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Bürgerliche Rechtsstreitigkeit


Bürgerliche Rechtsstreitigkeit

Begriffserklärung und Einordnung

Eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit ist ein zentraler Begriff des deutschen Zivilprozessrechts. Er bezeichnet einen Streitfall, der die Rechtsverhältnisse zwischen Privatrechtssubjekten betrifft und vor einem Zivilgericht ausgetragen wird. Die Abgrenzung bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten von öffentlich-rechtlichen oder strafrechtlichen Verfahren ist wesentlich für die Bestimmung des zuständigen Gerichts und des anwendbaren Verfahrensrechts.

Der Begriff findet sich unter anderem im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), insbesondere in § 13 GVG, der die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten regelt. Die genaue rechtliche Einordnung spielt für die Zulässigkeit einer Klage, die Verfahrensart sowie für Instanzenzüge und Rechtsmittel eine entscheidende Rolle.

Gesetzliche Grundlagen

§ 13 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz)

Der zentrale gesetzliche Ansatzpunkt für die Definition der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit ist § 13 GVG:

„Die ordentlichen Gerichte sind zuständig für alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten…“

Damit definiert das Gesetz im Wesentlichen per Negativabgrenzung: Alles, was nicht Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- oder Arbeitsgerichtsbarkeit zugeordnet ist (und nicht in die Zuständigkeit sonstiger Gerichte fällt), ist nach Möglichkeit als bürgerliche Rechtsstreitigkeit anzusehen.

Weitere Rechtsquellen

Neben dem GVG sind auch die Zivilprozessordnung (ZPO), das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) sowie spezielle Einzelgesetze (z. B. das Handelsgesetzbuch, HGB) maßgeblich bei der Ausgestaltung der bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten.

Merkmale der bürgerlichen Rechtsstreitigkeit

Privatrechtliche Natur

Im Zentrum steht das Merkmal der privatrechtlichen Streitigkeit. Typischerweise sind dies Konflikte über Rechte und Pflichten aus Verträgen oder gesetzlichen Schuldverhältnissen, die von natürlichen oder juristischen Personen des Privatrechts geltend gemacht werden.

Beteiligte Parteien

Die Parteien einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit sind in der Regel Privatpersonen, Unternehmen, Vereine, Stiftungen oder vergleichbare Rechtsträger. Auch öffentlich-rechtliche Körperschaften (z. B. Gebietskörperschaften) können, sofern sie privatrechtlich handeln, Partei eines solchen Verfahrens sein (z. B. als Vermieter von Wohnraum).

Streitgegenstand

Als Streitgegenstand kommt jede zivilrechtliche Frage in Betracht, insbesondere:

  • Ansprüche aus Verträgen (Kauf, Miete, Werkvertrag, Dienstvertrag etc.)
  • Eigentums- und Besitzstreitigkeiten
  • Schadensersatzforderungen aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff. BGB)
  • Familien- und erbrechtliche Auseinandersetzungen (z. B. Ehescheidung, Erbauseinandersetzung)
  • Geschäftsbeziehungen im Wirtschaftsrecht (z. B. Handelsrecht)

Abgrenzung zu anderen Verfahrensarten

Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten sind abzugrenzen von Verfahren der öffentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsgerichte) sowie von strafrechtlichen Verfahren. Die Abgrenzung erfolgt aufgrund des Streitgegenstands und der Anwendung materiellen Rechts (vor allem BGB und HGB).

Zuständigkeit der Gerichte

Ordentliche Gerichtsbarkeit

Die Entscheidung über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten obliegt den ordentlichen Gerichten. Die Eingangsinstanz ist meist das Amtsgericht (bei Streitwerten bis 5.000 Euro oder besonderen Fällen) oder das Landgericht (bei höheren Streitwerten und bestimmten Streitgegenständen, z. B. Handelsstreitigkeiten).

Sonderzuständigkeiten

Fälle des Familienrechts (z. B. Scheidung, Sorgerecht) und bestimmte erbrechtliche Angelegenheiten fallen ebenfalls unter die bürgerliche Rechtsstreitigkeit, werden jedoch häufig von spezialisierten Abteilungen der Amtsgerichte als Familien- oder Nachlassgericht verhandelt.

Örtliche und sachliche Zuständigkeit

Die Zuständigkeit richtet sich nach dem GVG, der ZPO sowie nach spezialgesetzlichen Regelungen (etwa im Mietrecht). Entscheidend sind Streitwert, Streitgegenstand und der Wohnsitz der Parteien.

Verfahrensrechtliche Besonderheiten

Anwendbares Verfahrensrecht

Auf bürgerliche Rechtsstreitigkeiten ist die Zivilprozessordnung (ZPO) anwendbar. Die ZPO regelt das Verfahren von der Klageerhebung über die mündliche Verhandlung bis zum Urteil sowie die Rechtsmittelmöglichkeiten.

Beweislast und Beweisführung

Eine zentrale Rolle im Zivilprozess spielt die Beweislast. Grundsätzlich trägt jede Partei die Beweislast für die für sie günstigen Tatsachen im Streit. Die Beweiserhebung erfolgt typischerweise durch Zeugen, Urkunden, Sachverständigengutachten oder Augenscheinseinnahme.

Kostenrecht

Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten finden das Gerichtskostengesetz (GKG) und das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) Anwendung. Hieraus ergibt sich die Kostenlast nach Unterliegen oder Obsiegen im Prozess (§ 91 ZPO).

Besondere Formen bürgerlicher Rechtsstreitigkeiten

Individual- und Kollektivklagen

Neben Individualklagen stehen inzwischen auch kollektive Klagerechte zur Verfügung (z. B. Musterfeststellungsklage gemäß § 606 ZPO), wenn zahlreiche Geschädigte gegen einen Anspruchsgegner vorgehen möchten.

Schiedsverfahren

Bürgerliche Streitigkeiten können auch im Wege eines Schiedsverfahrens außergerichtlich entschieden werden, sofern die Parteien dies vertraglich vereinbart haben.

Einstweiliger Rechtsschutz

Das Zivilprozessrecht kennt Instrumente des einstweiligen Rechtsschutzes (z. B. einstweilige Verfügung, Arrest), um rasche Lösungen in Konfliktfällen zu schaffen.

Internationale Dimension

Im internationalen Kontext umfasst die bürgerliche Rechtsstreitigkeit grenzüberschreitende Streitfälle. Hier kommen zusätzliche Regelwerke zur Anwendung, etwa die Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO) für die internationale Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen innerhalb der EU.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten sind das Rückgrat der Zivilgerichtsbarkeit. Sie garantieren den Rechtsschutz für Private und Unternehmen bei der Durchsetzung oder Abwehr von Ansprüchen. Die Kenntnis und genaue Einordnung solcher Streitigkeiten ist in der Praxis essenziell, um Rechte effektiv geltend zu machen und verfahrensrechtliche Vorgaben einzuhalten.


Literaturhinweis:

  • Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
  • Zivilprozessordnung (ZPO)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Müller-Graff, Peter-Christian: Bürgerliche Rechtsstreitigkeit und ihre Abgrenzung, 2021
  • Musielak/Voit: Zivilprozessordnung, Kommentar, aktuelle Auflagen

Häufig gestellte Fragen

Welche Gerichte sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zuständig?

Für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, also Auseinandersetzungen aus dem Bereich des Zivilrechts, sind in erster Instanz grundsätzlich die Amtsgerichte und die Landgerichte zuständig. Die Zuständigkeit hängt meistens vom Streitwert ab: Bei einem Streitwert bis zu 5.000 Euro sind regelmäßig die Amtsgerichte sachlich zuständig, bei einem höheren Streitwert die Landgerichte. Ungeachtet des Streitwerts sind die Amtsgerichte außerdem in bestimmten Streitigkeiten – wie etwa Mietstreitigkeiten oder Familiensachen – immer zuständig. Über Berufungen gegen Urteile der Amtsgerichte entscheiden die Landgerichte, gegen Urteile der Landgerichte in erster Instanz wiederum die Oberlandesgerichte. Die letzte Instanz im Zivilprozess stellt der Bundesgerichtshof dar, der allerdings nur in bestimmten Fällen angerufen werden kann.

Wie läuft ein bürgerlicher Rechtsstreit ab?

Ein bürgerlicher Rechtsstreit beginnt in der Regel mit der Einreichung einer Klageschrift beim zuständigen Gericht. Nach Zustellung dieser Klageschrift an die Gegenseite erhält diese eine Frist zur Klageerwiderung. Anschließend erfolgt die sogenannte mündliche Verhandlung, in der die Parteien ihre Standpunkte erläutern und Beweise, etwa durch Zeugenaussagen oder Urkunden, vorgelegt werden. Das Gericht kann auch versuchen, eine gütliche Einigung herbeizuführen. Kommt diese nicht zustande, entscheidet das Gericht durch Urteil. Gegen dieses Urteil stehen je nach Streitwert und Instanz Möglichkeiten der Berufung oder Revision offen. Während des gesamten Verfahrens sind bestimmte prozessuale Vorschriften, insbesondere die der Zivilprozessordnung (ZPO), einzuhalten.

Welche Kosten entstehen bei einer bürgerlichen Rechtsstreitigkeit?

Die Kosten eines bürgerlichen Rechtsstreits setzen sich grundsätzlich aus den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten (vor allem Anwaltskosten) zusammen. Die Höhe der Gerichtskosten richtet sich nach dem Streitwert und wird im Gerichtskostengesetz (GKG) geregelt. Anwaltskosten werden anhand des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) berechnet, wobei auch hier der Streitwert maßgeblich ist. Hinzu kommen möglicherweise Kosten für Sachverständige, Zeugenentschädigungen oder Gutachten. Die unterlegene Partei muss alle Kosten des Rechtsstreits tragen, sofern das Gericht nicht anders entscheidet. Nicht zuletzt können auch Kosten für einen Vergleich oder für eventuelle Nebenverfahren anfallen.

Welche Fristen sind im bürgerlichen Rechtsstreit zu beachten?

Im bürgerlichen Rechtsstreit existieren zahlreiche Fristen, die zwingend eingehalten werden müssen. Dazu zählen beispielsweise die Frist zur Klageerwiderung, die vom Gericht festgelegt wird, sowie Berufungs- oder Revisionsfristen nach Zustellung eines Urteils. Typischerweise beträgt die Berufungsfrist einen Monat und die Frist zur Berufungsbegründung zwei Monate. Daneben sind Verjährungsfristen zu beachten, innerhalb derer ein Anspruch geltend gemacht werden muss – meist beträgt diese drei Jahre, sie kann im Einzelfall aber auch kürzer oder länger sein. Die Nichteinhaltung bestimmter Fristen kann zum Verlust von Rechten führen, weshalb diese im Interesse einer effektiven Rechtsverfolgung strikt beachtet werden sollten.

Ist ein Anwalt im bürgerlichen Rechtsstreit zwingend notwendig?

Die Notwendigkeit eines Anwalts hängt davon ab, welches Gericht für den Rechtsstreit zuständig ist. Vor dem Amtsgericht besteht kein Anwaltszwang, das heißt, die Parteien können sich selbst vertreten. Bei den Landgerichten und höheren Instanzen gilt dagegen Anwaltszwang: Dort dürfen Prozesse nur durch einen zugelassenen Rechtsanwalt geführt werden. Unabhängig davon ist es auch vor dem Amtsgericht ratsam, sich von einem Anwalt vertreten zu lassen, da dieser die notwendigen rechtlichen Kenntnisse und Erfahrungen mitbringt, um die Interessen der Partei optimal zu wahren.

Kann während des bürgerlichen Rechtsstreits eine außergerichtliche Einigung erzielt werden?

Ja, im gesamten Verlauf eines bürgerlichen Rechtsstreits besteht grundsätzlich die Möglichkeit, eine außergerichtliche Einigung – etwa durch einen Vergleich – zu erzielen. Ein solcher Vergleich kann vor oder auch während eines laufenden Verfahrens geschlossen werden. Besonders während der mündlichen Verhandlung kann das Gericht auf einen Vergleich hinwirken. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich hat die Wirkung eines vollstreckbaren Titels, das heißt, bei Nichterfüllung kann aus dem Vergleich wie aus einem Urteil vollstreckt werden. Auch außergerichtliche Einigungen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens sind jederzeit möglich und können den Rechtsstreit beenden.

Gibt es Möglichkeiten der Prozesskostenhilfe in bürgerlichen Streitigkeiten?

Für Personen, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten eines Prozesses nicht oder nur teilweise aufbringen können, besteht die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe (PKH) zu beantragen. Dies gilt sowohl für Kläger als auch für Beklagte. Die Bewilligung von PKH setzt voraus, dass die Rechtsverfolgung nicht mutwillig erscheint und hinreichende Erfolgsaussichten bietet. Prozesskostenhilfe umfasst die Übernahme der Gerichtskosten und gegebenenfalls der eigenen Anwaltskosten, nicht jedoch der Kosten der Gegenseite, sofern der Antragsteller unterliegt. Ein entsprechender Antrag ist beim zuständigen Gericht zu stellen und bedarf einer detaillierten Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse.