVG). Sie ist jedoch in ihren Ermittlungen und Entscheidungen unabhängig dem Gesetz unterworfen.

Zuständigkeit und Aufgabenbereiche

Sachliche Zuständigkeit

Die sachliche Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft besteht insbesondere für folgende Deliktsbereiche:

  • Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit: Dazu gehören Hoch- und Landesverrat (§§ 81 ff. StGB), Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats, Spionage und geheimdienstliche Tätigkeiten.
  • Terrorismusbekämpfung: Die Bundesanwaltschaft verfolgt Organisationen und Personen nach §§ 129a, 129b StGB, einschließlich internationaler terroristischer Vereinigungen.
  • Völkerstrafrecht: Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB), insbesondere schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen.
  • Straftaten, die von besonderer bundesweiter Bedeutung sind: Beispielsweise Angriffe auf Bundesorgane oder diplomatisches Korps.

Funktion im Strafverfahren

Die Bundesanwaltschaft leitet Ermittlungen in den genannten Deliktsbereichen und vertritt die Anklage im Ermittlungs- und Hauptverfahren vor dem Bundesgerichtshof. Sie koordiniert gegebenenfalls länderübergreifende Ermittlungen und arbeitet eng mit inländischen und internationalen Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten zusammen.

Ermittlungsverfahren

Im Ermittlungsverfahren hat die Bundesanwaltschaft Leitungsfunktion und übt die sachliche Aufsicht über die Ermittlungen der Sicherheits- und Polizeibehörden des Bundes und der Länder aus. Sie kann Untersuchungsmaßnahmen anordnen, Ermittler einsetzen und Zeugen befragen.

Anklageerhebung und gerichtliche Vertretung

Bei hinreichendem Tatverdacht erhebt die Bundesanwaltschaft Anklage. In Staatsschutzdelikten ist sie vor den Staatsschutzsenaten der Oberlandesgerichte oder dem Bundesgerichtshof prozessführend.

Verhältnis zu anderen Behörden

Kooperation mit Länderstaatsanwaltschaften

Die Bundesanwaltschaft koordiniert bei Delikten von bundesweiter Bedeutung die Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften der Länder. Sie kann Ermittlungen an sich ziehen, wenn eine Angelegenheit als Staatsschutzverfahren oder von überragender Bedeutung eingestuft wird.

Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt und Sicherheitsbehörden

Für die praktische Ermittlungstätigkeit ist die Bundesanwaltschaft auf die Kooperation mit dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und weiteren Sicher­heitsbehörden angewiesen.

Internationale Zusammenarbeit

Die Bundesanwaltschaft nimmt eine führende Rolle bei der Verfolgung transnationaler Straftaten und der Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, wie Europol, Interpol oder den Staatsanwaltschaften anderer Staaten, sowie mit internationalen Strafgerichtshöfen (z. B. Internationaler Strafgerichtshof) wahr.

Historische Entwicklung

Entstehung und Entwicklung

Die Bundesanwaltschaft wurde 1950 beim Bundesgerichtshof gegründet, zum Nachfolger der bereits zuvor bestehenden Einrichtung der Reichsanwaltschaft. Ihre Kompetenzen haben sich im Lauf der Jahrzehnte insbesondere durch die Zunahme von Terrorismus und internationaler Kriminalität erheblich erweitert.

Bedeutende Verfahren

Bekannte Ermittlungen und Verfahren der Bundesanwaltschaft betrafen u. a. die Verfolgung der RAF (Rote Armee Fraktion) sowie internationalen Terrorismus, Spionagefälle aus der Zeit des Kalten Krieges, sowie aktuelle Ermittlungen im Kontext islamistischer Terrororganisationen und völkerstrafrechtlicher Delikte.

Rechtliche Kontrolle und Rechtsmittel

Die Arbeit der Bundesanwaltschaft unterliegt gerichtlicher Kontrolle durch den Bundesgerichtshof und die zuständigen Oberlandesgerichte, insbesondere in Fragen der Anklagezulassung, Ermittlungsmaßnahmen und der richterlichen Kontrolle über strafprozessuale Zwangsmaßnahmen. Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Bundesanwaltschaft richten sich nach den allgemeinen Regeln der Strafprozessordnung.

Bedeutung und Besonderheiten

Die Bundesanwaltschaft stellt die zentrale Säule der bundesweiten Strafverfolgung in besonders sensiblen und komplexen Fällen mit Bezug zum Staatswohl oder zu internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik dar. Sie gewährleistet auf höchster Ebene die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit, die Wahrung des demokratischen und rechtsstaatlichen Fundaments sowie die Überwachung und Durchsetzung völkerrechtlicher Prinzipien im Strafverfahren.


Weiterführende Literatur

* Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
* Strafprozessordnung (StPO)
* Völkerstrafgesetzbuch (VStGB)
* Bundesministerium der Justiz: Leitfaden zur Arbeit der Bundesanwaltschaft

Weblinks

* Bundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof
* Bundesministerium der Justiz


Hinweis: Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über die rechtlichen Grundlagen, Zuständigkeiten und Strukturen der Bundesanwaltschaft im deutschen Rechtssystem.

Häufig gestellte Fragen

Wer ernennt den Generalbundesanwalt und wie erfolgt dessen Abberufung?

Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof wird nach Art. 96 Abs. 2 GG i.V.m. § 142 GVG durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag des Bundesministers der Justiz und mit Zustimmung des Bundesrates ernannt. Diese zentrale Stellung unterstreicht die Bedeutung des Amtes im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland. Die Abberufung des Generalbundesanwalts erfolgt ebenfalls durch den Bundespräsidenten auf Veranlassung des Bundesministers der Justiz, eine Zustimmung des Bundesrates ist hierfür jedoch nicht erforderlich. Die Ernennung und Abberufung unterliegen damit der politischen Exekutive, wobei insbesondere aus Gründen der Transparenz und politischen Verantwortlichkeit die Einbindung des Bundesrates bei der Ernennung vorgesehen ist. Der Generalbundesanwalt genießt während seiner Amtszeit einen besonderen Schutz vor willkürlicher Entfernung aus dem Amt, die nur aus wichtigen Gründen, wie z.B. schwerwiegendem Fehlverhalten oder dauernder Dienstunfähigkeit, erfolgen darf.

Welche Zuständigkeiten hat die Bundesanwaltschaft im Strafverfahren?

Die Bundesanwaltschaft ist insbesondere für die Verfolgung bestimmter schwerwiegender Straftaten mit bundesweiter oder besonderer Bedeutung zuständig. Dies umfasst nach § 142a GVG und weiteren spezialgesetzlichen Vorschriften vor allem Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit des Bundes (z.B. Landesverrat, Spionage, Terrorismus, Völkermord), Kriegsverbrechen, sowie bestimmte staatsgefährdende Delikte. Bei diesen Kategorien nimmt die Bundesanwaltschaft die Rolle der Staatsanwaltschaft direkt wahr, d.h., sie leitet eigenverantwortlich Ermittlungsverfahren, erhebt Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts und vertritt die Anklage im Prozess. In Einzelfällen kann die Bundesanwaltschaft auf Weisung des Bundesministeriums der Justiz Ermittlungsverfahren von den Staatsanwaltschaften der Länder an sich ziehen (Evokationsrecht), sofern ein überwiegendes bundesweites Interesse dies gebietet.

In welchem Verhältnis steht die Bundesanwaltschaft zu den Länderstaatsanwaltschaften?

Die Bundesanwaltschaft ist eine eigenständige Behörde beim Bundesgerichtshof und steht außerhalb der Hierarchie der Länderstaatsanwaltschaften. Sie kooperiert jedoch eng mit diesen, insbesondere bei der Aufklärung von Straftaten, die zunächst im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, sich jedoch als Fälle von besonderer bundesweiter Bedeutung oder im Zusammenhang mit Staatsschutzdelikten erweisen. Bei konkurrierender Zuständigkeit entscheidet die Bundesanwaltschaft ggf. nach Übernahme durch förmliches Übernahmeverfahren. Die Bundesanwaltschaft kann Ermittlungen an Länderstaatsanwaltschaften zurückübertragen, sofern deren weitere Durchführung angezeigt erscheint. Organisatorisch und sachlich besteht eine Weisungskompetenz des Bundesministeriums der Justiz gegenüber der Bundesanwaltschaft, während die Staatsanwaltschaften der Länder landesrechtlichen Fach- und Dienstaufsichten unterstehen.

Welche Rolle spielt die Bundesanwaltschaft im internationalen Rechtshilfeverkehr?

Die Bundesanwaltschaft ist bei international justiziell relevanten Sachverhalten – etwa Auslieferungen, Rechtshilfeersuchen oder der Verfolgung internationaler Verbrechen (z. B. nach dem Völkerstrafgesetzbuch) – zuständige zentrale Staatsanwaltschaft für bestimmte Verfahren von besonderer Bedeutung oder im Kontext der supranationalen Strafrechtspflege (z.B. Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof). Sie nimmt die Rolle der zentralen Behörde gegenüber ausländischen Stellen, internationalen Strafgerichtshöfen und supranationalen Ermittlungs- und Strafverfolgungsorganen ein. Ihre Arbeit basiert hierbei auf völkerrechtlichen Verträgen und internationalen Übereinkommen, insbesondere dem Europäischen Rechtshilferecht und bilateralen Abkommen.

Wie ist die Bundesanwaltschaft personell und organisatorisch strukturiert?

Die Bundesanwaltschaft ist als eigenständige Bundesbehörde direkt beim Bundesgerichtshof angesiedelt. Sie wird vom Generalbundesanwalt geleitet, dem mehrere Bundesanwälte und Oberstaatsanwälte zur Seite stehen. Die interne Organisation erfolgt in Abteilungen, die nach Deliktsgebieten (z. B. Terrorismus, Spionage, Völkerstrafrecht) gegliedert sind. Neben juristischem Personal (Bundesanwälte, Beamte des höheren und gehobenen Justizdienstes) gibt es auch nichtjuristische Angestellte sowie Fachreferenten für spezielle Ermittlungsbereiche. Die Arbeitsweise orientiert sich an den Grundsätzen der Weisungsgebundenheit, Aktenmäßigkeit und Transparenz des staatsanwaltschaftlichen Handelns. Die Bundesanwaltschaft unterliegt der ständigen Dienst- und Fachaufsicht des Bundesministeriums der Justiz, welches insoweit eine Steuerungs- und Kontrollfunktion wahrnimmt.

In welchen Fällen kann das Bundesministerium der Justiz der Bundesanwaltschaft Weisungen erteilen?

Das Bundesministerium der Justiz kann der Bundesanwaltschaft in jedem laufenden Verfahren Weisungen erteilen. Diese Weisungsbefugnis umfasst sowohl generelle als auch fallbezogene Anordnungen, wie beispielsweise die Aufnahme oder Einstellung eines Ermittlungsverfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, den Zeitpunkt und die Form der Anklageerhebung oder die Verwendung spezifischer Ermittlungsmethoden. Die Weisungsbindung ist Ausdruck des Legalitätsprinzips und gewährleistet die parlamentarisch-demokratische Kontrolle über die Strafverfolgung im Bereich herausragender Delikte. Die Grenze dieser Befugnis bildet das Prinzip der Gewaltenteilung und richterlichen Unabhängigkeit, so dass das Bundesministerium nicht in richterliche Entscheidungen eingreifen kann. Weisungen bedürfen keiner besonderen Form, werden aber üblicherweise schriftlich erteilt und dokumentiert.

Was unterscheidet die Bundesanwaltschaft von anderen Bundesbehörden im Bereich der Strafverfolgung?

Die Bundesanwaltschaft ist einzigartig, da sie im Gegensatz zu anderen deutschen Bundesbehörden i.d.R. selbst unmittelbar zur Anklageerhebung und Prozessführung berechtigt ist; andere Bundesbehörden wie das Bundeskriminalamt, das Zollkriminalamt oder das Bundesamt für Verfassungsschutz haben zwar Ermittlungskompetenzen, agieren aber primär als Ermittlungs- und Nachrichtendienste, nicht als Anklagebehörden. Im Rahmen des Grundgesetzes und der einfachgesetzlichen Bestimmungen ist die Bundesanwaltschaft die alleinige Bundesbehörde mit originärer, staatsanwaltschaftlicher Leitungsfunktion in bestimmten Strafsachen. Sie kann direkt vor den obersten Gerichten des Bundes auftreten und repräsentiert insoweit den Bundesinteressen im Strafprozessrecht.